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Darauf haben Ödland-Fans seit der Öffnung von Vault 13 gewartet. Die Brettspielumsetzung der beliebten postapokalyptischen Videospielreihe wurde jedoch gemischt aufgenommen. Die deutsche Version von Fallout ist mittlerweile erhältlich, ebenso die erste Erweiterung auf Englisch. Ist das Spiel nur was für Pip- und Fanboys oder auch wirklich S.P.E.C.I.A.L.?

Absurd lange hat es gedauert, bis die sehr erfolgreiche Videospielreihe, die sich aktuell mit Fallout 76 auch im Bereich der MMOs versucht, es in die analoge Spielewelt geschafft hat. Schön, wenn das Spiel weiteren Zielgruppen wie Digital Natives ein Tor in die Brettspielwelt sein kann. Doch wird jenen und eingefleischten Brettspielern auch wirklich ein gutes Spiel präsentiert?

Spielablauf

Natürlich erschafft man zu Beginn erst einmal einen Charakter. Fünf bekannte Archetypen stehen hier zur Auswahl. Der übliche Vault-Bewohner, die bereits bewaffnete Ödländerin, der schwergerüstete Ausgestoßene der Bruderschaft, sowie der Ghul, der sich durch RAD (Radioaktivität) heilt und der Supermutant, der dadurch sogar EP bekommt und stärker wird. (Alle anderen erleiden durch Radioaktivität schwer heilbaren Schaden.)

Das Start-Setup des Ausgestoßenen der Bruderschaft. Noch hat er alle Trefferpunkte (rot) und keinen schwer heilbaren Schaden durch Radioaktivität (grün). Seine Power-Rüstung zieht ihm beim Gegenangriff zwei Schaden ab, allerdings kann er sich nur eins statt zwei Felder bewegen. Er startet mit Intelligence und Luck, bei dazugehörigen Skill- oder Waffenchecks darf er also noch einmal würfeln. Zudem besitzt er ein geheimes Ziel und drei Kronkorken als Startkapital.

Jeder bekommt einen speziellen Token der Buchstaben S.P.E.C.I.A.L. sowie einen zufälligen zusätzlich. Mit diesen kann man bei Würfen, die dem entsprechenden Attribut (Strength, Perception, Endurance, …) zugeordnet werden, die drei Würfel neu werfen. Die Würfel zeigen einerseits Trefferzonen, und wenn das Wurfergebnis mit der Schwachstelle eines Gegners übereinstimmt, erzielt man einen Treffer. Gleichzeitig haben sie auch noch 0–2 Sterne, die als Erfolge bei Proben gelten.

Das Ödland wird durch Hex-Kartenteile in zwei Schwierigkeitsstufen (grün und rot) dargestellt und entsprechend des Set-Ups eines der vier Szenarien des Grundspiels ausgelegt. Einmal erkundet zeigen die aufgedeckten Kartenteile 3–5 Geländebereiche, die manchmal radioaktiv verstrahlt sind, auf denen Gegner lauern oder die bestimmte Ödland- oder Siedlungsorte aufweisen.

Der Aufbau bei Spielbeginn. Alle Charaktere, Kartenstapel und Marker liegen bereit – der Kampf um Kronkorken und Siegpunkte kann beginnen.

Pro Zug stehen jedem Spieler zwei Aktionen zur Verfügung. Dabei handelt es sich um die für Dungeoncrawler und verwandte Spiele typischen Spieleraktionen: Bewegen (je zwei Gelände pro Aktion), Erkunden und Rasten, daneben natürlich auch Kämpfen, Quests absolvieren und an diesen besonderen Orten Begegnungskarten ziehen.

Bei diesen Begegnungen – es gibt je ein Deck für Stadt- respektive Ödlandbegegnungen – gilt es zumeist, aus zwei bis drei Optionen eine Entscheidung zu fällen, gegebenenfalls eine Probe abzulegen und dann mit den Konsequenzen zu leben. Spezielle Ereignisse des kleinen vorgefertigten Decks sorgen dann wiederum dafür, dass bestimmte andere Karten in eins der Decks kommen. Dadurch und durch die ausliegenden Quests, die allen Spielern bekannte Zielvorgaben haben, die meist an bestimmten Orten zu erfüllen sind (einfach hingehen, dort eine Begegnung haben, soundsoviele Gegner eines Types töten etc.), entspinnt sich eine Geschichte mit wiederkehrenden Charakteren. Dabei kommt durchaus ein geschichtsgetriebenes, immersives Erlebnis auf, ähnlich wie in den Computerspielen.

Im Setup der verschiedenen Szenarios gibt es meist bereits offene Felder mit besonderen Orten, und im Startbereich werden die grünen einfacheren Kartenteile zufällig verteilt, damit man schon etwas besser gerüstet in den roten, gefährlicheren und verseuchteren Bereich vordringt.

Neben den storygeleiteten Aufträgen liegt das zweite Mutantenherzstück erwartungsgemäß im Kampf. Wird eins der fünf Gegnertypsymbole aufgedeckt, erscheint dort zufällig ein Gegner des jeweiligen Typs; ebenfalls wenn ein Gegner getötet wird, dann allerdings im nächstgelegenen freien Feld des gleichen Typs. Anfänglich sind das hauptsächlich andere Menschen oder Ödlandkreaturen, später dann auch mächtigere Roboter, Monster und selbstverständlich Supermutanten. Auf den Vorderseiten der Gegnertoken steht dann, welche Trefferzonen erwürfelt werden müssen, um auch wirklich Schaden zu machen, und natürlich gibt es noch eine Handvoll unterschiedlicher Spezialfähigkeiten, die den Kampf erschweren. Außerdem gibt es Beute in Form von – wie könnte es anders sein – Kronkorken und Karten, durch die man Rüstungen, Waffen und Verbündete bekommt; von diesen drei Typen darf man jeweils eine aktiv ausgerüstet haben, der Rest geht ins Inventar. Weitere Gegenstände umfassen Drogen, die einem Boni geben, aber abhängig machen können, und auch Magazine, mit denen die Spieler bei einer Rast-Aktion Erfahrungspunkte sammeln können. Die gibt es sonst ebenfalls durch Begegnungen, Quests und Monster. Und für jeden S.P.E.C.I.A.L.-Marker, den man bereits hat, braucht man einen EP mehr fürs nächste Level, bei dem man dann wieder zwei zufällige Marker ziehen darf und einen davon einsetzt. Sollte man dabei einen ziehen, den man bereits hat (z. B. ein P für Perception), kann man sich auch alternativ eine mächtige einmalige Sonderfähigkeit aussuchen.

Vorsicht: SPOILER – also nicht zu genau hinsehen! Diese Karten liest bestenfalls ein Mitspieler vor. Oben steht etwas Flavourtext, darunter die Handlungsoptionen. Manchmal erfordern sie einen Skillcheck. In diesem Fall brauchen Spieler für die Suche-Option eins insgesamt vier Erfolge und Charaktere mit dem P- und/oder C-Token dürfen jeweils einmal neu würfeln. Dann gibt es ein anderes Ergebnis für den Erfolg oder Fehlschlag.

So ist eigentlich immer was zu tun im Ödland. Und wie gewinnt man nun das Spiel? Für erledigte Quests werden Agendakarten gezogen; diese geben immer einen Siegpunkt und weitere für Sonderziele: getötete Monster, viele Kronkorken oder die Zugehörigkeit zu einer von zwei Fraktionen. Diese (im Startszenario Railroad gegen das Institut) kämpfen nämlich miteinander im Hintergrund, und durch die Art und Weise, wie Spieler die Quests lösen, beeinflussen sie, wie erfolgreich die Gruppierungen bei ihren Machenschaften sind. Wenn jedoch eine der beiden das Ende ihres Tracks erreicht hat, ist das Spiel vorbei und alle Spieler haben verloren. Also muss man dort etwas ausgleichen und sollte dennoch aufs richtige Pferd setzen, für die wichtigen Extrapunkte.

Ausstattung

Das Spielmaterial ist, wie von Fantasy Flight Games gewohnt, gut – vor allem die Spieler-Boards für die Trefferpunkte, Radioaktivität, S.P.E.C.I.A.L.- und Sondermarker in üblichem Vault-Look. Die Qualität der Karten und der Papp-Geländeteile und Marker wie Kronkorken ist solide, auch wenn letztere sicherlich danach schreien, gegen eine Blechlösung ausgetauscht zu werden. 

Pappmarker gibt es auch für die Gegner – das ist praktisch, aber Miniaturen wären doch schöner; denn die fünf Spielercharaktere sind schon recht detailliert und hübsch anzusehen. Aber dann wäre das Spiel auch entsprechend teurer. Die Regeln sind zumeist aufgeräumt, verhältnismäßig übersichtlich und vor allem für Spieler, die schon mal einen Dungeon Crawler gespielt haben, recht leicht anzueignen. Neben dem Regelheft gibt es auch ein Referenzhandbuch mit ordentlichem Glossar – so wie es sein sollte. Wie oft bei komplexeren Spielen gibt es jedoch ein paar Ungereimtheiten, bei denen dann das Internet herhalten muss.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Fantasy Flight Games, Asmodee
  • Autor(en): Andrew Fischer, Nathan Hajek
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Spieldauer: 120–180 Minuten (Eine Stunde/Spieler)
  • Spieleranzahl: 1 2 3 (4)
  • Alter: 14+
  • Preis: ca. 50 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon (englische Version)

 

Bonus/Downloadcontent

Regeln und Referenzhandbuch gibt es auf der offiziellen Seite von Asmodee.

Viel inoffizielles Material gibt es, wie immer, auf BoardGameGeek, unter anderem eine alternative Wertungsvariante, bei der man auf vielen Wegen offen Siegpunkte erhält, und eine voll kooperative Variante.

Fazit

Die drei Würfel, um die sich alles dreht. Die Sterne stellen Erfolge für Skillchecks dar. Der Pip-Boy zeigt die Trefferzonen an. Wenn diese mit den Schwachstellen des aktuell bekämpften Gegners übereinstimmen, erhält dieser jeweils einen Schaden.

Wer die letzten Fallout-Teile gespielt hat, wird sofort seine Freude an diesem Spiel haben. Die Umsetzung vieler bekannter Fallout-Ideen weiß zu überzeugen; sei es das elegant vereinfachte S.P.E.C.I.A.L.-System oder auch die Art und Weise, wie Quests und Begegnungen sich zu Geschichten entwickeln. Für die ersten Spiele gibt es auch einiges zu entdecken. Das Würfelsystem funktioniert zunächst angenehm einfach mit den drei Würfeln, entwickelt sich allerdings nicht nennenswert. Gegebenenfalls erhält man ein oder zwei Neuwürfe, aber das ist auch schon der ganze Effekt vom Leveln und Anhäufen von Gegenständen und fühlt sich irgendwie nicht sehr nach Entwicklung an.

Vor allem aber waren in drei Testspielen mit unterschiedlichen Gruppen anfangs alle sehr motiviert bei der Sache, aber nach drei bis vier Stunden lief es sich leider tot. Die Storyelemente waren immer noch sehr interessant, aber leider etwas selten, und dann ist doch plötzlich Ende und die Storyline wird niemals aufgelöst. Auch gerade beim Erkunden von Vaults kann es zudem passieren, dass jemand mehrere Runden darauf aufwendet und dann ein anderer Spieler vorbeikommt und die entsprechende Quest auflöst, was recht frustrierend sein kann. Insbesondere die Länge sorgt dafür, dass das Spiel mit weniger Spielern den meisten eindeutig mehr Spaß macht.

Gerade weil das Spiel viel Potenzial und gute Ideen liefert, aber am Ende irgendwie doch nicht ganz überzeugt, gibt es einige Fans, die Hausregeln entworfen haben. Sie setzen dabei an, das Spiel entweder kompetitiver oder ganz kooperativ zu machen. Und Fantasy Flight Games setzen weiter auf das Franchise. Die erste Erweiterung Fallout: New California ist soeben (Ende 2018) erschienen und eine weitere ist angekündigt. New California bringt ein eigenes voll kooperatives Szenario mit sich, welches allerdings wohl nicht gut skalieren soll und solo unschaffbar, mit vier Spielern dagegen zu einfach sein soll. Aber es bietet eben mehr der etwas seltsam-morbiden Geschichten, die Fallout zu dem machen, was es ist.

Viele eingefleischte Franchise-Fans werden das Spiel, so wie alle erhältlichen Kaffeebecher oder Pip-Boy-Sondereditionen, wohl gekauft haben, einmal spielen und dann wegen der Komplexität, der langen Spieldauer oder dem geringen Spielspaß neben dem Fallout-Monopoly verstauben lassen. Das ist schade, denn es gibt wirklich viel Potenzial in der Welt und durchaus auch in der Umsetzung. Vielleicht schaffen ja die Erweiterungen noch etwas aus dem System herauszukitzeln. Und wenn nicht, dann macht das Spiel zumindest auf jeden Fall Lust, sich wieder mal virtuell aus dem Vault zu wagen und zu sehen, welche Abenteuer im Ödland warten.

mit Tendenz nach oben

 

Artikelbilder: © Fantasy Flight Games, Fotografien: Daniel Hoffmann, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

2 Kommentare

  1. Das Problem das viele Gruppen haben, ist ganz einfach das jeder für sich spielt, mit etwas Kooperation bleibt das Spiel flüssig und unterhaltsam

  2. Jo, ich glaube, das Spiel wäre als Full-Coop deutlich besser. Aber so will man eben besser sein als die anderen, was manchmal frustrieren kann und zu dem von dir beschriebenen Effekt führt.

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