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Früher hat man sich mit einfachen, linearen Dungeons zufrieden gegeben. Heute wollen die Spieler mehr Freiheit, und die „Sandbox“ wird immer beliebter. Doch was macht eine Sandbox überhaupt aus, und wie schaffe ich es als Spielleiter, dass meine Spieler in der Sandbox nicht verloren gehen? Wir liefern euch ein passendes Rezept!

Eigentlich wollte ich euch in der mittlerweile fünften Ausgabe der Abenteuerwerkstatt einen Zwischenstand meines Abenteuers präsentieren. Beim Schreiben fiel mir allerdings auf, dass ich etwas Grundlegendes noch nicht erklärt habe. Also musste ich noch einen Artikel dazwischenschieben.

Die Entwicklung von Tabletop RPGs zu dem, was sie heute sind, kann man gut an ihren digitalen Pendants erkennen. Früher stampfte man in Dungeons & Dragons oder Videospielen wie Stonekeep mit einem Helden durch einen linearen Dungeon und sammelte alle Schätze, die nicht niet- und nagelfest waren. Am Ende gab es dann noch einen großen Kampf, und die Prinzessin war gerettet. Simpel und einfach. Heutzutage erwartet man als Spieler mehr von allem. Mehr Freiheit für den eigenen Charakter, gleichzeitig aber auch eine epische Story, die eines J.R.R. Tolkien würdig ist. Mit Spielen wie Ultima begann ein Wettrennen um die größte Spielwelt in digitaler Form. Doch auch die klassischen Tabletop RPGs öffneten sich immer weiter, und mehr und mehr Spielgruppen wollten von ihrem Spielleiter nicht mehr länger am metaphorischen Nasenring durch die Story geführt werden. Das railroading ist immer mehr verpönt. So waren „Sandbox RPGs“ geboren. Doch diese haben in der Erstellung so ihre Tücken.

Was heißt denn überhaupt Sandbox?

In einem Tabletop RPG ist eine „Sandbox“ (deutsch: Sandkasten) eine fest definierte Spielwelt, in der sich die Spieler frei und unabhängig von einer linearen Geschichte bewegen können. Sie können selbst entscheiden, was ihre Helden innerhalb der Sandbox anstellen wollen. Die Geschichten, die die Spieler und ihre Charaktere erleben, werden vielmehr gemeinsam bestimmt und weniger vom Spielleiter vorgegeben. Nimmt man es besonders streng, so kann eine Sandbox fast schon eine ausdefinierte Simulation einer Spielwelt sein. Die Spielwelt kann vollgepackt mit Monstern, Dungeons und Quests an schwarzen Brettern sein, die Spieler könnten von all dem nichts mitbekommen, da sie vielleicht lieber das Leben eines Bäckers nachspielen wollen. Dann ist es viel wichtiger, dass die genauen Preise und Nachfrage von Broten dokumentiert ist und weniger, welcher Drache im naheliegenden Gebirge lauert.

Dungeons neigen oft zu railroadiger Linearität © depositphotos, Nobilior

Das Gegenteil einer Sandbox ist das railroading. Dieser, meist negativ konnotierte, Begriff bezeichnet eine Spielrunde, in der der Spielleiter alles dafür tut, um die Spieler linear an der Story entlang zu führen. Dies führt zwar zu einem schnellen Weiterkommen in der Story, meist hinterlässt es allerdings bei den Spielern das Gefühl, dass alles auf Schienen abläuft und sie eigentlich nichts frei entscheiden können. Hier ein Beispiel für restriktives railroading:

Spielleiter: Ihr müsst auf die andere Seite der Berge und ihr wisst, dass es eine alte Zwergenstadt unter dem Berg gibt.

Spieler: Hmm, das klingt gefährlich, wir wollen lieber versuchen über das Gebirge zu gehen.

Spielleiter: Plötzlich schlägt das Wetter in einen gewaltigen Sturm um und ihr müsst umkehren.

Spieler: Ok, vielleicht können wir ja das Gebirge im Süden umrunden. Wir haben ja eigentlich genug Zeit.

Spielleiter: Im Süden erhebt sich eine feindliche Macht und würde euch bemerken, ihr seid gezwungen umzukehren.

Spieler: Können wir nicht einfach mit den Adlern über das Gebirge fliegen?

Spielleiter: Nein, das geht nicht, ihr MÜSST durch die Zwergenstadt

Spieler: Ok, dann halt durch.

Spielleiter: Haha, hinter euch fällt der Eingang unter Felsbrocken zusammen und ihr hört das Donnern von Kriegstrommeln.

Der Unterschied zwischen einer gut geführten Geschichte und railroading ist hierbei, dass die Spieler bei einer guten Geschichte gar nicht merken, dass sie gerade auf festen Pfaden durch die Lande geführt werden.

Aber auch das vollkommen offene Bespielen einer Welt kann Spieler überfordern. Viele wissen früher oder später nicht mehr, was sie mit ihrer Freiheit anfangen sollen, oder fragen den Spielleiter kleinlaut, wo es denn als nächstes weitergeht. Deshalb versuchen viele Abenteuer mittlerweile, eine gute Balance zwischen Sandbox und Railroading zu finden. Doch wie kann man sich dieser Balance annähern?

Die Begrenzung

Wenn wir an unsere Kindheit zurückdenken, dann erinnern wir uns daran, dass jede Sandkiste eins hat: Eine Begrenzung. Dies sollte man auch im Rollenspiel immer im Hinterkopf haben. Begrenzungen stecken den Spielrahmen ab und helfen den Spielern, sich selbst ein bisschen besser zu fokussieren und nicht zu weit abzudriften. Wie weit diese Begrenzungen gesteckt sind, muss jede Gruppe selbst für sich bestimmen. Grundsätzlich kann man aber zwischen zwei verschiedenen Arten der Begrenzung unterscheiden.

Räumliche Begrenzungen grenzen die Spielwelt durch natürliche Hindernisse ein. Manche Gruppen wollen diese Grenzen eher weit fassen und zum Beispiel lieber einen ganzen Kontinent bespielen, andere Gruppen fühlen sich vielleicht wohler, wenn die ganze Geschichte nur innerhalb einer Stadt stattfindet. Wenn sich die Spielgruppe im Dialog zu einer Begrenzung entscheidet, muss der Spielleiter eigentlich kaum die Begrenzungen in die Spielwelt übertragen. Jeder weiß, dass die gemeinsam festgelegte Spielwelt nur einen bestimmten Bereich umfasst und dementsprechend werden die Charaktere nicht einfach diesen Spielbereich verlassen wollen.

Inhaltliche Begrenzungen helfen dabei, die Tätigkeiten und Art der Abenteuer, die die Spieler erleben wollen, einzugrenzen. Wenn die Spieler eine Gruppe Monsterjäger spielen wollen, dann werden sie mit Monstern zu tun haben und vielleicht nicht über mehrere Wochen versuchen, den heimischen Brotmarkt mit Billigfladen zu überschwemmen. Gleichzeitig helfen die Begrenzungen euch als Spielleiter, euch auf die wichtigen Dinge zu fokussieren. Auch hier ist es wichtig, dass man mit den Spielern vorab klärt, was sie erleben möchten, damit man nicht Dinge ausarbeitet, die vielleicht keine Relevanz für die Spielgruppe haben.

Bei allen Begrenzungen ist wichtig, dass diese eher fließend und weniger statisch sein sollen. Wollen die Spieler ihren vorher festgelegten Bereich mal verlassen, dann sollte man als Spielleiter dies natürlich erlauben, auch wenn man dann etwas improvisieren muss. Ist eine Sandbox auch erst einmal erkundet, sollte man sich eh mit der Gruppe überlegen, ob man den festgelegten Bereich nicht erweitern möchte, oder man entwickelt einfach eine neue Sandbox.

Die Füllung

Was braucht man sonst noch für eine gute Sandbox? Richtig, die Füllung! Mit der Füllung ist alles gemeint, was in der Sandbox vom Spielleiter den Spielern zur Verfügung gestellt wird um Abenteuer zu erleben. Im Gegensatz zu einem linearen Abenteuer muss der Spielleiter bei einer Sandbox etwas flexibler sein. Schließlich sollen sich die Spieler in der Sandbox ausleben können.

Zunächst sollte man alle Elemente definieren, die für den Spielbereich und die Spieler wichtig sind. Wer sind wichtige Personen, mit denen die Spieler interagieren können? Gibt es Fraktionen in der Spielwelt, die eine Rolle spielen? Welche Orte werden die Spieler besuchen wollen? Auch hier kann man als Spielleiter mit den Spielern zusammenarbeiten und muss nicht alles alleine übernehmen. Wenn eine Stadt erstellt wird, könnten die Spieler zum Beispiel selbst Ideen mit hineinwerfen, was für Orte interessant wären. Natürlich sollte man als Spielleiter trotzdem noch einige Asse im Ärmel haben, die die Spieler nicht kennen, um die Spannung beizubehalten.

Weiterhin sind Ankerpunkte wichtig. Ankerpunkte sind Orte oder Personen in der Spielwelt, zu denen Charaktere hingehen können, um weitere Abenteuer zu erleben. Irgendwann werden die Spieler nicht mehr wissen, was sie tun sollen mit ihrer ganzen Freiheit, und dann sind Orte wie ein schwarzes Brett, eine Taverne oder etwas wie ein Agent, der Aufträge vergibt, eine gute Möglichkeit, um die Spieler ins nächste Abenteuer zu werfen. In klassischen digitalen MMORPGs gibt es ja auch immer Questgeber.

Questgeber aus World of Warcraft © Blizzard Entertainment

Nicht-Spieler-Charaktere sollte man natürlich als Spielleiter auch vorbereiten. Eine Stadt wäre nichts ohne ihre Bewohner. Auch hier kann man getrost auf den Input der Spieler setzen. Warum also nicht die Spieler einige Charaktere entwickeln lassen, die für sie besonders wichtig sind? Das könnten die Familien der Helden sein oder besondere Bezugspersonen. Mehr über Nicht-Spieler-Charaktere könnt ihr auch in der Abenteuerwerkstatt III mehr erfahren.

Zu guter Letzt sollte man sich als Spielleiter überlegen, ob es einen Metaplot gibt, der in der Sandbox vorangetrieben werden kann. Dieser Metaplot ist das eigentliche große Abenteuer. Dieser Metaplot sollte allerdings so flexibel sein, dass die Spieler ohne Probleme zwischendurch wieder ihren eigenen Tätigkeiten nachgehen können. Man darf schließlich nicht vergessen, dass es bei einer Sandbox vor allem um spielerische Freiheit geht.

Der Spieler – das unergründliche Wesen

Die wichtigste Lektion, die man als Spielleiter wohl lernt, ist, dass die am besten ausgearbeiteten Abenteuer den ersten Kontakt mit dem Spieler meist nicht überleben. Dies sollte man bei einer Sandbox ebenfalls immer im Kopf haben und sich deutlich flexibler aufstehen. Habt immer eine Hand voll Charaktere parat, die auf die Ideen der Spieler reagieren können, und scheut auch nicht vor einem tiefen Griff in die Klischeeschublade. Gleichzeitig solltet ihr auch euren Spielern immer wieder klarmachen, dass sie genauso für den Spaß der Spielgruppe verantwortlich sind wie der Spielleiter. Bindet sie in die Erstellung der Welt und der NSCs ein und verarbeitet ihre Ideen. Setzt euch außerdem vorweg zusammen und klärt genau, was ihr eigentlich von der Spielrunde erwartet und was die Helden erleben wollen. Wenn ihr dies klärt, hat der Spielleiter eurer Gruppe einen deutlich einfacheren Job.

Und was kommt als Nächstes?

Eigentlich hatte ich euch ja schon einen Überblick über mein Abenteuer versprochen. Dies werden wir jetzt im nächsten Artikel der Abenteuerwerkstatt präsentieren. Wenn ihr mehr über das Thema Sandbox wissen wollt, dann kann ich euch noch einige Artikel zu den Themen vom ex-Kollegen Andreas empfehlen, der sich ebenfalls mit dem Thema beschäftigt hat und auch in einem Artikel eine eigene Sandbox gebaut hat.

Artikelbild: Verena Bach, Bearbeitet von Verena Bach

1 Kommentar

  1. Hallo Steffen, ich haben Deinen Artikel gelesen und stimme großteilig mit Dir überein.
    Allerdings habe ich auch ein paar Anmerkungen:

    Das Dungeon genau wie die Stadt, Wildness, Ozean, andere Existenzebenen etc. sind lediglich Orte an denen sich ein Abenteuer entfalten kann.
    Die Art, wie der Spielleiter mit den an diesen Orten mit den Spielern interagiert kann dann zu einem Railroad Abenteuer führen, oder am anderen Ende des Spektrums Sandyboxy sein.

    Die Idee der Sandbox ist eine sehr alte. Schon in der Frühzeit des Rollenspiels gab es viele Kaufabenteuer die dies belegen. Da ich mich mit D&D am besten auskenne, wähle ich Abenteuer dieses Systems als Beispiele: Dwellers of the Forbidden City, Keep on the Borderlands, Village of Hommlet.
    Die Railroad Abenteuer kamen ME später dazu und kulminierten in dem Dragonlance Zyklus. Hier konnten Hauptcharaktäre nicht wirklich sterben.

    Schon seit Jahre macht PAIZO einen Großteil seines Umsatzes mit sogenannten Adventure Paths. Diese Kampagnen erlauben zwar eine gewisse Wahlfreiheit, sind aber alles andere als eine Sandbox. Jedes Abenteuer geht davon aus, dass die Spieler gewisse Schlüsse ziehen und daraus entsprechende Aktionen ableiten und so den Plot vorantreiben.

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