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Ist Damsel, ein Film um die Jungfrau, die vom Prinzen verraten und an den Drachen verfüttert wird, heutzutage schon zu altbacken? Die Antwort liegt wohl in der Ausführung. Und die liegt zum guten Teil in den Händen der talentierten Millie Bobby Brown. Also kann man Hoffnungen haben.

Als ich das Konzept von Damsel las, musste ich zuallererst an The Princess von 2022 denken, einen ziemlich vergnüglichen Close-Quarters-Actionstreifen im Stil von The Raid, in dem sich Joey King als namensgebende Prinzessin selbst aus ihrem Turmzimmer und durch den gesamten Turm kämpft. Der Vergleich ist gar nicht so absurd, nicht nur wegen der sehr ähnlichen Setups. Allerdings ist der Fokus von Damsel nicht wirklich die Action. Was ist es dann? Ja, das ist eine sehr gute Frage.

Triggerwarnungen

explizite Gewalt, Gewalt gegen Minderjährige, Gewalt gegen junge Tiere (tierähnliche Wesen), psychische Manipulation, Zwangsheirat

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Story: Drei Hochzeiten und jede Menge Todesfälle

Millie Bobby Brown als Elodie in Damsel (links), Joey King als Księżniczka in The Princess (rechts)
Millie Bobby Brown als Elodie in Damsel (links), Joey King als Księżniczka in The Princess (rechts)

Die Prämisse von Damsel ist es, die alte Trope von der Jungfrau, dem Prinzen und dem Drachen auf den Kopf zu stellen. Wenig überraschend beginnen wir also mit einer Prinzessin namens Elodie, gespielt von Millie Bobby Brown. Ist sie zu Beginn noch kritisch gegenüber einer Ehe mit einem fremden Prinzen aus einem fernen Land, so lässt sie sich von der Not ihres Volkes überzeugen und dann auch von der Opulenz des anderen Königreichs verführen.

Kein kleiner Bonus, dass ihr Verlobter nicht nur von denselben Reisen träumt wie sie, sondern dazu noch ein liebenswerter und feinsinniger Kerl ist.

Ein gewisses Unwohlsein befällt ihre Stiefmutter, doch Elodie lässt sich nicht umstimmen. Unweigerlich wird sie nach einem leicht blutigen Hochzeitsritual von ihrem Prinzen in einen Abgrund und dem Drachen zum Fraß vorgeworfen. Das Wesen ist zwar interessierter daran, sie aus purem Menschenhass zu jagen und zu verbrennen, doch so oder so besteht der Kern des Films aus dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Elodie und der Drachin.

Die Story von Damsel ist am stärksten, wenn sie kaum relevant ist. Der Kern des Films, wenn das lange und ausführliche Vorgeplänkel dann mal vorbei ist, hat einige großartige Momente. Hier geht es um nicht viel mehr als ums Überleben, und die einzelnen Herausforderungen und Ereignisse stützen dieses Konzept großartig. Interessante Versatzstücke, ob phantastisch oder ganz mundan, fügen sich zu starken Szenen und einem spannenden Weg aus dem Loch zusammen.

Spoiler: Diese Leute sind die Bösen
Spoiler: Diese Leute sind die Bösen

Doch alles drum herum schwächelt enorm. Trotz der Versuche und teilweisen Erfolge, am Ende des Films einzulösen, was man sich am Anfang erarbeitet hat, ist der Aufbau schlicht zu lang. Niemand interessiert sich für die Probleme dieser leicht märchenhaften Fantasy-Königreiche, deren Namen ich weniger als einen Tag nach dem Schauen schon wieder vergessen habe.

Und der starke Mittelteil ist viel zu kurz, unnötig kurz. Ohne große Not tauchen plötzlich Figuren auf, die aus der feministischen Prinzessinnenjagd ein banales Familiendrama machen. Zu schnell ist Elodie wieder entkommen und eskaliert die Reaktion der Bösewichte entsprechend vorhersagbar. Auch dann funktioniert die Dynamik zwischen den zwei zentralen Figuren weiterhin gut. Es ist nur schlicht zu oft etwas im Weg.

Darsteller*innen: Die richtige Wahl für die falsche Rolle

Die eine Hauptfigur in Damsel ist Elodie. Sie verbringt einen zu kurzen, aber doch signifikanten Teil des Films vollkommen allein. Und Millie Bobby Brown legt sich für die wehrhafte Prinzessin mit ihrem typischen Engagement ins Zeug. Besonders in den Momenten, in denen es um innere Stärke und Überlebenswillen geht, ist das Gold wert.

Elodie
Elodie

Leider verträgt sich gerade ihr passionierter Stil nicht gut mit der Regieführung und besonders dem Drehbuch. Nicht nur Elodie ist inkonsistent charakterisiert. Doch an ihr wird es besonders sichtbar, allein schon wegen ihrer langen Zeit vor der Kamera. Und Brown wirft sich eben in die hemdsärmelige Anführerin der ersten Szene genauso wie in die korrekte, steife Hofdame wenige Augenblicke später.

Das heißt auf keinen Fall, dass Brown zu solchen Nuancen nicht fähig wäre. Dass das genau ihr Talent ist, beweist sie wohl nicht nur in diesem Film, wenn sie die Gelegenheit bekommt. Doch diese Nuancen muss auch jemand wollen. Und das sind in diesem Fall leider nur die Zuschauer, die die leicht bipolaren Auftritte der einzelnen Charaktere auseinandersortieren müssen.

Robin Wright als Königin Isabelle
Robin Wright als Königin Isabelle

Viele weitere Schauspieler*innen liefern im Grunde solide Leistungen ab. Robin Wright als böse Queen Isabelle hat das Glück, dass ihre Rolle keine großen Wendungen mitmachen muss. Die 14-jährige Brooke Carter, hier Elodies kleine Schwester Floria, fühlt sich offensichtlich sehr wohl und zuhause vor den Filmkameras. Angela Bassett und Ray Winstone machen genauso gute Arbeit als Eltern der Braut wie Nick Robinson als zwiegespaltener Prinz. Shohreh Aghdashloo holt aus der Stimme ihrer Drachin, was sie kann. Doch das ist schlicht nicht viel. Wenn jede Figur zwei oder drei gegensätzliche Rollen abdecken soll, geht ihnen unweigerlich ein Großteil ihrer Menschlichkeit und Fassbarkeit verloren eigentlich ein filmemacherisches und allgemein erzählerisches Grundprinzip.

Inszenierung: Fantasy-Fotoalben deiner Freunde

Die Bildkraft von Damsel ist eine Stärke des Films. Nicht immer spricht ein enormes Budget aus den einzelnen Bildern, doch sie sind stark in Szene gesetzt. Farben und Kontraste spielen ineinander und bauen eine leicht irreale, märchenhafte, doch gleichzeitig handfeste Kulisse auf. Die Survival-Action des zweiten Akts braucht beides.

Kontraste im Höhlensystem
Kontraste im Höhlensystem

Leider hören die Stärken auf dieser elementaren Ebene schon wieder auf. Was die schönen Bilder zeigen, ist oft recht banal. Elodies Heimat ist arm, kalt und weiß. Das Königreich ihres Prinzen ist lebendig und wohlhabend in grün und gold. Diese Bildsprache schadet niemandem wirklich. Aber sie bietet auch nicht mehr als ausgelutschte Symbolsprache aus dem Handbuch. Und gerade in den besten Momenten, mit Elodie allein auf der Flucht vor der Drachin, fällt die Ästhetik in eine Reihe von steinernen Höhlen und Schächten, die in Aussehen und Architektonik an ein Computerspiel der frühen Polygon-Ära erinnern.

Umso irritierender ist die seltsame Gewohnheit des Films, seine Bilder zu wiederholen. Es wirkt, als hätten die Filmemacher*innen eine grundlegende Faszination mit Bildpaaren. Sehr präzise gibt es immer wieder denselben Eindruck zweimal. Oft braucht man ihn aber nicht.

Erzählstil: Die starke Frau, das Wesen der 90er

Genauso oft hat man das Gefühl, der Film hielte einen für dumm und glaubt, er müsse einem alles zweimal sagen. Die zweifache Wiederholung setzt sich auch erzählerisch fort. Allerdings stößt diese Hat-das-jetzt-auch-jede*r-mitgekriegt-Mentalität die Zuschauenden nur noch stärker auf die Sprunghaftigkeit der Charaktere. Erst verwendet Damsel die doppelte Zeit auf die höfische Oberflächlichkeit von Elodies Stiefmutter, dann reicht ein zweiminütiges Gespräch aus, um sie zur weitsichtigen Mahnerin gegen ihren Ehemann zu machen, natürlich auch wieder in zwei Szenen.

Das größere erzählerische Problem ist aber der Feminismus. Nein, keine Angst, wir stolpern hier nicht in irgendeine antiquierte Debatte. Das Problem ist viel mehr die antiquierte Perspektive des Films. Man merkt schlicht und ergreifend, dass Damsel von einem Mann geschrieben und von einem anderen Mann umgesetzt wurde. Es ist alles so plakativ, simpel und von außen. Man bzw. frau hätte eigentlich hoffen können, dass zumindest die großen Studios und Streamer dieses Niveau überwunden hätten.

In seinen stumpferen Momenten erinnert Damsel an einen schlechten Abklatsch des fragwürdigen Werks von Joss Whedon. Um mit einer weiteren Debatte zu kokettieren, die wir alle lieber umgehen, wenn wir uns nicht ganz besonders wohlfühlen: Ich bin trans. Ich erinnere mich noch an die Zeiten, als diese Art von Feminismus und männergemachter Weiblichkeit mich enorm ansprachen. Sie waren mir zugänglich, denn ihnen fehlte genau wie mir die gelebte Perspektive. Heute fühlt sich die Erinnerung an diese Gedanken und Meinungen eher an wie besonders intensives Fremdschämen. Und auch die Filmindustrie sollte sich eigentlich in den Jahren weiterentwickelt haben.

Damsel arbeitet eine lange Liste an pseudofeministischen Tropen ab: Frauen können auch körperlich arbeiten. Frauen sind Freigeister. Frauen dürfen genießen. Unsere Kleidung schränkt uns ein. Wir kämpfen auf den Schultern unserer Vorfahrinnen. Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Manche dieser Statements würden sogar funktionieren, wenn sie mit mehr Eleganz behandelt würden. Hier und da funktionieren einige sogar hier in den Händen der Hauptdarstellerin. Doch in ihrer geballten Fließband-Bearbeitung, mit derart stumpfen Pinseln gemalt und in einem Ton, der immer wieder um Applaus für die banalsten Einsichten heischt, verfliegt jedes Gefühl von genuiner Weiblichkeit schnell. Und warum braucht ein Film, der den Begriff Damsel auf den Kopf stellen will, am Ende eine Damsel?

Die harten Fakten:

  • Regie: Juan Carlos Fresnadillo
  • Darsteller*in(nen): Millie Bobby Brown, Shohreh Aghdashloo, Robin Wright, Angela Bassett
  • Erscheinungsjahr: 2024
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Format: Spielfilm, Streaming
  • Preis: im Abo enthalten
  • Bezugsquelle: Netflix

 

Fazit

Eleven, Wonder Woman’s Mentorin, Queen Ramonda – es ist schon enorm schade, mit den Frauen hinter diesen Charakteren nicht mehr anzufangen. Ich wollte Damsel wirklich mögen. Meine Schwäche für die klassischen starken Frauen ist nie ganz verflogen. Und ich mag den grundlegenden Stil des Films sehr. Doch das reicht einfach nicht, um Damsel etwas abzugewinnen. Zu platt ist alles von der Bildsprache über die Story bis zu den Ideen dahinter. In Damsel steckt ein wirklich guter Film. Teile des zweiten Aktes sind sehr vergnüglich. Es ist eine Schande, dass man diesen Teilen keinen Raum zum Atmen gegeben hat. So, wie der Film jetzt ist, frage ich mich, ob es Spaß machen könnte, nur ebenjenen zweiten Akt zu schauen…

 

  • Starkes Versteckspiel
  • Solide Schauspieler*innen

 

  • Miserable Charakterisierung
  • Schlechte Story
  • Antiquierter Männer-Feminismus

 

Artikelbilder: © Netflix
Layout und Satz: Mika Eisenstern
Lektorat: Katrin Holst
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für die Rezi, auch ohne den Film gesehen zu haben, sehr sehr lesenswert, weil so ein Werk dann doch über ihn hinausgehende Gesellschaftsaspekte beleuchtet und diese Rezension mich auf viele mir wichtige Aspekte hingeführt hat.

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