Eine Familie im Kampf gegen hässliche, übernatürliche Wesen: Was auf den ersten Blick eine Beschreibung für Supernatural sein könnte, entpuppt sich auf den zweiten Blick als Graphic Novel mit deutlich gesellschaftlichem Bezug. Im Harlem der 20er Jahre begleiten wir die Familie Sangerye bei ihrem Kampf gegen von Hass infizierte Seelen.
Woran denkt ihr als erstes beim Begriff Comic bzw. Graphic Novel? Möglicherweise an epische Kämpfe zwischen Superhelden und Bösewichtern. Vielleicht auch an fantasievolle Erzählungen, die von Action bis Humor eine große Anzahl an Genres abdecken. All diese Assoziationen treffen zweifellos zu. Doch sollte man nicht vergessen, dass Graphic Novels auch ein beliebtes Medium zur Vermittlung gesellschaftlicher Kritik oder Kommentare sind.
Zu den bekanntesten Vertretern in diesem Bereich gehören beispielsweise Die vollständige Maus von Art Spiegelmann (Verarbeitung des Holocaust) oder March von John Lewis (Bürgerrechtsbewegung). Im Zuge der Gleichberechtigung der Geschlechter etablieren sich auch immer mehr moderne Vorbilder in Comics, so wie Kamala Khan oder Jessica Jones.
Auch Bitter Root setzt auf eine gesellschaftliche Botschaft und betrachtet die hässliche Fratze des Rassismus. Verpackt wird die Gesellschaftskritik in eine phantastische Erzählung um eine Familie von Monsterjägern. Ergänzt wird die Botschaft durch Fachbeiträge und Interviews am Ende des Bandes. In diesen diskutieren Experten kulturelle und gesellschaftliche Einflussfaktoren von Bitter Root. Dennoch: Trotz aller guten Vorsätze hinsichtlich sozialer Kommentare muss eine Graphic Novel auch unterhaltsam umgesetzt sein. Gelingt das diesem Pilotband?
Inhaltsverzeichnis
Handlung & Charaktere
Die Familie Sangerye macht seit jeher Jagd auf Ungeheuer. Ihre Spezialität ist dabei die Heilung von Wesen mit dem Namen Jinoo. Hinter diesem Begriff verstecken sich Menschen, die sich aufgrund von Hass in grauenvolle Bestien verwandelt haben. Doch in den Augen der Monsterjäger ist niemand vollständig verloren. Mit Hilfe eines speziellen Serums können die infizierten Seelen gereinigt werden, damit die Menschen wieder ein normales und von Hass befreites Leben führen können.
Die Arbeit der Familie wird jedoch immer schwieriger, auch da die Zahl der Monster zuzunehmen scheint. Verkompliziert wird die Jagd durch die Tatsache, dass vor ein paar Jahren ein Großteil der Familie einer Katastrophe zum Opfer fiel. Die verbliebenen Mitglieder haben sich zudem zerstritten und sind getrennte Wege gegangen. Doch genau jetzt ist die Einheit der Sangeryes wichtiger als je zuvor, denn eine neue Art von Monstern macht die Straßen von Harlem unsicher und getrennt wird keiner der Jäger diesen Einhalt gebieten können.
Bitter Root Bd. 1: Familiengeschäfte gelingt die schwierige Balance der Etablierung von Ausgangslage und Charakteren. Mit Bedacht wird der Leser in die Welt von Harlem im Jahre 1924 und die vorherrschende Gefahr durch die Jinoos eingeführt. Dass diese vom Hass infizierten Menschen den Rassismus verkörpern sollen, wird schnell klar. Entsprechend fix werden auch die Mitglieder der Familie Sangerye als letzte Bastion gegen diese Schrecken eingeführt. Dabei wird umgehend klar, dass jeder der Jäger seine besonderen Eigenheiten hat. Cullen ist beispielsweise der unsicherste im Team, der vom stoischen und kräftigen Berg unter die Fittiche genommen wird. Blink dagegen ist eine weibliche Kämpfernatur, die mit ihrem Los als Beobachterin bei den Kämpfen nicht zufrieden ist. Im Laufe der Handlung werden noch mehr Familienmitglieder vorgestellt. Keines von diesen wirkt uninteressant, jedoch vermisst man bis auf eine Ausnahme im Laufe der Handlung weitere Charakterentwicklung. Vieles wird noch im Mysteriösen gelassen, so auch für lange Zeit das Ereignis, das die Familie beinahe ausgelöscht hat.
Gleichzeitig hat man das Gefühl, dass Bitter Root Bd. 1: Familiengeschäfte im letzten Viertel etwas an seinem Fokus verliert. Die kluge Kombination von gesellschaftlichem Kommentar, Charakterinteraktionen und Action weicht zugunsten eines Kampfes gegen eine Monsterhorde. Damit geht der Graphic Novel auf der Zielgeraden ihr größter Faszinationsfaktor abhanden.
Zeichnungen & Kolorierung
Zeichner Green und Kolorist Renzi leisten einen entscheidenden Beitrag zur Wirkungskraft des Pilotbandes von Bitter Root. Eine starke Strichführung in Kombination mit einer leichten Überzeichnung gibt den Zeichnungen eine deutlich wahrnehmbare Intensität. Diese nimmt in den dynamisch gestalteten Actionszenen noch weiter zu. Das Monsterdesign der Jinoo ist mit seiner Anlehnung an klassische Teufelsfiguren oder Dämonen zwar nicht originell, kann aber passende Gegenspieler inszenieren. Deutlich besser gelungen ist Greene das Design der neuen Monster, die neben ihrer Bedeutung für die Handlung auch optisch hervorstechen.
Renzi gelingt mit der Kolorierung die Schaffung einer bedrückenden Atmosphäre, besonders in den von Hass erfüllten Szenen. Momente des Konfliktes werden oftmals von dunklen und tristen Tönen, wie einem intensiven Violett, untermalt. Besonders gegen Ende der Geschichte, in dem die Situation bedrohlicher wird, nimmt auch die Intensität der Farbgebung zu.
Die harten Fakten:
- Verlag: Splitter
- Autoren: David F. Walker, Chuck Brown
- Zeichner: Sandford Greene, Rico Renzi
- Sprache: Deutsch
- Seitenanzahl: 160
- Preis: 24,00 EUR
- Bezugsquelle: Amazon
Fazit
Bitter Root Bd. 1: Familiengeschäfte ist eine kurzweilige Graphic Novel mit klarer gesellschaftlicher Stellungnahme. Die Widerwärtigkeit des Rassismus wird hier mit dem Kampf einer Familie gegen Monster symbolisiert. Dabei gelingt es dem Autorenteam sowohl Ausgangslage als auch Protagonisten gelungen zu etablieren. Die Mitglieder der Familie Sangerye und ihre Dynamik untereinander gehören zu den Highlights dieser Graphic Novel. Umso bedauerlicher ist es, dass ihre Entwicklung und der Fortschritt der Rahmenhandlung am Ende einem generischen Actionspektakel weichen.
Das Ende dieses Pilotbandes macht dagegen Lust auf mehr. Dabei ist zu hoffen, dass der nächste Eintrag in der Reihe ebenfalls von den brillanten Zeichnungen und der atmosphärischen Kolorierung dieses Bandes profitieren kann.
Artikelbild: © Splitter
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