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HeroQuest hat den Erfolgszug moderner Dungeon Crawler wie Descent und Gloomhaven bis hin zu Maus und Mystik erst möglich gemacht. Was ist erhalten geblieben und was das Neue an der überarbeiteten Deluxe-Edition? Und für wen ist dieses Spiel eigentlich neu aufgelegt worden?

„Du bist der Held auf der Suche nach phantastischen Abenteuern, die hinter jeder dieser Türen auf dich warten“ und dann sieht man den Goblin oder Zwerg-Ork an der Poledance-Stange. Wenige Werbespots meiner Kindheit (die ohne Song auskamen, der sich für immer in das kollektive Hirn meiner Generation bohren sollte) sind mir so gut in Erinnerung geblieben wie der von HeroQuest. Wie sehr wollte ich dieses Spiel besitzen? Doch leider ist es nicht dazu gekommen – bis jetzt.

Jahre später entdeckte ich die breiten Schachteln mit den goldenen Lettern von HeroQuest immer wieder in den Regalen von Freund*innen, aber irgendwie spielten wir nur andere Brett- oder Rollenspiele. Auch wenn zwischendurch das Thema auf epische Abende mit dem Spiel kam, besetzt mit ähnlich sentimentaler Ehrfurcht, wie wir über Star Wars oder Monkey Island sprachen. Als ich die Gelegenheit bekam, mir diese neue Version anzusehen, ging ein lang schlummernder Wunsch in Erfüllung. Ich habe mein Spiel genommen und mich aufgemacht zu einer meiner sonstigen Rollenspielrunden (allesamt erfahrene Fans der ersten Stunde) um mich von ihnen als Hexer Zargon ordentlich vermöbeln zu lassen. Diese Rezension ist das Produkt meiner ersten HeroQuest-Erfahrungen und ihrer Expertise zum Vergleich.

Das Spielmaterial in seiner ganzen Pracht.

Betreten wir nun die heiligen Hallen eines Spiels aus (ehemals) vergangener Zeit. Hierbei reden wir nicht über das phantastische Zeitalter magieerfüllter Hero*innen (das ist das Wort, das die Regeln stets verwenden), sondern über die 1980er Jahre. Eines Jahrzehnts, dessen Charme bis heute Nerd-Herzen höher schlagen lässt, gerade in Erwartung weiterer Staffeln von Stranger Things: die Zeit des Roll and move.

Spielablauf

In HeroQuest verkörpert eine Person Zargon, den bösen Hexen- und damit auch den Dungeon-Meister. Alle anderen, der bis zu Vier, teilen die heroischen Rollen, also den Barbaren, den Zwerg, die Elfe und den Zauberer unter sich auf. Von den vier elementaren Zauberschulen, mit je drei Karten für einmalige mächtige Effekte, darf sich der Zauberer zunächst einen Satz aussuchen, dann die Elfe und schlussendlich erhält der Zauberer die restlichen beiden.

Magier und Zwerg in altem und neuem Gewand.

Währenddessen studiert Zargon das Buch der Herausforderungen, in dem alle Räume des jeweiligen Szenarios und deren Gefahren und Schätze eingezeichnet sind. Zu seinen Aufgaben zählt es, im Sichtfeld der Charaktere geschlossene Türen, Möbel und Feinde zu platzieren, mit letzteren zu kämpfen und darauf zu achten, ob Fallen ausgelöst wurden.

Abwechselnd sind alle vier Charaktere in fixierter Reihenfolge dran, wonach der hinterlistige Hexer alle auf dem Brett befindlichen Schergen aktivieren darf. Alle Charaktere haben genau eine Aktion und dürfen sich vor oder nach dieser noch bewegen. Für die Bewegung werden zwei sechsseitige Würfel geworfen, so dass in jedem Zug zwischen maximal zwei und zwölf Felder gezogen werden dürfen. Da kommt der Zwerg schon mal an, wenn der Kampf schon längst vorbei ist. Oder der Magier rennt voran und steht plötzlich allein, umzingelt von Monstern – zumindest theoretisch. Eine geübte Truppe würfelt einfach so lange und positioniert sich vor der nächsten Tür, bis alle in Position stehen, denn wenn keine gegnerischen Figuren auf dem Spielfeld sind, kann Zargon nichts tun, außer zu warten.

Modernere Dungeon Crawler lassen meist einen gewissen Zeitdruck für die Charaktere aufkommen. So werden bei Gloomhaven die Handkarten weiterhin jede Runde weniger und wir gehen k.o., wenn wir keine mehr besitzen. Bei Maus und Mystik kommt Käse aufs Käserad und wenn dort sechs Stücke liegen, kommen neue Monster ins Spiel und wir verlieren eine von wenigen Zeiteinheiten. Auch bei App-gesteuerten Spielen, wie dem neuen Descent, tickt im Hintergrund die Zeit und es geschehen stetig mächtiger werdende Rundeneffekte, die uns das Abenteuer-Leben erschweren.

Alles ist größer und hübscher – auch die Karten-Rückseiten.

Hier jedoch können wir ganz vorsichtig durch den Dungeon schleichen und uns perfekt positionieren und in dieser kleinen Mechanik verbirgt sich ein wichtiges Grundverständnis des Spiels. Als Zargon versuchen wir natürlich mit allen Mitteln die plündernden Eindringlinge zu besiegen, aber wir können nur reagieren. Damit sind wir weniger aktive Gefahr in einem Brettspiel, als mehr der Dungeon-Master eines klassisch ausgerichteten Rollenspiels.

Der Fokus liegt klar auf der Seite der Hero*innen. Diese besitzen die handelsüblichen Aktionsmöglichkeiten:

  • Angreifen
  • Zauberkarte spielen (Einmal-Effekt)
  • Suchen: entweder nach Schätzen, Geheimtüren oder Fallen
  • Eine Falle entschärfen

Im Kampf (in beide Richtungen) werden immer je ein bis vier Angriffs- und Verteidigungswürfel geworfen. Potenzielle Treffer gibt es bei Totenschädeln (50 % der Würfelseiten), die Charaktere wehren jeden Treffer mit einer Drittel-Wahrscheinlichkeit ab, die Monster nur mit der verbliebenen Sechstel-Chance. Das ist so einfach, wie glückslastig und führt manchmal zu frustrierenden, andere Male zu wahrhaft heroischen Momenten: Wenn der kleine, miese Goblin, der nur einen Verteidigungswürfel hat, einfach nicht zu besiegen ist, oder der Schreckenskrieger mit drei Trefferpunkten und vier Verteidigungswürfeln zu einem One-Hit-Wonder wird.

Vier gegen einen – das ist ganz schön unfair.

Neben diesen Monstern lauern überall Gefahren auf die Charaktere in Form von Fallen. Läuft unser Barbar unachtsam auf ein Feld, welches im Buch der Herausforderungen als Falle gekennzeichnet ist, fliegen Speere, es stürzt die Decke ein oder er hinab in die Tiefe. Der Zug endet und unser Charakter erleidet Schaden. Doch auch in Schatztruhen und Möbeln kann eine Falle lauern. Wer sich also unachtsam bewegt oder nicht erst nach Fallen vor den Schätzen sucht, lebt gefährlich und gegebenenfalls nicht lange.

Ist kein Monster im eigenen Raum kann nach Schätzen gesucht werden – oder nach Geheimtüren zu mehr Räumen, in denen weitere Monster und Schätze warten. In manchen Räumen finden sich spezielle Gegenstände oder Gold, um dafür zwischen den Abenteuern am Markt einzukaufen. Wenn im Szenario nichts vermerkt ist, dürfen alle in jedem Raum für ihre Such-Aktion vom Schatzkartenstapel ziehen. Neben Gold und Tränken, verbirgt dieser zur Hälfte jedoch weitere Fallen oder Monster – also sollte auch hier weise abgewogen werden, ob und vor allem wann gesucht wird.

Wer bewacht denn da das Waffenreck?

Hat die Gruppe die Aufgabe des aktuellen der 14 Szenarien der Geschichte gemeistert, müssen sie noch zurück zum Ausgang fliehen. Sollte es keine Monster oder Fallen mehr auf dem Weg geben, kann man sich das abwechselnde Würfeln und Ziehen aber natürlich auch sparen.

Ausstattung

Das ist kein Pressholz von Poco – das sind Massiv-Möbel. Besonders die Folterbank, der Altar, der Sarkophag und der Rest aus dem Katalog moderner Dungeon-Einrichtung liegen massiv in der Hand und machen ordentlich was her. Auch die Miniaturen der Charaktere und Monster sind nicht nur 30% größer als in der ursprünglichen Version, sondern kommen in modernen, dynamischen Posen daher. Orks und Goblins gibt es sogar in weiblichen und männlichen Ausführungen.

Aus einstmaligen Papp-Plastik-Kombinationen ist Massiv-Mobiliar geworden.

Die restlichen Materialien wirken wie moderne Adaptionen des 1980er-Jahre-Charmes des Originals. Die Ursprungszeichnungen wurden aktualisiert, eingebettet, neu-koloriert und lösen so jede Menge Nostalgiegefühle aus, man bemerkt eindeutig das Upgrade in jeder Hinsicht.

Die Schachtel selbst kommt in einem deutlich praktischeren, stabileren und moderneren Format daher, wo alles, vor allem die Miniaturen, ihren Platz im jeweiligen Tiefziehteil haben. Das ist, wie stets, manchmal etwas friemelig, aber immer ordentlich.

Die Regeln sind in einem A5-Format übersichtlich gestaltet und erklären recht umfassend jeweils die zentralen Handlungsmöglichkeiten und Effekte. Das Buch der Herausforderungen ist im Breitformat sinnvoll, um es liegend unbeobachtet zu nutzen. Allerdings wäre eine eindeutige Information/Kante zur Ausrichtung des Spielplans hilfreich gewesen. Auch dieser ist vor allem größer, etwas graphisch mit Details und mit satteren Farben ausgestaltet. Der Sichtschirm beinhaltet alle relevanten Informationen für Zargon und nicht bloß Bilder der Möbel, wie im Original.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Avalon Hill, Hasbro, Asmodee
  • Autor*in: Stephen Baker
  • Erscheinungsjahr: 2022 (Original 1989)
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Spieldauer: ca. 90 Minuten pro Session bei 14 Szenarien
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4 5
  • Alter: 14+
  • Preis: ca. 150 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Es gibt eine kostenlose Begleit-App (App Store, Google Play Store), welche die Rolle von Zargon übernimmt und so das Solospiel oder rein kooperative Abenteuer, maximal zu viert, gegen die KI ermöglicht. Die Texte sind auf Deutsch enthalten, die Audio-Ausgabe auf Englisch.

Die Fanbase hat über die Jahre eine Fülle an mehr oder minder komplexen Regelerweiterungen oder -alternativen im Netz gesammelt.

Das Ye Olde Inn ist ein Portal, was in über einem Dutzend Sprachen erhältlich ist.

Das Revised Rules System, die Imperial Academy, die Revised Edition oder die Enhanced Rules ergänzen Erfahrungspunkte, individuelles Charakterdesign bis hin zu Stadtbau, um die HeroQuest-Erfahrung zu erweitern.

Fazit

Das originale Crowdfunding für diese Edition hat 3,7 Millionen Dollar eingespielt und es wurde genau das geliefert, was dort versprochen wurde: Eine wirklich schöne neue Edition eines Brettspiel-Klassikers, dessen Einfluss auf ein ganzes Genre moderner Kickstarter-Projekte unbestreitbar ist. Doch ist es ein gutes Spiel im Hinblick auf die Fülle der ganzen Konkurrenz-Produkte?

Der Zeichenstil der Karten verbindet klassische Elemente mit neuem Design.

Wenn die gute Seite taktisch vorgeht, kann sie kaum verlieren, durch ein Ungleichgewicht beim Würfeln, können schon mal ein oder zwei Charaktere schnell aus dem Spiel sein und wenn das sehr früh passiert, so wendet sich das Blatt ebenso schnell. Zwei Würfel für die Bewegungsreichweite – das kennen wir sonst nur vom bekanntesten Spiel aller Zeiten, das sich auch immer noch gut verkauft, auch wenn die Regeln alles andere als zeitgemäß sind. Es gibt gute Gründe, warum der Bewegungswurf mittlerweile durch meist fixe Bewegungspunkte, Aktionspunkte, Anstrengung oder ähnlichen Elemente abgelöst wurde.

Wer Spieltiefe sucht, Charakterentwicklung, eine packende Story oder dergleichen, sollte sicher besser zu einer der vielen, moderneren Alternativen da draußen greifen. Kinder und Jugendliche, die mit komplexeren Charaktererschaffungen und Kampfsystemen noch etwas überfordert sein könnten, können mit dem Rollenspiel light vielleicht angefixt werden. Hier irritiert dann allerdings die Anhebung des Mindestalters von neun auf 14 Jahre.

Wer mit seinen Freund*innen zusammenkommen will, um in alten Zeiten zu schwelgen und neben dem Quatschen ein paar Skelette zu verdreschen, kann eine Menge Spaß haben, wenn man das Spiel nicht zu ernst nimmt. Vielleicht gibt es ja irgendwo bereits, wie bei anderen Klassikern, eine Trinkspielvariante?

Gruppieren: Die Charaktere haben alle Zeit sich perfekt zu positionieren.

Was wäre passiert, wenn hier ein modernes Spielteam ein neues Regelsystem ersonnen hätte? Vermutlich das gleiche wie bei Episode 8. Ein guter Teil der Star Wars-Fanbase war vom siebten Teil enttäuscht, weil er doch nur den Plot des vierten wiederholte. Aber dann stellte es sich als viel größeres Verbrechen heraus, mit dem achten ganz andere Wege einzuschlagen und damit einen Film zu produzieren, der eben „nicht mehr“ Star Wars sei. Dann bleibt man doch lieber bei den eigenen Leisten und gibt den Leuten ein Nostalgie-Produkt, was dann immerhin „echt“ ist. Für ein anspruchsvolleres Spiel, findet ihr Hinweise zu alternativen Regelsystemen im Bonusbereich.

Ich überlege mir indes, ob ich mir nicht einen unerfüllten und lang gehegten Kindertraum zulegen soll, mit der brandneuen Edition von Bravo Traube.

  • Hochwertige Komponenten
  • Leichter Einstieg
  • Nostalgie-Gefühl
 

  • Unzeitgemäßes Regelsystem
  • Großer Glücksfaktor
  • Eher Einstiegsrollenspiel, als Brettspiel

 

Artikelbilder: © Hasbro
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Sabrina Plote
Fotografien: Daniel Hoffmann
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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