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Vom 25. bis 27. April 2019 fand das mittlerweile vierte PAN-Branchentreffen statt, das wir uns nicht entgehen lassen konnten. Ergänzt wurde es in diesem Jahr durch die öffentliche 1. Phantastische Lesenacht, bei der sieben Autorinnen und Autoren unter dem Motto „Schöne, neue Welten“ aus ihren Büchern lasen.

Auch in diesem Jahr öffnete das PAN-Branchentreffen wieder seine Türen für Phantastikbegeisterte, seien es nun Verbandsmitglieder oder nicht. Das Branchentreffen fand in diesem Jahr wieder in Köln statt, allerdings nicht im Odysseum, sondern im Komed im Mediapark. Dieser Ortswechsel war wohl der Terminplanung geschuldet, tat der Qualität des Treffens jedoch keinen Abbruch.

PAN: Hinter dieser Abkürzung verbirgt sich der Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V., ein Verband, der die Interessen von Phantastik-Autoren vertritt. Gegründet wurde er im November 2015, und wir nutzten damals schnell die Gelegenheit, um ein Gründerinnen-Interview zu führen. Hier findet ihr die Berichte zum ersten, zum zweiten und zum dritten PAN-Branchentreffen (Artikel eins und zwei).

Zwei Tage geballte Informationen

Wie auch in den Jahren zuvor war das ganze Branchentreffen eine Mischung aus Konferenz und Convention, ein Treffen mit Freunden und ein Kennenlernen neuer Gesichter. Zwei Tage lang gab es geballte Informationen. Dabei wurden ebenso einzelne Projekte vorgestellt wie verschiedene Fragen diskutiert und zahlreiche wissenschaftliche Vorträge gehalten. Vieles hatte auf den ersten Blick wenig mit Büchern zu tun, aber alles berührte das Thema des diesjährigen Branchentreffens: Wir erschaffen Welten.

Wir haben während des Branchentreffens versucht, alle Nicht-Anwesenden per Twitter über das Programm auf dem Laufenden zu halten, wobei uns im Eifer kleinere Fehler passiert sind; etwa die Aussage, die Sonne sei acht Lichtjahre statt acht Lichtminuten von der Erde entfernt. Dies bitten wir zu entschuldigen.

Tag eins – Kuscheltrolle und andere Sprachen

Nach der Begrüßung durch PAN-Mitbegründerin Diana Menschig begann das Treffen mit einer Keynote von Dr. Meret Fehlmann, die das Genre der Prehistoric Fiction vorstellte. Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein Genre, das in der fernen Vergangenheit spielt und dabei Wissenschaft und Fantasie verbindet. Meistens spielen diese Bücher in der Steinzeit und verhandeln innerhalb der Handlung über den Aufstieg aus eigener Kraft und über Kämpfe gegen Eindringlinge die Debatten und Themen ihrer Entstehungszeit. Damit hat Dr. Fehlmann ein Grundthema des Branchentreffens bereits am Anfang gesetzt: Die Tatsache, dass ein Text oft mehr über seine Entstehungszeit aussagt als beabsichtigt, klang auch in anderen Vorträgen immer wieder an.

Wir erschaffen Welten - Das Motto
Wir erschaffen Welten – Das Motto

Darauf folgte ein unterhaltsames Interview von Stefan Cernohuby mit Benjamin Rosenbaum, der Doctor Who mit dem „Mythos des Ewigen Juden“ verglich. Dabei gab Cernohuby erst einen kleinen Überblick über Doctor Who, bevor er an Rosenbaum übergab. Dieser erklärte das Motiv des ewig wandernden, heimatlosen Juden, bevor er diesen mit dem Doktor verglich. Das Bild des „Ewigen Juden“ entstand, so der jüdische Autor, aus christlicher Polemik, aber auch im jüdischen Selbstverständnis existiert die Vorstellung ewiger Wanderschaft als göttlicher Strafe. Dabei kokettierte er immer wieder mit Klischees über Juden, scherzte und bewies große whovianische Fachkenntnis.

Von dort ging es ähnlich humorvoll weiter, denn Rudolf Simek referierte über Trolle. Dabei erklärte er kurzweilig, wo diese Wesen herkommen und wie sie heute dargestellt werden. Dabei erklärte er mittelalterliche Redewendungen (die Trolle sollen dich holen = scher dich zum Teufel) und trat entschieden gegen einige kommerzielle Trolldarstellungen wie Kuscheltrolle ein. Anschließend wussten alle Anwesenden, dass die Mumin-Erfinderin Tove Jansson Tolkiens Werke ins Finnische übersetzt hat und Internet-Trolle viel mit den Trollen aus den altnordischen Sagas gemein haben: bösartige Wesen, die sich verstecken.

Nach dem Mittag folgte ein Vortrag von Dr. Katharina Larisch. Die Ärztin und Unternehmensberaterin referierte über Datenschutz sowie Big Data und zog Parallelen zum Roman NSA von Andreas Eschbach. Hier wurde viel über die Aussagekraft großer Datenmengen erklärt und unter anderem auf David Kriesels SpiegelMining verwiesen. Auch wenn Datenschutz oft leider unbequem ist, so ist er doch essenziell, und Schreibende in der Phantastik, so Larischs Appell, können genau dafür sensibilisieren.

Diskussionsrunde Übersetzungen (v.l.n.r.) Stephan Askani, Karen Nölle, Isa Theobald, C.E. Bernard, Marcel Aubron-Brülles
Diskussionsrunde Übersetzungen (v.l.n.r.) Stephan Askani, Karen Nölle, Isa Theobald, C.E. Bernard, Marcel Aubron-Brülles

Nach einer Kaffeepause folgte eine Diskussionsrunde zu der Frage, ob Übersetzungen einfach nur eine andere Sprache oder eine Transformation des Textes darstellen. Darüber debattierten Stephan Askani, der Programmleiter der Hobbit Presse, die Autorin C. E. Bernard sowie aus dem Übersetzerbereich Marcel Aubron-Brülles und Karen Nölle. Großartig und sehr kompetent moderierte Isa Theobald die Runde, in der über die beiden Tolkienübersetzungen, Übersetzungsautomatisierung, Kontext, Sprachtonfall und eigenen Stil debattiert wurde. Karen Nölle hatte ein Textbeispiel aus Ursula K. Le Guins unübersetztem Werk Always coming home mitgebracht, das deutlich zeigte, wie anspruchsvoll die Aufgabe sein kann, Literatur zu übersetzen.

Den Tag beschloss die 1. Phantastische Lesenacht unter dem Motto „Schöne neue Welten“, in der sieben verschiedene Autorinnen und Autoren thematisch gruppiert aus ihren Werken lasen. Dabei fanden auch Ausschnitte aus zwei noch unveröffentlichten Texten Gehör: Die Unvollkommenen (Theresa Hannig) und Palace of Blood (C.E. Bernard). Moderiert wurde der spaßige Abend von Laura Flöter und musikalisch von Tommy Krappweis untermalt. Ein wenig bedauerlich ist nur, dass die gesellschaftspolitische Debatte erst nach der Pause im letzten Leseblock lag, wo einige Besucher bereits gegangen waren.

Tag zwei – Enterprise und Rollenspiel

Auch der Freitag begann wieder historisch. Dr. Michael Lagers vom LWL-Museum für Archäologie in Herne stellte verschiedene historische Fälschungen vor. Dabei schlug er den Bogen von der Steinzeit bis zu den Hitler-Tagebüchern und erklärte beispielhaft, dass nicht jede Fälschung bösartigen Zwecken dient, sondern einige bewusste Nachbildungen als Statussymbol gefertigt wurden oder auch, um möglicherweise ein verbranntes Original zu ersetzen. Auch hier sagt die Fälschung oft mehr über ihre Erschaffer aus als über das, was sie eigentlich darstellen soll.

Wie viel Realismus verträgt eine phantastische Welt? Vortrag von Bernhard Hennen
Wie viel Realismus verträgt eine phantastische Welt? Vortrag von Bernhard Hennen

Anschließend diskutierte der Autor Bernhard Hennen die Frage, wie viel Realismus eine phantastische Welt verträgt und benötigt. Dabei berichtete er von eigenen Erfahrungen, unter anderem mit dem Gezeitenweltprojekt, historischem Schwertkampf, Schießpulver, Namen und Unschärfe beim Weltenbau und unterhielt das Publikum mit einer Vielzahl von Anekdoten.

Professor Metin Tolan und PAN-Mitbegründerin Diana Menschig
Professor Metin Tolan und PAN-Mitbegründerin Diana Menschig

Der folgende Vortrag von Metin Tolan ging der Physik bei Star Trek nach. Heiter erklärte er wichtige Grundlagen wie Planeten der Klasse M, das Zwillingsparadoxon, Planetennachweise, den Warpantrieb und die Tatsache, dass es 24 Tage dauert, sämtliche Star-Trek-Folgen und -Filme zu sehen. Anschließend berechnete er auf der Grundlage einer kurzen Szene aus Star Trek: Enterprise das Gewicht der Enterprise. Während dem folgenden Mittagessen war vielfach der Wunsch zu hören, Physik in der Schule solle doch bitte öfter so unterhaltsam sein, und auch wir können allen, auch Physikmuffeln, die Vorträge und Bücher Tolans nur empfehlen.

Anschließend ging es mit Science-Fiction weiter, denn Enno Park von Cyborgs e.V. räumte mit der gängigen Vorstellung von Cyborgs auf, denn entgegen der popkulturellen Standards lebten diese längst unter uns. Die eigentliche Definition von Cyborgs ist Mensch-Maschinen-Mischwesen, und mit mittlerweile üblichen medizinischen Prothesen haben Menschen hochkomplexe, technische Körperergänzungen. Park, selbst Träger eines Cochlea-Implantats, erklärte eine Reihe verschiedener Körperergänzungen, deren Möglichkeiten und aktuellen Probleme.

Danach wurde über inklusive Welten in der Phantastik gesprochen und das Projekt Roll Inclusive vorgestellt, das selbst aus einer Diskussion auf dem PAN-Branchentreffen 2018 entstanden ist. Judith Vogt, Aşkın-Hayat Doğan und Frank Reiss erzählten die Geschichte des Projekts und erklärten, was Diversität und Repräsentation überhaupt bedeuten und warum diese auch in der Phantastik wichtig sind.

Diskussionsrunde Liverollenspiel und Reallife-Experiences (v.l.n.r.) Jakob Schmidt, Robin Junicke, Lena Falkenhagen, Jorina Clara Hilsberg, Tom Finn
Diskussionsrunde Liverollenspiel und Reallife-Experiences (v.l.n.r.) Jakob Schmidt, Robin Junicke, Lena Falkenhagen, Jorina Clara Hilsberg, Tom Finn

Das letzte Panel war wieder eine Diskussionsrunde vor einem zunehmend müden Publikum, diesmal zum Thema Liverollenspiel und Reallife-Experiences. Lena Falkenhagen moderierte die Runde aus Autor Tom Finn, Jorina Clara Hilsberg von Otherlifegames, Theaterwissenschaftler Robin Junicke und Deutschlandfunk-Journalist Jakob Schmidt. Zuerst musste die eine oder andere Definition geklärt werden, bis über Erfahrungen, besonders bei der Reallife-Experience Tales Inside, Vertrauen, Stoppregeln und die Möglichkeiten bei der Simulation diskutiert wurde. Letztlich, so waren sich alle einig, ergeben solche Veranstaltungen zahlreiche Möglichkeiten der Selbstreflektion, die uns auch aufzeigen können, was wir an unserer Demokratie haben.

Nach dem großen Netzwerktreffen in Form eines kollektiven Abendessens schlossen sich am dritten Tag die Mitgliederversammlung und verschiedene Workshops an, an welchen wir jedoch nicht teilgenommen haben.

Stilles Wachstum

Anders als im letzten Jahr befürchtet ist die Luft keinesfalls raus. Zwar wurde weniger hitzig diskutiert, das Branchentreffen verzeichnete jedoch einen Besucherzuwachs von 20 % und die Lesenacht lockte zahlreiche Gäste an.

Wir können Branchentreffen und Lesenacht nur empfehlen. Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Organisatorinnen von PAN und den Sponsoren, die auch dieses Branchentreffen möglich gemacht haben. Nächstes Jahr wieder!

Fotografien: „Zu schön, um wahr zu sein“ – Vortrag von Michael Lagers . @Karsten Zingsheim|Fotofänger

3 Kommentare

  1. Vielen Dank für den Bericht. Ich hatte bisher immer gedacht, es ginge um eine geschlossene Veranstaltung für only-Phantastik-Autoren und -Autorinnen. Es war mir nicht bewusst, dass sich auch Phantastik-Fans und -Leser dort tummeln. Das macht einiges verständlicher. Merci!

  2. Leider habe ich zu kurzfristig von Ihrer Veranstaltung erfahren. Da ich selber ein Anhänger und Schreiber Phantastischer Geschichten bin (und ich mich auf der Leipziger Buchmesse nicht wirklich angesprochen fühle), bitte ich Sie, mich im nächsten Jahr rechtzeitig vorher anzuschreiben. Vielleicht kann ich meine Teilnahme dann einrichten.
    Freundliche Grüße
    Martin Kobe

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