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Cinderella ist tot, und mit ihr das, was Leser*innen von „Sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“ erwarten. Zweihundert Jahre nach der Hochzeit zwischen dem Prinzen und Cinderella gleicht das Reich einem Alptraum, zumindest für das weibliche Geschlecht. Kann Sophia den Schrecken beenden?

Das Leben der Menschen, vor allem der Frauen, im Reich Mersailles stellt sich düster und trist dar: Jedes Jahr findet ein Ball statt, an dem junge Frauen von Männern als Ehefrauen auserwählt werden. Gelingt dies einer Frau bis zu ihrem dritten Ball nicht, gilt sie als vogelfrei, was den fast sicheren Tod bedeutet. Doch auch die Ehe ist grausam, denn der Mann hat das Recht, über seine Frau zu verfügen, was teilweise mit Gewalt einhergeht. Rebellion gegen diese Gepflogenheit scheint es nicht zu geben, die meisten Bürger*innen glauben die vom König in Umlauf gebrachte, uns als Cinderella oder Aschenputtel bekannte Geschichte und fügen sich ihrem Schicksal. Einzelne Umsturzversuche verliefen im Sande und diejenigen, die sie anführten, verschwanden auf Nimmerwiedersehen.

Sophia begehrt gegen diese althergebrachten Traditionen auf. Zum einen möchte sie als lesbische Frau, die zudem in einer Beziehung ist, nicht heiraten, und zum anderen erkennt sie die Grausamkeiten, denen Frauen im Reich ausgesetzt sind und möchte sich diesem Schicksal nicht fügen. Nach dem diesjährigen Ball überschlagen sich die Ereignisse und Sophia muss alles auf eine Karte setzen, um für sich und alle anderen Frauen den Weg in eine bessere Zukunft zu ebnen. Denn vielleicht war Cinderellas Schicksal doch ein ganz anderes als das, was die Legende des Königs besagt.

Handlung & Charaktere

Die Prämisse des Buches fasziniert und weckt sofort Neugier: Eine Märchenadaption, die sich Diversität und Feminismus auf die Fahne schreibt. Leider schlägt diese Faszination schnell in Enttäuschung um. Die Charaktere sind flach gezeichnet, und auch die Handlung wirkt wie auf dem Reißbrett entworfen.

Sophia handelt ohne gut ausgestaltete Motivation und ohne nachvollziehbare Beweggründe für ihr Tun. Obwohl es schnell offensichtlich wird, dass sie mit allem nicht einverstanden ist, scheint es belanglos, warum dies gerade bei ihr der Fall ist. Der Protagonistin ist eine gewisse Beliebigkeit zu eigen, sie könnte jederzeit durch eine andere Figur ausgetauscht werden. Auch ihre sexuelle Orientierung, die offenkundig eine Besonderheit im Reich Mersailles darstellt, wird lieblos abgehandelt, die Liebesbeziehung zu einer Mitbürgerin ohne gegenseitige Anziehung dargestellt. Bei allen anderen Charakteren, die größere Rollen in der Geschichte spielen, ist dies ähnlich.

Beziehungen zwischen den Hauptfiguren folgen demselben Muster. Selbst Liebe scheint einfach zu passieren und austauschbar zu sein. Es wird nicht ersichtlich, warum Menschen zueinander hingezogen sind.

Die Erwartung, dass Stereotype nicht bedient werden, verfliegt ebenfalls schnell: Frauen sind in der Regel grundlegend gut und Männer schlecht. Hierbei gibt es keine Graustufen, allenfalls Ignoranz gegenüber den offenkundigen gesellschaftlichen Gegebenheiten. Die einzige Ausnahme bildet ein Äquivalent zum schwulen besten Freund, der auch leider dem Stereotyp entspricht und dementsprechend sehr nett ist.

Der König als Antagonist der Geschichte bleibt ebenfalls flach. Er wird als das personifizierte Böse dargestellt, jedoch erscheint seine Bosheit oberflächlich und eindimensional. Lesende warten vergeblich auf Hintergründe seines Verhaltens, die über reinen Frauenhass hinausgehen. Und selbst dieser wird nur unzureichend begründet.

Schreibstil

Die Sprache des Romans wirkt einfach, was leider zum Gesamtbild von Cinderella ist tot passt. Es gelingt der Autorin selten, eine immersives Leseerlebnis heraufzubeschwören. Vielmehr wahrt die Leserschaft meistens die Distanz zum Geschehen, was zum einen an den unzugänglichen Charakteren, zum anderen aber auch an einer fehlenden bildhaften Schreibweise liegt.

Auch das Reich Mersailles lässt zu wünschen übrig: Die Leserschaft erfährt zwar grundlegendes über die Stadt Lille, in der der König residiert, doch der Rest bleibt im Nebel. Leider verschenkt die Autorin auch mit diesem unzureichenden Weltenbau einiges an Potenzial, könnte man hier doch beispielsweise das Märchenhafte der Geschichte betonen.

Generell bleiben einige Handlungsstränge, die im Roman angefangen werden, unausgegoren oder werden schlicht nicht ausreichend weitererzählt. Ein Plottwist gegen Ende, der zugegebenermaßen nicht ganz so vorhersehbar wie der Rest der Handlung ist, macht diese generelle Schwäche leider nicht wett.

Allgemeines zum Buch

Kalynn Bayron wohnt mit ihrer Familie in Texas, USA, und ist ausgebildete Sängerin. Cinderella ist tot ist ihr Debüt und ihr einziger Roman, der auf Deutsch vorliegt. Als Young-Adult-Roman ausgewiesen, eignet er sich nach Meinung von Teilzeithelden für Jugendliche ab 16 Jahren.

Ein Pluspunkt des Buches ist das ungewöhnliche Cover, das auf blauem Grund das Porträt einer jungen Frau zeigt, die augenscheinlich nach einem Kampf gemalt wurde. Diese Zeichnung ist optisch sehr ansprechend gestaltet und hebt das Buch von der Masse ab.

 Die harten Fakten:

  • Verlag: Heyne
  • Autor*in: Kalynn Bayron
  • Erscheinungsdatum:14.06.2022
  • Sprache: Deutsch (aus dem Englischen übersetzt von Antonia Zauner)
  • Format: Gebundenes Buch
  • Seitenanzahl: 384
  • ISBN: 978-3-453-32190-8
  • Preis: 18 EUR (Print) + 13,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon (deutsch und englisch), idealo

Fazit

Die junge Sophia begehrt im Märchenreich Mersailles zweihundert Jahre nach Cinderellas Hochzeit mit dem Prinzen auf und möchte sich nicht länger mit der Unterdrückung von und Gewalt gegen Frauen abfinden. Gemeinsam mit Mitstreiterinnen zieht es sie zum Königshaus, um die dortigen Verhältnisse für immer zu ändern.

Trotz spannender Idee, die das Potenzial hätte, uns einmal auf eine ganz andere Weise in Cinderellas Königreich zu locken, und einem äußerst ansprechend gestalteten Cover, enttäuscht die diverse Märchenadaption Cinderella ist tot. Die Charaktere bleiben flach, der Sprachstil ist einfach und der Plot plätschert vor sich hin. Leider können wir keine Leseempfehlung aussprechen.

  • Interessante Grundidee
  • Ansprechendes Cover

  • Charaktere bleiben blass
  • Wenig Spannung
  • Kaum Weltenbau

 

Artikelbilder : © Heyne Verlag
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Simon Burandt
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

1 Kommentar

  1. Sie glauben kaum, wie sehr ich mich über diese Rezension freue; zeigt sie doch, das der allgegenwärtige hang nach diversitärem Aufteilen der Gesellschaft und dem erschlagen von Geschichten durch ein möglichst breites Spektrum an popmodernen Pseudfoidealbildern nicht immer Anklang findet und man noch den Mut hat zu sagen: es ist nicht gut, auch wenn es dem Zeitgeist entspricht.
    Somit bleiben die TZH für mich auch weiterhin interessant auf der Spur neuer Bücher und anderem.
    Danke.

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