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In der Mörk Borg Cult-Reihe erscheinen Community-Inhalte und Erweiterungen der Autoren des Regelwerks. Durch die Erweiterung Ikhon können die SC in den Besitz grauenerregender Ikonen längst vergessener Gottheiten gelangen. Diese mächtigen Wesen anzurufen ist einfach, doch sie zu besänftigen oder sich gar ihrer Hilfe zu versichern bedarf blutiger Opfer.

Gehörnte Unterstützung.

„Four Profane Profound: age-old and nigh-forgotten folk gods shackled within“ verspricht der Text auf der Innenseite der kleinen, schwarzen Box mit der zittrigen Aufschrift „I know“. Wie nahezu alles andere in der verrotteten Welt des Doom-Metal-Dungeon-Crawlers Mörk Borg kann der Umgang mit diesen Entitäten zum Tod oder Schlimmerem führen. Und wenn die SC nicht im gnadenlosen Reich einer vergessenen Gottheit enden, so können sie sich sicher sein, dass sie über kurz oder lang die Aufmerksamkeit der Kirche der zweiköpfigen Basilisken auf sich ziehen.

Die Scherg*innen der Inquisition verfolgen alle Häretiker*innen gnadenlos und halten stets Holz für neue Scheiterhaufen bereit. Das Layout der Box und der vier Hefte darin stammt wie gewohnt von Johan Nohr, der Text von Pelle Nilson, die Illustrationen kommen zum ersten Mal vom südamerikanischen Künstler Samuel Araya.

Dieser Artikel gibt einen Überblick über den Inhalt der kleinen Spielerweiterung, die im Rahmen des Kickstarters zur Erweiterung Heretic finanziert wurde und seit kurzem auch im Handel verfügbar ist.

Triggerwarnungen

Body Horror, Gewalt, Tod, Spinnen

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Inhalt

Vorweg: Mörk Borg bleibt ein System, das man allein mit dem Grundregelwerk und ohne jede Erweiterung spielen kann. Vor kurzem erschien mit der Bare Bones Edition sogar eine Fassung (fast) ohne jede Illustration und ohne den kreativen, aber auch etwas unübersichtlichen Satz des originalen Regelwerks. Diese Ausgabe für alle Freund*innen der Übersichtlichkeit ist zusammen mit dem Abenteuer Rotblack Sludge bereits für einen Dollar downloadbar.

Allen, die Interesse haben, bieten die Erweiterungen Feretory und Heretic einen Fundus ebenso interessanter wie abstoßender Ideen, wobei „abstoßend“ für alles, was mit dem System zusammenhängt, nur als Lob verstanden werden kann. Ein großer Reiz der Erweiterungen liegt auch stets in deren gestalterischer Aufbereitung. Regelwerk und Erweiterungen sind ein Schmuckstück im Rollenspielregal, natürlich gesetzt dem Fall, dass man ein*e Freund*in der reichlich düster-nihilistischen Gestaltung ist. Gleiches kann auch über Ikhon gesagt werden: Notwendig zum Spielen ist es nicht, aber seine Verwendung bereichert das Spiel.

Der Story-Hintergrund der Erweiterung lässt sich knapp zusammenfassen: Nechrubel, Gott des Untergangs und Verfalls, schuf „ancient god vessels of cured skin and soot-black wood“. Die genaue Natur dieser Gefäße wird nicht näher geschildert. Eindeutig ist nur, dass die zweiköpfigen Basilisken, die eine Art religiöses Monopol für sich in Anspruch nehmen, sie hassen. Schließlich ermöglichen es die Ikonen, vier alte Gottheiten anzurufen.

The Silkfiend.

„The Becklure“ ist die unbarmherzige Verkörperung aller Ertrunkenen, die arme Seelen in die Tiefe lockt.

„The Bilkherd“ ist eine Art Hirten-Gottheit, die zwischen Fürsorge für ihre Schäfchen und fehlgeleiteten Rachegelüsten schwankt.

„The Silkfiend“ ist ein Teil Nechrubels selbst, den dieser einst von sich warf, erfüllt von unheiligem Leben und mit krabbelnden Gliedern.

„The Old Dead“ ist das erste Wesen, das jemals starb. Als ewiger Narr betrügt es die Sterblichen und soll damit sogar Nechrubel zum Lachen reizen können.

Ganz eindeutig ist also keine dieser Entitäten besonders freundlich oder barmherzig. Jede Anrufung kann dementsprechend nur allzu leicht einen massiven Nachteil für die SC bedeuten.

Die Regeln von Ikhon.

Wie funktioniert diese Anrufung nun aber auf Regelebene? Sobald ein SC, wie auch immer, in den Besitz einer Ikone gekommen ist, kann er die alten Gottheiten anrufen. Um zu bestimmen, welche Entität in Erscheinung tritt, wird entweder eines der vier Büchlein gezogen oder ein W4 gewürfelt. Anschließend wird mit einem W8 eine der zehn möglichen Antworten ausgewürfelt.

Moment! Ein W8 und zehn mögliche Resultate? Ja, denn es ist möglich, einen Bonus für den Würfelwurf zu erhalten, wenn man eine von zwei grausamen Erwartungen erfüllt: Ein freiwilliges Menschenopfer gibt einen +1-Bonus. Einen weiteren +1-Bonus gibt es für jedes „relevante“ Körperteil, das der*die Träger*in der der Ikone opfert. Der Bonus kann dabei +3 nicht übersteigen. Eines dieser Opfer sollte in jedem Fall gebracht werden, denn die Antwort der Gottheiten auf eine gewürfelte 1 ohne Bonus kommt einem unverrückbaren Todesurteil gleich: Die SC folgen dem hypnotischen Ruf des Becklure in die schwarzen Wasser; die Stampede des Bilkherd zermalmt ihre Knochen unter ihren erbarmungslosen Hufen; der Silkfiend verschlingt die Seele eines*r Unglücklichen, während der Körper zu karmesinrotem Staub zerfällt, und der Old Dead pflückt Köpfe von Schultern, um sie als Hagelsturm niedergehen zu lassen.

All dies möchte man vermutlich eher vermeiden. Die ersten vier Antworten jeder Gottheit sind entweder sehr unangenehm oder potenziell tödlich: Die SC werden zu chronischen Lügner*innen; sie erleiden aufgrund kakophonischer Fiedelklänge permanent einen Verlust an Aufmerksamkeit (beziehungsweise „Presence“); sie verlieren zufälliges Eigentum oder ihre Augen fallen aus und wachsen als Spinnenaugen nach. Das größtmögliche Opfer liegt also nahe.

In den Fängen des „Becklure“.

Bei einem Würfelergebnis ab 5 sind die Gottheiten indes wohlgesonnen. Ihre Gaben reichen von einfachen Segnungen, wie Heilung oder der Fähigkeit, eine Person einzuschläfern, bis hin zu mächtigen Zaubern. Beispielsweise reißen schlangenartige Wassersäulen Feinde in die Tiefe und ersäufen sie dort (The Becklure); das verwesende und abscheuliche „Lamb from beneath the mud“ verschlingt ein gewünschtes Ziel (The Bilkherd); massive Spinnenbeine fallen vom Himmel herab und richten bei den von den SC designierten Widersacher*innen großen Schaden an (The Silkfiend) oder die SC sind für eine Woche gesättigt – wenn auch unendlich gelangweilt und mit dem unwiderstehlichen Drang, sich jeden Abend besinnungslos zu besaufen (The Old Dead).

Die Gunst des „Old Dead“.

Das Eingreifen der Gottheiten kann also unendlich machtvolle Konsequenzen haben und unüberwindbare Feinde der SC ohne weiteres bezwingen. Doch ebenso leicht kann der Effekt kaum der Rede wert oder – selbst bei großen Opfern – äußerst schädlich sein. Ein Ergebnis von 4 ist auch bei drei Menschenopfern oder mehreren abgetrennten Körperteilen möglich. Die Gottheiten sind mehr als launisch, in ihnen brodelt Hass oder bösartige Tücke. Jede Gruppe sollte es sich also gut überlegen, ob sie den Zorn der Inquisition auf sich ziehen und ihren eigenen Tod provozieren will, bevor sie eine der Ikonen nutzt.

Erscheinungsbild

Eine der Illustrationen von Samuel Araya.

Ikhon ist minimalistisch gehalten. In einer Box aus rauer schwarzer Pappe befinden sich vier je zwanzigseitige Heftchen im Postkartenformat. Nur der Beschreibungstext auf der Rückseite der Box gibt dabei Aufschluss darüber, worum genau es sich bei dieser Spielhilfe handelt. Typisch für das System ist der Text dabei eher stimmungsvoll als regeltechnisch aufschlussreich. In der

Innenseite des Deckels werden die Regelmechanismen zur Anrufung der Gottheiten beschrieben.

Die Heftchen sind von außen vollkommen schwarz ohne Beschriftung und haben aufgrund des dickeren Papiers eine angenehme Haptik. Jedes davon ist identisch aufgebaut. Auf der ersten Seite wird die Wesenheit in einem kryptisch-abgründigen Text geschildert. Die Sprache ist dabei komplex, vor allem für diejenigen, die des Englischen nicht sehr mächtig sind, und lässt Spielraum für Eigeninterpretationen.

Es folgen zehn weitere Seiten, auf denen mögliche Folgen einer Anrufung dargelegt werden. Die Überschriften sind rot, der Fließtext ist weiß, das Papier schwarz. Durch diesen klaren Kontrast ist der Text gut lesbar. Dem tut auch der bewusst wackelige Satz mit den für das System typischen plakativen Elementen keinen Abbruch, vielmehr trägt dieser gelungen zum Design der Hefte bei.

Die Rückseite der Box.

Vor allem erwähnenswert sind die Illustrationen von Samuel Araya: Jeder Textblock ist mit einer ganzseitigen schwarz-weißen Illustration versehen. Jede der 44 Illustrationen, 11 für jede Gottheit, inszeniert die beschriebene Wesenheit dabei ebenso stimmungsvoll wie alptraumhaft und muss sich neben den Illustrationen der Regelwerke durch Johan Nohr keinesfalls verstecken. Narren mit skelettartigem Grinsen, Schrecken aus der Tiefe mit nadelspitzen Zähnen, langbeinige Spinnenmonster und gekrönte Widder – die herausragende Qualität der Zeichnungen spricht wieder einmal für die offiziellen Mörk Borg-Produkte.

Alles in allem handelt es sich um ein optisch wie haptisch äußerst gelungenes Produkt. Selbstverständlich würde es die Orientierung erleichtern, wenn die Hefte jeweils außen beschriftet wären. Dies würde aber im Gegensatz zur intendierten geheimnisvollen Aura der Erweiterung stehen.

Das Cover der Box.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ockult Örtmästere Games & Stockholm Kartell
  • Autor*in(nen): Pelle Nilson, Johan Nohr (Layout), Samuel Araya (Illustration)
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Englisch
  • Format: Box
  • Seitenanzahl: 4 Hefte mit je 20 Seiten
  • ISBN: 9789189143555
  • Preis: 23,95 EUR (Box), 9,14 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, DriveThruRPG, Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

„The Old Dead“.

Ein Blick auf den umfangreichen kostenlosen Content zu Mörk Borg, beispielsweise auf der Website des Spiels, ist immer lohnenswert. Zu Ikhon ist kein eigener Online-Content erschienen.

Fazit

Am treffendsten kann man Ikhon als Gimmick bezeichnen. Im Vergleich zu den bisherigen offiziellen Cult-Erweiterungen bietet die kleine Box sehr begrenzenten Inhalt. Dennoch ergänzt das Element der vergessenen Folk-Gottheiten die Welt des Rollenspiels sehr gelungen. Insbesondere für mystische Klassen wie den „Heretical Priest“ (aus dem Grundregelwerk) oder den „Dead’s God Prophet“ (Feretory) bietet sie spielerisch gute Anknüpfungspunkte.

Man kann sich überlegen, ob man hierfür knapp 25 Euro ausgeben möchte. Die wie gewohnt hohe Qualität des Produktes und die künstlerisch hochwertige und kreative Umsetzung einer interessanten Idee rechtfertigen den Preis jedoch vollkommen. Und wer PDFs bevorzugt kann es auch deutlich günstiger haben.

Zusammengefasst ist Ikhon eine wirklich tolle kleine Spielerei, deren Einsatz für die SC genau das Maß an Letalität und Verfall mit sich bringt, wie man es von Mörk Borg kennt (und liebt).

  • Stimmige Erweiterung der Spielwelt

  • Gute Anwendbarkeit

  • Tolle Verarbeitung und Illustration

 

  • Sehr kryptische Darlegung des Inhalts

 

 

Artikelbilder: © Ockult Örtmästere Games & Stockholm Kartell
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Rick Davids
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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