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Die meisten Larpveranstaltungen finden in einem Fantasy-Szenario statt, dystopische Cons hingegen leben meist von ihrem Endzeitflair. Daneben gibt es jedoch noch zahlreiche kleine Nischenthemen, zum Beispiel eine Con mit Diktatur-Szenario. Warum ist das ideal für „play to struggle“ – und worauf muss man bei Besuch oder Ausrichtung einer solchen Veranstaltung achten?

 Dystopische Larps behandeln überwiegend (post-)apokalyptische Szenarien. Häufig gibt es Zombies oder Mutanten, man bewegt sich in einer anarchischen Gesellschaft, in der das Recht des*der Stärkeren herrscht. Eher selten hingegen sind Cons, die zwar in unserer (zukünftigen) Welt spielen, bei denen aber kein weitreichender Zusammenbruch stattgefunden hat, sondern die Herausforderung gerade aus dem Gegenteil erwächst: Eine Welt, in der eine totalitäre Diktatur die Macht ergriffen hat, in der nicht marodierende Motorradbanden oder giftspuckende Mutanten, sondern Spitzel, staatliche Schlägertrupps und Geheimpolizei die allgegenwärtige Bedrohung darstellen.

Das Reizvolle an diesem Szenario sind die einzigartigen Regeln und Herausforderungen, denen man gegenübersteht. Während bei den meisten Larps verbale und körperliche Schlagfertigkeit ausreichen kann, um Erfolg zu haben, sieht die Sache hier anders aus. Einer mächtigen und rücksichtslosen Diktatur gegenüberstehend, sind die Möglichkeiten, viel zu verändern, begrenzt. Folglich geht es weniger um die große Heldengeschichte und die Revolution (wobei auch das in diesem Szenario seinen Reiz haben kann), sondern mehr um den alltäglichen Überlebenskampf von Einzelnen. Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach persönlichem Wohlbefinden und Sicherheit einerseits und den Anforderungen, die das Regime stellt, andererseits, bietet ein Diktatur-Larp die perfekte Grundlage für Play to struggle dar.

Neben diesem Potential hat das Szenario jedoch auch seine ganz eigenen Schwierigkeiten und Hindernisse, denen man sich als Orga stellen muss. Welche das sind, wie man sie behebt und gleichzeitig eine glaubwürdige und immersive Spielerfahrung schafft, darum geht es nun im Folgenden. 

Die Rahmenbedingungen

Der sich auf einer solchen Veranstaltung anbietende Spielstil ist ganz klar: Play to struggle. Es geht nicht darum, ruhmreich zu streiten. Der Reiz entsteht aus der Auseinandersetzung mit Problemen, die man bestenfalls halbwegs lösen kann und dem Umgang mit dem eigenem Scheitern.

Dass sich dafür eine Diktatur anbietet, hat mit ihren Machtstrukturen zu tun. Da jede Person Held*in der eigenen Geschichte ist, braucht es einen Rahmen, der stark genug ist, die Spielercharaktere (SC) in ihrer Rolle als Unterdrückte zu halten. Diesen stellt eine totalitäre Diktatur dar, deren mächtige Organe allgegenwärtig jeden Widerstand im Keim ersticken. Würde es den SC gelingen, diese Diktatur zu stürzen, wäre die Con vorbei, eher sie richtig angefangen hat. So offensichtlich das klingt, so wichtig ist dieser Punkt! Für uns, die wir aus unserer demokratisch geprägten Gesellschaft kommen, ist es nicht einfach, sich in ein autoritäres Szenario einzudenken und dieses zu akzeptieren. Ohne funktionierende IT-Herrschaftsinstrumente und einer durchdachten OT-Vorbereitung droht ein ungeplanter Regimewechsel durch die Spielerschaft. Ein derartiges Scheitern im Ansatz zu verhindern, muss Ziel der Orga sein.

© boscorelli

IT helfen dabei stabile, durch Nichtspielercharaktere (NSC) oder angeworbene SC verkörperte Institutionen des dargestellten Regimes. Diese müssen überwiegend linientreu und im Normalfall unangreifbar sein. Nichts spricht dagegen, dass ein Mitglied eines staatlichen Schlägertrupps in einer dunklen Gasse zurückbleibt oder dass eine Geheimpolizistin im Keller verschwindet. Doch dies müssen singuläre Ereignisse bleiben, ausgeführt in größter Not und im vollen Bewusstsein, dass das so angegriffene Regime mit aller Macht zurückschlagen wird. Um das zu erreichen, braucht es genügend NSC, die die eigenen Reihen füllen. Da NSC häufig Mangelware sind und die Ressourcen der Orga nicht ganz an die von NSA & Co. heranreichen, empfehlen sich auch andere Kontrollmethoden, die effektiv und so wenig aufwendig wie möglich sind. Am besten sind diejenigen, welche durch SC funktionieren oder mit wenig personellem Aufwand umgesetzt werden können.

Im Idealfall erhält sich das System, weil es genug Anhänger*innen und Mitläufer*innen gibt. Die NSC stellen dann nur den linientreuen Kaderkern, der die anderen bei der Stange hält. Für Probleme an dieser Stelle sorgt, dass SC im Normalfall autoritäre und totalitäre Systeme ablehnen. Die IT-Herrschaftsmechaniken müssen also wirklich effektiv sein und die SC überzeugen. Zumindest ein Teil muss sich dem Regime anschließen oder zumindest mit ihm sympathisieren.

Hier liegt eine große Gefahr und Herausforderung von Cons in diesem Genre. Mangels offensichtlichen Fantasy-Elementen und dank gruppendynamischer Prozesse droht eine Vermischung von OT und IT, was bei dieser Thematik sehr problematisch ist. Denn abgesehen von individuellen psychischen Problemen möchte auch keine Orga als Neuauflage von Die Welle Schlagzeilen machen. Auch eine Faschismusverherrlichung darf nicht stattfinden.

Daher darf nie vergessen werden, dass alles nur gespielt ist! Gleichzeitig müssen die SC trotzdem in die Welt eintauchen können und es muss Immersion entstehen. Sonst würden am Ende alle unbefriedigt nach Hause gehen. Die Con muss also bei den SC ein Gefühl allgegenwärtiger Bedrohung erzeugen, das eine leidende und scheiternde Auseinandersetzung mit dem Regime ermöglicht, gleichzeitig aber niemanden emotional überfordert.

Vor der Con

Hierbei helfen eine ausgiebige Vor- und Nachbereitung und eine aufmerksame und verantwortungsbewusste Orga, die immer ansprechbar ist und auch proaktiv Probleme angeht. Das Zweite ist besonders wichtig: Wenn jemand mit einer Situation überfordert ist, muss die Spielleitung diesen Umstand erkennen und von sich aus einschreiten. Das gilt insbesondere dann, wenn das Regime die harten Bandagen auspackt.

Noch wichtiger für das Gelingen der Con sind jedoch eine gute Vor- und Nachbereitung. Die Nachbereitung dient dazu, in gemütlicher Runde das Erlebte Revue passieren zu lassen, darüber zu diskutieren, was man besonders schön und mitreißend fand und was weniger gut war. Dies ermöglicht nicht nur der Orga, Verbesserungen bei zukünftigen Cons zu erreichen, sondern dient vor allem dazu, die SC aus ihren Rollen in den Alltag zurückzuführen. Die Nachbereitung stellt einen begleiteten Übergang vom IT ins OT dar und soll verhindern, dass im Spiel erfahrene Belastungen mit in die Realität genommen werden.

Die Vorbereitung dient dazu, alle Teilnehmenden geistig in die Rolle von Untertanen einer Diktatur zu versetzen. Denn dazu gehört dank unserer demokratischen Gesellschaft zum Glück mehr, als sich den berüchtigten „Schulterblick“ anzugewöhnen: Dieses Wort bezeichnete im Dritten Reich das ängstliche Ausschauhalten über die eigene Schulter, welches stattfand, bevor man im Gespräch etwas womöglich Regimekritisches sagen wollte.

In der Vorbereitung können Charaktergeschichten angepasst werden, etwa in Hinblick auf verschwundene Angehörige oder persönliche Verstrickungen. Vor allem bietet es sich an, die Hintergründe der Welt näher zu erläutern, Regeln und Verhaltensweisen zu erklärt und einzuüben, die jedem Menschen, der in dieser Welt von Kindesbeinen an leben würde, in Fleisch und Blut übergegangen wären. Denn nichts stört die Immersion mehr, als wenn selbst der*die treueste Anhänger*in nicht weiß, wie man die*den Oberste*n Anführer*in grüßt.

In der Vorbereitung wird abgefragt, wo die persönliche Härtegrenze liegt und wie man sich in Hinblick auf Verstrickungen mit dem Regime gerne positionieren würde. Das ermöglicht der Orga, SC weder zu über-, noch zu unterfordern. Auch weiß die Orga so sofort, wen sie von Anfang an für das Regime rekrutieren kann.

In dieser Phase können auch versteckte NSC eingeschleust werden, die ihre „V-Mann“- oder „IM“-Rolle so von Anfang an spielen können, ohne gleich als NSC enttarnt zu werden. Je nach Interessenlage kann die Spitzelrolle sogar schon Charakterbestandteil werden, so dass ein Anwerben nach Time-In entfällt. Die komplette Spitzelanwerbung sollte aber nicht OT stattfinden, da man den SC so Möglichkeiten nimmt, sich IT dem Regime anzudienen.

Diese Möglichkeiten sind wichtig, denn der Konflikt, ob man mitmacht, um sich Vorteile zu verschaffen oder sogar, weil man an das System glaubt oder ob man sich verweigert und somit Gefahr läuft, Konsequenzen zu spüren, ist ein Kernbestandteil des Conkonzepts.

Während der Con: Methoden der Unterdrückung

Nachdem in der Vorbereitung der Hintergrund des Szenarios ausgearbeitet wurde, gilt es nun als erstes, die Theorie in die Praxis zu holen und daraus eine möglichst dichte und glaubhafte Atmosphäre zu schaffen. Das Regime muss allgegenwärtig und bedrohlich wirken, gleichzeitig auch Gründe liefern, warum man es ertragen oder unterstützen soll. Fehlt letzteres, treibt man als Spielleitung (SL) die SC nicht nur in eine kompromisslose Oppositionshaltung, man untergräbt auch die Glaubwürdigkeit der dargestellten Diktatur. Denn einer Regierung, die kaum ein Con-Wochenende ohne Umsturz überlebt, nimmt man ein stabiles und dauerhaftes Unterdrückungssystem nur schwer ab. Ganz davon zu schweigen, dass eine massive Opposition ein flächendeckendes Gefühl der Hoffnung auf Veränderung schafft, das kontraproduktiv für Play to struggle ist und einen massiven NSC-Einsatz erfordert, um das System am Laufen zu halten.

© zeferli@gmail.com

Für unser Szenario muss für die SC das Gefühl entstehen, mehr oder weniger allein einem übermächtigen System gegenüberzustehen. Nur so schaffen wir ein durchgehendes Gefühl der Bedrohung, bei dem die SC immer im Hinterkopf haben, dass das Regime jederzeit zuschlagen könnte, wenn sie sich falsch verhalten. Da es aber gleichzeitig auch von SC unterstützt werden soll, müssen die Überwachungs- und Kontrollmethoden, denen sich die SC ausgesetzt sehen, nicht nur Widerstand unterdrücken, sondern auch Unterstützung für das Regime hervorrufen. Wir brauchen also nicht nur die Peitsche, wir brauchen auch Zuckerbrot.

Soziale Codes – Sprache und Gestik

Sprachkontrolle war schon immer ein Herrschaftsinstrument und der Versuch, die Sprache zu kontrollieren, ein Erkennungszeichen totalitärer Diktaturen. Diese Kontrolle über die Sprache dient dabei mehreren Zwecken.

Diktaturen versuchen mit der Kontrolle über die Sprache auch den Geist der Bevölkerung zu kontrollieren. George Orwells Roman 1984 liefert das beste Beispiel. Wer den Menschen die Begriffe nimmt, um Widerstand auch nur zu denken, der nimmt ihnen damit auch die Möglichkeit zum Widerstand. Wer die Sprache kontrolliert, der kontrolliert das Denken und übt damit maximale Herrschaft aus, so der feuchte Traum aller Diktator*innen und Unterdrücker*innen.

Nun erfordert eine solche Sprachumformung sehr viel Aufwand und Zeit, da sich das natürliche und alltägliche Sprachempfinden solchen gewaltsamen Eingriffen widersetzt und althergebrachte Gewohnheiten der Bevölkerung erst mühsam überwunden und neue Begrifflichkeiten indoktriniert werden müssen. Auch, wenn sich durch entsprechende OT-Schulungen vor Conbeginn hier einiges erreichen lässt, ist dies in großem Umfang nicht möglich, aber auch nicht nötig. Denn Kontrolle über die Sprache dient noch anderen Zwecken, die uns als Orga viel mehr bringen und die weniger aufwändig sind: als Herrschaftssymbol und zur Gruppenidentifikation und Abgrenzung.

Ein Regime, das seine Sprechweise der Bevölkerung aufzwingt, schafft damit ein allgegenwärtiges Zeichen seines Triumphs. Jeder Mensch, der aufgezwungene Formulierungen und Begriffe verwendet, ist ein Zeichen für die Macht des Systems, die bis in gewöhnliche zwischenmenschliche Gespräche reicht. Dass die SC sich mit Time-In umstellen müssen, verstärkt diesen Aspekt sogar noch, weil die erzwungenen Sprachunterschiede stärker auffallen, als würden sie von Geburt an so sprechen. Das hilft, in die zum Szenario passende Geisteshaltung zu kommen.

Gleichzeitig dient diese Präsenz im Alltag noch einem weiteren Zweck. Als Zeichen der Unterwerfung unter den*die Diktator*in schafft sie auch eine Gruppenidentität, indem sie Menschen sichtbar macht, die sich nicht unterworfen haben. Wer diese Sprache nicht verwendet, ist offenbart nicht angepasst, nicht der Gemeinschaft zugehörig. Auf diese Weise kann man nur für die Verwendung des falschen Wortes ins Fadenkreuz des Überwachungsapparats geraten und aus der Gesellschaft ausgestoßen werden.

Die Begriffe, die sich die Orga für ihre Con ausdenkt, müssen nicht kompliziert oder zahlreich sein. Bestimmte Schlüsselformulierungen langen schon. Das Entscheidende ist, dass sie häufig verwendet werden. Grußformeln, Anreden oder Personen- und Amtsbezeichnungen sind daher besonders gut geeignet. Wann immer zwei oder mehr Menschen miteinander in Kontakt treten, werden sie verwendet. Damit wird jede zwischenmenschliche Interaktion zu einem Gesinnungstest: Wer die richtigen Begriffe benutzt oder kennt, gehört zum guten, großen Regime. Wer dies nicht tut, ist ein*e Feind*in.

Möchte man die totalitäre Gesellschaft mit weiteren Hierarchieebenen differenzieren, so bieten sich zusätzliche komplizierte Formulierungen an, die nur von den entsprechend geschulten führenden Köpfen der Bewegung verstanden und verwendet werden können. So schafft man eine zusätzliche Abgrenzung zwischen einfachen Mitläufer*innen und den Eliten. Neben Sprache bieten sich passende Gesten und feste Rituale an. Eine feste Grußbewegung etwa, die den Händedruck ersetzt, zwingt der Bevölkerung nicht nur geistige, sondern auch körperliche Handlungsmuster auf und ist ebenso leicht durch alle überprüfbar.

Wir gegen Die

Während bei der Benutzung der vorgegebenen sozialen Codes die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft eine individuelle Entscheidung ist, liegt sie an anderer Stelle beim Regime. Jede Gesellschaft definiert sich als Gruppe auch immer durch die, die nicht dazugehören. Je weniger frei eine Gesellschaft ist, desto weniger kann sie Abweichungen von der Gruppennorm tolerieren.

Damit unsere Diktatur also eine möglichst homogene Gesellschaft erhält, braucht sie Mittel und Wege, um die Bevölkerung auf Linie zu halten. Strafen sind eine Methode, aber ebenso wichtig ist ein äußeres Feindbild. Es braucht eine gesellschaftliche Gruppe, die als Bedrohung, als fremd wahrgenommen wird, gegen die sich der Rest der Bevölkerung zusammenschließen kann. Die Existenz einer solchen Bedrohung erhöht bei den anderen die Identifikation mit der Gruppe. Diese Ausgrenzung aus der Gesellschaft muss aber gut begründet werden.

Die so verfolgte und diskriminierte Minderheit darf nicht die Möglichkeit haben, sich durch Anpassung der Ausgrenzung zu entziehen; das wäre für die Zwecke des Regimes kontraproduktiv. Folglich bedarf es eines ideologischen Überbaus, der begründet, warum die Ausgegrenzten böse sind und zu Recht verfolgt werden. Die Ungleichbehandlung muss dabei, basierend auf der herrschenden Ideologie, als gerecht und notwendig verkauft werden. Gute Propaganda-Argumente sind ein Ausgleich von angeblich früher erlittenen Nachteilen, für die die Ausgegrenzten verantwortlich gemacht werden; oder der Kampf gegen eine angebliche Bedrohung, die von der diskriminierten Gruppe ausgeht.

Den Widerspruch zwischen ihrer Rolle als Verfolgte und der Bedrohung, die sie angeblich für die Gesellschaft darstellen, kann am besten durch Hinterlist und Heimtücke erklärt werden, mit der sie angeblich die Gesellschaft unterwandern und manipulieren. Da der diskriminierten Gruppe so zahlreiche negative Eigenschaften zugeschrieben werden, wirkt ihre Verfolgung für alle anderen nicht nur notwendig, sondern erzeugt zugleich das Gefühl, das moralisch Richtige zu tun, heldenhaft gegen eine große Bedrohung zu kämpfen.

Auf diese Weise dient die Diskriminierung einer Gruppe nicht nur der Gruppenidentifikation durch Feindbildschaffung, sie stärkt auch das individuelle Wohlbefinden. Die negativen Auswirkungen des Regimes werden so positiv umgedeutet und wer sich gegen diese Diskriminierung ausspricht, kann nicht nur als Gegner der Gemeinschaft, sondern auch als moralisch böser Mensch verunglimpft zu werden. Je nach Schwerpunkt der Con können Angehörige dieser Minderheit durch SC gespielt werden, die ungeachtet ihrer Verfolgung überleben wollen oder von opferbereiten NSC, wodurch die SC vor die Frage gestellt werden, ob sie eingreifen, tatenlos zuschauen oder aktiv bei der Verfolgung helfen wollen.

Überwachung und Sanktion

Diese Herrschaftsmethoden wären ineffektiv, wenn ihre Einhaltung und Durchführung nicht kontrolliert würde. Folglich muss die Orga dafür sorgen, dass das Regime die entsprechenden Kontrollorgane hat. Egal, wie sie das schafft, sie muss bei den SC das Gefühl auslösen, jederzeit überwacht zu werden. Sie müssen befürchten, dass jedes Fehlverhalten erfasst und sanktioniert wird. Eine weitreichende Überwachung ist ohne das Budget der NSA nur schwer machbar, doch glücklicherweise können wir als Orga auf andere bewährte Mittel zurückgreifen.

Ganz klassisch bietet sich eine zweistufige Strategie an. Einerseits setzen wir ein Netzwerk aus Spitzeln und Denunziant*innen ein, welches sich überwiegend aus mehr oder wenig freiwillig angeworbenen SC zusammensetzt. Die SC überwachen sich so in bester Blockwart*innenmanier selbst. Lässt die Orga dann zu Beginn der Con einige NSC-Spitzel auffliegen, schafft sie ein andauerndes Gefühl des Misstrauens und der Paranoia, durchgehend überwacht zu werden.

© dimmushka

Darauf aufbauend kommt als Kern des Überwachungsstaats eine aus NSC und einzelnen, regimetreuen SC bestehende Geheimpolizei zum Einsatz, die denunzierte Abweichungen verfolgt. Die darauffolgende Bestrafung muss dann möglichst öffentlichkeitswirksam durchgeführt werden, um maximalen abschreckenden Charakter zu haben. Je mehr Fehlverhalten auf diese Art auffliegt und sanktioniert wird, desto glaubwürdiger erscheint das Regime und desto höher ist die gefühlte Bedrohungslage der SC.

Darüber hinaus kann man mit Alternativen experimentieren. Je nach Location können vorhandene Infrastruktur wie Zimmertelefone oder Whatsapp-Gruppenanrufe genutzt werden, um eine Überwachung durchzuführen. Die Grenzen dieser Kreativität liegen lediglich im Einvernehmen aller Anwensenden.

Fazit

Eine Con in einem solche Szenario ist eine Herausforderung, organisatorisch wie emotional. Der Reiz, den Play to struggle hier mit sich bringt, kommt von wenigstens bedenklichen, meistens hoch problematischen Konzepten und Themen, mit denen wir uns im Alltag glücklicherweise nur marginal auseinandersetzen müssen. Die emotionale Sicherheit aller SC steht daher ganz besonders an vorderster Stelle.

Auch ein historisches Bewusstsein der Orga ist von Nöten, damit die Con nicht versehentlich zu einer Revival-Party des Dritten Reiches wird. Ein Diktaturlarp, welches eine reale Diktatur zum Thema hat, ist zwar theoretisch möglich, bringt aber viele weitere Herausforderungen und eine ungleich größere Verantwortung mit sich – aus meiner Sicht sind fiktive Konzepte deutlich besser geeignet. Ein gut umgesetztes fiktives totalitäres Regime ist Herausforderung genug, da braucht es nicht noch einen realen Hintergrund mit Millionen von Toten. Anlehnungen können verwendet werden, aber alles, was darüber hinaus geht, ist zumindest mir zu realitätsnah und trägt immer die Gefahr einer Verharmlosung in sich.

Berücksichtigt man diese Punkte und gelingt es, eine glaubwürdige Atmosphäre zu erschaffen, dann bietet ein Diktatur-Szenario die perfekte Möglichkeit, sich als SC mit unlösbaren Problemen auseinanderzusetzen und Spaß nicht am siegreichen Einherschreiten, sondern am vergeblichen Abmühen und Ankämpfen zu haben. Wo immer man mit dem Regime konfrontiert wird, und das ist bei einer totalitären Diktatur quasi überall, steht man als SC vor der Frage, ob man sich verweigert oder folgsam ist. Verrät man, dass die*der langjährige Freund*in nicht richtig gegrüßt hat oder schweigt man und hofft, dass kein Spitzel das Gespräch mitbekommen hat? Wie reagiert man, wenn die eigene Schwester krank und das rettende Medikament nur verfügbar ist, wenn man sich von der Geheimpolizei anwerben lässt? Moralisch eine ganz andere Erfahrung ist es dann, linientreu Karriere zu machen. Ab wann kommen die Gewissensbisse, wie weit kann man aufsteigen, bevor der eigene Charakter sein Handeln nicht mehr ertragen kann? Diesen und vielen weiteren Fragen kann man sich in einem Diktatur-Szenario stellen.

Artikelbilder: Titelbild © CBS Interactive, weitere Bilder © depositphotos
Lektorat: Lukas Heinen

Layout: Nina Horbelt

1 Kommentar

  1. Wow, das hört sich ganz schön kompliziert an, ich war sogar beim Lesen schon etwas überfordert… Das wird aber daran liegen, dass ich noch relativ neu im Rollenspiel-Universum bin und mich gerade erst an P&P rangewagt habe. Das machte mir eigentlich sehr viel Spaß, bis Corona dazwischen gefunkt hat. Ich kann es aber kaum erwarten mich wieder mit meinen Freunden zu treffen und zu spielen. Allerdings sind wir von LARP noch weit entfernt. Hört sich aber sehr sehr spannend an! :)
    So lange der Wahnsinn anhält halten wir uns mit ein paar Partyspielen (https://simonjan.de/) über Wasser, die wir in der Runde auch Online spielen können. Ist natürlich nicht annähernd dasselbe.
    Liebe Grüße aus dem Osten, Mathias

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