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Ein Buch, das die ganze Spielwelt durcheinanderwirbelt. Die neueste Erweiterung der Degenesis-Reihe liefert heiß ersehnte Hintergrundinformationen, neue Gefahren für das postapokalyptische Europa und schreibt den Metaplot weiter. Dirk Walbrühl fragt sich: Ist das noch ein Abenteuerband oder schon eine Regionalbeschreibung? Warum nicht beides!

„Wir schreiben das Jahr 2596. Der Tod lauert in den Schatten der Sümpfe, der Hass nistet auf den Herzen der Neider. Nach Norden hin regnet es Sporen, nach Süden hin riecht es nach Krieg. Willkommen in Franka.“

So beginnt The Killing Game, die neueste Erweiterung für das Premium-Primal-Punk-Rollenspiel Degenesis: Rebirth. Darin wird die Südküste Frankas für erfahrene Spieler von Degenesis genauer vorgestellt. Neben einer genauen Beschreibung der Stadt Toulon, sechs neuen Fraktionen und 26 NSC bietet The Killing Game ein ganzes Abenteuer in der Region auf 100 Seiten und genug Plothooks, um damit eine ganze Kampagne zu starten. Oder, wie es in The Killing Game heißt:

„Die Kettensägen sind geölt, die Revolver nachgeladen und die Wut ist frisch. Der Geruch der nahenden Rebellion vermischt sich mit der salzigen Meeresluft, ein Funkenschlag und der Frieden ist vorbei. Für immer.“

Die Region von Süd-Franka hat mehr zu bieten als nur Sumpf und Intrigen. Vor allem die Mächte Afrikas haben sich hier festgebissen.
Die Region von Süd-Franka hat mehr zu bieten als nur Sumpf und Intrigen. Vor allem die Mächte Afrikas haben sich hier festgebissen.

 

Inhalt – Der Regionalband

Ende 2015 testete ich die erste Erweiterung für Degensis: Rebirth. In Thy Blood war ein klassischer Abenteuerband und erzählte die Geschichte eines Krimis und eines Geheimnisses der Wiedertäufer in den Bergen Purgares – Spannung auf engstem Raum. The Killing Game geht beim Thema Erweiterung einen ganz anderen Weg.

Das erste Kapitel der Erweiterung („Gold und Artefakte“) ist eine Regionalbeschreibung des Südens von Franka. Das ist auch nötig, denn schließlich kamen die einzelnen Regionen, und besonders Franka, im Grundregelwerk eher zu kurz. So funktioniert The Killing Game hier als handfester Quellenband und beschreibt systematisch die Geographie der Rhône-Sümpfe, die Kultur ihrer Bewohner und Details, Handelsverbindungen und Zahlen für die vier wichtigsten Städte Montpellier, Toulon, Toulouse und Perpignan.

So erfährt der Leser nicht nur von neuen Schauplätzen wie dem Hafenort Ducal, welcher den Expeditionsstreitkräften der Afrikaner ein Einfallstor bietet. The Killing Game enthält zudem zahllose Anspielungen auf neue Feinde und Rätsel, etwa den Herrn der Drohnen, der als Botschafter für mächtige Pheromanten aus dem Norden auftritt (Saurons Mund lässt grüßen). Auch finden sich immer wieder wertvolle Details zum Verständnis der Region, wie die der Wichtigkeit des Marduk-Öls für den Widerstand gegen die Pheromanten der Sümpfe, was die Abhängigkeit Frankas von den Anubiern erklärt.

All diese Informationen sind – wie bei Degenesis gewohnt – in einer Mischung aus Erzähltext, Beschreibung und Regelwerk vermischt. Ein kleines Beispiel:

„Die Anubier lächeln milde, wenn jemand um den Preis ihrer Öle feilschen will. Ohne ihre Tinkturen führt der Weg nur in die Sümpfe hinein, nicht hinaus. Marduk-Öl schützt vor dem Einfluss der Pheromanten – und gegen deren Heerscharen. […] Wer sich mit Marduk-Öl eingerieben hat, kann sich neben eine Drohne stellen oder unter einem Wespennest rasten, ohne angegriffen zu werden. Zumindest solange sich sein Körperschweiß nicht mit dem Marduk-Öl vermischt. In Gefahrensituationen muss der Charakter alle 10 Runden einen W6 werfen – zeigt der Würfel eine 1, versagt die Wirkung des Öls gegen Drohnen und Plagen abrupt.“

Das sorgt einerseits für Mehrarbeit und dafür, dass Spielleiter das Buch sorgfältig lesen und auswerten müssen, um diese Infos zu strukturieren und nicht zu verpassen. Andererseits erhöht es die Immersion in die Spielwelt, da viele regeltechnische Einteilungen und Kategorien einzelnen Fraktionen, vor allem den wissenshungrigen Spitaliern, in den Mund gelegt werden.

Ein Großteil des Regionalbandes nimmt die Stadtbeschreibung von Toulon ein, inklusive einer detaillierten Beschreibung des Palasts des Plünderers Hamza Abubakar III. Eine nützliche Kurz-Übersicht über alle Kulte in der Region, eine Zeitlinie der Region, eine Gerüchte-Tabelle und eine Karte mit allen Orten, Grenzposten und Handelsrouten runden die umfassende Regionalbeschreibung ab.

Die Karten sind mehr als nur hübsches Beiwerk, sondern lassen sich im hektischen Abenteuer sehr gut einsetzen.
Die Karten sind mehr als nur hübsches Beiwerk, sondern lassen sich im hektischen Abenteuer sehr gut einsetzen.

 

Inhalt – Das Abenteuer (Vorsicht, Spoiler!)

Warum so viel Fokus auf Toulon liegt, wird klar, wenn mit Kapitel 2 „Das Schlangennest“ das eigentliche Abenteuer beginnt und The Killing Game als waschechter Abenteuerband funktioniert. Das Thema: Toulon muss brennen!

Die erfolgreichen Neolybier haben den Zorn verschiedenster Fraktionen Justitians auf sich gezogen. Vor allem geht es darum, wem die Artefakte Frankas gehören – und Regent Hamza Abubakar III. ist nicht verhandlungsbereit. Der Plan: Unterwanderung, Bewaffnung, Bürgerkrieg. Und die Spieler sind mittendrin in „Operation Mirage“.

Doch bevor es losgeht, widmet The Killing Game ganze 36 Seiten einer ausführlichen Beschreibung aller zentralen Figuren in diesem Abenteuer. Jede davon wird mit einem Profil, Rollenspieltipps und einem eigenen Bild vorgestellt – perfekte Vorbereitung für Spielleiter. Auch ein alter Bekannter aus In Thy Blood ist mit von der Partie, und man erfährt, was aus Decoy 5 nach dem letzten Abenteuer geworden ist.

Im Verlauf des Abenteuers treffen fünf neue Fraktionen aufeinander, denen sich die Spieler frei anschließen können.

  • Die Eisenbrüder sind die abgehängten Schrotter der Region und wollen an den Machthabern Rache nehmen. Klassenkampf und Freiheitswille sind ihr Antrieb.
  • Kommando Requiem sind die Shutter-Einsatzkräfte aus Justitian, die im Verborgenen den Umsturz planen. Sie sind absolute Profis mit einem klaren Ziel.
  • Die Schwarze Schar sind unbeteiligte Apokalyptiker aus dem Mittelmeer. Sie folgen einer verheerenden Prophezeiung des Tarots und versuchen heil aus der Sache herauszukommen und herausfinden, wer das Schmugglernest in Toulon verwüstet hat.
  • Die Feuervögel sind das zweite Standbein von Justitians Angriff. Die Apokalyptiker haben sich im Herzen der Stadt eingenistet und fungieren als zu jeder Gewalttat bereite Söldner.

 

Verarmte Schrotter kämpfen gegen dekadente Artefakt-Fürsten, und Kommando-Kräfte planen einen Aufstand. Es geht heiß her im zweiten Abenteuer für Degenesis: Rebirth!
Verarmte Schrotter kämpfen gegen dekadente Artefakt-Fürsten, und Kommando-Kräfte planen einen Aufstand. Es geht heiß her im zweiten Abenteuer für Degenesis: Rebirth!

 

Anstatt die Spieler mit einer festen Queste durch das Abenteuer zu jagen, verwendet The Killing Game Mühe darauf, unterschiedliche Startpunkte und Motivationen zu skizzieren – was für eine ungewohnte Freiheit sorgt. Auch an einen direkten Anschluss an In Thy Blood wurde gedacht. Dabei ist die Idee der Autoren, dass eine Spielrunde eine Weile Toulon und Umgebung kennenlernt und sich mit Schrotteraufständen oder Artefakt-Suchen im Sumpf beschäftigt, bevor die Ereignisse sie überrollen. Denn das eigentliche Kern-Abenteuer passiert innerhalb von nur 72 Stunden mit hohem Zeitdruck.

Die Ereignisse zwischen den Fraktionen sind in Tage und einzelne Szenen unterteilt, an denen die Charaktere teilhaben können, oder eben nicht. Das vermittelt das Gefühl einer lebendigen Welt. Die Spielercharaktere können den Ausgang der Operation Mirage mitbestimmen, sind aber in keiner Weise die Haupt-Protagonisten, die alles entscheiden.

An dieser Stelle sei über den Ablauf nur so viel verraten: Es geht heiß her, und Erschöpfung und Verwundungen dürften sich schnell ansammeln. Die Beschreibungen der Szenen sorgen für Stimmung und lassen sich mit etwas Geschick teilweise als Lesetexte umdeuten. Ein ausführlicher Epilog fasst anschließend alle Ereignisse zusammen und bereitet die Region für weitere Abenteuer vor. Für wichtige NSC-Gegner bietet The Killing Game übersichtliche Statistiken und führt mit Ozongranaten und Shutteranzügen neue Ausrüstung ein.

Besonders spannend: In Toulon taucht ein weiteres Artefakt Jehammeds auf, das mit der Scheibe aus In Thy Blood interagiert. Im Jehammedanischen Quartier in Justitian soll angeblich ein Arianoi (Diener des Maraudeurs) gesichtet worden sein. Der Metaplot von Degenesis wird damit etwas klarer und dürfte mit dem nächsten Abenteuerband zu einem Meilenstein kommen.

Auch nach dem Abenteuer ist Süd-Franka eine lohnende Spielumgebung.
Auch nach dem Abenteuer ist Süd-Franka eine lohnende Spielumgebung.

 

Erscheinungsbild

Die Zeichnungen von Marko Djurdjevic, der bereits für Marvel arbeitete, sind wie in allen Degenesis-Produkten ein absolutes Highlight. Wie bereits beim Grundregelwerk ergeben Illustrationen und Layout zusammen ein Gesamtbild mit künstlerischem Anspruch. Übersichtliche Karten und Bilder für die wichtigsten NSC sorgen für einen guten Überblick. Einzig das Inhaltsverzeichnis im PDF ist eher gröber, und ein fehlender Index und der Verzicht auf Hyperlinks im Text erschweren die Verwendung als Nachschlagewerk am Spieltisch.

Die harten Fakten:

  • Verlag: SIXMOREVODKA
  • Autor(en): Marko Djurdjevic, Alexander Malik
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Englisch/Deutsch
  • Seitenanzahl: 216
  • ISBN: –
  • Preis: 54,90 EUR (Print & PDF), 39,00 EUR (Print), 19,90 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: aktuell nur über SIXMOREVODKA

 

Bonus/Downloadcontent

Marko Djurdjevic kündigte mit The Killing Game eine digitale Karte für Degenesis: Rebirth mit zahlreichen Hintergrundinfos für die Spielwelt an. Im Forum von Degenesis diskutieren die Entwickler aktiv mit den Spielern und schreiben den Metaplot fort.

Fazit

The Killing Game gelingt das Verschmelzen von Abenteuerband und Regionalbeschreibung zu einem runden Ganzen. Dabei muss es nicht einmal gespielt werden: Durch Marko Djurdjevics hervorragende Zeichnungen und die verästelten und spannenden Beschreibungen ist The Killing Game auch ein Lesegenuss und eine Ideengrube für Rollenspieler ohne aktive Degenesis-Spielrunde.

Mit einem PDF für knapp 20 EUR ist The Killing Game alles andere als ein Schnäppchen. Doch das Preis-Leistungsverhältnis stimmt für den gelungenen Inhalt. Wer möchte, kann deutlich mehr investieren, etwa mit der auf 100 Stück limitierten Ausgabe für 79,90 EUR, bei der es dann PDF, Hardcover-Buch und ein Concept-Artwork in einem gibt. Degenesis bleibt damit seiner Linie als Premium-Rollenspiel für Sammler treu.

Die Region Süd-Franka hat es dabei in sich und bietet genau das, was Degenesis bisher gefehlt hat: einen ausgearbeiteten Plot-Knotenpunkt mit vielen NSC und Details. Besonders Hamza Abubakar III. und seine Stadt Toulon haben es mir als Spielleiter angetan. Dass die Stadt mit der Operation Mirage direkt erschüttert und das Machgefüge umgestürzt wird, sorgt nur dafür, dass Spielleiter zwei unterschiedliche Varianten haben, die sie in ihre Spielwelt von Degenesis einbauen können. Auch als Regionalband und als feuriges Abenteuer ist The Killing Game damit rundum gelungen.

Artikelbilder: SIXMOREVODKA
Dieses Produkt wurde kostenlos als PDF zur Verfügung gestellt.

 

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