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In den Urzeiten des Pen-and-Paper-Rollenspiels gab es neben Dungeons & Dragons und Pendragon erst wenige gleichartige Spiele, vor allem für Abenteuer im Weltraum. Eines davon war Traveller, welches die unendlichen Weiten des Weltraums erforsch- und erlebbar machte. Wie es das gemacht hat, erfährst du in diesem Artikel.

In den mittleren siebziger Jahren war der Markt für Pen-and-Paper-Rollenspiele noch ausgesprochen übersichtlich. Wenige Systeme waren erhältlich und das Konzept eines Pen-and-Paper-Rollenspiels war noch sehr obskur und nur wenigen ausgewählten Menschen bekannt.

Traveller – Das Original aus den Siebzigern.
Traveller – Das Original aus den Siebzigern.

1977 wurde Traveller von Game Designers‘ Workshop, nicht zu verwechseln mit Games Workshop, veröffentlicht und ist das geistige Kind von Marc Miller. Das Jahr 1977 war eine passende „Dampfzeit“, wie Terry Pratchett es ausdrücken würde, für Geschichten über den Weltraum – seit elf Jahren wurde Star Trek ausgestrahlt. Im selben Jahr war mit Krieg der Sterne der Beginn der Star Wars-Saga zu sehen, welche später zu einem der wertvollsten Franchises überhaupt werden sollte. Außerdem hatte Frank Herbert bereits den dritten Band seiner Reihe um den Wüstenplaneten veröffentlicht, ebenfalls eine der besten Science-Fiction-Geschichten bis dato.

Allein diese drei Veröffentlichungen zeigen uns zwei Dinge – erstens gab es ein Publikum, das nach fantastischen Geschichten in einer (nicht) allzu fernen Zukunft hungerte und sie begeistert aufnahm. Und zweitens war die Zeit langsam für serielles Erzählen reif. Besonders Star Trek mit seinen Episoden war hier wegbereitend, in welchen die Besatzung der Enterprise regelmäßig neue Gefahren überstehen musste. So ist es nicht überraschend, dass die Fans dieser fantastischen Geschichten irgendwann einmal ihre eigenen Geschichten erzählen wollten.

In diese Lücke stieß Traveller.

Tausend Welten und mehr – Das Setting

Das Grundregelwerk von Traveller gibt einen sehr rudimentären Hintergrund vor, der allerdings ohne jedes Problem auf alle möglichen Science-Fiction-Tropen übertragbar ist. Nach zwei gescheiterten Imperien, welche die Milchstraße umspannt haben, hat sich das Dritte Imperium gegründet, welches mit Hilfe feudal und lokal organisierten Adels seine Provinzen regiert. Dieses Imperium agiert jedoch sehr im Hintergrund und beeinflusst die Spieler*innen nur dann, wenn es die Spielleitung darauf anlegt. Megakonzerne spielen ebenfalls ihr eigenes Spiel.

Man erkennt, dass Star Wars zeitnah erschien.
Man erkennt, dass Star Wars zeitnah erschien.

Mit Hilfe der Sprungtechnik ist es möglich, zwischen Sektoren zu springen. Diese Sprünge dauern aber jeweils Tage bis Wochen. Dazu ist es nicht möglich, Nachrichten schneller als das Licht zu schicken. Nachrichtenübertragung funktioniert in diesem Setting mittels Transport durch Raumschiffe (der Autor nimmt hier sogar ausdrücklich Bezug auf den Pony-Express und das spanische Kolonialreich). Eine Nachricht von einem Ende des Imperiums zum anderen Ende der Milchstraße dauert auch mit speziellem Botendienst bis über 40 Wochen.

„Was für ein Haufen Schrott!“ – Leia Organa© TsuneoMP
„Was für ein Haufen Schrott!“ – Leia Organa © TsuneoMP

Die Menschheit ist in drei Ethnien aufgesplittert: die Solomani (stammen von Terra), die Vilani (entwickelten die erste Sprungtechnik) und die Zhodani (haben die meisten Psioniker unter den Menschen). Inwiefern und ob sich diese Ethnien untereinander unterscheiden, wird nicht gesondert erwähnt – die Spieler*innen sind hier in ihrer Interpretation frei, auch gibt es keine regeltechnischen Unterschiede zwischen den Menschen. Das Grundregelwerk geht bei der Erschaffung eines Charakters von Menschen aus. Spätere Erweiterungen haben weitere Ethnien wie Katzenmenschen eingeführt.

Als Charakter in Traveller ist man Teil der Besatzung eines Raumschiffs – ob man sich als Pilot*in, Navigator*in, Steward, Ärzt*in oder Kanonier*in qualifiziert, wird während der Charaktererschaffung festgelegt.

Du hast nicht gelebt, bevor du gestorben bist – Die Charaktererstellung

Man merkt dem System bereits bei der Auswahl seiner benutzten Würfel ein gewisses Alter an – sämtliche Würfe werden mit sechsseitigen Würfeln durchgeführt. Man würfelt prinzipiell immer gegen einen vorgegebenen Wert (üblicherweise mit zwei Würfeln gegen die 8) und erhält je nach Umständen Boni oder Mali auf diesen Wurf. Spannenderweise weist schon die erste Edition von Traveller darauf hin, dass die Spielleitung in gewissen Würfen lieber selbst verdeckt für die Spieler*innen würfeln sollte, etwa bei der Frage, ob die Motivation eines NSC richtig erkannt wurde oder Ähnlichem.

Traveller traut sich, den Spieler*innen nicht einfach eine Klasse in die Hand zu drücken und fertig. Jeder Charakter hat, bevor er mit dem eigentlichen Abenteuer beginnen kann, eine Anfangssequenz zu durchlaufen, die seinen Werdegang zum*zur Abenteurer*in darstellt. Männliche und weibliche Charaktere werden hier absolut gleichgestellt. Ob Charaktere aufgrund ihres Geschlechts unterschiedlich behandelt werden, hängt lediglich davon ab, ob die Spielleitung oder die Spieler*innen in einer Umgebung spielen möchten, die sie zuvor so definiert haben.

Man beginnt seine Laufbahn als Traveller mit je zwei Würfeln, um Stärke, Geschicklichkeit, Ausdauer, Intelligenz, Bildung und die Sozialstufe zu erwürfeln. Zu diesem Zeitpunkt ist man 18 Jahre alt und darf sich entscheiden, welcher Karriere man denn folgen möchte. Diese Karrieren (auch „Dienstgattungen“ genannt) sind sehr abstrakt gehalten und lauten Raumflotte, Raumgarde, Heer, Scoutdienst, Handelsflotte und Andere. Je nachdem, für welche Dienstgattung man sich entschieden hat, würfelt man, ob der Charakter überhaupt erst zu diesem Dienst zugelassen wurde. Abhängig davon, wie gefährlich, tödlich oder fordernd der Dienst in dieser Dienstgattung ist, kann man auch einfach abgelehnt werden. Je nach der gewählten Dienstgattung erhält man beim Wurf auf die Einstellung einen Bonus, wenn die passenden Eigenschaften hoch genug sind. So mag das Heer Geschicklichkeit und Ausdauer, während die Handelsflotte Stärke und Intelligenz bevorzugt.

Wohin wird eure Reise gehen? © Petrovich99
Wohin wird eure Reise gehen? © Petrovich99

Sollte man seine bevorzugte Dienstgattung nicht erwürfelt haben, wird der Charakter mit 18 Jahren einfach eingezogen und verrichtet dort seinen Dienst für die nächsten vier Jahre. (Ja, das bedeutet, man kann in seiner bevorzugten Dienstgattung abgelehnt und danach zwangsweise eingezogen werden …) Was genau während dieser vier Jahre geschieht, bleibt den Spieler*innen überlassen zu entscheiden, das System gibt keine geschichtlich relevanten Hintergründe dazu. Der Wurf auf Überleben im Dienst ist in jedem Fall erforderlich – je nach Gefährlichkeit der Dienstgattung würfelt man gegen einen gesetzten Wert und erhält je nach Dienstgattung einen Bonus, wenn der relevante Wert eines Charakters besonders hoch ist.

Sollte dieser Wurf geschafft werden, passieren mehrere Dinge: Der Charakter darf sich nun darum bemühen, ein Offizierspatent zu erhalten. Er darf außerdem um eine Beförderung würfeln (Warum auch immer das nicht mit dem ersten Wurf gemeinsam abgehandelt wird …) und es wird gewürfelt, ob der Charakter weiterverpflichtet wird. Sollte dies nicht geschehen, kann der Charakter ausmustern und ist nun frei, als Traveller auf eigene Faust zu agieren.

Jede Welt ist ein neues Abenteuer © mozzyb
Jede Welt ist ein neues Abenteuer © mozzyb

Der Charakter darf mehrere Dienstperioden zu je vier Jahren durchlaufen und sollte auch versuchen, mehrere Dienstperioden zu absolvieren. Denn mit jeder erfolgreich absolvierten Dienstperiode sammelt der Charakter Fertigkeiten aus dem Dienst und seiner persönlichen Fortbildung an, welche ihm in den weiteren Abenteuern helfen werden. Ebenfalls erhält der Charakter, sofern er den Dienst überlebt, eine Abfindung sowie nach mindestens fünf Dienstperioden eine Pension.

Grundsätzlich versucht das System, möglichst realistisch an die Erschaffung von Charakteren heranzugehen. Das einzige fantastische Element, das in den Regeln und im Hintergrund Niederschlag gefunden hat, ist die Psionik-Fähigkeit. Mit deren Hilfe sind insgesamt sechs weitere Fähigkeiten möglich – Telepathie, Hellsehen, Telekinese, Körperbewusstsein (Heilung und Stärkung) und Teleportation stehen jenen seltenen Individuen zur Verfügung, die diese Fertigkeit erwürfeln konnten. Ansonsten sind die Charaktere in Traveller „geerdet“ und keine Übermenschen. Eine Kugel und eine Klinge bleiben immer gefährlich.

Von Alpha Centauri nach Cassiopeia kostet WIE viel? – Die Kosten und Systematik der Raumfahrt

Traveller legt großen Wert auf Verwaltung und das Management des eigenen Raumschiffes. Reisen sind im Universum von Traveller keine leichtfertige Angelegenheit: Zwischen einzelnen Sternensystemen kosten sie entweder ein Vermögen, oder man riskiert bei jedem Sprung den Tod in einer Gefrierkammer. Auch in diesem Punkt nimmt der Autor Bezug auf die Reisen in der Vergangenheit, welche immer ein Risiko darstellten. Passend dazu ließ sich der Autor von Durance-Gefangen! für sein Spiel von den Gefangenentransporten der Briten im 18. Jahrhundert inspirieren – das zeigt, wie sehr die Vergangenheit auch für Settings in der Zukunft Verwendung finden kann.

Raumschiffe in Traveller sind eine gewaltige Investition – so sehr, dass einzelne Charaktere kaum jemals ein eigenes Schiff besitzen und deswegen höchstens Anteile an einem Schiff halten werden. Und das ist vielleicht auch besser so – Reparaturen an beschädigten Schiffen sind ebenfalls eine große Investition. So ist es nicht verwunderlich, dass manche Charaktere versucht sein werden, ihr Gehalt durch wenig legale Aktivitäten aufzubessern.

Das Ausmaß, in welchem das Spiel Wert auf die Entfernungen und Kosten der Raumfahrt legt, sucht bis heute seinesgleichen. Man merkt Traveller hier einfach sein Alter an. Für die damalige Zeit sicher wegbereitend, kann man dieses Reisesystem allerdings modernen Spielrunden in seiner Komplexität und Kleinteiligkeit wohl kaum antun.

Ebenfalls dem Alter und seiner Herkunft geschuldet sind seine gewaltige Anzahl an Tabellen, mit denen man die Charaktergenerierung oder mögliche Begegnungen im All und auf neu zu erkundenden Planeten auswürfeln kann.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Game Designers‘ Workshop
  • Autor*in(nen): Marc W. Miller
  • Erscheinungsjahr: 1977
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover
  • Seitenanzahl: 159
  • ISBN: 3-89064-100-8
  • Preis: 44,66 EUR (die aktuelle Edition von Mongoose Publishing)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon (Mongoose Publishing, aktuelle Edition), idealo

 

Fazit

Essentially, it’s Firefly“. – Seth Skorkowsky

Marc W. Millers Traveller bot erstmals eine Möglichkeit, fantastische Abenteuer im Weltraum zu erleben. Obwohl es sehr wohl einen fertig ausgearbeiteten Hintergrund zum Bespielen bot, ließ er ebenfalls genug Freiraum, um seine Spielrunden in einem anderen populären oder selbst verfassten Setting anzusetzen. Ob man seine Abenteuer lieber in einem Universum spielt, das sich nach Star Wars, Dune, The Expanse, Star Trek, Alien oder Firefly anfühlt, blieb der Spielrunde überlassen (und es sagt ja niemand, dass man nicht nach Belieben aus diesen Universen Anleihen nehmen darf).

Horror, Comedy oder Drama? Die Stimmung eurer Geschichte liegt an euch. © mik38
Horror, Comedy oder Drama? Die Stimmung eurer Geschichte liegt an euch. © mik38

Dem Alter geschuldet bietet das Grundregelbuch eine Fülle (28 Seiten insgesamt) an Tabellen, um die Spielleitung zu unterstützen. Manchen Spielrunden mag das, insbesondere bei der Charaktererstellung, ein wenig zu sehr Zufall sein, auf welchen man kaum einen Einfluss hat. Andere Spieler*innen werden genau diesen Zufall lieben. Das Leben ist nun mal nicht immer gerecht und nachsichtig. Und man kann sich dann umso mehr über einen Charakter mit „Ecken und Kanten“ freuen, der sich den Weg ins Abenteuer erst mal erkämpfen musste.

Traveller gibt es bis heute in zwei modernen Editionen von Mongoose Publishing und Far Future Enterprises. Das System lebt und wird gerne bespielt, hat allerdings ein wenig an der Zufallstabellenlastigkeit und Möglichkeit des Todes während der Charaktergenerierung geschraubt. Der Hintergrund wurde im Laufe der Jahrzehnte seines Bestehens immer wieder ausgebaut und wartet nur darauf, von euch erforscht zu werden.

Wohin wird euch eure Reise führen, Traveller?

  • Herrlicher 70er-Jahre-Nostalgie-Charme
  • Sehr frei interpretierbares Setting
  • „Realistische“ Kosten der Raumfahrt
 

  • Fokus auf Menschen
  • Viel Zufall, teilweise kleinteilig

 

Artikelbilder:  depositphotos © wie gekennzeichnet
Titelbild: depositphotos © shad.off, © NASA, © Mongoose Publishing
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Saskia Harendt
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

4 Kommentare

  1. Ich muß gerade überlegen – konnte man nicht schon in der Erstauflage im Rahmen der Charaktererschaffung sterben oder kam dieses besondere Alleinstellungsmerkmal erst (etwas) später ..? (Lange her …)

    Ansonsten, pardon, aber drängt sich mir die Frage auf, was bitte „Ärzt“ sein soll bzw. wieso ausgerechnet „Steward“ nur in der vermeintlich nicht alle mitmeinenden generisch maskulinen Form niedergeschrieben ist; letzteres ist beneidenswert inkonsequent, ersteres offen gesagt zumindest fragwürdig, da de facto falsch.

  2. Aber es ist schon bedauerlich, wie wenig Aufmerksamkeit so ein tatsächlicher Klassiker hier hervorruft.

    Deshalb bitte meinen ersten Kommentar nicht zu krumm nehmen; Artikel und Spiel haben mir durchaus gefallen. (Nur eben nicht das grammatikalisch falsche und die inkonsequente Nutzung des genderns; aber dafür kann Traveller nun wiklich nichts)

  3. Ich mag das System habe fließig Bücher vom 13Mann Verlag im Angebot gekauft und spiele es jetzt seit 2 Jahren.

    Ein gutes System, aus dem ein fähiger Meister sehr viel heraus hohlen kann.

  4. Puh, wenn Zufallselemente wie Tabellen eher negativ und altmodisch betrachtet werden, wird schnell klar aus welcher Ecke der Autor hier stammt. Schade, hier wird sehr viel Potential liegen gelassen.

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