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Die atomare Zerstörung des Großen Krieges hinterließ das Ödland: eine lebensfeindliche Umgebung, in der die übrig gebliebenen Menschen versuchen, wieder eine Zivilisation aufzubauen. Als einer dieser Überlebenden tut man knapp 200 Jahre nach dem Fallout, was man in einer postapokalyptischen Welt tun muss: überleben.

Fallout – The Roleplaying Game von Modiphius basiert auf der Videospielreihe Fallout aus dem Hause Bethesda, insbesondere auf Fallout 4 aus dem Jahr 2015. In diesem Grundregelwerk bekommt man die Anleitung dafür, das Ödland nun nicht mehr nur am Bildschirm, sondern auch am Spieltisch erkunden und Abenteuer erleben zu können. Ob und wie diese Umsetzung gelungen ist, erfahrt ihr hier.

Die Spielwelt

Am 23. Oktober 2077 fielen die Bomben und veränderten die Welt für immer. Ein unbekanntes Ereignis brachte das sich seit Langem füllende Fass der Spannungen zwischen den rivalisierenden Supermächten USA und China zum Überlaufen. In einem nur wenige Stunden andauernden globalen Krieg wurden sämtliche verfügbaren Atomwaffen eingesetzt. Wer es sich leisten konnte, wurde in den USA in sogenannten Vaults (Bunker) in Sicherheit gebracht. Der Rest starb entweder oder fand sich in einem zwar bewohnbaren, aber lebensfeindlichen Ödland wieder. Der Fallout, die daraus resultierenden Mutationen und der Mangel an natürlich wachsenden Pflanzen erschweren das Überleben noch immer maßgeblich.

Man bereitete sich schon früh auf einen Krieg vor.

Fallout spielt in den ehemaligen USA. Über das, was nach dem Großen Krieg mit den anderen Ländern geschah, ist so gut wie nichts bekannt. Vor dem Krieg ähnelt die Welt von Fallout der unseren, ist aber doch ganz anders. So blieb etwa die Computertechnik auf einem niedrigen Stand und das Farbfernsehen wurde nie erfunden, dafür wurden große Fortschritte in der Robotik erzielt. Kulturell blieb die Welt von Fallout Ende der 1950er hängen, jedoch mit einem Hauch von Futurismus. Man setzte vor allem auf Atomkraft – sogar in Autos – eine Umweltbewegung gab es nie. Patriotismus und Kapitalismus herrschten vor. Der Kampf um endliche Ressourcen wurde der Welt schließlich zum Verhängnis.

Da Fallout – The Roleplaying Game sowohl zeitlich als auch örtlich auf dem Videospiel Fallout 4 basiert, besteht die spielbare Welt primär aus dem Commonwealth um das Jahr 2287. Andere Schauplätze und Zeiten sind dennoch durchaus möglich, werden im Grundregelwerk jedoch nicht behandelt.

Das Commonwealth ist vielfältig, aber auch gefährlich.

Als Commonwealth werden der Großraum des ehemaligen Bostons, sowie dessen Umgebung bezeichnet. Im südwestlichen Teil befindet sich der Ground Zero: Dort ist 2077 eine Atomrakete eingeschlagen. In und um Boston herum gibt es viele verschiedene Orte, die Schauplatz unterschiedlichster Ereignisse und Begegnungen sein können. Ganz im Stil von Fallout darf dabei eine Prise schwarzer Humor ab und an nicht fehlen. Wie im Videospiel lassen sich auch hier die vier wichtigsten Fraktionen finden: das Institut, die Stählerne Bruderschaft, die Minutemen und die Railroad.

Im Grundregelwerk werden viele wichtige und interessante Orte detailliert und mit ungefährer Lage im Commonwealth beschrieben. Zu manchen wird zusätzlich eine Idee für eine mögliche Quest geliefert. Nicht wenige dieser Orte wurden entsprechend den Bedürfnissen der Ödlandbewohner*innen umfunktioniert. So etwa das ehemalige Baseballstadion der Stadt Boston, das Sicherheit bietet und inzwischen Diamond City, die größte Stadt des Commonwealth, beherbergt.

Die Regeln

Fallout – The Roleplaying Game nutzt das 2d20-System aus dem Hause Modiphius. Proben erfolgen standardmäßig mit zwei zwanzigseitigen Würfeln. Dabei muss ein Wert unterwürfelt werden, der sich aus dem Wert des Skills und dem eines passenden Attributs zusammensetzt. 

Jeder Charakter hat sieben Attribute wie etwa Stärke, Wahrnehmung oder Intelligenz. Diese Attribute haben im Normalfall einen Mindestwert von 5 und einen Maximalwert von 10. Zusätzlich verfügen Charaktere über 17 Skills, mit Werten zwischen 0 und 6, denen jeweils ein Attribut zugeordnet ist. Als Beispiele seien hier Energiewaffen, Wissenschaft und Überleben genannt.

Im Ödland muss man sich zu wehren wissen.

Für eine Probe legt die Spielleitung eine Schwierigkeit zwischen 1 und 5 fest. Diese Zahl bestimmt, wie viele Erfolge notwendig sind, damit die Probe gelingt. Mit „Action Points“, die der ganzen Gruppe zur Verfügung stehen, können zusätzliche W20 gekauft werden, aber auch anderweitig zum Vorteil der Charaktere genutzt werden. Aber Achtung: Auch die SL verfügt über Action Points, die sie gegen die Charaktere einsetzen kann.

Im Kampf kommen zusätzlich zu den W20 noch sechsseitige Combat Dice hinzu. Ist ein Angriff erfolgreich, wird eine gewisse Anzahl W6 gewürfelt, die sich nach der benutzten Waffe richtet. Jede gewürfelte 1 verursacht einen Schaden, jede 2 verursacht zwei Schaden. Bei einer 3 und 4 geschieht nichts, bei einer 5 oder 6 werden ein Punkt Schaden verursacht und zusätzlich spezielle Effekte der geführten Waffe ausgelöst, wenn sie solche besitzt. Der Kampfschauplatz ist dabei in Zonen aufgeteilt und die Kämpfenden werden von der Umgebung, wie etwa Terrain oder Hindernissen, beeinflusst.

Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Egal ob 10mm Pistole…

Ähnlich wie im Videospiel, so gibt es auch hier eine ganze Reihe an verschiedensten Waffen, Rüstungen und Ausrüstungen. Diese sind zum einen in Tabellen zusammengefasst, zum anderen einzeln beschrieben, sodass sich auch Personen mit geringen oder nicht vorhandenen Kenntnissen der Fallout-Reihe etwas darunter vorstellen können. Die vielen Illustrationen tragen noch weiter dazu bei.

…oder Fat Man. Eine Waffe, die Mini-Atombomben verschießt.

Bei einem Rollenspiel mit postapokalyptischem Szenario darf auch der Aspekt des Überlebens nicht fehlen. So wurde an Regeln für Erschöpfung, Krankheiten, Hunger und Durst gedacht. Ebenso sollte man im Ödland bei jeder Gelegenheit auf die Suche nach Nahrung und nützlichen Gegenständen gehen. Jeder Fund kann zu einem späteren Zeitpunkt das Überleben auf die eine oder andere Weise sichern. Dabei sollte man jedoch nicht die Umgebung außer Acht lassen, denn das Ödland birgt viele Gefahren: Die an vielen Orten herrschende radioaktive Strahlung ist nur eine davon.

Diese Regeln sind optional und können, je nach Spielstil der Gruppe, ganz, teilweise oder gar nicht am Spieltisch umgesetzt werden.

Alltägliches (Über-)Leben im Ödland.

Das Buch schließt mit einem Teil, der der Spielleitung vorbehalten ist. Dieser besteht aus generellen Tipps zum Leiten und zum Spielen im Ödland, sowie einer Liste verschiedenster NSC, auf die man treffen kann – sowohl feindliche als auch freundliche. Am Schluss findet sich ein Abenteuer für den Einstieg.

Charaktererschaffung

Als Basis für den Charakter wählt man zuerst eine von insgesamt sechs Herkünften aus. So kann man etwa ein Mitglied der Stählernen Bruderschaft, einen Ghul oder einen Mister Handy – einen Roboter – spielen. Als nächstes werden die verfügbaren Punkte auf die sieben Attribute verteilt. Anschließend wird festgelegt, in welchen Skills der Charakter bewandert ist. Drei dieser Skills werden hierbei zu sogenannten „tag skills“, die wichtig für den Charakter sind und in denen er besonders gut ist. Schließlich wird noch ein Perk, eine Art Vorteil, ausgewählt. Hierzu gibt es eine lange Liste, die aus dem Perk-System von Fallout 4 übernommen wurde. Wenn notwendig, wurden Änderungen vorgenommen, um manche Mechaniken des Videospiels geeigneter für ein Pen-and-Paper-Rollenspiel zu gestalten.

Die Charaktergestaltung bietet Freiraum für viele Ideen.

Nachdem Werte wie Traglast, Lebenspunkte und Initiative ausgerechnet wurden, folgt die Wahl der Ausrüstung. Je nach gewählter Herkunft hat man hierbei die Wahl aus verschiedenen Paketen, welche die Herkunft noch einmal verfeinern. So kann ein Ghul unter anderem zum Siedler, Söldner oder Raider werden. Jede dieser Möglichkeiten bietet dann ein bestimmtes Paket an Startausrüstung.

Damit sind die neuen Ödlandbewohner*innen bereit, in ihre ersten Abenteuer zu starten. Da Fallout – The Roleplaying Game ein Levelsystem verwendet, starten die Charaktere normalerweise auf Level 1, es ist jedoch auch möglich, mit einem höheren Level zu beginnen.

Insgesamt nimmt die Charaktererschaffung kaum mehr als eine halbe Stunde in Anspruch, je nachdem, wie genau man sich die lange Perkliste durchliest. Die Attribute und Skills werden separat zu Anfang erklärt, was ein Hin- und Herscrollen oder -blättern verursacht, wenn man später Werte darauf verteilen soll. In dieser Hinsicht wäre es besser gewesen, die Erklärungen entsprechend zu platzieren.

Erscheinungsbild

Das Cover ziert die Rückseite eines blauen Vault-Overalls, die Kleidung, welche von Vault-Bewohner*innen getragen wird. Zusätzlich ist mittig auf dem Overall die goldene Zahl 111 zu sehen: Sie steht für Vault 111, in welchem die Hauptfigur aus Fallout 4 Schutz vor den Atomraketen sucht und in der schließlich die Ereignisse des Videospiels ihren Lauf nehmen. Am oberen Rand des Covers ist der bekannte Fallout-Schriftzug zu sehen.

Der Text ist übersichtlich gegliedert und mit deutlichen Überschriften versehen. Die Schrift ist gut lesbar und nicht zu klein. Manche Informationen sind in unterschiedlich gestalteten Boxen dargestellt und werden dadurch hervorgehoben. Die vielen Tabellen heben sich gut ab und sind durch abwechselnde farbliche Gestaltung der Zeilen gut zu lesen.

Das Buch ist in zwölf Kapitel aufgeteilt, wobei sich am Ende ein Index und Charakterbögen befinden.

Das gesamte Grundregelwerk ist in typischer Fallout 4-Optik gehalten: bunt, fröhlich und wie ein Ratgeber oder Handbuch aus der Vorkriegszeit gestaltet. Immer wieder ist der Vault-Boy zu sehen, dessen Zeichnungen etwa die Attribute oder Skills illustrieren. Zusätzlich wird der Text durch hochwertige, farbige Bilder aufgewertet, welche die Stimmung und Atmosphäre des Ödlands passend widerspiegeln.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Modiphius Entertainment
  • Autor*in(nen): Alison Cybe, Jason Brick et al.
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover, PDF
  • Seitenanzahl: 429
  • ISBN: 9781912743681
  • Preis: ab 45,95 EUR (Hardcover), 20,99 USD (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo, DriveThruRPG

 

Fazit

Mit Fallout – The Roleplaying Game ist der Sprung von einem Videospiel als Vorlage hin zu einem Pen-and-Paper-Rollenspiel gelungen. Das über 400 Seiten starke Grundregelwerk bietet alles, um viele abwechslungsreiche Stunden im Ödland des Commonwealth verbringen zu können. Die Informationen über die Spielwelt und alles darin sind sehr ausführlich und detailliert beschrieben. Zahlreiche hochwertige und stimmungsvolle Illustrationen werten alles noch weiter auf.

Das 2d20-System stellt die Welt von Fallout gut dar und es wirkt nicht so, als hätte etwas passend gemacht werden müssen.

Die Regeln erscheinen auf den ersten Blick sehr umfangreich, sollten aber auch für unerfahrene Rollenspieler*innen zu bewältigen sein, zumal sie teilweise individuell anpassbar sind. Neue Spielleitungen erhalten im entsprechenden Abschnitt Tipps und Ratschläge für einen erfolgreichen Start ins Spiel.

Da dieses Rollenspiel auf Videospielen basiert, wird es vor allem Fans dieser Reihe abholen. Ihnen ist die Spielwelt bekannt, wodurch Einstieg und Immersion leichter fallen. Im Grundregelwerk ist jedoch so gut wie jeder vorkommende Gegenstand und jedes Lebewesen beschrieben, sodass es auch ohne Kenntnisse gelingt, sich ein gutes Bild zu machen. Deshalb lohnt sich auch für Personen, die Fallout kaum oder gar nicht kennen, ein Blick; insbesondere, wenn man Fan von postapokalyptischen Szenarien ist. Letztendlich hält das Ödland für alle etwas bereit.

Dieser Ersteindruck basiert auf dem Lesen des Grundregelwerkes als PDF und dem Erstellen von zwei Charakteren. Ein Spieltest wird folgen.

 

  • Sehr ansprechende Aufmachung
  • Spielwelt wird gut durch das 2d20-System dargestellt
  • Umfangreiche Informationen zur Spielwelt
 

  • Knappe Beleuchtung des geschichtlichen Hintergrundes

 

Artikelbilder: © Modiphius Entertainment, © Bethesda
Screenshots: Ayleen Schmidt
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Katrin Holst
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

2 Kommentare

  1. Für die alten Fallout Hasen und Häsinnen wärs noch interessant zu erfahren, ob die Attribute die klassischen SPECIAL-Attribute aus den Fallout Spielen sind. Ich gehe da einfach mal davon aus, im Text ist von 7 Attributen die Rede und das würde passen.

    (Strength, Perception, Endurance, Charisma, Intelligence, Agility, Luck)

    • Es wäre nicht Fallout, wenn man nicht S.P.E.C.I.A.L. wäre!
      Die Attribute werden wie gewohnt in die sieben Kategorien eingeteilt – inklusive der typisch witzigen Darstellungen vom Vault-Boy.

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