Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

In Lose Blätter wandeln wir mit den Protagonist*innen durch unterschiedliche Welten: Suzie, Raoul und Max leben zu völlig unterschiedlichen Zeiten und doch verbindet sie der Pinselstrich und ihre Leidenschaft für das Geschichtenschreiben. Doch was passiert, wenn das Leben sie davon abhält, dieser Passion nachzugehen?

Und tatsächlich ist das Leben der drei Charaktere bedroht, denn sie zeichnen jeweils das Leben der Anderen und müssen jeweils zunächst mit Herausforderungen ihrer Zeit umgehen lernen.

Triggerwarnungen

Folterszene in einem Panel

[Einklappen]

Handlung

Um die Handlung verstehen zu können, erhält man zunächst Einblick in die aktuelle Lage und in den Alltag der drei Charaktere. Da ist einmal Max, der sich die Zeit mit dem Zeichnen von Comics vertreibt. Eines Tages entdeckt er einen seltsamen fremden Mann in einer ehemaligen Abtei am Waldrand, der seine bisherigen Zeichenversuche kommentiert. Max findet bei Dacharbeiten in der Abtei alte Bleilettern und spürt die seltsam erhabene Stimmung an diesem bedeutsamen Ort, einem ehemaligen Skriptorium, auf einmal deutlich. Als der fremde Mann schließlich äußert, dass er seine weiteren Ergebnisse baldmöglichst sehen möchte, sprudelt eine ganz bestimmte Geschichte aus Max heraus, welche im Mittelalter spielt und von einem Mönch handelt. Max wiederum macht das Comiczeichnen zu seiner Passion.

Für Max wird das Comiczeichnen zur Passion
Für Max wird das Comiczeichnen zur Passion

Die Graphic Novel springt dann zu Raoul, dem Kopistenmönch, der im Mittelalter lebt. Er verbringt Tage damit, Bücher zu kopieren und abzuzeichnen. Gleichzeitig ist er etwas unterfordert von seiner Tätigkeit und gelangweilt von dieser eintönigen Fleißarbeit. Eines Tages hört er auf der Straße, dass ein Ketzer im Kerker gelandet ist. Jener habe wohl Flugblätter gedruckt, eine absolut unvorstellbare Tätigkeit in dieser Zeit. Doch Raoul ist interessiert: Wie geht diese Zauberei namens Druck vonstatten? Er spioniert die Wirkstätte des Ketzers aus und trifft dort auf den Henkerssohn, der ebenso fasziniert von diesen Gerüchten und der neuartigen Technik ist. Gemeinsam entdecken sie die Druckplatten, die Lettern und das Papier. Ihnen ist klar, dass der Ketzer unschuldig ist, rätseln aber auch, ob sie diese großartige Technik und damit verbunden die unschätzbaren Möglichkeiten an die große Glocke hängen sollen. Sie spinnen gemeinsam große Zukunftsszenarien und handeln erst einmal verdeckt weiter: Als allererstes retten sie den sogenannten Ketzer, den Drucker.

Auch der Henker entwickelt Interesse an der ehemaligen Druckstätte
Auch der Henker entwickelt Interesse an der ehemaligen Druckstätte

Doch die Handlung verlagert sich erst einmal in die weite Zukunft: Suzie lebt einige Jahre nach uns und ist Illustratorin. Sie gestaltet 3D-Formen in einer Art Hologramm-Grafikprogramm in der Luft, in ihrem sogenannten Illuminationsraum. Das Grafikunternehmen, welches sie mit ihrem Bruder betreibt, steht jedoch gar nicht gut da. Und Suzie zweifelt auch an ihren Fähigkeiten: Sie ist sich nicht mehr sicher, ob sie die von ihrem Vater erfundenen Figuren, die sie aus der Versenkung holt und neu aufleben lässt, weiter verwenden möchte. Von ihrer hyper-futuristischen Stadt aus, die sowohl fliegende Autos als auch abenteuerlich bepflanzte Gebäude bietet, ist sie in Kontakt mit ihrem Vater, der aktuell auf dem Mond bei einer Comicausstellung weilt. Suzie möchte unbedingt ihre Freude am Zeichnen wiederfinden und eines Tages probiert sie etwas Neues aus. Plötzlich hat sie eine Eingebung und zeichnet die Geschichte rund um Max.

Suzie hat die Idee für einen Comic über Max ...
Suzie hat die Idee für einen Comic über Max …

Währenddessen (oder auch nicht, eigentlich gibt es kein vorher und nachher, da alles irgendwie parallel in den Geschichten passiert) gehen die Leben von Max und auch von Raoul weiter. Max wird mit hartem Feedback konfrontiert und Raoul nimmt mit seinen Komplizen die Druckerei in Betrieb. Suzie sucht ihren Vater auf und stößt dabei in der Realität auf Orte, die sie selbst erfunden hat. Irgendwann kommt der Tag, als sich die Lebenslinien der vorkommenden Charaktere treffen und miteinander verweben – und das hat fatale Folgen …

Lose Blätter ist in seiner Handlung nicht gerade einfach nachvollziehbar. Es erfordert Konzentration und etwas Logik, den Ablauf der Geschichte zu verstehen und den Plot ganz zu durchdringen.  Die Verknüpfungen werden am Ende zwar etwas mehr aufgelöst, aber ganz eindeutig ist die Handlung dann doch nicht. Doch das braucht es auch nicht unbedingt, denn die Botschaft der Graphic Novel ist klar: Jede*r Geschichtenschreiber*in bringt auch immer etwas von sich selbst in seine Geschichte ein und es kostet zum Teil einen riesigen Aufwand, eine gute Story mit passenden atmosphärischen Bildern zu erschaffen. Zitat aus Lose Blätter: „Comics sind Arbeit. Man darf keine Angst haben, sein Leben damit zu verbringen.“

Charaktere

Nicht alle Charaktere lernen wir tiefer kennen. Doch eines sei verraten: Alle sind mehr miteinander verbunden als vermutet. Max wird immer ehrgeiziger, um seinen Traum zu verfolgen, Raoul geht große Risiken ein, um den Status Quo zu verändern und Suzie setzt Welten in Bewegung, um wieder mehr zu sich selbst zu finden.

Zeichenstil

Clérisse verwendet in Lose Blätter einen sehr eigenen und auffallenden Stil. Die Hintergründe und Rahmen der Panels spielen mit geometrischen Formen, dennoch sind überall auch immer Bäume oder Pflanzen zu sehen. Er nutzt eine sehr eingeschränkte Farbpalette, sehr viel blau, orange, rot und gelb. Hier spielt er wohl mit den Druckfarben CMYK – cyan, magenta, yellow und black, die Farben, die in der Drucktechnik eine wichtige Rolle spielen. Er spielt ebenfalls mit verschiedenen Perspektiven und einer sehr freien, kreativen Seitenaufteilung.

Erscheinungsbild

Lose Blätter ist ein Hardcover-Band mit angenehmen dicken Seiten (144 Seiten) und etwas größer als DINA4. Er ist hochwertig in Farbe gedruckt. Die Panels werden mit kleineren Textblöcken ergänzt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Carlsen-Verlag
  • Autor*in(nen): Alexandre Clérisse
  • Zeichner*in(nen): Alexandre Clérisse
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Deutsch (aus dem Französischen übersetzt)
  • Format: 223×300 mm, Hardcover
  • Seitenanzahl: 144
  • Preis: 25 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Alles in allem ist Lose Blätter ein vielschichtiges Werk, das verschiedene Welten auf originelle Weise zusammenbringt. Eine Prise Gesellschaftskritik und historische Bezüge wie Drucktechnik oder die Reproduktion von bildlicher Darstellung, dazu eine wirklich außergewöhnliche Farbgestaltung treffen in dieser Graphic Novel aufeinander. Das Spiel mit kalten und warmen Farben, aber auch die Betonung der Landschaft und von Gebäuden wecken das Interesse für die Story. Der Plot ist spannend, aber erfordert Konzentration und logisches Schlussfolgern. Die Lebenswelten sind überzeugend gestaltet, was eine der großen Stärken des Buches darstellt. Es zeigt, wie Menschen für ihre Leidenschaft, dem Illustrieren beziehungsweise Zeichnen, kämpfen und verdeutlicht den Wert und die Bedeutung von (gemeinsamen) Geschichten. Die Charaktere, selbst die Nebencharaktere, sind gut ausgestaltet und lebendig. Sie erleben den normalen Alltag als auch ganz große Schlüsselmomente in ihrem Leben und erst am Ende zeigt sich, wie alle drei Geschichten zusammenhängen. Wer sich für ineinander verwobene Geschichten à la Inception interessiert, gerne Comics oder Illustrationen mag oder sich für Buchdruck beziehungsweise Drucktechnik interessiert, kommt hier auf seine Kosten.

  • Kreative Einfälle (Plot) und Panelgestaltung

  • Schöne Farbpalette

 

  • Kompliziertes Zeitsprung-Abenteuer

 

Artikelbilder: © Carlsen
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Alexa Kasparek
Fotografien: Verena Tribensky
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel enthält Affiliate-Links. Durch einen Einkauf unterstützt ihr Teilzeithelden, euer Preis steigt dadurch nicht.

Über die Autorin

Verena Tribensky kommt aus Süddeutschland und verfasst schon immer gerne Texte – egal ob Rezension oder kreatives Schreiben. Neben Comics und Brettspielen hat sie auch ein Faible für schöne Illustration und Animationsfilme. Sie geht Bogenschießen und lauscht gerne Hörspielen.

 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein