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Das Leben in der Welt von Shadowrun 5 ist bitter, aber zum Glück gibt es jede Menge zuckersüße Unterhaltung, die den Konzerndrohnen ihre Existenz schmackhafter machen soll. Um diese und die Abgründe, die sich dahinter auftun, geht es in Lifestyle 2080.

Das Jahr ist 2080 und das Leben als Schattenläufer ist mies wie immer. Aber keine Sorge – wenn man gerade nicht auf einem Run ist, gibt es eine Myriade von Möglichkeiten, sich davon abzulenken, dass man in einer schimmligen Schuhschachtel wohnt und es nur kalte Sojapampe zu essen gibt: Musik, Trideo, Profisport, Simsinn, Matrix-MMORPGs und sogar die Nachrichten machen das Leben in der Welt von Shadowrun ein bisschen weniger trostlos.

© Pegasus Spiele
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Popkultur der Sechsten Welt

Schon das Inhaltsverzeichnis von Lifestyle 2080 macht klar, dass es sich hier um einen Quellenband handelt, der vorwiegend mit Zusatzinformationen, ausschmückenden Details und skurrilen Anekdoten dient – Fluff also. Vorhergehende Bücher wie Schattenläufer, Straßengrimoire oder Mit Hauern und Hörnern beschäftigten sich mit der harten gesellschaftlichen Realität, aber natürlich ist das nicht alles. Lifestyle 2080 zeigt den Zuckerguss, durch den diese nicht mehr so bitter schmecken soll. Selbstverständlich weiß man in den Schatten, dass hinter dieser süßen Fassade immer noch mehr vor sich geht, aber selbst die hartgesottensten Schattenläufer müssen sich mal eine Auszeit nehmen – sei es bei einem novaheißen Gig einer gemischt-metamenschlichen Rap-Gruppe, bei einem Combat-Biking-Match oder gemütlich zu Hause bei einer Trideonovela.

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Für Spielleiter und Spieler heißt das, dass sie in diesem Buch eine Menge kleine Details finden können, mit denen sie ihr Setting und ihre Charaktere detailreicher ausgestalten können. Welche Musik hört mein Charakter, welchem Piraten-Nachrichtensender schenkt er am ehesten Glauben? Welche peinliche Trid-Show zieht er sich regelmäßig rein? Die Auswahl ist erklecklich – selbstverständlich ist Karl Kombatmage Reloaded dabei, aber es gibt auch eine ganze Menge anderer Formate, von der Realityshow über einen Ork aus der Unterschicht, der plötzlich reich wird und sich in der High-Society zurechtfinden muss bis zu der Sitcom über sechs Drakes, die als Baristas arbeiten.

Die etlichen unterschiedlich gewalttätigen Sportarten, die in der Sechsten Welt beliebt sind, werden ebenfalls mit Spielregeln und dazugehöriger Fankultur beschrieben. Das umfasst nicht nur die bekannten Publikumslieblinge Stadtkrieg und Combat Biking sondern auch die immer noch beliebten traditionellen Sportarten unserer Zeit – Fußball, Baseball, Basketball, American Football und so weiter. Damit unterscheidet sich die fünfte Edition ein wenig von der vierten, in der betont wurde, dass diese gegenüber den neuen, spektakuläreren Spielen stark zurückgetreten sind.

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Darüber hinaus gibt es aber noch eine ganze Reihe anderer Sparten im Profisport, die ein großes Fanaufkommen haben: Drohnenrennen, bei denen Rigger mit der neuesten Technik gegeneinander antreten und die Fans mitunter via Simsinn-Übertragung „hautnah miterleben“ können, Hofball, ein brutaler Blutsport, der von (wirklichen!) alt-mesoamerikanischen Traditionen inspiriert wurde und Stockball, das Spiel, bei dem so ziemlich alles erlaubt ist, sind Massenphänomene. „Duello Magicae“, eine Art Wrestling-Spektakel mit Zaubersprüchen und Hurling, ein Spiel, bei dem ein Ball mit Stöcken in ein Netz befördert werden muss, sind vor allem bei Elfen beliebt. Jede der Sportarten hat eigene Beschränkungen dessen, welche Metatypen, welche Bodytech und ob Magie zugelassen sind – die im Buch alle gewissenhaft aufgelistet sind.

All das bietet vor allem Gelegenheit zum Social Play – etwa, wenn ein Charakter darauf besteht, seine Teammitglieder zu einem Konzert des altmodisch an Plattentellern herumdrehenden Country-Elektro-DJ-Duos Flatvid Western mitzuschleppen, oder sich das ganze Team nach einem gelungenem Run mit guten Plätzen für ein hochkarätiges Stockball-Spiel belohnt. Aber auch außerhalb der Downtime haben die Informationen ihre Berechtigung.

Wie wäre es zum Beispiel, wenn Mr. Johnson als Treffpunkt eine überfüllte Konzerthalle auswählt? Im Anschluss an den aus dem Englischen übersetzten Hauptteil, der sich auf die Freizeitkultur der nordamerikanischen Staaten konzentriert, sind in der deutschen Version noch 20 Seiten angefügt, die Sportszene, wichtige Medienkonzerne und aktuelle Trends in der Allianz Deutscher Länder beschreiben. Für Gruppen, die mitunter in der ADL spielen, lohnt es sich also, die Übersetzung zu erwerben.

Mehr als nur Fluff

Allerdings ist nicht alles in Lifestyle 2080 nur Ausgestaltung der Spielwelt – der Band bietet auch ein paar Regeln, die diese Hintergrundinformationen verständlicher machen und Möglichkeiten bieten, sie zur Ausgestaltung von Charakteren zu verwenden. Zum Beispiel wird ausgiebig erklärt, was passiert, wenn ein Runner vor seiner Karriere in den Schatten oder gar parallel dazu eine Berühmtheit war oder ist. Es gibt Werte, die festlegen, wie wahrscheinlich es ist, wiedererkannt zu werden, wie lange es dauert, für einen Bühnenauftritt zu proben, und so weiter.

Ein kleiner roter Kasten fasst knapp und hilfreich zusammen, welche Fertigkeiten ein Charakter mitbringen muss, der sich als Künstler betätigt (immer eine Spezialisierung auf Vorführung oder Handwerk, Vorführung kann hierbei mit Geschicklichkeit anstelle von Charisma gewürfelt werden). Zudem gibt es auch Hintergründe als ehemaliger Profisportler oder Popstar, den man wählen kann, wenn man einen Charakter nach dem Lebensmodulsystem erschafft.

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Ein weiterer Nutzen des Buches sind die Inspirationen für Runs, die direkt oder indirekt mit den Granden der Popkultur zu tun haben. Im Showbiz und im Sport geht es um Glaubwürdigkeit, Ansehen und viel, viel Geld – und wo immer das der Fall ist, sind Aufträge für interessierte Schattenläufer-Teams nicht weit. Im Journalismus hingegen geht es um nichts Geringeres als die Wahrheit (und oft auch, wie man sie möglichst vertuschen kann). Informationen sind immer noch das wertvollste Gut der Sechsten Welt und damit ebenfalls viele Nuyen wert. Lifestyle 2080 bietet eine Reihe an Kontakten, potenziellen Mr. Johnsons, Ideen für Aufträge aus diesen Sparten sowie Schauplätze, an denen diese spielen könnten.

Stars und Sternchen jeglicher Couleur bieten sich natürlich immer für Extraktionen an, wenn jemand wertvoll genug ist, dass ein Konkurrenzunternehmen ein Runnerteam dafür bezahlt. Andere Personen im Lichte der Öffentlichkeit müssen womöglich eingeschüchtert oder gar ganz zum Schweigen gebracht werden – besonders unliebsamen Journalisten kann so etwas passieren. Diese Option fällt eher in den Bereich Wetwork. Teams, die sich damit nicht so leicht anfreunden können, eignen sich stattdessen als Beschützer einer derart bedrohten Person. Das Aufdecken oder Vertuschen diverser Skandale kann ebenfalls in den Arbeitsbereich von Schattenläufern fallen. Für Runs dieser Art bietet Lifestyle 2080 eine Reihe an Ideen, die sich noch ausbauen lassen.

Darüber hinaus beschreibt das Buch natürlich auch, wie die allmächtigen Megakonzerne sich Freizeitbeschäftigungen und Medien jeder Art zunutze machen, um die Bevölkerung zu manipulieren. Ein ganzes Kapitel ist den Nachrichten gewidmet und wie sie im Sinne der Konzernpropaganda pervertiert werden, um die Lohnsklaven ruhig zu halten. Das Erschreckende an den dort beschriebenen Methoden ist indes nicht, dass sie so weit hergeholt wären sondern, dass viele davon schon im Jahr 2019 Realität sind. Zugegebenermaßen: Versteckte Emotionsspuren in Simsinn-Programmen, die Konsumenten dazu bringen, bestimmte Dinge, Personen und Themen mit positiven oder negativen Gefühlen zu verbinden, sind eine perfide Strategie, die die heutige Technik noch nicht hergibt. Einfachere Tricks wie Algorithmen, die zahllose parallele Realitäten für verschiedene Zielgruppen erschaffen, gibt es allerdings schon.

Das Gleiche gilt für strategisch platzierte Falschmeldungen, die Angst vor bestimmten Bevölkerungsgruppen schüren sollen oder die Unterdrückung unliebsamer Meinungen durch Störaktionen von „Trollarmeen“ (die im Buch aufgrund der Verwechslungsgefahr mit tatsächlichen Trollen natürlich nicht so genannt werden). Die Autoren verwenden nicht gerade wenige Zeilen darauf, Taktiken zu beschreiben, die die Leserschaft bereits von Netflix und Facebook kennen sollte – womit Shadowrun wohl endgültig den Sprung von der dystopischen Cyberpunk-Zukunftsvision zur Realsatire geschafft hat.

Schreibstil

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Immerhin ist es dabei knackig formuliert. Womit wir beim nächsten Thema sind: Lifestyle 2080 ist wie für Shadowrun-Quellenbücher üblich im Stil eines Downloads von dem Schatten-Netzwerk „Jackpoint“ gehalten. Die Texte sind als Einträge verschiedener Runner gestaltet – und auch tatsächlich von einer ganzen Reihe verschiedener Autoren geschrieben. Der Schreibstil variiert also, was dem Band aber auch viel Charme verleiht.

Jeder Charakter hat eine eigene Stimme und ein spezielles Gebiet der Expertise, über das er oder sie schreibt – während andere bisweilen Ergänzungen oder andere Perspektiven hinzufügen. Das Ganze macht zumindest mir als Shadowrun-Fan durchaus Spaß beim Lesen. Die üblichen Shadowrun-Slangbegriffe tauchen natürlich auf, der Ton ist oft ironisch. Die „Kommentare“ der verschiedenen, schon aus anderen SR5-Büchern bekannten Jackpoint-Poster haben mich mehrfach zum Kichern gebracht.

Erscheinungsbild

Das Coverbild von Lifestyle 2080 fasziniert schon auf den ersten Blick: Was hat die Dame da im Gesicht? Eine supermoderne AR-Brille? Den Abdruck einer solchen, der nach einem Unfall bei einem Run nicht mehr weggegangen ist? Oder gar ein schickes Gesichts-Tattoo? Alles scheint möglich. Das offenkundig auf den Arm tätowierte Netzstrumpf-Design ist schließlich auch nur eine logische Weiterführung des Strumpfsaums, den sich manche schon heute auf die Rückseite ihrer Beine tätowieren lassen. Noch mysteriöser ist, warum sie mit dem Finger an den Lippen offenkundig zum Stillschweigen mahnt, während am Handgelenk derselben Hand mehrere Kugelglocken hängen. Aber nun gut. Das Leben in der Sechsten Welt ist kompliziert.

Generell ist der Stil klassisch Shadowrun: Zwei Kolumnen Text in schwarz auf … blass mit irgendeinem Muster, das schwer zu erkennen ist, aber vage technisch aussieht. Dabei wird es hin und wieder aufgelockert durch Illustrationen, die etwa Szenen aus beliebten Trid-Shows oder aus dem Leben von Rock- oder Sportstars zeigen. Rote Kästen an der Seite zeigen manchmal Regeltabellen, manchmal andere Infos wie die Texte aktuell beliebter Songs. Schreibstil und Erscheinungsbild ergänzen sich gut und machen den Band zu einem kurzweiligen Leseerlebnis.

Die harten Fakten:

  • Verlag:Pegasus
  • Autoren: Jason M. Hardy, Lars Blumenstein et al.
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 208
  • ISBN: 978-3-95789-236-2
  • Preis: EUR 19,95
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit

Viel Fluff, wenige Regeln – Lifestyle 2080 ist ein Quellenband für Leute, die gerne noch ein bisschen mehr Details für ihre Shadowrun-Kampagne hätten, noch ein bisschen popkulturelles Hintergrundwissen für ihren Charakter, ein bisschen mehr Farbe. Wirklich notwendig zum Spielen ist das nicht. Aber es macht durchaus Spaß beim Lesen, zumal die Texte flott und witzig geschrieben sind. Echte Fans der Sechsten Welt werden ebenfalls ihre Freude an dem bunten Sammelsurium an Informationen haben. Am ehesten eignet sich der Band für Gruppen, die außer den Runs auch gerne mal etwas Downtime bespielen, oder für Spielleiter, die auf der Suche nach Aufträgen mit einem etwas anderen, vielleicht etwas glamouröseren Flair suchen.

 

Artikelbild: Pegasus Spiele, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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