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Superschurken stehlen Monumente und bauen ihre todbringenden Maschinen. Doch der Geheimdienst ist ihnen auf den Fersen. Wer schafft es zuerst, seine Maschine fertigzustellen? Und wer hat dabei am meisten Chaos angerichtet? Im Spiel der beiden Star-Designer Antoine Bauza und Eric M. Lang könnt ihr es herausfinden.

In der kompakten Schachtel (Standardboxgröße) findet sich eine ganze Menge Material.
In der kompakten Schachtel (Standardboxgröße) findet sich eine ganze Menge Material.

Eric M. Lang und Antoine Bauza sind zwei Namen, die Brettspiele-Enthusiasten kennen sollten. Mit Titeln wie Blood Rage, Rising Sun, X-Com: Das Brettspiel und Quarriors auf der einen Seite und 7 Wonders, 7 Wonders: Duell, Hanabi, Ghost Stories und Tokaido auf der anderen kann man sich kaum entscheiden, welcher der beiden die bessere Historie an geschaffenen Spielen hat. Als also bekannt wurde, dass diese beiden Großmeister der Branche ein gemeinsames Spiel erschaffen würden, war mein Interesse sofort geweckt. Und als ich dann auf der Spiel 2018 einen ersten Blick darauf werden durfte, verdichtete sich das Interesse. Mittlerweile ist das Spiel auch in Deutschland im Handel und so kam ich nicht umhin, es meiner Sammlung hinzuzufügen und euch davon zu berichten.

Spielablauf

Aus der Einleitung geht es bereits hervor: Jeder der zwei bis vier Spieler stellt in Victorian Masterminds einen Superschurken in der viktorianischen Zeit dar. Dazu erhält jeder Spieler den Bauplan einer Maschine, die es im Spielverlauf zu bauen gilt. Diese Maschinen unterscheiden sich alle in ein paar wichtigen Punkten, so dass je nach Auswahl/Auslosung der Maschinen auch die eigene Strategie angepasst werden sollte.

Den Spieler stehen 6 verschiedene Maschinen zur Auswahl.
Den Spieler stehen 6 verschiedene Maschinen zur Auswahl.

Während des Spiels sind die Spieler jeweils nacheinander an der Reihe und entsenden einen ihrer fünf Komplizen in eine der fünf Städte London, Moskau, Washington, Rom oder Paris. Diese Komplizen werden verdeckt abgelegt und bilden in der jeweiligen Stadt einen Stapel. Sobald auf dem Stapel 3 (3-4 Spieler) beziehungsweise 2 (2 Spieler) Komplizen liegen, wird dieser aktiviert. Dazu wird er umgedreht und die Komplizen dann von oben nach unten abgehandelt. Wer zuerst gespielt wurde, handelt also auch zuerst.

Abhängig von der gewählten Stadt gibt es immer einen bestimmten Ertrag. Dieser reicht von zwei verschiedenen Bauteilen für die Maschine (London und Washington) über Teile des Da-Vinci-Codex (welche Siegpunkte geben und ab fünf Stück den Zufall bei der Auswahl der eigenen Komplizen eliminiert (Rom)), verrückte Wissenschaftler (welche man einsetzen kann, um Komplizen gezielt auszuwählen, einen weiteren Zug zu haben oder Gebäude zu stehlen (Paris)) bis hin zu mehr Feuerkraft (Moskau). Danach wird dann die Spezialfähigkeit des Komplizen aktiviert.

Jeder Spieler verfügt über die gleichen fünf Komplizen in seiner jeweiligen Spielerfarbe.
Jeder Spieler verfügt über die gleichen fünf Komplizen in seiner jeweiligen Spielerfarbe.

Auch hier gibt es fünf verschiedene Möglichkeiten. Ein Komplize verdoppelt Erträge (Nummer Zwei), eine andere erlaubt das Erfüllen von Aufträgen für mehr Siegpunkte (Handlangerin). Noch eine andere kann aus der besuchten Stadt ein Gebäude stehlen (Draufgängerin) sofern der Geheimdienst ihr nicht zu sehr auf der Spur ist. Und dann wären da noch der Saboteur, der die Spezialfähigkeit des Komplizen darunter deaktiviert, sowie der Ingenieur, dessen Fähigkeiten von der eigenen Maschine abhängen, also für jeden Spieler etwas anders sind.

Sobald der Stapel, dessen Grenze erreicht wurde, abgehandelt ist, ist der nächste Spieler an der Reihe. Gleiches gilt natürlich auch, wenn kein Stapel umgedreht werden musste.

So sieht das Spielfeld kurz nach dem Start aus. Alle Gebäude noch vorhanden, der Geheimdienst im Dunkeln, und ein paar Komplizen warten auf Aktivierung.
So sieht das Spielfeld kurz nach dem Start aus. Alle Gebäude noch vorhanden, der Geheimdienst im Dunkeln, und ein paar Komplizen warten auf Aktivierung.

Das Ganze geht so lange, bis entweder ein Spieler seine Maschine fertig gebaut hat oder der Geheimdienst Alarmstufe 12 erreicht hat, was durch den Diebstahl von Gebäuden geschieht. Danach sind alle Spieler noch einmal am Zug, bevor dann alle noch auf dem Spielfeld verbliebenen Komplizen abgehandelt werden und es zur Endabrechnung kommt. Sieger ist, wer am meisten Chaospunkte – so der Name von Siegpunkten in diesem Spiel – gesammelt hat. Diese Punkte gibt es für bestimmte Teile der eigenen Maschine, für erbeutete Codex-Teile und Gebäude, erfüllte Aufträge sowie für Chaosmarker, die man im Verlauf des Spiels erhalten hat. Anders als bei anderen Punkte-Salat-Spielen kann man sich hier jedoch kaum auf ein Gebiet spezialisieren und alle anderen völlig außer Acht lassen. Oder zumindest sollte man sich dann keine großen Hoffnungen auf einen Spielsieg machen.

Das Spielfeld an sich ist in jeder Partie nahezu identisch. Lediglich die fünf anfänglichen Aufträge werden zufällig verteilt, auch wenn es sich stets um die gleichen handelt. Alle weiteren Aufträge werden gemischt und kommen im Verlauf des Spiels auf den Plan, sobald andere Aufträge erfüllt wurden. Weiterer Zufall kommt vor allem dadurch ins Spiel, dass die eigenen Komplizen zufällig gezogen werden. Auch gibt es sechs mögliche Maschinen, so dass selbst bei voller Spieleranzahl nicht immer die gleichen im Spiel sind.

Die Maschinen unterscheiden sich in Aufbau und Spezialfähigkeiten. Hier im Bild eine der am einfachsten zu spielenden.
Die Maschinen unterscheiden sich in Aufbau und Spezialfähigkeiten. Hier im Bild eine der am einfachsten zu spielenden.

Diese Maschinen sind auch ein Knackpunkt des Spiels, denn die Fähigkeiten, die sie dem eigenen Ingenieur verleihen, sind unterschiedlich schwer zu spielen. Einige davon sind sehr direkt und geben einfach weitere Ressourcen, während andere es erlauben, unter bestimmten Bedingungen den Ertrag einer anderen Stadt zusätzlich zu erhalten oder einen weiteren Komplizen zu platzieren. Falls die Bedingungen aber nicht erfüllt sind, geht man einfach leer aus, was gerade im frühen Spiel ein großer Nachteil sein kann.

Der Ingenieur ist auch mitunter der wichtigste Komplize, da er gerade im späteren Verlauf des Spiels mehrere Spezialfähigkeiten erhält und dadurch immer besser wird. Umso wichtiger ist es, ihn zum rechten Moment spielen zu können. Hierzu kann man die Wissenschaftler verwenden oder fünf Codex-Teile erbeuten, wonach die Komplizen nicht mehr zufällig gezogen werden müssen.

Dieser letzte Punkt beschreibt auch bereits eine der möglichen Strategien. Eine andere ist es, voll auf die Feuerkraft und das Stehlen von Gebäuden zu setzen, was man ebenfalls über Wissenschaftler verstärken kann. Gebäude geben nicht nur Chaospunkte, sondern beschleunigen auch das Spielende und kommen auch immer mit einem weiteren Bonus in Form einer Ressource, eines Wissenschaftlers oder eines Chaosmarkers (also mehr Punkten). Daneben gibt es auch noch weitere mögliche Strategien, die es zu erkunden gibt. Und da sich das Spiel dann auch noch durch die Auswahl aus sechs Maschinen stark verändern kann, ist genug Varianz und Spielraum für einige Partien geboten.

Da eine der beiden Bedingungen für das Spielende das Fertigstellen der eigenen Maschine ist, hängt die Spielzeit auch stark von der Spieleranzahl ab, denn mit weniger Spielern ist man häufiger am Zug, um die Maschine zu bauen. Das andere Spielende, das über den Geheimdienst und damit über die gestohlenen Gebäude ausgelöst wird, ist dabei kaum von der Anzahl der Spieler abhängig. Denn egal, wie viele Spieler mitspielen, es sind immer 20 % der Komplizen, die ein Gebäude stehlen. Eines ist jedoch unabhängig von der Spielerzahl: Für ein Spiel dieser Art und mit der vorhandenen Komplexität ist Victorian Masterminds erstaunlich kurz. 45-60 Minuten kann man in etwa für eine Partie rechnen, auch wenn die ersten Partien gewiss länger dauern. Auch Spieler, die an Analyse-Paralyse leiden, können die Spieldauer natürlich erhöhen.

Erfreulich ist, dass die einzelnen Züge sehr kurz sind und das Auswerten der Komplizenstapel in den allermeisten Fällen mehr als einen Spieler beinhaltet, so dass die tatsächliche Downtime während des Spiels erstaunlich kurz ist.

Ausstattung

Victorian Masterminds stammt aus dem Hause CMON, und das merkt man dem Spiel an einigen Stellen deutlich an. Die Wissenschaftler und zu stehlenden Gebäude sind ansehnliche Miniaturen, obwohl es da auch Marker getan hätten. Die Komplizen sind Zahnräder, in etwa in Größe und Schwere von Poker- oder Casinochips.

Ein massiver Kontrast zu diesen Plastikelementen sind die Marker für Baumaterialien und die Chaosmarker. All diese sind sehr klein geratene Pappmarker. Bei den Chaosmarkern ist das nicht sonderlich tragisch, aber die Bauteile müssen auf dem Maschinenplan platziert werden und dort an Ort und Stelle verbleiben. Sie sind jedoch so klein und leicht, dass schon mäßiges Stoßen gegen den Tisch zum Problem werden kann.

Die Maschinenpläne selbst sowie die Auftragskarten sind aus festem Karton.

Etwas sonderbar ist das Design der Maschinen, denn eine davon hat etwas Phallisches an sich.

Das Inlay bietet einen guten Platz für Miniaturen und Maschinenteile. Die kleinen Pappmarker haben jedoch keinen Ort, an dem sie auch beim Transport des Spieles verbleiben würden.
Das Inlay bietet einen guten Platz für Miniaturen und Maschinenteile. Die kleinen Pappmarker haben jedoch keinen Ort, an dem sie auch beim Transport des Spieles verbleiben würden.

Auch nicht ideal: Das Inlay der Box sowie die Tatsache, dass nur ein einziger Zip-Beutel dem Spiel beiliegt. Denn packt man alle Kleinteile in diesen Beutel, passt dieser nicht mehr gut in das Inlay. Legt man sie aber ohne Beutel in die Fächer des Inlays, so ist es mehr als wahrscheinlich, dass man beim nächsten Mal Spielen die Schachtel komplett entleeren muss, um die kleinen Marker zu finden.

Positiv am Inlay ist hingegen, dass für alle Miniaturen ein fester Ort existiert, an dem diese auch sicher und gut geschützt liegen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Asmodee/CMON
  • Autor(en): Antoine Bauza, Eric M. Lang
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 45-60 Minuten
  • Spieleranzahl: 2 3 4
  • Alter: 10+
  • Preis: 49,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

Fazit

Victorian Masterminds ist ein kurzes und kurzweiliges Worker-Placement-Spiel der beiden Star-Autoren Antoine Bauza (7 Wonders) und Eric M. Lang (Blood Rage) für zwei bis vier Superschurken. Neben der erfreulich kurzen Spieldauer von knapp unter einer Stunde sind auch die Phasen, an denen man selbst am Spiel nicht beteiligt ist, ziemlich kurz. Dennoch ist das Spiel kein Lückenfüller oder Absacker, sondern hat eine ausreichend hohe Komplexität und Variabilität, um für Vielspieler interessant zu sein. Sechs verschiedene Maschinen erfordern jeweils eine unterschiedliche Herangehensweise und auch ansonsten gibt es mehrere vielversprechende Strategien, die es zu erkunden gilt. Dabei ist ein Glücksfaktor durch das zufällige Ziehen der eigenen Komplizen durchaus vorhanden, aber mit der richtigen Strategie kann man diesen Faktor in Schlüsselmomenten weitestgehend minimieren.

Einziges Manko des Spiels ist für mich das Spielmaterial. Denn neben den gelungenen und für CMON üblichen Miniaturen, die zum Spiel jedoch wenig beitragen, sind es die Pappmarker, die etwas zu klein und fisselig sind und für die es keinen so rechten Platz in der Spielschachtel zu geben scheint. Dennoch, dieser Kritikpunkt ist nicht groß genug, um die Gesamtnote eine ganze Stufe zu verschieben.

Freunde von schnellen Worker-Placement-Spielen mit unterschiedlichen Siegstrategien und asymmetrischen Startbedingungen werden an Victorian Masterminds große Freude haben.

 

mit Tendenz nach unten

 

Artikelbild: Asmodee, CMON, Fotografien: Holger Christiansen, Bearbeitet von Verena Bach,
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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