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Ein kleines Städtchen mit allem, was man so braucht, ist das schöne Kamborn. Nur ein kleines Detail mag dem landeskundlichen Fachmann nicht entgehen: Die Universitätsstadt findet sich in keinem modernen Atlas wieder – sie ist komplett vergessen. Welches Geheimnis umgibt die letzten Jahre dieser Stadt?

Mit Königsgambit in Kamborn liefert die Redaktion des deutschen Cthulhu einen ungewöhnlichen Abenteuerband für die 7. Edition des Horror-Rollenspiels. Die beiden enthaltenen Abenteuer spielen in der fiktiven Stadt Kamborn, die – nach der Einleitung im Band – in der Gegenwart auf keiner Karte mehr zu finden ist. Anscheinend hat die Redaktion noch einiges mit dem Städtchen vor und kann sich in diesem Rahmen auch frei von den Zwängen der Historie bewegen.

Eine Stadt wie Bremen oder Magdeburg von der fiktiven Landkarte des Spiels verschwinden zu lassen, wäre wahrscheinlich ein bisschen viel gewesen, aber Kamborn? Da kann man den Autoren wohl deutlich mehr Freiraum lassen, sich kreativ auszutoben. Aber wie gut ist das Ganze gelungen, und halten die beiden Abenteuer, was sie versprechen? Darauf wollen wir im Folgenden einen genaueren Blick werfen.

Inhalt

Der Band lässt sich grob in drei Abschnitte einteilen. Zu Beginn steht eine kurze Übersicht über das Städtchen Kamborn, seine Besonderheiten, Orte, Bewohner und sonstige wissenswerte Fakten. Danach bekommt die Spielleitung zwei vorbereitete Abenteuer geliefert, die in der namensgebenden Stadt bzw. ihrem direkten Umland spielen. Den Anfang macht „Der Monolith“ von Sabrina Hubmann, gefolgt von Valentin Masszis’ „Blutrausch“. Werfen wir also der Reihe nach einen Blick auf die einzelnen Teile des Ganzen.

Die Einleitung – oder was soll das hier eigentlich alles?

In der Einleitung von Heiko Gill wird, neben dem Sinn und Zweck der Wahl eines fiktiven Ortes, kurz die Ortschaft an sich vorgestellt. Man erfährt die wichtigen Eckdaten, um selbst Abenteuer in Kamborn leiten bzw. ansiedeln zu können. Besonders hervorzuheben ist allerdings die Wahl des Ortes, denn es scheint so, als könne dieser Band der Start für eine Art deutsches Arkham sein.

Eines der Handouts, die man auch herunterladen kann.

Auf jeden Fall ist der Gedanke spannend, da man zwar seit Jahren einen beständigen Strom an rein deutschen Abenteuerbänden hat, es bei den großen Kampagnen aber nach wie vor bei Übersetzungen aus dem Englischen bleibt. Mit seinem düsteren Schicksal würde Kamborn sich allerdings geradezu anbieten, den Rahmen für eine große Cthulhu-Kampagne zu stellen. Zwar ist bisher aus den Ankündigungen des Verlags noch nichts Definitives abzulesen, aber ein guter Ausgangspunkt ist hier in jedem Fall gesetzt.

Das scheint auch der Redaktion klar zu sein, denn die Anspielungen in der Einleitung sind schon sehr eindeutig. Es sollen im Laufe der Zeit mehr Informationen über die Stadt veröffentlicht werden, und auch das finstere Schicksal, ausgelöst durch den Königsgambit, steht den armen Bewohnern dieser Ortschaft noch bevor. Bis es soweit ist, soll es Spielern in Kamborn aber nicht langweilig werden, weswegen man schon einmal einen Fuß in die Stadt setzen und beginnen kann, sich mit ihren vielen Geheimnissen zu beschäftigen.

Der Monolith – Konsequentes Umsetzen einer neuen alten Idee

Im ersten Abenteuer des Bandes führt uns Sabrina Hubmann direkt aus Kamborn fort: zwar nur bis in das benachbarte, eingemeindete Örtchen Hubbüttel, aber dennoch heraus aus der Stadt selbst. Hubbüttel fungiert dabei als klassisches Hinterwäldler-Kaff voller verschrobener Sonderlinge. Selbst Charaktere aus dem – mit 33.000 Einwohnern nicht gerade urban zu nennenden – Nachbarort Kamborn erscheinen hier im Vergleich wie weltgewandte Kosmopoliten.

Um potenziellen Spielern nicht den Spaß am Abenteuer zu verderben, wurde eine kurze Inhaltsangabe des Abenteuers in den unten stehenden Kasten gebannt. Wer ihn aufklappt, der sei hiermit gewarnt: Hic sunt Spoilers.

Details zu Der Monolith

In dem Abenteuer geht es darum, dass die Charaktere von einem alten Bekannten, dem Pfarrer von Hubbüttel, um Hilfe gebeten werden. Seine Gottesdienste werden immer schlechter besucht und auch sonst wird seine Gemeinde immer verschlossener und abweisender. Da er keinen anderen Rat mehr weiß, wendet er sich an die Charaktere, um dem Problem auf den Grund zu gehen.

Was zu diesem Zeitpunkt noch keiner weiß, ist, dass sich vor geraumer Zeit ein geheimer Kult in Hubbüttel gebildet hat, der einen steinernen Monolithen – wissentlich oder unwissentlich, freiwillig oder unfreiwillig – mit Lebensenergie versorgt. Denn die dort eingesperrte cthuloide Entität hat dem Anführer des Kultes, einem gewissen Herrn König, das sprichwörtlich Blaue vom Himmel versprochen, wenn er ihr nur helfen würde, ihr verhasstes Gefängnis verlassen zu können.

Es kommt nun darauf an, dass die Charaktere die Hintergründe des Ortes erforschen und im Idealfall in der Lage sind, die Befreiung der Wesenheit zu verhindern.

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Ansehnlich und praktisch: die Karte zum Dorf

Wie man dem Kasten entnehmen kann, handelt es sich bei dem Abenteuer auf den ersten Blick um einen geradezu archetypischen Vertreter des deutschen Cthulhu – der ehemalige Chefredakteur Frank Heller prägte dafür einmal den Begriff der Cthulhu-Matrix, also ein standardisiertes und auf gewisse Art und Weise in seinen eigenen Handlungslogiken vorhersehbares Stück Rollenspielprosa. Allerdings bietet „Der Monolith“ etwas, dass ihn aus dem Einerlei der Cthulhu-Matrix deutlich hervorhebt, nämlich der konsequente Rückgriff auf einen Urvater der Rollenspiel-Stilmittel und dessen mutige Interpretation: Die Rede ist von der guten alten Zufallstabelle.

Dieses Mittel wird in „Der Monolith“ an zentralen Stellen eingesetzt – allerdings nicht, wie man es vielleicht am ehesten kennt, zur Feststellung, wie viele W10 tentakelige Schrecken denn nun genau aus dem Sumpf kriechen, um sich auf die Charaktere zu stürzen, sondern vielmehr, um den Hintergrund der zentralen Figuren und bestimmte Teile des Hintergrunds zufällig festzulegen.

Es steht dem Spieler natürlich frei, die Hintergründe auszuwählen, aber es geht ein gewisser Reiz davon aus, Motivationen auf diese Art und Weise festzulegen. Dies bietet eine schöne Abwechslung, da man so auch als Spielleitung noch vom Abenteuer überrascht werden kann. Manch einer wird es schon vermutet haben: Grundsätzlich innovativ ist diese Vorgehensweise sicher nicht, aber auf jeden Fall bietet es einen neuen, wohltuenden Ansatz für das deutsche Cthulhu.

Blutrausch – die Nacht des langen Messers

Das zweite Abenteuer des Bandes spielt schließlich tatsächlich in Kamborn. Bei „Blutrausch“ handelt es sich um eine klassische Ermittlungsgeschichte, die die Charaktere ab einem gewissen Punkt unbewusst unter starken Zeitdruck setzt. Erneut wurde die genauere Zusammenfassung zum Schutz der Geistigen Stabilität des Lesers in einen schützenden Kasten gesperrt. Es sei also gewarnt: Neugierde hat ihren Preis. Wer es dennoch nicht lassen kann, der klicke nun unten.

Details zu Blitrausch

In „Blutrausch“ suchen die Charaktere nach einem Mörder, der den renommierten Professor König der Kamborner Universität am sprichwörtlichen Vorabend einer wichtigen Expedition umgebracht hat. Die äußerst grausame Bluttat gibt den lokalen Autoritäten Rätsel auf, zumal man in der akademischen Gemeinschaft des Ortes zuerst vor allem auf eine Mauer des Schweigens trifft. Es ist nun an den Charakteren, der Spur von Hinweisen zu folgen, um am Ende weitere Morde zu verhindern und das Geheimnis einer uralten Waffe zu ergründen, der es nach frischem Blut gelüstet.

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Auch dieses Abenteuer ist, wie schon erwähnt, ein klassischer Vertreter seines Genres. Auch wenn der Autor reichlich Aufwand betreibt, um der Spielleitung Ansätze zur Verknüpfung dieses Abenteuers mit einer größeren Kampagne an die Hand zu geben, wirkt es doch im Vergleich etwas schwächer, da sich kein Element wirklich hervortut. 

Das bedeutet keineswegs, dass das Abenteuer handwerklich schlecht gemacht sei. Ganz im Gegenteil: Die Aufarbeitung der Hinweise ist sogar vorbildlich gelöst, denn die Spielleitung bekommt – neben dem Fließtext – eine kompakte tabellarische Übersicht darüber, welcher NSC welchen Hinweis kennt und gegebenenfalls liefern kann. Wer also ein gut vorbereitetes und mit minimalem Aufwand spielbares Abenteuer sucht, der wird hier fündig.

Ob sich dieses garstige Ding dort herum treibt, findet ihr nur selbst heraus

Die Hintergründe der handelnden Figuren sind gut geschrieben und sofort nachvollziehbar. Der Szenenfluss ist klar strukturiert und hervorragend aufgearbeitet. Die einzige Schwäche des Abenteuers, wenn man es denn als solche empfinden möchte, ist, dass es sich in seiner Struktur und seinen grundlegenden Elementen sehr eng an die klassische Cthulhu-Matrix anlehnt. Das muss man nicht schlimm finden, aber Preise für herausragende Innovation gewinnt der Aufbau von „Blutrausch“ nicht.

Erscheinungsbild

Der Band liefert die bekannte Qualität der Abenteuerbände der 7. Edition von Cthulhu: Format DIN A4 mit einigen schwarz-weißen Illustrationen auf mattem Papier, das zwar haptisch nicht hervorsticht, aber seinen Zweck durchaus erfüllt. Der Preis ist, wie bei der gesamten Reihe, noch immer unschlagbar. Im positiven wie im negativen Sinne sticht Königsgambit in Kamborn in dieser Kategorie also nicht aus der Masse der Abenteuerpublikationen für Cthulhu heraus.

Ärgerlich ist nur, dass eine der Zufallstabellen des ersten Abenteuers wohl – zumindest in der vorliegenden Druckfassung – falsch eingefügt wurde und es sich um eine Dopplung handelt. Zwar lieferte Pegasus die fehlende Tabelle umgehend in digitaler Form nach, aber ärgerlich ist dieser Lapsus schon, und zwar natürlich vor allem für Käufer, die sich nicht regelmäßig in den Pegasusforen oder den Downloadbereichen der Webseite umsehen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus
  • Autor(en): Heiko Gill, Sabrina Hubmann, Valentin Masszi
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Format: DIN A4
  • Seitenanzahl: 63
  • ISBN: 9783957892331
  • Preis: 9,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, DriveThruRPG, Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Wie üblich stellt Pegasus die Handouts zu den beiden Abenteuern auf seiner Homepage kostenlos zur Verfügung. Das ist sehr praktisch, wenn man nicht den Buchrücken brechen möchte, um die Handouts zu kopieren oder zu scannen. Ansonsten gibt es zum Veröffentlichungsdatum dieses Artikels keinen weiteren Bonuscontent für Königsgambit in Kamborn.

Fazit

Königsgambit in Kamborn ist der erste Band einer angedeuteten Reihe in dem fiktiven Ort Kamborn, der in den 1920er-Jahren noch existierte, von dem aber in der Gegenwart keinerlei Spur mehr zu finden ist. Dieser zum Untergang verdammte Landstrich ist der Schauplatz für zwei nicht miteinander verbundene Abenteuer, die die Spieler in den Schauplatz Kamborn einführen.

Die Abenteuer an sich sind handwerklich sehr gut gemacht und warten mit kreativem Einsatz von altbekannten Mitteln wie Zufallstabellen, Übersichten etc. auf. Leider ist im Hinblick auf die eigentliche Handlung keines der beiden Abenteuer ein herausragender Vertreter seines Genres. Kleinere handwerkliche Fehler in der Produktion schmälern den Gesamteindruck weiter.

Trotzdem kann der Band – gerade für langjährige Cthulhu-Spieler – durchaus einen Blick wert sein, und es ist erfreulich zu sehen, dass auch eine altehrwürdige Reihe wie das deutsche Cthulhu noch bereit ist, neue Pfade bei Aufbau und Herangehensweise auszuprobieren. Ob weitere Bände in Kamborn folgen, oder ob es sich um eine weitere Janus-Gesellschaft handelt, wird nur die Zukunft zeigen.

Mit Tendenz nach Unten

Artikelbilder: © Pegasus Spiele, Bearbeitung: Roger Lewin
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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