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Ist die Star Trek-Komödie Lower Decks immer noch frisch und interessant? Es kann für eine Comedyserie schwer sein, sich auf eine lange Lebenszeit einzustellen, wenn sie so von Karikaturen lebt. Schafft die geliebte und gehasste Story um die Fähnrich*innen Mariner und Boimler den nächsten Schritt?

Ob man die erste animierte Star Trek-Serie seit Star Trek: The Animated Series nun liebt oder hasst oder zu der kleinen Minderheit gehört, die keine starke Meinung zu ihr hat, niemand kann bestreiten, dass Lower Decks Neues geschaffen hat. Wo Mitte der 1970er-Jahre die Abenteuer von Kirk und Spock mehr oder weniger als Notnagel in animierter Form anstatt im Realfilm fortgesetzt wurden, verfolgten die Macher von Lower Decks ein klares und ambitioniertes Ziel: Sie wollten karikieren, Star Trek den Spiegel vorhalten.

In meinen Augen, das sei gleich gesagt, ist das in beeindruckendem Maße gelungen. Lower Decks ist laut, direkt, dreist und obszön, und es ist trotzdem Star Trek. Es zeigt bei allem Kontrastprogramm eine Liebe zur Vision des Trek-Universums, die manch bierernster Episode Next Generation, Voyager oder Discovery abgeht. Und es ist eine so aufrichtige Art kritischer Auseinandersetzung mit der Idee von Star Trek, dass es auch neben einer auf seriöse Reflexion desselben Materials ausgelegten Show wie Picard nicht fehl am Platz wirkt.

Nun ist Lower Decks nicht mehr neu, sondern hat seine vierte Staffel abgeschlossen. Es hat seine Charaktere etabliert, ihre Vorgeschichten zumindest teilweise ausgeleuchtet, es hat seine eigenen Momente, seine eigene Identität. Und es hat auch gezeigt, dass diese Identität durchaus eine Serie tragen kann. Man kann mit den Jungoffizier*innen emotional mitgehen, und das nicht nur, weil sie in ihrem Herzen Star Trek-Fans sind. Doch wie lange trägt dieses Konzept? Es ist eine leidige Frage, die sich Serienformate ab der dritten, vierten oder fünften Staffel immer anhören müssen. Und doch, es führt kein Weg darum herum.

Triggerwarnungen

Traumaverarbeitung, emotionale Manipulation durch Familie, aggressive und sexuelle Handlungen in bewusstseinsverändertem Zustand (Dubcon)

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Story

Lower Decks war immer und ist weiterhin wöchentliches, serielles Storytelling. Es gibt jede Woche ein Monster of the Week oder ein anderes Problem, dass sich in zwanzig Minuten auflösen lässt, während an anderer Stelle – manchmal verwoben, manchmal nicht – noch ein B-Plot abläuft. So hat Star Trek lang funktioniert und das Konzept gibt auch dem überkoffeinierten Zwölfjährigen der Serienfamilie die Freiheiten, den cleveren Pausenclown und Hofschelm zu spielen. Weniger als noch in der letzten Staffel sind Episoden miteinander verstrickt und wollen größere Handlungsstränge entspinnen. Nur am Ende gibt es den traditionellen Zweiteiler.

Dabei setzt Lower Decks auch die Tradition fort, in den Ecken und an den Kanten des Star Trek-Kanons zu streunen und aus Anekdoten seiner Vorgänger ein wenig Gold zu spinnen. Wir sehen endlich ein wenig mehr der orionischen Kultur, aus der schließlich eine der Hauptfiguren kommt, und der ein wenig augenzwinkernde, aber charakterstarke Differenzierung nur gut tut. Die Ferengi unter Grand Nagus Rom bekommen ebenso ihre Episode. Auch wenn Lower Decks nichts gegen die mehr als berechtigten Vorwürfe machen kann, die hässlichen, unaufrichtigen und geldgierigen Aliens entsprechen antisemitischen Schmähkarikaturen, so gewinnen auch die Kapitalisten des Alpha-Quadranten am Herz und an der Individualität, die Lower Decks mit sich bringt.

Tendi auf Orion
Tendi auf Orion

Auch der vierten Staffel gehen die obskuren Charaktere, Themen und Anekdoten aus dem Star Trek-Universum nicht aus. Eine Episode ist von der surrealen Voyager-Kreation Tuvix geprägt. Die Vendorianer aus The Animated Series halten sowohl als Plothebel als auch für Gags über Verschwörungstheoretiker her. Und am Ende der Staffel gibt Robert Duncan McNeill einem Gastauftritt seine Stimme, allerdings nicht als Voyager-Pilot Tom Paris, sondern in seiner weit weniger bekannten Rolle als Kadett Nicholas Locarno aus einer Folge The Next Generation. Der klassische Meta-Humor von Lower Decks ist also auch noch quicklebendig. Bei dieser Gelegenheit hört man auch Wil Wheaton noch einmal in einem liebenswerten Kurzauftritt als jungen Wesley Crusher.

Tawny Newsome und Jack Quaid als Backett Mariner und Brad Boimler in Strange New Worlds, Season 2 Episode 7 Those Old Scientists
Tawny Newsome und Jack Quaid als Backett Mariner und Brad Boimler in Strange New Worlds, Season 2 Episode 7 Those Old Scientists

Und schließlich ist da natürlich noch das Crossover. Zwar gehört der Auftritt von Beckett Mariner und Bradward Boimler auf der USS Enterprise von Captain Pike nicht zu den Episoden dieser Staffel Lower Decks, sondern wird in der zweiten Staffel von Strange New Worlds gezeigt, doch es lohnt sich für Fans von Lower Decks von vorn bis hinten und fängt sowohl die Mentalität der animierten Serie als auch den Kontrast zu einer Show wie Strange New Worlds ganz wunderbar ein.

Darsteller*innen

Über die Synchronsprecher*innen der Hauptfiguren müssen wir an diesem Punkt wohl kaum noch einmal lang reden. Es ist vielleicht erwähnenswert, dass ich die Serie auf Englisch schaue und zu den deutschen Stimmen nichts sagen kann. Die Originalschauspieler*innen machen ihren Job weiterhin wunderbar. Jack Quaid und Tawny Newsome stellten in ihren Strange New Worlds-Cameos ihre Charaktere auch erstmals körperlich dar, mit derselben Liebe, Herzlichkeit und Begeisterung wie als animierte Stimmen.

Rom und Neeta
Rom und Neeta

Auch die vielen Gastschauspieler*innen sind durchgehend passend und kompetent, inklusive der Gaststars aus den früheren Tagen von Star Trek, seien es Max Grodénchik und Chase Masterson als Rom und Leeta oder Robert Duncan McNeill als gealterter Nick Locarno. Eine Erwähnung verdient vielleicht noch Eric Bauza, der im Laufe der Serie wie auch in Star Trek: Prodigy eine ganze Reihe kleiner Rollen spricht. Mit seiner Darstellung der Ferengi in der Episode Parth Ferengi’s Heart Place trägt er dazu bei, Stereotype nicht weiter breitzutreten, unterstützt von Tendi-Darstellerin Noël Wells, die als Ferengi-Herold einspringt.

Inszenierung

Auch im Bereich der Animation und der sonstigen Inszenierung ändert sich wenig. Die Mischung aus Kameraschwüngen und stationären Perspektiven funktioniert weiterhin so gut oder schlecht, wie man damit zurechtkommt. Die allermeisten Zuschauer*innen werden sich schon lange daran gewöhnt haben. Es gibt zwar weniger wilde Schlachten als beispielsweise im Finale der letzten Staffel, aber trotzdem ein paar hübsche Momente, die auf dem gleichbleibend soliden Niveau aufbauen. Es gibt Anspielungen und visuelle Easter Eggs, alles fühlt sich nach Star Trek an, alles wie gehabt.

Erzählstil

„Alles wie gehabt“ ist allerdings auch ein gutes Stichwort für die Probleme, die Lower Decks zu plagen beginnen. Der episodische Stil der Serie ist absolut solide und zukunftsfähig, doch ihr tragender Charakter beginnt zu ermüden. Während Rutherford und Tendi ihre wunderbare platonische Dynamik austesten können und mit ihrer jeweiligen Vergangenheit umgehen und Boimler sich immer mehr zu einem großartigen Offizier abschleift, ohne an Charakter zu verlieren, steckt Mariner fest.

Die energische Kommando-Offizierin ist eine ikonische Figur der neuen Generation von Star Trek-Serien. Aus ihr spricht gegenwärtiges, postmodernes Lebensgefühl. #WeAreMariner. Doch während sich um sie herum alles entwickelt, bleibt diese Figur charakterlich gleich. Natürlich ist das auch ein Teil ihres grundlegenden innerlichen Konflikts. Doch sie durchlebt in dieser Staffel denselben Konflikt, den sie schon zwei oder drei Mal durchmachen musste.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich irgendjemand nicht traut, bei ihr die Reißleine zu ziehen und ihr eine Charakterentwicklung zuzugestehen, denn ihr immer wiederholter Konflikt wird langsam schlicht langweilig. Mariner hat alles Talent der Welt, will sich aber um Verantwortung und Beförderung drücken, bloß nicht solide sein. Das haben wir jetzt wirklich alle verstanden. Warum ist sie so? Die vierte Staffel bietet dafür de facto die vierte Erklärung.

Hört auf mich, Schreiberlinge!
Hört auf mich, Schreiberlinge!

Die Frage, ob Lower Decks mehr ist als eine alberne Karikatur, ist inzwischen rhetorisch. Natürlich diese Serie viel mehr und Beckett Mariner hat eine Menge dazu beigetragen. Doch inzwischen flacht sie ab und ist häufiger für die platten Gags und das Augenzwinkern zuständig als für die herzlichen Momente. Die Ikone wirkt ein wenig abgegriffen. Der Figur fehlt die ursprüngliche Stärke, die sie so sympathisch macht. Und das ist mehr als schade.

Die harten Fakten:

  • Showrunner: Mike McMahan
  • Darsteller*in(nen): Tawny Newsome, Jack Quaid, Noël Wells, Eugene Cordero, Robert Duncan McNeill
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Format: Streaming, ca. 20 Min.
  • Preis: im Abo enthalten
  • Bezugsquelle: Paramount+

 

Fazit

Ich mochte auch diese Staffel von Star Trek: Lower Decks sehr. Während ich die dramatischere Story von Staffel drei größtenteils anstrengend und unpassend fand, fühlte sich Staffel vier mit starken, alleinstehenden Episoden und viel Herz wie eine Rückkehr zum Bekannten an. Das Star Trek-Feeling ist genauso da wie die Lower Decks-Herzlichkeit. Viele der thematisierten Elemente der Star Trek-Galaxie sind spannend und die Zeit wert.

Doch ein gewisser Beigeschmack bleibt trotzdem. Das Thema des Finales ist durchaus selbstreferenziell, was nicht hätte sein müssen und die typische augenzwinkernde Schläue vermissen lässt. Vor allem ist es aber Beckett Mariners dünner werdender Charakter, der der Serie etwas von ihrem Charme nimmt. Die großartige Figur kann mehr und ich hoffe sehr, dass sie in der nächsten Staffel auch die Gelegenheit bekommt, das zu zeigen. Wir brauchen nicht noch eine Wiederholung derselben Story und auch diese letzte hätte nicht sein müssen. Warum erklärt stattdessen nicht einmal jemand, warum wir so unglaublich wenig über Brad Boimlers Vorgeschichte wissen?

Bei allem Herz und aller Entwicklung oder Nicht-Entwicklung lebt Lower Decks aber immer noch von seinen brillanten Perspektiven auf Star Trek und starken Episoden. Und beides hat die vierte Staffel wieder in Mengen. Darum kann jede*r Liebhaber*in die neue Staffel auf jeden Fall genießen.

 

  • Starke Einzelepisoden
  • Sympathische Charaktere
  • Intelligente Anspielungen und Gastauftritte

 

  • Hauptfigur verliert an Charaktertiefe
  • Kleine Schwächen im Finale

 

Artikelbilder: © Paramount
Layout und Satz: Mika Eisenstern
Lektorat: Saskia Harendt


Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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