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In einer Welt geprägt von Amazon und Buchhandelsketten verschwinden immer mehr kleine Buchläden. Alle? Nicht ganz. Eine Gruppe unabhängiger Buchhändler kämpft gegen die Platzhirsche an. Unter ihnen ist Hermkes Romanboutique in Würzburg, die sich nicht unterkriegen lässt. Wir haben sie uns einmal genauer angesehen und bei den Inhabern nachgefragt

Hermkes Romanboutique ist ein kleiner Laden abseits der Würzburger Innenstadt. Gegründet 1981 vom namensgebenden Hermke Eibach, bietet sie seitdem all jenen ein zu Hause, die sich zwischen Fantasy und Science-Fiction Romanen und Comics am wohlsten fühlen. Gerd Eibach, Sohn des Gründers und nun einer der Inhaber, hat sich etwas Zeit genommen, um über den Buchhandel und Bücher zu plaudern.

Down the rabbit hole

Geht man die Valentin-Becker-Straße entlang, ist Hermkes Romanboutique dank des hockenden Spiderman dem Eingang vor kaum zu übersehen. Drinnen erhebt sich Regalreihe um Regalreihe mit Romanen und Comics, neu und gebraucht, auf Deutsch und Englisch. Die Kundschaft ist gemischt: Frauen und Männer jeden Alters sind vertreten. Manche sind auf der Suche nach einem bestimmten Buch, andere wollen nur mal schauen oder sich beraten lassen. Mittendrin sind Gerd und Bernie, der zweite Inhaber – immer bereit, Rede und Antwort zu stehen, oder sich einfach über Fantasy, Science-Fiction und Comics zu unterhalten.

Interviewpartner Gerd

Teilzeithelden: Hallo Gerd, vielen Dank, dass du dir Zeit für ein paar unserer Fragen nimmst. In Zeiten von größeren Buchhandelsketten ist es eher ungewöhnlich einen Laden zu finden, der sich auf Fantasy, Science-Fiction, Comics und Pen&Paper spezialisiert hat. Was waren eure Gründe dafür?

Gerd: Die Wahl entspringt ganz einfach den eigenen Interessen. Als Hermke 1981 den Laden eröffnet hat, gab es fast noch keine Buchhandlungen mit einem entsprechenden Sortiment. Er selbst war großer Sammler und Fan, gerade von Fantasy und Science-Fiction, und sein Berufsleben gerade im Umbruch. Da bot sich die Gunst der Stunde, einfach ins kalte Wasser zu springen. Bernie und ich selbst waren schon die zweite Generation, herangeführt an unser aller Lieblingsgenre Comics und Phantastik. Comics und die damals gerade erst aufkommenden Fantasy-Rollenspiele waren natürliche Gesellschafter. Und schon vorher, auf Börsen oder Tauschtagen, gab es fast immer die ganze Palette der schon damals bestehenden Nerd-Gemeinschaft: Comicleser, Phantastik-Fans und Rollenspieler.

Deutschsprachige Comics und Graphic Novels so weit das Auge reicht.

Teilzeithelden: Also gewissermaßen ein Laden von Nerds für Nerds. Was sind eure Schwierigkeiten als kleinerer Buch- und Comic-Händler?

Gerd: Die Schwierigkeiten der Branche sind überall ähnlich. Wachsende Konkurrenz durch Internet-Anbieter üben heute Druck auf den gesamten Einzelhandel aus. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Einkaufskultur dramatisch verändert. Erst hat es die Tante-Emma-Läden dahingerafft, dann Plattenläden, Videotheken und so weiter. Einerseits ein normaler Wandel der Infrastrukturen, andererseits aber auch ein kultureller Verlust, bedingt durch unsere gedankenlose Konsumgesellschaft. In meinem Sprachgebrauch ist billig und Geiz noch eindeutig negativ belegt. Natürlich kann man von niemandem verlangen, unsinnige Wucherpreise zu zahlen, aber für mich ist es ein großes Stück Lebensqualität, zu Läden in der Nachbarschaft zu gehen, um mit den Inhabern zu plaudern und Empfehlungen zu bekommen. Kommunikation mit echten Menschen und Entschleunigung beim Einkauf sind mir mehr wert als Über-Nacht-Belieferung und möglichst billig.

Spiderman begrüßt jeden Kunden persönlich.

Außerdem, und da wird es jetzt spezifischer, dient das meiste, was man in Nerdläden findet, ja dem Eskapismus. Lesen ist „abtauchen in andere Welten“, Rollenspielen bedeutet per definitionem in andere Rollen zu schlüpfen. Comics sind Kunst und Ablenkung zugleich. Zu all diesen klassisch analogen Möglichkeiten der Entspannung sind aber dank moderner Technik jede Menge neue, einfacher zu konsumierende Konkurrenten aufgetaucht. Streaming-Serien, digitale Spiele oder Kinofilme sind eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz. Sich berieseln zu lassen ist eben einfacher als sich das eigene Kopfkino zu „erarbeiten“. Analog versus digital ist immer auch eine Frage des Aufwandes. Rollenspiele brauchen zwar nicht wirklich mehr Zeit als digitale Spiele, fordern aber ein Mehr an Aufwand und ein Mehr an Engagement. Ich will nicht sagen, dass ich gefeit bin gegen diesen leichten Konsum, die richtige Balance macht es – wie bei fast allem. Trotzdem ist mir mein Kopfkino wichtiger und mehr wert als jede auch noch so perfekte Visualisierung. Meine eigene Fantasie ist mir heilig und dass sie so reich ist, rührt bestimmt auch daher, dass ich es liebe zu spielen und zu lesen. Analog.

Ein Reservat für komische Vögel

Teilzeithelden: Das klingt nach einigen Schwierigkeiten, mit denen man als Genreladen zu kämpfen hat. Was hält euch davon ab, einfach die Flinte ins Korn zu werfen?

Gerd: Ein bisschen habe ich das ja schon in den vorherigen Fragen beantwortet. Auf den Punkt gebracht bedeutet das, dass wir den Scheiß lieben. Wir sind einfach selbst Fans und Nerds und wollen die Fackel am Brennen halten und bei euch das Feuer entfachen. Außerdem – und das hört sich jetzt nach Pathos an – sehen wir auch eine hehre Aufgabe darin, eine Plattform zu bieten. Einen Rückzugsort für Fans und Nerds, einen Marktplatz, auf dem man sich austauschen kann, einen Ort, den man aufsuchen kann, um unter Gleichgesinnten zu sein. Ein Reservat für komische Vögel und Dinosaurier – wie eben uns selbst.

Eine Wand voll englischer Comics in deutschen Übersetzungen.

Teilzeithelden: Ein Reservat für komische Vögel klingt doch nach einer guten Sache. Abgesehen davon und gerade in Bezug auf Internethändler und größere Buchhandelsketten: Was tut ihr, um euch davon abzuheben? Was macht euch besonders?

Gerd: Wir können nie perfekter oder schneller sein als Amazon. Wir können nur netter und im Detail kompetenter sein. Durch die Schnellschiene im Buchhandel besorgen wir lieferbare Bücher über Nacht, auch jedes Buch, das wir normalerweise nicht im Sortiment haben, inklusive Fachbücher und Lehrmaterial. Im Buchhandel haben wir fest gebundene Verkaufspreise, also Gleichheit für alle und kein Vorteil des Onlinehandels. Bei Spielen sind wir manchmal teurer, dafür erklären wir euch die Regeln, lassen euch testspielen und stehen für Fragen zur Verfügung. Beim Antiquariat findest du sicher online immer eine größere Auswahl, aber dafür ist unser Preisgefüge wesentlich stabiler und fairer. Du bekommst das Buch in vorhandener Qualität zum angepassten Preis. Vielleicht nicht immer billiger, dafür aber auch nicht mit irrsinnigen Ausreißern nach oben, die nichts mit dem eigentlichen Wert der Ware zu tun haben.

Was uns wirklich besonders macht, seht ihr, wenn ihr uns besucht. Zu einem unserer Events mit Zeichnern und Autoren, oder bei einem Testspielabend. An einem Samstag mit „Nerdtalk“. Oder einfach ganz „normal“ unter der Woche, wenn etwas Zeit für Beratung oder Austausch ist.

Big Bang und Lieblingskneipe

Teilzeithelden: Was sind denn deine Lieblingsmomente im Laden? Events oder Nerdtalk-Samstage?

Gerd: Samstage. Da ist der Laden zwar manchmal schon fast ungemütlich voll, dafür hast du das, was ich gerade propagiert habe, in Reinform. Den Ort, wo sich alle treffen. Ein bisschen Big Bang (Theory, Anm. der Autorin) und ein bisschen Lieblingskneipe. Das muss man mögen und mal erlebt haben. Ich liebe es.

Teilzeithelden: Von diesen Lieblingskneipen-Samstagen, gibt es da ein Erlebnis, das dir in besonders schöner Erinnerung geblieben ist?

Gerd: Es ist schwer, da ein einzelnes Erlebnis herauszufiltern. Ich liebe es, wenn wir unsere Kunden glücklich machen können. Dazu gehören zum Beispiel Momente, wo du aufgrund einer völlig fragmentarischen und unzureichenden Beschreibung ein lange gesuchtes Buch oder Comic findest. Der Kunde kann zufrieden mit einem Stück Vergangenheit nach Hause gehen. Dazu gehört auch, dass Nachwuchsfans ein Zuhause finden. Große Augen bei Kids, wenn sie ihre erste Zeichnung eines Comic-Künstlers bei einem unserer Signiertermine ergattern. Oder wenn sie voller Stolz und Enthusiasmus von ihren ersten Rollenspielabenteuern erzählen und merken, dass sie hier verstanden werden. Sowas ist einfach schön und macht einen auch ein bisschen stolz – dass wir einen Ort schaffen, an dem sich Menschen freuen.

Reihe um Reihe englischsprachiger Comics in Einzel- und Sammelbänden.

Teilzeithelden: Ich glaube, auf so etwas kann man auch ein bisschen stolz sein. Gibt es denn Wünsche für die Zukunft?

Gerd: Pathos und Trommelwirbel: Dass es noch lange Menschen gibt, die solche Läden wie den unseren zu schätzen wissen. Was wir nämlich nicht brauchen, nicht wollen und nicht können, ist, einfach nur ein unpersönlicher Konsumtempel zu sein. Egal, wie stabil die Umsätze wären oder wie viel mehr wir verdienen würden, wir haben die Entscheidung, einen solchen Laden zu führen aus vielen Beweggründen getroffen – der schnelle Euro war nicht dabei. Wenn es nur noch ums Geld verdienen geht, gibt es andere, einträglichere Betätigungsfelder.

Teilzeithelden: Die Daumen dafür sind auf jeden Fall gedrückt. So als Experte, was sind deine drei liebsten Romane aus dem Bereich Fantasy und Science-Fiction?

Gerd: Eine immer wieder gestellte Frage, aber die Antwort ist nicht immer die gleiche. Zum einen gibt es tatsächlich Werke, die neu in die Top Ten eindringen, obwohl die Luft da schon recht dünn wird; und zum anderen verändert sich manchmal auch die persönliche Sicht auf die Dinge. Ich mache jetzt mal eine Mischung zwischen Titeln und Autoren. Im Bereich Fantasy bin ich ein ganz großer Fan von Robin Hobb, also der ersten Trilogie vom Weitseher. Ein gewaltiger Weltenschöpfer ist Steven Erikson mit seinem Spiel der Götter, das leider im Deutschen nach wie vor in der Übersetzungsmühle gefangen ist, wenn auch kurz vor dem Abschluss. Mit Walter MoersZamonien-Romanen haben wir einen der begnadetsten Autoren in deutscher Sprache. Unbedingt lesenswert und nachhaltig brillant. Rumo und die Wunder im Dunkeln ist eines der besten Bücher aller Zeiten. Ich will da jetzt aber keine wirklich lange Namensliste aufstellen, deswegen belasse ich es mal dabei.

Die Phantastik- und SciFi-Ecke – was nicht da ist, wird bestellt.

Im Bereich Science-Fiction gibt es so unendlich viele große Namen. LeGuin, Tiptree, Dick, Asimov… Die sollte man alle mal gelesen haben. Ganz persönlich für mich ist Iain Banks mit seinem Kultur-Zyklus der Favorit. Die Tiefe erfasst man aber nur in der Breite. Obwohl jeder Roman autark lesbar ist, fügt sich das Gesamtbild erst nach und nach zusammen. Ein etwas unbekannterer Klassiker der Nachkatastrophen-Romane ist für mich ein absoluter Evergreen; danke an den Heyne Verlag, dass dieser Diamant wieder lieferbar ist: Leben ohne Ende von George R. Stewart sollte Pflichtlektüre sein. Und wenn ich unsere heutige Welt so betrachte, dann kann ich nur empfehlen, sich antiquarisch auf die Suche nach Schafe blicken auf von John Brunner zu begeben. Drei sollten es sein, drei sind es. Das bedeutet nicht, dass die Reihe danach nicht eng gesteckt wäre.

Teilzeithelden: Ich bin nicht sicher, ob ich mich auf drei Bücher festlegen könnte. Von den von dir genannten kenne ich bisher kein einziges, aber vielen Dank für die Leseempfehlungen! Der nächste Urlaub kommt bestimmt. Gibt es denn noch etwas, das du unseren Lesern mit auf den Weg geben möchtest?

Gerd: Ich denke, ich hab da jetzt schon genug mit auf den Weg gegeben. Aber die Antwort auf die Frage aller Fragen, nach dem Sinn des Lebens, dem Universum und dem ganzen Rest findet ihr bei uns übrigens auch.

Teilzeithelden: Das macht doch auf jeden Fall neugierig. Im Namen von Teilzeithelden bedanke ich mich ganz herzlich, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast. Ich melde mich, wenn ich neuen Lesestoff brauche.

Fotografien: © Hermkes Romanboutique, Artikelbild: © Klaus Rademaker  | Dreamstime.com, © ccaetano | Depositphotos.com, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur

2 Kommentare

  1. Als ich umzugsbedingt vor zwei Jahren das erste Mal den Buchladen betreten habe, war ich platt. Spannende Produktauswahl, tolle und kompetente Berater und auch mal die Möglichkeit, mit einem persönlichen Anliegen an Gerd und Bernie heranzutreten. Einfach toll!

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