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Comics wurden jahrelang hauptsächlich für Jungs geschrieben. Erst seit ein paar Jahren werden vermehrt auch Mädchen und Frauen als Zielgruppe angepeilt. So wandeln sich auch die Protagonist*innen in Marvel-Comics. Wir betrachten zwei Figuren der letzten 20 Jahre und zeigen, was sie zu modernen Vorbildern macht: Jessica Jones und Ms. Marvel.


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Den ersten Auftritt von Jessica Jones im Jahr 2001 im Comic Alias #1 begann sie mit einem Schimpfwort. Dieser Comic sollte anders sein: erwachsene Themen ansprechen und auch Provokation hervorrufen. Als die Serie geplant wurde, sollte es ursprünglich noch um Spider-Woman Jessica Drew gehen, die zu der Zeit mit dem Heldendasein gebrochen hatte und als Privat-Detektivin unterwegs war. Erst mit der Zeit wurde aus Jessica Jones mehr als eine simple Kopie von Jessica Drew und auch ihre Vergangenheit wurde erst nach gut zwanzig Ausgaben enthüllt.

Gleichzeitig wurde aus dem kleineren Daredevil-Gegner Purple Man die persönliche Nemesis Killgrave. Heute ist die Figur dank der Netflix-Serie einem größeren Publikum bekannt. Doch wirkt die rauchende, trinkende und fluchende Protagonistin eher wie ein klassischer Antiheld als eine positive Frauendarstellung. Ich möchte hier anhand ihrer Comic-Auftritte zeigen, dass sie mehr ist als das: nämlich ein modernes Vorbild.

Die Ursprünge

Jessica Jones stammt aus Queens und ging als Kind auf dieselbe Schule wie Peter Parker. Ihr Vater arbeitete für Tony Stark. Auf der Fahrt nach Disney Land stritt sie im Auto mit ihrem Bruder. Dies führte dazu, dass ihr Vater abgelenkt wurde und einen schweren Autounfall verursachte. Dabei überlebte Jessica als Einzige. Sie lag einige Monate im Koma und erwachte mit völlig neuen Kräften. Der Ursprung dieser Kräfte scheint eine Mischung aus den explodierten Chemikalien, die ihr Vater transportierte, und den kosmischen Strahlen von Galactus gewesen zu sein, der zur selben Zeit auf der Erde auftauchte. Sie wurde so zur Superheldin Jewel, der aber nur eine kurze Karriere zu Teil wurde.

Jessica Jones als Jewel
Jessica Jones als Jewel

Als sie eines Tages in ein Restaurant marschierte, in dem gerade ein Raub stattfand, traf sie auf den Purple Man, Zebediah Killgrave, der durch körpereigene Pheromone in der Lage ist, Menschen zu kontrollieren. Er wollte schon immer eine Superheldin als persönliche Sklavin und band Jessica an sich. Mehrere Monate musste sie ansehen, wie er tötete und Frauen dazu brachte,k ihn zu lieben. Er zwang sie, ihn anzuflehen, sie auch zu lieben, ohne dieser Bitte gerecht zu werden. Auch wenn er sie nicht direkt anrührte, war dies die schrecklichste Form der Vergewaltigung. Willenlos entwickelte sie einen tiefen Hass auf sich selbst und die Situation, in der sie sich befand.

Nach acht Monaten schickte Killgrave sie aus Zorn über Daredevil zum Hauptquartier der Avengers und begann diese zu verprügeln. Nach einer schnellen Niederlage klärte sich die Situation, auch weil sie nun außerhalb der Reichweite der Pheromone ihres Peinigers war. Nick Fury bot ihr an, S.H.I.E.L.D. beizutreten, doch sie lehnte ab. Sie entsagte sich dem Heldentum und gründete ein privates Ermittlungsbüro.

Als Detektivin kümmerte sie sich um Fälle, die häufig in Verbindung mit Superhelden oder Wesen mit besonderen Fähigkeiten standen. In dieser Zeit lernte sie unter anderem Luke Cage kennen. Cage sollte es nachher sein, der ihr über den Schmerz hinweg half, als der Purple Man wieder in ihr Leben trat. Die von Carol Danvers eingefädelte Beziehung mit Scott Lang, alias Ant-Man, dagegen hielt nicht lange. Noch in der Dreiecksbeziehung wurde sie unverhofft von Cage schwanger.

Ihr gemeinsames Kind Danielle war auch der Grund weswegen aus der Beziehung zwischen ihr und Cage etwas Festes wurde. Später arbeitete sie für das Daily Bugle Extrablatt The Pulse, das sich mit Superhelden-Themen beschäftigte. Danach wurde sie mit Luke Cage ein Teil der Avengers bis sie letztlich wieder zu ihrem Job als Privatermittlerin zurückkehrte.

Warum ist Jessica Jones ein modernes Vorbild?

The Pulse und die verschiedenen Gesichter der Jessica Jones
The Pulse und die verschiedenen Gesichter der Jessica Jones

Vielleicht mag es seltsam erscheinen, eine Figur Vorbild zu nennen, die viele Laster mit sich trägt und ein wenig vorbildliches Leben führt. Doch gerade hier liegt der Reiz in Jessica Jones. Denn tief in ihrem Inneren ist sie ein äußerst optimistischer Mensch. Sie hat sich vielen Problemen stellen müssen: Zum einen hat sich immer die Schuld am Tod ihrer Familie gegeben. Zum anderen wurde sie monatelang durch Gedankenkontrolle vergewaltigt und unterlag einer absoluten Machtlosigkeit. Nicht nur einmal entglitt ihr das Leben, weshalb sie sich nach außen hin zu einer verbitterten Person entwickelte. Dennoch gibt sie sich nicht ihren inneren, rachedurstigen Dämonen hin, sondern versucht stets einen besseren Weg zu gehen.

Da Jessica Jones erst nachträglich ins Marvel-Universum eingefügt und nur von einer Person (Brian Michael Bendis) geschrieben wurde, gibt es keine Version von ihr, die mit einem bestimmten Frauen- oder Weltbild erstellt wurde. Andere weibliche Superheld*innen wie Carol Danvers oder Black Widow wurden immer mal wieder sexualisiert dargestellt. Jessica Jones dagegen war niemals als erotischer Traum pubertierender Jungs angelegt. Auch wenn sie keine Figur ist, die explizit für eine weibliche Leserschaft geschrieben wurde, können sich viele Leute mit ihr identifizieren.

Der in der Figur angelegte Selbsthass ist etwas, das viele Menschen beschäftigt und viel zu oft verschwiegen wird. Die Jessica Jones-Comics und auch die Serie bieten eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik und zeigen eine Frau, die ihre Probleme als Antrieb nimmt, um etwas Gutes zu tun. Und was passt besser in unsere Zeit als eine Verknüpfung zwischen Altruismus und Nihilismus?

Schaut auch gleich in unseren Artikel, warum Ms. Marvel ein modernes Vorbild ist .

Leseempfehlungen

Jessica Jones Megaband: Alias #2

Während der erste Megaband inzwischen komplett vergriffen ist, gibt es noch ein paar Restexemplare dieses zweiten Kloppers von Panini. Hier wird die Ursprungsgeschichte von Jessica erzählt und auch Killgrave zum ersten Mal erwähnt. Man kann diesen Band als Vorlage für die erste Staffel der Jessica Jones-Serie sehen. Ein Comic über eine Frau, die trotz aller Umstände die Hoffnung nicht aufgibt und dafür kämpft, die Schatten ihrer Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Bezugsquelle: Panini-Shop

Jessica Jones Megaband: Das letzte Kapitel

Schon in unserer Rezension haben wir von diesem Mammutwerk geschwärmt. Hier steht Jessica vor einem kompletten Scherbenhaufen ihrer bisherigen Existenz und muss erneut ihre Willensstärke unter Beweis stellen. Die Geschichte ist voller Wendungen und bleibt bis zum Schluss spannend. Insgesamt sind drei unterschiedliche Geschichten enthalten, die aber zusammen ein sehr gutes Bild der faszinierenden Persönlichkeit Jessica Jones ergeben.

Bezugsquelle: Panini-Shop, Amazon

Defenders: Ohne Skrupel / Wahre Helden

In diesem Zweiteiler wurden analog zur Netflix-Serie die Figuren Jessica Jones, Luke Cage, Iron Fist und Daredevil in ein Team gesteckt. Lukes ehemaliger Freund Diamondback ist von den Toten zurückgekehrt und will der neue Kingpin der New Yorker Unterwelt werden. Die Helden versuchen zu verstehen, was hinter Diamondbacks Rückkehr steckt und warum er plötzlich Superkräfte besitzt. Der Comic ist garniert mit tollen Zeichnungen und vielen Cameo-Auftritten.

Bezugsquelle Ohne Skrupel: Panini-Shop, Amazon

Bezugsquelle Wahre Helden: Panini-Shop, Amazon

Artikelbilder: © Panini Comics, © Marvel Comics

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