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Die menschliche Fantasie ist groß. Dennoch ist es nicht immer möglich, sich alles von Grund auf selbst auszudenken. Vorgefertigte Abenteuer bilden hier die einfachste Lösung. Doch manchmal möchte man lieber etwas Eigenes, das perfekt auf die Gruppe zugeschnitten ist. Hier kommen Inspirationen aus verschiedensten Quellen ins Spiel.

Inspiration ist überall. Sobald wir beginnen, uns etwas auszudenken, greifen wir bewusst oder unbewusst auf bereits Gesehenes, Gelesenes oder Erlebtes zurück. Dabei ist diese Art der Inspiration selbstverständlich nichts Schlechtes. Sie hilft uns, eine erste Idee zu bekommen oder eine bereits bestehende Idee auszubauen.

Dennoch sollte man aufpassen, wie man die Inspiration verpackt und der Rollenspielgruppe präsentiert. Dies trifft vor allem für die Spielleitung beim Schreiben eines eigenen Abenteuers, aber auch für Spieler*innen beim Erstellen eines Konzepts für ihren Charakter zu.

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Woher kommt die Inspiration?

Quellen der Inspiration sind vielfältig und funktionieren für jede*n unterschiedlich gut. Manche brauchen eher Ruhe und Einsamkeit und manche das Gespräch mit Freund*innen, um neue Ideen zu bekommen. Für die einen bringt Musik die nötige Inspiration, anderen kommt diese, wenn sie ihren Gedanken in der Dusche nachhängen. Sie können persönlicher Natur sein, auf die nur man selbst Zugriff hat, oder allgemeinerer Natur, die einer größeren Anzahl an Personen potenziell zur Verfügung stehen, wie Filme, Bücher oder Spiele. So kann man durch eine Anekdote des Großvaters genauso inspiriert werden, wie durch einen weltweit erfolgreichen Blockbuster.

Für diesen Artikel soll die Konzentration jedoch auf Inspirationen allgemeiner Natur liegen, denn sie benötigen ein mehr oder minder großes Maß an Verfremdung. Das ist wichtig, damit der Rest der Rollenspielgruppe nicht sofort dahinter schaut, was besonders fatal ist, wenn so der Plot eines Abenteuers herausgefunden oder vorhergesagt werden kann.

Aber… ist das nicht stehlen?

Im Rollenspiel ist nichts verwerflich daran, sich von bereits Bestehendem inspirieren zu lassen. Es existiert bereits eine so große Anzahl an Geschichten, dass viele von ihnen Variationen voneinander sind. Nicht umsonst existiert etwa im Filmbereich der Begriff „Trope“, ein sich in verschiedenen Filmen wiederholendes Motiv oder Erzählmuster, das den Zuschauenden etwas vermittelt und die Filme besser in Genres einteilen lässt.

Ein gutes Beispiel hierfür sind Tropen, die in Horrorfilmen verwendet werden. Das typische „Teilen wir uns auf“ löst beim Zuschauenden zwei Dinge aus: Erstens die Frage, wie man so dumm sein kann – welche aber nur gestellt werden kann, weil man weiß, dass es sich um einen Horrorfilm handelt. Die Charaktere selbst wissen häufig noch nicht, dass es eine schlechte Idee ist. Zweitens weiß man als Zuschauer*in durch diesen Satz, dass in naher Zukunft mindestens einem der Charaktere etwas Schreckliches zustoßen wird.

 

© graphicicons19.gmail.com
Tropen sind nicht mit Klischees zu verwechseln. © graphicicons19.gmail.co

Wiederkehrende Motive helfen uns, Ereignisse in einem größeren Kontext einzuordnen, und können einen Rahmen, ein Grundgerüst schaffen. Im Rollenspiel ist das zum Beispiel die Art der Aufträge, welche die Charaktere erhalten. Diese sind meist mit einem Genre (Wildnis, Sozial, Dungeon) verbunden. Hierdurch entsteht eine grobe Vorstellung, was man zu erwarten hat. Die genauen Details können hingegen sehr überraschend sein. Diese Balance gilt es in einem Abenteuer zu finden. Die Spieler*innen sollten zu Beginn wissen, auf was sie sich in etwa einlassen, aber später genügend überrascht und gefordert werden, damit es nicht langweilig wird. Hier ist es wichtig, eventuelle Inspirationen ausreichend zu verfremden.

Wie verfremde ich nun meine Inspirationen?

Hierfür stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Zuerst einmal muss man sich darüber im Klaren sein, ob die restliche Gruppe überhaupt in der Lage ist, eine genutzte Inspiration zu erkennen. Hat man sie aus einem unbekannten Buch, das sonst niemand gelesen hat, wird ein Verfremden nicht nötig sein. Stammt die Inspiration jedoch aus einem Film, der allen bekannt ist, kommt man nicht darum herum.

Verändern & Vermischen

Eine Option ist es, die Inspiration gezielt in ein anderes Setting zu versetzen als das, aus dem sie stammt. Dadurch wird man vermutlich auch Namen von Charakteren, Orten und Gegenständen ändern müssen, was ein weiteres Verfremden darstellt. Ebenso können bestimmte Schlüsselelemente etwa eines Plots abgeändert werden.

Ein gutes Beispiel hierfür ist der Mythos der Medusa, deren Anblick jede*n zu Stein werden lässt. Perseus, der sie enthaupten soll, entgeht diesem Schicksal, indem er sie nicht direkt, sondern nur über die Spiegelung in seinem Schild ansieht. Schaut man nun die etwas neuere Fantasyliteratur an, so bemerkt man etwas: In Harry Potter und die Kammer des Schreckens treibt ein Basilisk sein Unwesen. Wer ihm in die Augen sieht, stirbt. Doch auch hier gibt es einen Weg das zu umgehen, indem man nur die Spiegelung des Monsters ansieht. In diesem Fall erstarrt man zwar, ist aber nicht tot und kann zurückverwandelt werden.

Nun kann es genauso gut sein, dass Rowling ihre Inspiration im Basilisken als Fabelwesen, das aus einem von einem Hahn gelegten Ei schlüpft, gefunden hat. Basilisken sind ebenso aus alten griechischen Geschichten bekannt, jedoch mit einem tödlichen Atem. Aber die Parallelen zum Mythos der Medusa zeigen gut, wie man gewisse Aspekte einer Geschichte so verändern kann, dass die Inspiration zwar noch erkennbar, aber nicht sofort offensichtlich ist.

Ob er Pate für Rowlings Basilisken stand? © mariaflaya
Ob er Pate für Rowlings Basilisken stand? © mariaflaya

Ähnlich verhält es sich bei der Möglichkeit, verschiedene Inspirationsquellen miteinander zu vermischen, um so jede einzelne unkenntlicher zu machen:

Charaktere könnten durch einen noch fremden Widersacher schwer verwundet werden und in einer ihnen unbekannten Welt aufwachen. Dort werden sie als Eindringlinge gefangen genommen und finden sich in einem Spiel um Leben und Tod wieder. Zu allem Überfluss macht ihr Widersacher sich einen Spaß daraus, Geister und andere übernatürliche Wesen auf sie zu hetzen, um ihnen das Überleben weiter zu erschweren. Die Gruppe muss alles heil überstehen und kann auf dem Weg Verbündete finden, um sich schließlich an ihm zu rächen und seinen Machenschaften ein Ende zu bereiten.

Die Inspirationen für diese auf die Schnelle grob ausgedachte Plotidee stammt aus den Büchern Die Tribute von Panem, dem Film Ghostbusters und dem Videospiel Fallout: New Vegas, kombiniert mit dem „In einer anderen Welt aufwachen“-Trope. Im Nachhinein darauf aufmerksam gemacht, könnte unbewusst auch die Filmreihe Saw ihren Einfluss genommen haben. Man merkt hieran schon, dass die genutzten und umgesetzten Inspirationen teilweise nur noch lose etwas mit ihrem Ursprung zu tun haben und somit verfremdet wurden. Dies geschieht fast schon automatisch, wenn man versucht, die verschiedenen Quellen miteinander in Einklang zu bringen.

Ins Gegenteil verkehren

Wie kam es dazu, dass nun der Drache eingesperrt ist? © Sandylevtov
Wie kam es dazu, dass nun der Drache eingesperrt ist? © Sandylevtov

Eine Methode, die etwas weniger verfremdet, aber dennoch interessante Ergebnisse liefern kann, ist, Elemente einer Inspiration zu vertauschen oder ins Gegenteil zu verkehren. Ein Klassiker hierbei: Die Gruppe muss den Drachen vor der bösen Prinzessin retten. Ganz so absurd muss es nicht werden, aber durch diese Umkehr stellen sich automatisch Fragen, die zu einem weiteren Ausbau der Geschichte führen: Was ist das für ein Drache, der sich gefangen nehmen lässt? Welche Kräfte besitzt die böse Prinzessin? Würde sie sich ebenfalls einen Turm oder eine Höhle als Gefängnis für den Drachen aussuchen oder eher einen anderen Ort?

Plottwists einbauen

Es muss nicht zwingend etwas Schlechtes sein, wenn eine Inspiration erkennbar ist. Die Spieler*innen glauben den Plot des Abenteuers durchschaut zu haben, weil er sehr dem eines Filmes ähnelt? Umso leichter kann man sie damit überraschen, dass die Geschehnisse an einem bestimmten Punkt eine völlig andere Wendung nehmen. Denn man selbst hat als Spielleitung nur zu Beginn eine Inspiration aus populärer Quelle benötigt und der Rest konnte mit eigenen Ideen gefüllt werden.

Natürlich muss man hier aufpassen, dass sich die Spieler*innen am Anfang nicht langweilen und später nicht veralbert vorkommen. Doch mit dem richtigen Fingerspitzengefühl ist auch diese Gratwanderung möglich.

Mit Plottwists lassen sich Spieler*innen überraschen. © little_prince
Mit Plottwists lassen sich Spieler*innen überraschen. © little_prince

Unerwartete Crossover

Diese Möglichkeit ähnelt dem Vermischen von Inspirationsquellen, fokussiert sich aber mehr auf das Unerwartete, um so eine Verfremdung herbeizuführen. Wenn die D&D-Gruppe mitten in der Wüste einem brillanten Wissenschaftler begegnet, der metallene Anzüge baut und diese als Rüstung nutzt, so kommt man vermutlich zumindest nicht sofort darauf, dass er an Iron Man angelehnt ist. Noch weniger, wenn der Wissenschaftler nicht arrogant, selbstbewusst und von sich selbst überzeugt ist.

Richtig verpackt können Crossover aber auch so außergewöhnlich und unerwartet sein, dass sie gar nicht verfremdet werden müssen. So wurde auf einer Convention ein improvisiertes Abenteuer gespielt, das in der Welt von Star Wars begann. Doch dann fand man im Zentrum einer Galaxie einen Planeten. Aber nicht irgendeinen Planeten, sondern Dere mit dem Kontinent Aventurien. Plötzlich war man Stormtrooper in einem Fantasy-Setting und musste dort verhindern, dass der Namenlose an Macht gewinnt. Es waren großartige Stunden, an die auch nach Jahren gerne zurückgedacht wird.

Inspirationen für Charaktere

Die hier aufgeführten Möglichkeiten lassen sich ebenfalls auf die Charaktere von Spieler*innen anwenden, wenn die für sie genutzte Inspiration verfremdet werden soll.

So gibt es einen Cthulhu-Charakter, dessen Beruf von Courier 6, dem Hauptcharakter aus Fallout: New Vegas, inspiriert wurde. Abgesehen von ihrem Arbeitsfeld haben die beiden nichts gemeinsam, denn mehr brauchte es nicht, um sich den restlichen Hintergrund des Charakters auszudenken. Die Inspiration selbst ist nie (negativ) aufgefallen.

Fazit

Inspirationen sind der Motor für Ideen und Kreativität. Manchmal erhält man sie aus etwas, das sich bereits jemand ausgedacht hat. Nutzen kann man sie trotzdem, möchte sie jedoch vermutlich für das eigene Rollenspiel verfremden, um nicht zu offensichtlich zu sein. Hierbei können die oben gemachten Vorschläge hoffentlich helfen. Diese können selbstverständlich nach Belieben miteinander kombiniert werden, um einen höheren Grad an Verfremdung zu erreichen.

Niemand sollte es übelnehmen, wenn man sich aus anderen Quellen bedient, um daraus mit eigenen Einfällen gepaart etwas für die Gruppe zu basteln. Manchmal ist vielleicht nur eine Kleinigkeit nötig, um die Ideen sprudeln zu lassen.

Am Ende ist es egal, woher die Inspiration für ein Abenteuer oder einen Charakter stammt. Wichtig ist, dass man der eigenen Kreativität freien Lauf lässt, um so ein bestmögliches Erlebnis für alle zu schaffen. Auf diese Weise sollte jede*r in der Lage sein, sich etwas Spannenderes als einen Legolas oder Gimli 2.0 auszudenken.

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Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Susanne Stark

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