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In der Finsternis des Weltraums liegt das schwarze Loch Ablassen, das nagendes Unbehagen über die Station Erebos bringt. Doch nun ist etwas noch Schlimmeres über die Mitarbeiter*innen und Häftlinge in der Station gekommen. Wehe, den armen Seelen, die unvorbereitet in dieses Grauen stolpern. 

Für das ALIEN RPG von Free League Publishing sind die sogenannten Cinematic Scenarios das Herzstück. Das sind Rollenspielszenarien, die als One Shot gespielt werden und in der Regel als Box erscheinen. Nach Chariot of the Gods im Starterset und Destroyer of Worlds, kommt nun Heart of Darkness. Dieses schickt eine Gruppe Wissenschaftler*innen als SC zur Raumstation Erebos am Rande des Schwarzen Loches Ablassen. 

 

Achtung, die Handlung des Szenarios wird gespoilert! Dieser Ersteindruck basiert auf der physischen Box, die gründlich durchgelesen und -geschaut wurde. 

Der Plot … 

Das Cinematic Scenario Heart of Darkness beginnt mit der Ankunft der SC mit dem Raumschiff Cetorhina an der Raumstation Erebos. Sie sind hauptsächlich Wissenschaftler*innen, die im Auftrag des ikonischen Megakonzerns Weyland-Yutani eine neue Lebensform aus Plasma untersuchen sollen. Diese Lebensform, die sogenannten Hessdalen Lights, wurden von Kollektoren der Station aufgesammelt, da die Station zur kommerziellen Energiegewinnung von Plasma aus dem Rand des Schwarzen Lochs Ablassen dient.  

Doch ohne Wissen des Konzerns (und damit der SC), haben die Hessdalen Lights, gemeinsam mit einer anderen bizarren Lebensform, jedoch bereits begonnen, die Station in einen biomechanischen Alptraum zu verwandeln. Diese anderen Wesenheiten sind die sogenannten Fulfremen. Bisher weiß niemand, dass sie mutierte Überlebende einer vergangenen Weyland-Yutani Expedition nach 26 Draconis (beides aus dem Szenarios Chariot of the Gods) sind. Sie kamen auf die Station, weil die Crew der Erebos ein mysteriöses Objekt barg, ohne zu ahnen, dass es sich dabei um die stark veränderte Cheiron handelte, das Landungsboot der verschollenen Expedition. Lebende Meteoriten, ebenfalls erzeugt von den Fulfremen, bringen das Schiff der SC dazu, mit der Erebos zu kollidieren. So bleibt den Charakteren nichts anderes übrig, als sich in die Hölle der Station zu wagen, um notwendige Ersatzteile für die Reparatur zu suchen. 

Dort werden sie sich den schrecklichen und tödlichen Veränderungen der Station stellen müssen. Darunter sind Abominations und Deacons, weitere tödliche Kreaturen, die dieser Living Hive hervorbringt und die in allen Varianten eine Gefahr für die Figuren bedeuten. Als wäre das nicht schlimm genug, gibt es noch einen Gefängnisaufstand auf Erebos, denn die meisten Arbeiter*innen waren inhaftierte Schwerkriminelle.  

Früher oder später werden die Gestrandeten auf die Fulfremen treffen, die ihnen die Wahl lassen: Entweder helfen sie ihnen, den besiedelten Raum zu infizieren und die Menschheit ebenfalls in Fulfremen zu verwandeln, oder sie werden überwältigt und ebenfalls mutiert. 

Da die SC relativ frei agieren können, wenn sie den Wesen Zusammenarbeit versprochen haben, können sie im Grunde versuchen, eine von drei Optionen umzusetzen: 1. Tatsächlich den Fulfremen helfen, 2. Die Station und alles darauf zerstören und/oder 3. Versuchen zu fliehen. Letzteres wird dadurch erschwert, dass der Living Hive begonnen hat, die Cetorhina zu assimilieren. Der Überlichtantrieb soll nämlich genutzt werden, um die Station durch den menschlichen Raum zu bringen und die mutagene Substanz zu verbreiten, die die SC für die Fulfremen auf dem Schiff besorgen sollen. Diese Substanz, die sogenannte 26 Draconis Strain, kann aus verschiedenen Quellen gewonnen werden und mit dem richtigen Wissen auch in eine mächtige Waffe gegen die Wesen umgewandelt werden. 

… und seine Löcher, … 

Die oben genannte Story hat leider viele Löcher. Das fängt schon bei der Grundlage an: Während der Cronus-Expedition aus Chariot of the Gods, die Jahrzehnte vor der eigentlichen Handlung stattfand, wurde ein Landeboot mit der Hälfte der Crew abgeworfen, aus Angst sie könnten durch das fehlerhafte Heilmittel 26 Draconis Strain mutieren. Wie Heart of Darkness aber beschreibt, kollabierte kurz darauf ein Stern des namensgebenden Systems durch eine Vorrichtung der Engineers. Bei diesem apokalyptischen Ereignis wurde das System zerstört und das Schwarze Loch entstand. Nur dem Landungsboot scheint das nichts ausgemacht zu haben. Es wurde auch nicht von der gewaltigen Macht des Lochs verschluckt.  

Netterweise hat das Stationspersonal der Erebos, die mittlerweile stark veränderte Cheiron ohne nennbaren Grund und ohne jede Sicherheitsvorkehrung an Bord geholt, obwohl gerade Weyland-Yutani wissen müsste, dass das unkontrolliert schnell zur Katastrophe führen kann. Was nicht das einzig unglaubwürdige Verhalten von NSC ist. So bekriegt sich der Sicherheitschef der Station lieber mit einer Gefangenen, mit der er eine Vergangenheit hat, statt eine Fluchtmöglichkeit zu suchen.  

© Fria Ligan/Free League Publishing

Die Nähe zum Schwarzen Loch, so wird es beschrieben und sogar regeltechnisch festgelegt, führt ohne Medikamente recht schnell zu Psychosen … aber nur bei willkürlich ausgewählten NSC. Andere scheinen völlig unberührt davon. Und warum jemand auf die Idee kam, in so einer Umgebung Verbrecher*innen statt Syntheten einzusetzen, während Syntheten als Gefängniswärter genutzt werden, ist auch nicht nachzuvollziehen. 

Auch die Fulfremen handeln nicht konsequent und manches ist einfach nicht nachzuvollziehen. So liegt eine mögliche Lösung für ihr Problem direkt vor ihrer Nase. Dass sie diese nicht ergreifen, wird mit einer Einschränkung ihrer Sinne erklärt, während aber einfach die Augen zu nutzen völlig gereicht hätte. 

Diese Beispiele sind leider nicht abschließend. Die ohnehin schon überfrachte Geschichte gerät so zu einem Gebilde kaum durchdachter Ideen, bei dem alles stets so ist, wie der Autor es sich gerade vorstellt. Doch dabei gehen Glaubwürdigkeit und Worldbuilding zu Bruch. 

… mit schwierigen Inhalten …  

Leider gibt es noch weitere Kritikpunkte, die Heart of Darkness zu einem schwierigen Szenario machen. Zum einen ist da die potentielle Tödlichkeit für SC. An sich gehört diese zum allgemeinen Setting und Feeling des ALIEN RPG dazu, aber hier scheint es von Anfang an eine Spur zu dick. Alleine an Antagonist*innen stehen Häftlinge, Sicherheitssyntheten, Abominations, Deacons und Fulfremen zur Auswahl. Jeder von diesen ist kampfstärker als die meisten SC, die hauptsächlich Wissenschaftler*innen sind.  

Hinzu kommen Umweltgefahren, reichlich Wege sich mit etwas zu infizieren, um anschließend zu mutieren, sowie die ständige Gefahr, durch die Strahlung des Schwarzen Lochs verrückt zu werden. Tipps, wie man im Gegenzug mit dem Verlust von Charakteren umgeht, gibt es nicht. Es gibt ein paar benannte NSC, diese sind aber erstens nicht wirklich als SC aufbereitet und zweitens kaum gruppentauglich. 

Während dies „nur“ eine Fehlstelle ist, die mit Eigenarbeit gefüllt werden muss, stößt eine Weisung des Autors direkt sauer auf. Mehrfach wird, gerade gegen Ende des Hefts, geschrieben, dass man die SC nicht entkommen lassen soll, egal wie gut, kreativ und intelligent sich die Spieler*innen anstellen. Das ist unmissverständlich ausgedrückt. Es gibt sogar einen Kasten, der beschreibt, wie man im Epilog selbst dann noch die Charaktere töten kann, wenn sie es doch lebend hinausgeschafft haben. Die Überschrift des Kastens: „The Final Fuck You!“ Warum das alles? Einfach nur, weil der Autor es gerne so will. Natürlich kann jede SL das einfach ignorieren, aber es ändert nichts daran, dass etwas in eine professionelle Publikation eingeflossen ist, was die Regeln sozialen Verhaltens am Spieltisch drastisch verletzt. 

© Fria Ligan/Free League Publishing

… in mangelhafter Strukturierung 

Wie schon seine Vorgänger, ist das Szenario gleichzeitig eine Mini-Sandbox und in drei Akte eingeteilt. In den Cinematic Scenarios übernehmen die Akte die Funktion, zu schauen, ob die Spieler*innen ihre auf die Charaktere zugeschnittenen, persönlichen Agenden verfolgt haben und diese dann dem neuen Akt anzupassen. Doch wie schon in Chariot of the Gods wirken die Akte sehr willkürlich eingeteilt. Wann sie beginnen, kann die Spielleitung im Grunde beliebig festlegen, indem ein bestimmtes Ereignis einfach stattfindet. Das widerspricht aber irgendwie dem Konzept dramaturgischer Abschnitte und das Ganze wirkt künstlich aufgesetzt. 

Dieser Widerspruch wäre weniger problematisch, würden dadurch die Informationen über das Szenario nicht so stark zerrissen. So werden die einzelnen Räumlichkeiten auf der Erebos, der Sandboxanteil, in einem Teil des Heftes beschrieben, die Ereignisse der Akte aber an anderer Stelle. Zwar gibt es einige Seitenverweise, aber es wird zwangläufig viel geblättert werden müssen. Wenn die wichtigen Ereignisse direkt bei der entsprechenden Raumbeschreibung stehen würden, wäre das wesentlich praktischer für die Spielleitung. 

Leider sind Orte und Ereignisse aber auch nur zwei Arten von Dingen, die man wissen muss. Es gibt viele andere Aspekte, die komplett über das Heft verstreut sind. Leider sind es Sachen, die die Spielleitung verstanden haben sollte, um Heart of Darkness leiten zu können: von der Chronologie der wichtigen Ereignisse über die Antwort zur Frage, was es genau mit den Fulfremen oder Hessdalen Lights auf sich hat, bis hin zu Details über NSC. Wer kein super Gedächtnis hat, wird alles aus vielen Puzzlestücken zusammenschreiben müssen. 

Die Lesbarkeit ist bei der Vorbereitung schon sehr anstrengend und die Möglichkeit zum Nachschlagen am Spieltisch damit schwierig bis gar nicht gegeben. 

© Fria Ligan/Free League Publishing

Die anderen Inhalte der Box 

In der Box sind, neben dem Szenarioheft, noch ein Satz Karten, Spielbögen der vorgefertigten Charaktere, Handouts und zwei Übersichtskarten enthalten. 

Die Karten beinhalten die persönlichen Agendas der SC für jeden Akt, besondere psychologische Effekte, die auf der Station auftreten können, sowie ein paar Ausrüstungsgegenstände. Alles davon ist zweckmäßig und es ist durchaus günstig, diese Dinge als Karten auszuteilen zu können. 

Die Charaktere sind durchaus vielfältig gestaltet und passen zur Prämisse des Szenarios. Wie erwähnt besteht allerdings die Gefahr, dass sie schnell dahinscheiden, da sie teilweise nur zwei Trefferpunkte haben. Die Vorderseite der Bögen beinhaltet ein Portrait, alle gut gelungen, Spielwerte und Ausrüstung in Kurzfassung sowie den Hintergrund der Figur. Die Rückseite ist eine ausgefüllte Version des Standardcharakterbogens des ALIEN RPG. Es stört, dass die Eintragungen allerdings mit einem Font gemacht wurden, der eine Handschrift darstellt. Das erschwert ein schnelles Überfliegen und wirkt optisch unpassend. 

Die Handouts bestehen aus zwei Bögen. Auf dem einen sind drei kleinere Handouts, die allerdings nicht gestanzt sind und ausgeschnitten werden müssen. Der andere Bogen wird von einer ganzseitigen Auflistung von Logbucheinträgen eingenommen, die den Eindruck eines einzigen, umfangreichen Handouts machen. Dem Heft nach sollen sie jedoch einzeln ausgegeben werden, müssten daher auseinandergeschnitten werden. Dabei würden diese Schnipsel einen unattraktiven Eindruck machen. Damit sind die Handouts enttäuschend, da sie nicht besonders ansprechend gestaltet sind und selbst Hand angelegt werden muss, was den Eindruck weiter schmälert. 

Die Übersichtskarten wiederum sind gut gestaltet. Eine kleinere von etwa A3 (es wird ein US-Format verwendet) zeigt auf einer Seite das Landungsboot Cheiron und auf der anderen die Cetorhina. Die größere Karte von etwa A1 zeigt auf ihren beiden Seiten alle Ebenen der Station. An deren Gestaltung gibt es nichts auszusetzen. Es sei jedoch gesagt, dass alle Karten die Schiffe oder Station im Ursprungszustand darstellen. Im Spiel bedeutet das damit für alle etwas geistige Übertragungsarbeit, wenn Schäden oder Umformungen beschrieben werden. 

Erscheinungsbild 

Was wieder einmal reichlich vorhanden ist, sind Karten der verschiedenen (möglichen) Handlungsorte. Diese sind brauchbar, um die Übersicht zu behalten und tragen mit passendem Design auch zur Atmosphäre bei. 

Die Illustrationen vermitteln gut die Grundstimmung, die vorherrscht. Auch sind die erstmals beschriebenen Deacons und Fulfremen abgebildet. Letztere sind stark von HR Giger inspiriert, auch im Stil. Leider fügt es sich damit nicht ganz in das Gesamterscheinungsbild des Spiels ein. 

Ein größeres Manko gab es leider in Sachen Verarbeitung: Die Klebung des Heftumschlags hat sich, trotz schonender Behandlung, an einer Seite abgelöst. 

© Fria Ligan/Free League Publishing

Die harten Fakten: 

  • Verlag: Free League Publishing 
  • Autor: Andrew E.C. Gaska 
  • Erscheinungsjahr: 2022 
  • Sprache: Englisch 
  • Format: Box, PDF 
  • Seitenanzahl: 70 
  • ISBN: 9789189143234 (Box) 
  • Preis: 32,95 EUR (Box + PDF) / 17,99 USD (PDF) 
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, DriveThruRPG, Sphärenmeister 

 

Fazit

Bewertet man Heart of Darkness aus der Sicht einer Spielleitung, die dieses Szenario lesen und vorbereiten muss, fällt das Produkt durch. Das erste große Hindernis ist die Struktur, die Informationen zu fast jedem Thema völlig zerreißt. Will man beispielsweise das komplette Bild zu Fulfremen, Hessdalen Lights, Deacons und ihrem Zusammenspiel haben, dann findet man die Informationsschnipsel verteilt über das ganze Heft. Und das, obwohl sie alle ihren eigenen Abschnitt haben. Auch eine richtige Chronologie aller Ereignisse sollte eigentlich gegeben sein, und sie sollte auf jeden Fall die Ereignisse aus Chariot of the Gods enthalten. Dieses andere Szenario wird oft angesprochen und vieles daraus bildet auch die Grundlage für Heart of Darkness. Dennoch wird mit einer Zusammenfassung gegeizt. 

Leider ist die Geschichte, die man herausarbeiten muss, voll gravierender Logikfehler, nicht nachzuvollziehender Handlungen und gekünstelter Hindernisse. Dabei wurde ein wichtiger Punkt noch gar nicht angesprochen: Mit den Filmen des ALIEN-Franchises hat das Szenario eigentlich nichts zu tun, abgesehen von einigen bekannten Namen. Deacons und Abominations kamen zwar in Prometheus vor, aber nur sehr kurz und in anderem Kontext. Außerdem haben beide auch in diesem Szenario keine tragende Rolle. 

Die Frage ist in diesem Sinne: Will man Arbeit dafür hineinstecken? Arbeit, die vorbereitete Szenarien der SL eigentlich abnehmen sollen? Für ein Szenario, auf dem ALIEN draufsteht, aber nicht drinsteckt? In der Gesamtbetrachtung ist es ein klares Nein! Das Szenario ist, auch wenn es hart klingt, Zeitaufwand und Geld nicht wert, betrachtet man es aus SL-Perspektive.  

Ein Spieltest steht noch aus, um zu zeigen, wie es bei Spieler*innen ankommt. 

  • Gute Übersichtskarten 

  • Illustrationen neuer Kreaturen 

 

  • Völlig unübersichtliche Struktur 

  • Fehlen von Logik und Glaubwürdigkeit 

  • Weit vom Franchise entfernt 


Artikelbilder: © Fria Ligan/Free League Publishing 

Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Saskia Harendt 
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.  

Joshua Wulf

Joshua Wulf ist studierter Althistoriker und lebt in seiner Wahlheimat Leipzig. Das Jahr 2010 machte das Pen&Paper-Rollenspiel im Nu zu seinem Lieblingshobby, und er leitet seitdem private Runden und auf der Lindencon. Zum Tischrollenspiel unterhält er einen eigenen Blog, John Doe’s RPG Manor.

1 Kommentar

  1. Die nötigen Informationen für die Spielleitung sind nicht nur quer im ganzen Heft verstreut, wesentliche Infomationen zum Hintergrund und zur Motivation einzelner SCs kann man nur dann nachvollziehen, wenn man die Quellenbücher gelesen hat und weiss wo man suchen muss. Da wäre eine Zusammenfassung oder zumindest der eine oder andere Verweis sehr hilfreich gewesen.

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