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Von den uralten, unterirdischen Aquädukten in den tiefen Gewölben unter der Waismark über die vielfältig faszinierenden wie gefährlichen Viertel der imperialen Hauptstadt bis zu den sündigen Fleischmärkten des Nordens: Die Vielfalt der Welt von Malmsturm verdient eine besondere Präsentation: Wege aus Blut und Eisen vereint stimmungsvolle Comics, Weltbeschreibung und Abenteueraufhänger. 

Irr.form (f), imperial, auch: Mutation, Abnormalität

1 durch natürliche Mutation oder Fremdeinwirkung (magische Experimente, Vergiftungen, Drogeneinfluss) missgebildete Menschen, z. T. mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet, meist unkontrollierter Natur

2 ungewöhnliche Form eines Rollenspielbuchs, kombiniert in neuartiger Weise unterschiedliche literarische Formate wie Comic und Prosa zur Beschreibung von Landstrichen

    • aus: Lexikon des Widernatürlichen, vorbehalten den Mitgliedern des Neunten Kreises der Læktoren

Inhalt

Die Wege aus Blut und Eisen führen uns anhand jeweils eines einleitenden, mehrseitigen Comics und folgenden Beschreibungen der gezeigten Orte und Personen durch die drei großen Gegenden der Malmsturm-Welt: Die eher urtümlich-mittelalterlich anmutende Waismark, die abweisenden Weiten des Nordens und den verschlungenen, gefährlichen Gassen des imperialen Hauptstadt-Molochs Lyssa.

Im Gegensatz zu üblichen Regionalbeschreibungen anderer Settings liegt der Fokus nicht darauf, eine einzelne Gegend oder Land detailliert von Flora und Fauna, Gesellschaftsschichten, allen wichtigen Städten und Dörfern, lokaler Geschichte und dergleichen zu beschreiben. Stattdessen werden hier Orte und passende Protagonist*innen stellvertretend für die drei großen Gegenden (Norden, Waismark und Imperium) präsentiert, die in dem jeweils vorangestellten Comic vorkommen. 

Comics

In den Comicgeschichten geht es durchgängig rau zu
In den Comicgeschichten geht es durchgängig rau zu

Jedem der drei Hauptkapitel ist ein Comic vorangestellt, der eine kurze Begebenheit in und um den jeweils titelgebenden Landstrich erzählt. Auf insgesamt 54 Comicseiten erhält man so einen bildlichen Einblick in die Welt von Malmsturm. Die groben Striche der Schwarzweiß-Zeichnungen erinnern an den Stil von Underground-Comics und lassen ob mangelnder Details gewissen Freiraum. Wer hochglänzende Graphic Novels gewohnt ist wird sich hier vermutlich schwertun. Als Inspirationshilfe wirken sie aber dadurch weniger definierend und man fühlt sich eingeladen, die fehlenden Details im Kopf mit eigenen Ideen zu füllen.

Die Geschichten greifen typische Sword&Sorcery-Themen auf und verbinden diese geschickt mit Elementen der Malmsturm-Welt. 

Waismark

Älteres Wasser fließt in den Kellern unter der Waismark
Älteres Wasser fließt in den Kellern unter der Waismark

Im ersten Kapitel „Wege des Älteren Wassers“ werden die weitläufigen Tunnel, Kanäle, Kammern und Schächte tief unter der Waismark beschrieben, die schon viele allzu neugierige und gierige Abenteurer*innen in ihr Verderben geführt haben. Geschichten von wundersamen Hinterlassenschaften längst untergegangener Zivilisationen locken allerlei Gesindel an: Zwielichtige Anwerber*innen stellen vorgeblich eine Expedition zusammen, um sie in tödliche Fallen zu locken und auszurauben. Schweigsame Wandernde, die nichts mehr zu verlieren haben, verkaufen ihre Seele für eine Karte zu dem Ort, der einem Wünsche erfüllen soll. Kriminelle verstecken sich in den Tiefen der Tunnel vor ihrer gerechten Strafe.

Viele kurz beschriebene, unterirdische Orte laden zu einem ausgiebigen Dungeoncrawl unter der Waismark ein. Wer direkt loslegen will, findet am Ende die spielfertig aufbereiteten Charaktere aus dem vorherigen Comic aufgelistet.

Meine liebste Skurrilität der Waismark: Schwarzer Branntwein

Wer sich traut, einen Schluck dieser merkwürdig riechenden Flüssigkeit zu trinken, dem scheint durch den ersten Schluck die Kehle zu verbrennen. Danach wird er aber mit einem unbeschreiblich wunderbaren Nachgeschmack belohnt. Alle möglichen wundersamen Wirkungen sagt man ihm nach, aber man sollte besser nicht zu genau nachforschen, wo die Amphore wirklich herkommt.

Imperium

Der Brunnenmarkt unter Lyssa
Der Brunnenmarkt unter Lyssa

Zentraler Schauplatz des Comics „Die Hexe“ ist der Brunnenmarkt und die Orte drumherum zwischen dem als „Sumpf“ bekannten Elendsviertel und dem Tempel-Distrikt in Lyssa. Der Stadtmoloch mit seinen Sündenpfuhlen, dekadenten Herrscherfamilien, korrupten Priester*innen und vielen weiteren Abgründen aller Art lädt zu intriganten Abenteuern mit konkurrierenden Protagonist*innen um Blutfehden und alten Schulden ein. Dementsprechend werden hier eine Menge NCSs vorgestellt, von denen viele auf direkte oder indirekte Art miteinander verbunden sind. Alle gelisteten Personen treiben sich in und um den zentralen Ort des zugehörigen Comics: Dem Brunnenmarkt – ein unübersichtliches Gewirr von Ständen, kleinen Läden, Häusern, Lagern die sich alle um den zentralen Brunnen der Kanalisation unter der Stadt angesammelt haben.

Meine liebste Skurrilität des Imperiums: Die Schabenrennbahn

Speziell abgerichtete, riesige Schaben aus den verseuchten Abwasserkanälen Lyssas werden in einer eigens hierfür errichteten Arena regelmäßig in aufwändig gestalteten Parcours ins Rennen geschickt. Diese Attraktion zieht tausende von Zuschauer*innen an – ebenso die bei solchen Veranstaltungen unvermeidbaren kriminellen Parasiten.

Norden

Die Weite der kalten Steppe beherrscht den Norden. Dazwischen finden Wandernde Zuflucht in zwischen rätselhaften Steinsäulen und verfallenen Ruinen. Wer mittendrin eine allzu einladende Oase des Lebens findet sollte skeptisch sein und sich lieber einen ungemütlichen, aber wahrscheinlich sicheren Platz suchen: Im Norden hat Bequemlichkeit ihren Preis – allzu oft ist es das eigene Leben.

Im dritten Comic begleiten wir den Barbar Nodd auf eine Odyssee als Überlebender einer Schlacht, danach in die Fänge eines Sklavenhändlers, der ihn in einen Arenakampf schickt, um dann schlussendlich in der legendären „Grube der Gier“ zu landen.

In diesem Kapitel geht es wieder mehr um interessante und gefährliche Orte im hohen Norden. Außerdem wird die Kultur der Vigiri, stolze Steppenkrieger*innen, vorgestellt. Am Ende des Kapitels werden ein paar zentrale Protagonist*innen vorgestellt, die man im Umkreis der Grube finden kann. Dieses NSC sind detailliert ausgearbeitet und jeweils mit einem Porträt ausgestattet.

Meine liebste Skurrilität des Nordens: Die Grube der Gier

Dieser ebenso legendäre wie gefährliche Ort hortet einen verfluchten Schatz, der von einem mächtigen Wächter beschützt wird. Das ist zumindest der Kern vieler Geschichten, in denen sich Lage des Ortes und die Natur des Wächters stets unterscheiden.

Bestiarium

Die letzten 40 Seiten sind dem Bestiarium gewidmet. Hier findet man eine Auswahl detailliert beschriebener Geschöpfe, die man in den vorher beschriebenen Gegenden antreffen kann. Einige sind in kurzen Statblöcken als namenlose NSC aufgelistet, die meisten sind aber als Neben-NSC mit allen Aspekten und Fertigkeiten eines vollwertigen Fate-Charakters ausgestattet.

Jeder Eintrag ist bebildert, so dass man schnell durchblättern und sich ein angemessen gefährliches, fremdartig oder anderweitig in die Situation passendes Wesen heraussuchen kann.

Meine liebste Skurrilität: Neugier, ein Aghoulé
Dieser Aghoulé ist ein sehr nützlicher Plagegeist
Dieser Aghoulé ist ein sehr nützlicher Plagegeist

Die meisten der niedlich anmutenden Aghoulé sind üble, allesfressende Plagen, die in den größeren imperialen Städten anzutreffen sind.

Dieses besondere Exemplar hat dank zahlreicher alchemistischer Experimente eine weitaus höhere Intelligenz als seine Artgenossen und übt im Haus seines Herren ganz andere Aufgaben aus als andere Haustiere.

Erscheinungsbild

Das 241 Seiten starke Buch im B4 Hardcover-Format reiht sich passgenau zwischen die bisherigen Malmsturm-Bücher Die Fundamente, Die Welt und Stätten der Verdammnis in das Rollenspielregal.

Mit den üblichen 90 mg/m² dicken, offenporigen, leicht gelblichen Papier macht es einen wertigen Eindruck und das Lesen und Blättern sehr angenehm.

Die Comiczeichnungen wie auch alle anderen Illustrationen sind in groben Strichen und schwarz-weiß gehalten und bilden die gefährliche, mystisch-dunkle Stimmung des Settings passend ab. Leider bleibt Björn Lensig seiner Vorliebe für die Bevorzugung nackter, ausschließlich weiblicher Körper treu, was im Rahmen damaliger Sword&Sorcery-Veröffentlichungen vielleicht noch passend gewesen wäre, heute aber unnötig anachronistisch wirkt.

Die Comics sind in ihrem Stil eigenwillig aber passend zur restlichen Gestaltung ein echter Augenfang und eine praktische Abgrenzung der drei Hauptkapitel. Ein ausführliches Inhaltsverzeichnis sowie die Stuntübersicht und das Personen- und Monsterverzeichnis im Anhang machen es noch leichter, sich im Buch zurechtzufinden.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Uhrwerk Verlag
  • Autoren: Bjorn Beckert, Werner H. Hartmann, Dominik Pielarski, Sebastian Pleis, Florian Schwennsen, Helge Willkowei
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: B5
  • Seitenanzahl: 240
  • ISBN: 3958672248
  • Preis: 34,95 EUR (Druck), 16,99 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, Sphärenmeisters Spiele, idealo

 

Fazit

Ich bin gern über die Wege aus Blut und Eisen gegangen und habe gestaunt ob dem riesigen Angebot an ungewöhnlichen, abgedrehten und teilweise morbiden Ideen, welche nicht nur die Welt von Malmsturm Farbe verleihen, sondern problemlos in andere Sword&Sorcery-Settings platziert werden können. Das Farbspektrum reicht dabei aber gerade mal von Blutrot über Silber zu Grau bis Schwarz – denn Malmsturm ist immer noch ein düsteres, hartes Setting was nicht allen gefällt. Für generische Fantasy ist die Stimmung meiner Meinung nach zu einseitig.

Große Teile des Buches haben mich direkt zu Abenteuerideen inspiriert, und für bestehende Malmsturm-Runden ist das Buch uneingeschränkt zu empfehlen. Es liegt allerdings an der SL, aus den Ideen selbst noch ein fertiges Abenteuer zu schmieden.

Die Präsentation ist gelungen, wenn auch die Beschränkung dargestellter Nacktheit auf Frauen – und dazu noch in typischer Opferhaltung – sicher nicht alle Leser*innen abholt. 

Obwohl man in Malmsturm: Die Fundamente eine Weltkarte zum Abgleichen der hier erwähnten Orte finden kann, hätte es nicht geschadet, nochmal eine grobe Übersicht der Gegenden zu haben, darauf wurde leider verzichtet.

Am Ende bleibt diese „Irrform“ ein mit vielen liebevollen Details gespicktes Buch zur Inspiration und Unterhaltung. Die einzigen, wirklich spielrelevanten Teile sind die gut ausgearbeiteten NSCs und das bebilderte Bestiarium. Es wurde aber meines Erachtens einige Chancen verpasst, mehr direkte Spielinhalte mitzuliefern wie beispielsweise Zufallstabellen oder Übersichtkarten. Die Comics sind kurzweilig, aber zu knapp, um sich das Buch nur dafür zuzulegen.

  • Schönes Layout
  • Comic präsentiert die Welt lebendig
 

  • Nicht alle NSC mit Werten
  • Sexistische Frauendarstellung
  • Wenig direkt am Tisch Nutzbares

 

Artikelbilder: © Uhrwerk Verlag
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Nina Horbelt
Fotografien: Benjamin Dose
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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