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Es ist schon eine Weile her, dass Pixars neuester Animationsfilm angekündigt wurde: Rot. Eigentlich sollte dieser Film ins Kino kommen, wurde letzten Endes, wie auch Pixars letzte Filme, auf Disney+ verschoben. Doch was hat dieser Film über ein chinesisches Mädchen in Toronto zu bieten?

Pixar wird von vielen sehr geliebt. Gerade diejenigen, die in den späten 1990ern und frühen 2000ern Kinder oder Jugendliche waren, sind mit den Werken des Studios aufgewachsen. Obwohl es bisher 24 Pixar-Filme gibt, gibt es zwei Wahrheiten über diese: In allen Filmen führten weiße Menschen Regie, und ebenso war bei allen immer ein Mann in der Regieposition. Technisch gesehen sollte bei Brave, auf Deutsch Merida – Legende der Highlands, eine Frau Regie führen. Allerdings verließ diese aufgrund von „kreativen Differenzen“ das Projekt und wurde von einem Mann ersetzt. Umso erfreulicher ist es, dass in Rot nicht nur eine Frau Regie führt, sondern dass diese Frau auch asiatisch-amerikanischer Abstammung ist.

Dies spiegelt sich auch im Film wider, denn dieser handelt von einem chinesisch-kanadischen Mädchen, das im Toronto der frühen 2000er lebt. Dies klingt vielversprechend. Auf der anderen Seite hat der Animationsstil des Films, der sich (wie auch schon in Pixars letztem Projekt Luca) stark von dem zuvor etablierten Pixar-Stil unterscheidet, online für Aufruhr gesorgt. Offenbar gefiel er einigen Leuten nicht, war er doch deutlich stärker an neue Cartoons, wie zum Beispiel Gravity Falls angelehnt. Wie sieht es mit dem Film aus, der am 11. März auf Disney+ erschienen ist? Kann er überzeugen oder eher nicht?

Story

Meilin, von den meisten einfach nur Mei oder Mei-Mei genannt, ist ein aufgewecktes Mädchen, das im Toronto des Jahres 2002 lebt. Gerade 13 geworden ist sie entschlossen, ihr Leben nun selbst in die Hand zu nehmen. Da gibt es nur ein Problem: in ihrer traditionellen chinesischen Familie bedeutet Familie alles. Das gilt vor allem für die Instandhaltung des chinesischen Tempels, den die Familie in China Town betreibt. Ihr ganzes Leben hat Mei damit verbracht, den Erwartungen ihrer strengen Mutter zu entsprechen. Sie hat die besten Noten, beherrscht verschiedene Musikinstrumente und ihre Nachmittage verbringt sie damit, für den Tempel zu arbeiten. Dabei wünscht sie sich mehr. Sie würde gerne mit ihren besten Freundinnen auf Konzerte gehen und Jungs anschmachten.

Als sie beim Erledigen der Hausaufgaben gedankenverloren romantische Fantasien, die sie selbst und den Kassierer des lokalen Supermarkts beinhalten, zeichnet, findet ihre Mutter diese Zeichnungen. Statt es hinzunehmen, konfrontiert diese den Kassierer und stellt Mei damit vor diversen Klassenkamerad*innen bloß. Verzweifelt wird Mei in der kommenden Nacht von Albträumen verfolgt. Als sie am nächsten Morgen aufwacht, hat sie sich in einen riesigen roten Panda verwandelt – etwas, das immer wieder passiert, wenn sie sich zu sehr aufregt.

Das ist ein Problem. Allerdings muss sie nur für einen Monat durch dieses Dilemma, denn beim nächsten roten Mond kann der Panda gebannt werden. Sie muss bis dahin den Panda kontrollieren – was viel leichter wäre, würde nicht in drei Wochen die Lieblingsband von Mei und ihren Freundinnen in die Stadt kommen. Ein Event, dass sie auf keinen Fall verpassen will.

Der zentrale Konflikt des Films ist Meilins Zerrissenheit zwischen der Treue zu ihrer Familie, vor allem ihrer Mutter, und den Sachen, die sie als junges Mädchen wirklich interessieren. Sie möchte Dinge mit ihren Freundinnen machen und sie hat mit 13 auch Interesse an Jungs. All diese Dinge kann sie jedoch nicht vor ihrer kontrollierenden Mutter zugeben.

Wer sich ein wenig mit der Kultur von asiatisch-amerikanischen Familien auskennt, findet in diesem Film viele bekannte Muster. Eine Familie, vor allem eine Mutter, die hohe Erwartungen an ihre Tochter hat, und am liebsten jeden Aspekt von Meis Leben kontrollieren würde. Diese Kontrolle ist nicht bösartig motiviert, hat jedoch eine Menge negative Auswirkungen auf Meis Leben, spätestens dann, wenn ihre Mutter sie mehr als einmal vor Klassenkamerad*innen bloßstellt.

Der Film ist nicht besonders subtil darin, dass der Panda symbolisch für die Pubertät steht und für die Loslösung von der Familie. Denn genau dafür nutzt Mei letzten Endes den Panda: sich von ihrer Familie loszulösen und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.

Genau auf dieser Ebene funktioniert die Handlung des Films unglaublich gut. Die Symbolik des Pandas und speziell, wozu Mei diesen im Verlauf des Films gebraucht, hilft der Coming of Age-Narrative des Films, zu funktionieren. Dass sich der Film dabei zentral das Erleben asiatischstämmiger Jugendlicher und Kinder heraussucht, funktioniert vor allem dadurch, dass beide Drehbuchautorinnen diesen Hintergrund haben. Sie sprechen daher aus Erfahrung.

Figuren und Synchronsprecher*innen

Es muss leider allem voran erwähnt werden, dass die deutsche Synchronisation wieder auf dieselbe Art versagt, wie schon bei diversen anderen Filmen zuvor, die einen Schwerpunkt auf nicht-weiße Perspektiven setzen: Während in der englischen Originalfassung des Films alle Rollen von Synchronsprecher*innen mit demselben ethnischen Hintergrund, wie ihre Figuren, gesprochen werden, hat die deutsche Fassung ausnahmslos weiße Synchronsprecher*innen gecastet. Dabei gibt es auch in Deutschland sehr wohl Schauspieler*innen und Synchronsprecher*innen ostasiatischer Abstammung, die diese Rollen hätten übernehmen können – man hätte sich nur drum bemühen müssen.

Mei ist das schlagende Herz des Films. Sie ist aufgeweckt und ein sehr fröhliches Mädchen, das im Verlauf des Films herausfinden muss, wo seine Werte liegen. Vor allem ist sie als ein sehr glaubhafter Teenager geschrieben worden. Die englische Sprecherin Rosalie Chiang spricht sie mit viel Entschlossenheit, sehr aufgeweckt, ein wenig frech und selbstbewusst. Genau in diesem Bereich kann auch die deutsche Sprecherin Lana Marli überzeugen, sie bringt allerdings Meis verzweifelte Szenen nicht ganz so gut rüber.

Eine weitere wichtige Figur ist Meis Mutter, Ming. Diese ist im Vergleich zu Mei sehr beherrscht und steht in dieser Hinsicht in einem deutlichen Kontrast zu ihr. Im englischen wird sie von der beinahe schon legendären Sandra Oh gesprochen, die mit der von ihr gewohnten Energie, aber auch energischen Art überzeugen kann. Leider ist die deutsche Sprecherin, Christin Marquitan, der schwächste Teil des deutschen Casts, da sie die Rolle weniger streng und eher steif spricht.

Der andere wichtige Teil des Films sind Meis Freundinnen: Miriam, Priya und Abby. Diese bauen vor allem auf Stereotypen auf, die aus der Zeit des Films – also der Jahrtausendwende – hervorgehen. Dennoch funktionieren sie auf die Art, die der Film beabsichtigt: Während die einzelnen Figuren weniger stark sind, treten sie als Gruppe wesentlich stärker auf. Sie repräsentieren die Diversität von Meis Umfeld und gleichzeitig ihren Bezug zur modernen Zeit. Die Drei sind ein Beispiel dafür, wo es sehr wenig Unterschiede zwischen der englischen und deutschen Synchronisation gibt. Sie klingen sehr ähnlich. Einzig bei Abby, die im deutschen von Franziska Trunte gesprochen wird, ist es sehr auffällig, dass Trunte kein Koreanisch beherrscht. Denn Abby, die koreanischer Abstammung ist, spricht häufiger ihre Muttersprache – etwas, das im Deutschen kaum verständlich ist.

Inszenierung

Was soll man über den Animationsstil von Rot sagen, außer: er ist anders als bei alten Pixar-Filmen, aber gut. Sehr gut sogar. Die Figuren sind unglaublich ausdrucksstark in der Animation. Vor allem die hier stärker an Cartoons und Anime angelehnten Gesichtsausdrücke funktionieren ausgesprochen gut, speziell im Kontext des Films. Während viele bei den Trailern und Screenshots zum Film einen Bezug zu Gravity Falls herstellten, wirkt es im Film doch eher wie eine Hommage an Studio Ghibli. Denn tatsächlich sehen die Charakterdesigns, von den Gesichtsformen her, den 3D-Ghibli-Figuren sehr ähnlich, sind aber lebendiger, als es in Earwig und die Hexe der Fall war.

Diese Anime-Ästhetik bemerkt man auch in den Hintergründen des Films, die visuell sehr stark an die Anime der 1990er angelehnt sind. Vor allem Sailor Moon wird hier visuell in den nächtlichen Szenen stark referenziert. Dies ist besonders passend, da der Film von den Erfahrungen der Kinder, die zu dieser Zeit lebten, handelt – und außerdem den starken Bezug auf Ostasien hat, selbst wenn es keinen japanischen Charakter in diesem Film gibt.

Auch in Sachen Texturen und anderen Details kann der Film überzeugen. Das Fell des roten Pandas sieht sehr lebendig aus, auch die Haare und Kleidung der Figuren sind sehr gut gelungen. In diesem Bereich wird es nur ein einziges Mal, bei einer extremen Nahaufnahme, weniger schön. Kurzum: Visuell ist der Film ein Meisterwerk – selbst wenn es sein kann, dass der Stil nicht jeden gleichermaßen anspricht.

Dazu kommt der schöne Soundtrack, der das Flair der frühen 2000er mit asiatischen Themen mischt. Verantwortlich hierfür ist Ludwig Göransson, den viele sicher vom Soundtrack von Black Panther kennen. Was den Soundtrack in der heutigen Zeit umso besonderer macht: er wurde mit einem Orchester aufgenommen, während viele Filme heutzutage komplett synthetische Soundtracks verwenden.

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Erzählstil

Während der Film sehr linear erzählt wird, zeichnet er sich vor allem dadurch aus, dass Mei als Erzählerin auftritt. Das bedeutet, wir haben immer wieder (vor allem aber in der Einführung und am Ende) Segmente, die von Mei selbst erzählt werden und uns auch auf ihre Gedanken aufmerksam machen. Das ist in Filmen eher ungewöhnlich, hilft hier aber erneut, um einen Bezug zu Anime herzustellen. Diese haben sehr häufig ebensolche Erzähler*innen, nicht selten durch die Hauptfiguren selbst. Ein vielleicht gewöhnungsbedürftiges Detail, das aber hilft, einen noch stärkeren Bezug zum Medium Anime herzustellen.

Davon abgesehen ist auch in Sachen Erzählung der Film sehr gelungen. Das Pacing ist ausgeglichen, hat einen wunderbaren Twist am Ende – über den wir hier natürlich nicht mehr verraten – und kann wirklich überzeugen.

Die harten Fakten:

  • Regie: Domee Shi
  • Darsteller*innen: Rosalie Chiang, Sandra Oh, Ava Morse, Maitreyi Ramakrishnan, Hyein Park
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprachen: Englisch (OV), Deutsch
  • Format: Film
  • Preis: In Disney+ beinhaltet
  • Bezugsquelle: Disney+

 

Bonus/Downloadcontent

Auf Disney+ gibt es zusätzlich zu dem Film eine 45-minütige Dokumentation über das Making Of des Films, in der davon berichtet wird, wie es zur Idee kam und wie man den eher ungewöhnlichen Animationsstil des Films gefunden hat.

Fazit

Rot, im Original Turning Red, ist ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnlicher Film des Animationsstudios Pixar. Einer der ungewöhnlichsten Aspekte hier ist eindeutig, dass eine nicht-weiße Perspektive durch den Film zentriert wird und das Team entsprechend aufgebaut ist: das Drehbuch wurde von zwei asiatisch-amerikanischen Frauen geschrieben und eine eben solche führt in dem Film auch Regie.

Der Film berichtet vor allem davon, wie es ist, einen engen Bezug zur eigenen Familie und deren Kultur zu haben, jedoch auch in einem sehr anderen Umfeld aufzuwachsen. Dieser Konflikt bildet das Herz der Geschichte und wird sehr überzeugend dargestellt. Das Handeln der Charaktere ist nachvollziehbar und deutlich von ihrem jeweiligen kulturellen Hintergrund geprägt.

Davon abgesehen wird der Film in einem sehr ungewöhnlichen Animationsstil präsentiert, der von vielen mit Gravity Falls verglichen wurde, jedoch eher die Erinnerung an Studio Ghibli wachruft. Allgemein erinnert der Stil sehr an Anime, was für manche gewöhnungsbedürftig sein kann, für Fans des Mediums jedoch ein absolutes Highlight ist.

  • Sehr ausdrucksstarke Animation
  • Liebenswerte Figuren
  • Guter Plot-Twist
 

  • Animationsstil nicht für jeden geeignet

 

Artikelbilder: © Disney Animation Studios, Disney Canada
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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