Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Von einer Heimrunde zum Internetphänomen zum Sachbuch. In Die Welt von Critical Role erwarten euch Hintergrundinfos zu der bekanntesten Dungeons & Dragons-Kampagne weltweit. Dabei blicken die sieben Freund*innen der Hauptbesetzung auf ihre bisherige Reise zurück. Ob das Buch einen guten Start in diese Welt bietet, erfahrt ihr hier.

Hello, everyone. And welcome to tonight’s episode of Critical Role, where a bunch of nerdy ass voice actors sit around and play Dungeons & Dragons“ – Matt Mercer, zu Beginn jeder Folge von Critical Role

Was als einmaliger One-Shot begann, führte unter anderem zu einer eigenen Comic-Reihe, einem offiziellen D&D-Hintergrundband, diversen Merchandise-Artikeln und einer bald erscheinenden Animationsserie auf Amazon Prime Video. Die Rede ist von Critical Role, einer online gestreamten Pen-and-Paper-Runde aus Los Angeles. Regelmäßig am Donnerstagabend (beziehungsweise die Nacht von Donnerstag auf Freitag für europäische Fans) schalten mehrere tausend Menschen live bei Twitch ein, um professionellen Synchronsprecher*innen beim Rollenspiel zuzuschauen. Der Produktionsaufwand ist in den vergangenen Jahren stetig angestiegen. Die Freundschaft und der Spaß der Beteiligten vor der Kamera blieben aber gleich.

Für alte und neue Fans erschien 2020 ein Sachbuch auf Englisch, das mittlerweile auch auf Deutsch übersetzt wurde. Gebündelt wird in Die Welt von Critical Role erzählt, was hinter dem Namen Critical Role steckt und was es aus Sicht der Beteiligten ausmacht. Für die Lesenden wird ein Einblick geboten in verschiedene Ereignisse innerhalb der Welt von Exandria, dem Heimatplaneten der Charaktere. Umrahmt von hübschen Fotos und Illustrationen wird zudem hinter den Sichtschirm auf die eigentliche Gruppe in Los Angeles und ihren Werdegang geschaut.

Ein kurzer Hinweis vorab: In dem Sachbuch wird immer wieder auf Episoden der ersten beiden Kampagnen verwiesen. Es werden einzelne Momente oder Charakterentwicklungen bis einschließlich Episode 93 der zweiten Kampagne erwähnt. Wer ungern gespoilert werden möchte, sollte sich entweder nur einzelne Abschnitte anschauen oder vielleicht ganz die Finger von dem Werk lassen, bis diese Episode gesehen wurde.

Wer schreibt hier?

Critical Role, das sind Ashley Johnson, Marisha Ray, Taliesin Jaffe, Travis Willingham, Sam Riegel, Laura Bailey, Liam O’Brien und Matthew Mercer. Und da ohne sie die Geschichte nicht wäre, dürfen sie immer wieder Zitate zum Besten geben. Beispielsweise wenn sie eine dramatische Szene noch einmal aus ihrer eigenen Sicht schildern. Oder berichten, was für sie persönlich gutes Rollenspiel ausmacht und wieso sie, all die Jahre nach dem Start, den Spaß am Spiel nicht verloren haben.

Im Buch kommen alle Gruppenmitglieder von Critical Role immer wieder zu Wort.
Im Buch kommen alle Gruppenmitglieder von Critical Role immer wieder zu Wort.

Für die Struktur wurde die Autorin Liz Marsham, eine Freundin der Produktion, mit ins Boot geholt. Diese erfüllt gleich mehrere Aufgaben: Zunächst stellt sie die Grundlagen vor, etwa was ein Rollenspiel überhaupt ist, was ein kritischer Treffer bedeutet und welche Eigenschaften die verschiedenen Klassen haben. Selbst Neulinge haben so die Möglichkeit, sich in die einzelnen Szenen hineinzuversetzen. Das geschieht ebenso inhaltlich: Immer wieder gibt Marsham erzählerisch Teile der Geschichte rund um Vox Machina oder The Mighty Nein wieder. Dafür nutzt sie einen sehr immersiven Stil, der die Lesenden direkt in die Handlung hineinziehen soll. Teilweise stundenlanges Videomaterial wird von ihr in wenigen, dafür aber sehr spannungsvollen Sätze zusammengefasst.

Zusätzlich finden sich im Buch immer wieder kleine Einschübe in Form von Textboxen mit dem Titel „Critisches Kleinwissen“. Darin werden witzige Anekdoten erzählt, die während des Streams stattfanden. Für große Fans sind diese Infos vermutlich nichts Neues, aber dennoch unterhaltsam.

Der Inhalt

Das Buch ist insgesamt in neun Kapitel aufgeteilt, in denen verschiedene Aspekte rund um Critical Role beleuchtet werden. Zu Beginn wird der Ursprung der Spielrunde erzählt, nämlich Liams und Lauras gemeinsamer Geburtstag, für den Matt ein kleines Abenteuer vorbereitet hatte. Daraus entwickelte sich zuerst eine private Heimrunde, die schließlich auf Einladung von Felicia Day auf den YouTube-Kanal „Geek and Sundry“ erstmalig gestreamt wurde. Der Einstieg vermittelt mit einigen persönlichen Foto-Aufnahmen die ersten Schritte aller Beteiligten, die in den folgenden Jahren als Gruppe zusammengewachsen sind. Auch die Community aus der Anfangszeit, welche für den großen Erfolg mitverantwortlich ist, wird mehrfach angesprochen.

Einblicke in die privaten Runden vor dem Stream.
Einblicke in die privaten Runden vor dem Stream.

Anschließend wird jede Person in der Besetzung sowie ihre Ideen und Vorstellungen für ihre Charaktere aus den zwei Kampagnen vorgestellt. Neben einigen Infos zu der Lebensgeschichte bekommen die Lesenden hier einen guten Eindruck, was die Synchronsprecher*innen besonders an ihren Rollen reizt. Auffallend sind insbesondere die großen Portraitfotos von allen, die extra für das Buch erstellt wurden.

Die folgenden zwei Kapitel beschäftigten sich mit der Spielwelt Exandria, die Matt sich für sein Setting ausgedacht hat. Dabei wird den Lesenden eine Übersicht gegeben über die Charaktere, die von verschiedenen Freund*innen des Hauptcasts gespielt wurden, wichtige NSC und göttliche Wesen. Auch die größten Antagonist*innen aus beiden Kampagnen werden vorgestellt. Ebenso wichtig sind verschiedene Gegenstände als Markenzeichen einiger Charaktere, die sie im Laufe ihrer Reisen gefunden, gebaut oder erworben haben. Dabei werden auch die Überreste der Divergenz vorgestellt. Diese besonderen magischen Artefakte können in Matts Welt ebenfalls Stufen aufsteigen und schalten so weitere nützliche Fähigkeiten frei.

Auch für die Charaktere verschiedener Freund*innen, die im Stream auftraten, gibt es eine kurze Erwähnung im Buch.
Auch für die Charaktere verschiedener Freund*innen, die im Stream auftraten, gibt es eine kurze Erwähnung im Buch.

Neben der Ausrüstung im Spiel stehen die verschiedenen Kampfkarten im folgenden Kapitel im Fokus. Wo anfangs noch Miniaturen über handgezeichnete Karten verschoben wurden, wird die Entwicklung hin zu einem eigenen „Kartenraum“ im Critical Role-Studio gezeigt. Dieser verfügt mit tausenden Bodenplatten, Miniaturen und Umgebungsteilen über eine riesige Auswahl an kombinierbaren Einzelteilen, ganz nach Belieben der Spielleitung.

Matt bei einer seiner liebsten Beschäftigungen: dem Kartenbasteln.
Matt bei einer seiner liebsten Beschäftigungen: dem Kartenbasteln.

Von den Karten geht es zur Nacherzählung einiger wichtiger Kämpfe, in denen die Gruppe mit besonderen Ideen glänzte oder mit kluger Taktik die feindlichen Monster besiegen konnte. Neben mehreren epochalen Momenten wird abschließend eindrucksvoll der letzte große Kampf der ersten Kampagne zusammengefasst. Dieser dauerte, mit kurzen Kampfpausen, über fünf Episoden beziehungsweise mehr als 20 Stunden an.

In Kapitel 6 stehen die Fans, auch Critter genannt, im Mittelpunkt. Es wird eine kleine Auswahl an Cosplay- und Charakterbildern und anderer Kunst präsentiert, welche die Critical Role-Crew in den vergangenen Jahren erreicht hat. Auch weitere Geschenke werden vorgestellt, beispielsweise die große Messersammlung für Liams Charakter Vaxildan. Hinzu kommt eine kurze Erklärung zu den beiden Datenbanken Critical Role Wiki und Critrolestats, in denen Zuschauer*innen alle Informationen rund um die Kampagnen festhalten.

Einige Beispiele, wie der Charakter von Jester aus der Kampagne von den Fans visualisiert wird.
Einige Beispiele, wie der Charakter von Jester aus der Kampagne von den Fans visualisiert wird.

Ebenso finden sich in den weiteren Kapiteln einige erinnerungswürdige Momente aus beiden Kampagnen, in denen es zu kritischen Erfolgen oder Niederlagen kam. Das beste Beispiel für Fans der ersten Kampagne ist wohl die Sache mit Keyleth und dem Goldfisch, die natürlich Erwähnung findet. Zudem werden einige One-Shots und Live-Shows sowie Zusatzformate wie die Fragen-und-Antworten-Sendung Talks Machina besprochen.

In einem abschließenden Kapitel erklären die Freund*innen, was weitere Pläne für die Zukunft sind, was sie sich von der Marke Critical Role wünschen und welche Werte sie mit ihrem Rollenspiel vermitteln wollen.

„Flawless Zemnian“ – zur deutschen Übersetzung

Bei Übersetzungen muss stets darauf geachtet werden, die ursprüngliche Aussage und den Ton möglichst unverändert wiederzugeben. Das hat das Team von Ulisses bei Die Welt von Critical Role gut umgesetzt. Gerade die Zitate der Personen in der Hauptbesetzung wirken sehr originalgetreu, wenn beispielsweise aus dem bekannten „Oh boy, oh boy“-Rufen ein deutsches „Oh Junge, oh Junge“ wird. Etwas kniffliger wird es bei den Bezeichnungen von gewissen Gruppen oder Artefakten, die in der wortwörtlichen Übersetzung etwas an Reiz verlieren. Während etwa „Vestiges of Divergence“ einen sehr dramatischen Klang hat, geht dieser bei „Überreste der Divergenz“ etwas verloren. Trotz diesen und anderen Stolpersteinen ist der Textfluss insgesamt überaus gelungen.

Für Fans oder für Neulinge?

Die Idee, ein Sachbuch für eine fantastische Welt herauszubringen, ist nicht neu. Große Marken im Serien- und Filmbereich wie Game of Thrones oder Der Herr der Ringe haben es vorgemacht. Anders ist aber, dass hier nicht hunderte Menschen an der Produktion beteiligt sind, sondern im Kern ein kleines Team. Critical Role ist zwar ein gut laufendes Unternehmen, verglichen mit größeren Bücher-, Comic- und Filmreihen aber weiterhin ein Nischenthema. Trotzdem haben sie mit weit über mehreren hundert Stunden an gestreamten Videomaterial eine Geschichte in epischer Länge erzählt.

 

Mit Die Welt von Critical Role versuchen Marsham und die restlichen Autor*innen mehrere Dinge: Zum einen wollen sie mit den Fans auf schöne, dramatische und lustige Momente einer Reise von damals über fünf Jahren zurückschauen. Zum anderen soll das Buch auch neue Menschen ohne Berührungspunkte neugierig machen, hineinzuschauen. Wer kein Problem mit Spoilern hat, bekommt eine Übersicht über einige Höhepunkte der beiden Kampagnen.

Einen Einblick hinter die Kulissen für die Produktion gibt es ebenfalls, jedoch fällt dieser vergleichsweise klein aus. Für Zuschauende der ersten Stunden gibt es abseits der Nostalgie, Bilder und Illustrationen wenig Neues zu entdecken.

Erscheinungsbild

Den Portraitfotos ist der professionelle Aufwand anzusehen.
Den Portraitfotos ist der professionelle Aufwand anzusehen.

Für die Rezension lag die PDF-Version vor, weshalb keine Aussagen zur Qualität des Hardcovers getroffen werden können. An der digitalen Fassung des Sachbuchs gibt es insgesamt wenig zu meckern. Vorne auf dem Cover sind neben der Hauptbesetzung von Critical Role eine Kombination an Charakteren der ersten beiden Kampagnen zu sehen. Auf den Seiten vor und nach dem eigentlichen Inhalt ist ein Negativ des Critical Role-Logos zu sehen. Die Fläche darum ist gefüllt mit den Namen der Unterstützer*innen des Buches, die früh genug vorbestellt hatten.

Vorne findet sich ein kurzes Inhaltsverzeichnis der insgesamt neun Kapitel. Diese sind nach Zeilen des animierten Intros für die zweite Kampagne benannt, wahrscheinlich als Wink für die Fans. Wirklich hilfreich zur Übersicht ist das gerade für Menschen ohne Kontakt zur Welt aber nicht.

Neben dem bereits erwähnten kritischen Kleinwissen stechen vor allem die Bilder aus dem 320 Seiten langen Buch hervor. Bei den Portraitfotos rund um Matt, Marisha und Co. lässt sich der professionelle Aufwand sehen. Auch die Illustrationen sind aus einem Guss und zeigen mit vielen Details einige der größten Momente aus beiden Kampagnen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ulisses Spiele, Ten Speed Press (Original)
  • Autor*in(nen): Liz Marsham (u.a)
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover, PDF
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN: 978-3963316838
  • Preis: 39,95 EUR (Hardcover) 19,95 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, DriveThruRPG

 

Fazit

Die Welt von Critical Role versucht alte Fans und Menschen ohne Vorerfahrung gleichermaßen abzuholen. In einem beschreibenden Stil erzählt Liz Marsham die Geschichte vom Start einer kleinen, privaten Runde bis zur Produktion von Critical Role mit eigener Firma und eigenem Studio.

Wer die komplette Reise der Mighty Nein erfahren möchte, sollte einen Blick auf den YouTube-Kanal werfen.
Wer die komplette Reise der Mighty Nein erfahren möchte, sollte einen Blick auf den YouTube-Kanal werfen.

Dabei lässt sie immer wieder die Hauptbesetzung zu Wort kommen, die sich an die Reise ihrer Charaktere und ihre persönliche Reise zurückerinnern. Die Lesenden bekommen das Gefühl, für einen Moment selbst mit am Tisch zu sitzen und einer spannenden Erzählung zu lauschen. Obendrauf gibt es einige atmosphärische Fotos und Zeichnungen und humorvolle Anekdoten, die das Ganze auflockern.

Die deutsche Übersetzung ist gut gelungen, wobei einige direkt übersetzte Begrifflichkeiten für Fans im ersten Moment störend wirken können. Da das Buch möglichst auch Neulinge ansprechen will, wird vieles von Anfang an erklärt. Wer auf besondere Einblicke hinter die Kulissen hofft, könnte enttäuscht werden, wer regelmäßig die Streams verfolgt, wird vermutlich schon vieles davon selbst gehört oder gesehen haben. Eine spezifische Suche gestaltet sich wegen des unklaren Inhaltsverzeichnisses eher schwierig. Insgesamt ist das Sachbuch ein nettes Geschenk, aber kein Pflichtkauf für die Critter-Community.

  • Immersiver Schreibstil, guter Lesefluss
  • Solide Übersetzung allgemein
  • Hübsche Bilder und Illustrationen
 

  • Schlechte Übersicht im Inhaltsverzeichnis
  • Wenig Neues für alte Fans

 

Artikelbilder: © Fotos: RayKachatorian, LLC., Illustrationen: Oliver Barrett, Rich Kelly, Francesca Baerald, Titelbild: © Ulisses Spiele © Ten Speed Press
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Nina Horbelt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein