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Die Namen der Lieblingscaptains wird jede*r Trekkie schnell zur Hand haben. Aber wie sieht es mit der Lieblings-Hilfsingenieurin oder dem beliebtesten Laborassistenten aus? Die sogenannten „Lower Decks“ waren bis zum Start der gleichnamigen Serie unterrepräsentiert. Auch Modiphius möchte mit seinem neuen Campaign Guide hier Abhilfe schaffen.

Der Campaign Guide bezieht sich dabei explizit auf die Comedyserie Lower Decks. Somit stellt sich das Buch einer zweifachen Herausforderung. Einmal, dem referenzbasierten, etwas schrägen Humor der Serie gerecht zu werden und gleichzeitig der Ernsthaftigkeit bisheriger Star Trek: Adventures-Publikationen treu zu bleiben. Ob der Spagat gelingt, klärt diese Rezension.

Triggerwarnungen

Keine typischen Trigger

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Inhalt

So kennt man die Offizier*innen der Sternenflotte. Professionell, effizient, quietschbunt gekleidet.
So kennt man die Offizier*innen der Sternenflotte. Professionell, effizient, quietschbunt gekleidet.

Der Lower Decks Campaign Guide unterteilt sich in neun Kapitel. Es wird ein geschichtlicher Abriss geliefert, typische Aufgaben von Unterstützungs-Schiffen der Sternenflotte erklärt und der Alltag auf den unteren Decks geschildert. Genauso werden neue Gegenstände, Schiffe und Fahrzeuge eingeführt. Für Spielleitende wie auch für Spielende gibt es eigene Informationen, was sie bei der Charaktererstellung von Junior-Offizier*innen beachten sollten. Das Buch schließt mit einem Potpourri an NSC und einer eigenen Mini-Kampagne.

Geschichtliches Kammerspiel – State of the Galaxy

Die jüngere Föderationsgeschichte wurde bereits in anderen Star Trek Adventures-Büchern oft genug beschrieben. Die Geschichtsstunde des Lower Decks Campaign Guide funktioniert aber trotzdem.

Auf den unteren Decks sieht es dagegen ganz anders aus.
Auf den unteren Decks sieht es dagegen ganz anders aus.

Zum einen schließt dieses Kapitel Lücken in der Star Trek-Zeitlinie und versucht mit Lower Decks als Ausgangspunkt einen Bogen zu ziehen – vom Ende des aus den 90ern Bekannten Star Trek à la Deep Space Nine, hin zum erst kürzlich geendeten Star Trek: Picard. Daher liegt der Fokus klar auf den Ereignissen aus Lower Decks. Etwa der Aufstieg der lange unterschätzten Pakleds oder der Sammlergilde. Außerdem gewährt der Campaign Guide Einblicke in die Übersetzung der auf Erzählungen basierenden tamarianischen Sprache.

Zum anderen liest sich dieses Kapitel einfach sehr kurzweilig. Es versucht, die Geschichte aus Sicht der Figuren von Lower Decks zu erzählen und gibt den Humor treffend wieder. Durch diverse Logbuch-Einschübe in den Text entsteht ein Gefühl von Tempo und Abwechslung, ähnlich einem Sketch. Dies mag sicherlich nicht nach jedem Geschmack sein, allerdings wagt es etwas Neues und die wichtigen Informationen werden unterhaltsam vermittelt.

Offizier*innen ohne Grenzen – Starfleet Support Operations

Die USS Cerritos aus Lower Decks ist ein Unterstützungsschiff der Sternenflotte. Passend zum Tenor der Serie, der sich von dem Grandeur einer Galaxien rettenden USS Enterprise-D entfernen wollte, bekommt die Cerritos die bodenständigeren, internen Aufträge: Vorräte liefern, Würdenträger*innen transportieren, diplomatische Beziehungen aufbauen. Um genau diese „Zweitkontakt“-Missionen geht es in den Kapiteln „Starfleet Support Operations“ und „Support Missions“.

Mit Abläufen von mehrstufigen Handelsvereinbarungsprozessen, dem Rückmeldeprotokoll bei diplomatische Missionen und den Rechten von Föderationsdiplomat*innen verliert sich das Kapitel sehr in Details. Details, die vermutlich nur bedingt Nutzen für die meisten Spielrunden haben werden. Etwa nach exakt wie vielen Stunden sich Diplomat*innen auf Zweitkontaktmissionen bei welchen Offizier*innen melden müssen. Leider kommt dem Buch hierbei auch sein humoristischer Unterton abhanden – abseits einiger Einschübe der größenwahnsinnigen KI Badgey – und liest sich stellenweise recht trocken.

Andere Stellen, wie die Beispiele für Zweitkontakte (etwa mit einem hedonistischen Nachkommen der Raumsonde V’Ger aus Star Trek I oder den spielsüchtigen Wadi aus Deep Space 9) oder der Umgang mit dem Tod in der Sternenflotte, schaffen es besser, die Brücke zwischen ernsthaft und humoristisch zu schlagen. Sie sind somit mehr als ein Best-Of der Witze aus Lower Decks. Wird die unerklärte Wiederkehr eines toten Brückenoffiziers in Lower Decks lediglich als Seitenhieb auf die Quasi-Unsterblichkeit von Figuren aus den 90er-Jahre-Serien genommen, erklärt das Buch beispielsweise, dass die Sternenflotte aus Rücksicht auf die Zurückgekehrten Erklärungen schuldig bleibt. Gleichzeitig gibt es Erklärungen wie der Tod spielmechanisch in Sitzungen mit Counselor-Sitzungen verwendet werden kann, um die Werte des eigenen Charakters neu zu definieren.

Somit bleiben diese Kapitel eine Achterbahnfahrt. Sehr gut vermittelte, mitunter humoristisch-angehauchte Informationen auf der einen und recht trockenes Füllmaterial, das so detailliert ist, dass es vermutlich selten zum Tragen kommen wird, auf der anderen Seite.

Unterdeckler*innen und wo sie zu finden sind – Lower Decks

Das Kapitel zu den unteren Decks bildet thematisch das Herzstück des Buches. Detailliert werden Tagesabläufe geschildert. Von der Unterbringung der Jung-Offizier*innen hin zur Freizeitgestaltung, samt Exkursen: Etwa zur regeltechnischen Umsetzung von Holo-Programmen und ihrer Erstellung.

Ebenso zahlreich sind die langen Listen zu niederen Tätigkeiten und Unterstützungsarbeiten. Diese kommen inklusive Technobabble und stellen eine Erleichterung für die geneigte Spielleitung dar. Der Lower Decks Campaign Guide bietet dabei genauso Material für die unteren Decks der Klingonen, Tellariten, Pakled oder Borg an, samt einiger witziger Kampagnen-Ideen.

Das Leben auf einem Raumschiff ist nicht immer nur harte Arbeit. Es entstehen verschworene Gemeinschaften und auch die Freizeit wird gemeinsam verbracht.
Das Leben auf einem Raumschiff ist nicht immer nur harte Arbeit. Es entstehen verschworene Gemeinschaften und auch die Freizeit wird gemeinsam verbracht.

Zu Lower Decks gehören trotzdem genauso die Brückenoffizier*innen, die im Buch als „supervising character“ vorgestellt werden (eine Art Umkehrung der Support-Charaktere aus dem Grundregelwerk), um Abenteuer möglichst lebendig und mit vielen Charakteren darzustellen.

Ein breites Portfolio an Nebenmissionen gibt es ebenfalls. Etwas schade ist, dass sich hier ein paar Ideen eingenistet haben, die bereits in der Serie Handlung waren. Spielenden bietet sich hierdurch die Möglichkeit, ein potenzielles Abenteuer abzukürzen, mit dem Wissen, das sie vom Sehen der Serie besitzen.

Stellares Sightseeing – Technologie und Schiffe

Spannend – auch jenseits des Rangs des eigenen Charakters – fällt das Kapitel zu Wissenschaft und Technologie aus. Hier lernen Leser*innen etwas über kosmische Phänomene: Etwa Akkretionsscheiben, die Materie kreisförmig in ihr Zentrum ziehen oder die mikroskopisch kleinen Helferlein namens Naninten. Hier finden sich nicht nur gute Science-Fiction-Inhalte, sondern auch Storytelling-Aspekte. Denn das Buch behält im Hinterkopf, wie sich diese Vorkommnisse aus seriöser Sicht, etwa als Horrorabenteuer, oder eben als absurd-komische Episode bespielen lassen.

In diesem Kapitel findet sich außerdem eine Anleitung, eigenes neues Leben zu erschaffen. Es behandelt die Fragen, was biologische Nischen sein können, die eine außerirdische Kreatur in ihrem jeweiligen Ökosystem beansprucht. Trotzdem bleibt das Kapitel auch nah am Spiel und behandelt Werte und Fokus dieser Kreationen. So entstehen schnell die ausgefallensten Kreaturen.

Viele Spezies haben untere Decks. Auch die Pakled.
Viele Spezies haben untere Decks. Auch die Pakled.

Nicht ganz so ausgefallen gerät das Kapitel zu den Schiffen. Logischerweise wird die California-Klasse vorgestellt und es gibt einige alte Bekannte aus dem Schiffsbuch Utopia Planitia, etwa die Luna-Klasse. Schön geraten auch die Einschübe zu vulkanischen Wissenschaftskreuzern oder andorianischen Spionageschiffen.

Den Pakled aber Platz für sieben Schiffe einzuräumen (genauso viele wie Föderationsschiffe), die sich zwar unterscheiden, deren Hintergrundgeschichte sich aber immer gleich aufbaut (nämlich, welche Teile von genau welchen anderen Schiffen gemopst wurden), wirkt leider stellenweise wie Füllmaterial.

Es ist noch kein*e Captain vom Himmel gefallen – Spielen und Leiten in Lower Decks

Mit dem Lower Decks Campaign Guide finden acht neue Spezies ihren Weg in Star Trek Adventures. Darunter finden sich bereits bekannte Spezies, wie die in Erzählungen sprechenden Tamarianer, Lower Decks-eigene Spezies wie die Apergosianer, aber auch die Gorn. Die Einführung der Gorn gestaltet sich vor allem deshalb spannend, weil sich die Spezies durch Strange New Worlds stark weiterzuentwickeln scheint.

Viele skurrile Gadgets tummeln sich ebenfalls in diesem Kapitel. Auch hier wird mit einer gewissen Ernsthaftigkeit versucht, den fantastischsten Erfindungen der Sternenflotte (oder der Paramount-Marketing-Abteilung der 1970er-Jahre) einen Sinn zu geben, was meistens gelingt. In der Realität werden vermutlich trotzdem die wenigsten Runden mit einem riesigen vulkanischen Oberschenkelknochen anstelle eines Bat‘leths in den Kampf ziehen.

Auch ein berüchtigtes Spielzeug der 1970er-Jahre findet mit dem Lower Decks Campaign Guide seinen Einzug in den offiziellen Kanon.
Auch ein berüchtigtes Spielzeug der 1970er-Jahre findet mit dem Lower Decks Campaign Guide seinen Einzug in den offiziellen Kanon.

Das Kapitel zum Spielleiten entpuppt sich als Sammelsurium von Spielhilfen. Einige davon so allgemein, etwa die Komponenten eines Star Trek-Abenteuers oder wie man episodenumspannende Charakterentwicklung betreibt, dass sie in einer so spezifischen Erweiterung etwas verloren wirken.

Umso wichtiger und spannender geraten die Seiten, die sich darum drehen, wie sich Abenteuer für Lower Decks gestalten lassen. Denn die SC sitzen ja nicht an den Schaltstellen der Macht, wie sonst in Star Trek Adventures, sondern sind nur kleine Rädchen im großen Ganzen. Es geht aber ebenso darum, wie sich bereits existierende Star Trek Adventures-Abenteuer für den Campaign Guide adaptieren lassen.

Die Exkurse zum Humor fallen glücklicherweise nicht in die Falle, eine Anleitung für Comedy bieten zu wollen. Stattdessen wird aus verschiedenen Blickwinkeln evaluiert, welche Art Humor wann sinnvoll sein kann und wie vermieden wird, dass Mitspielende sich unwohl fühlen oder der Flair von Star Trek abhandenkommt.

Die Aufzählung aller gängigen Star Trek-Klischees – von bösen Doppelgänger*innen aus Spiegeluniversen hin zur Holodeckstörung – bietet für die SL erste Anhaltspunkte, wo sie mit den Referenzen und Klischees spielen und so einen ähnlichen Humor zu Lower Decks erzeugen können. Genauso unterstützend fungiert dort eine Tabelle für sogenannte „cold opens“. Also die Technik, wie direkt in eine Geschichte eingestiegen werden kann – auch hier fährt man zweigleisig zwischen humoristisch und ernsthaft, was eine Vielzahl von Optionen offenhält.

Zwölf Mission Briefs geben, wie in bisherigen Erweiterungen, auf einer Seite die Grundrisse eines Abenteuers wieder. Dabei handelt es sich durch und durch um solide Abenteuerlandschaften. Ohne Erklärung auf Seiten im Grundbuch zu verweisen, etwa für Charakterwerte, reißt allerdings bei den ersten Malen immer wieder aus dem Lesefluss heraus.

Die NSC-Sammlung “Allies and Adversaries“ ist eine nette Dreingabe, die vor allem mit vielen neuen Werte besticht, die sich sicherlich auch gut zweitverwerten lassen. An mancher Stelle merkt man dem Buch allerdings an, dass seine Informationen mit dem Beginn der vierten Staffel bereits veraltet sind. Dies ist weiß Gott nicht der Fehler des Buches, welches zu Beginn klarstellt, dass es nur eine Momentaufnahme einer noch aktiven Serie darstellt. Für manch eine*n mag es aber sicherlich ein Wermutstropfen sein, ein neues Buch zu kaufen, das zum Erscheinungsdatum schon in diversen Punkten veraltet ist.

Den Abschluss des Buches macht die eigentliche Kampagne. Diese stellt in drei Zweitkontaktmissionen Abenteuer für begierige Unterdeckler*innen parat. Dabei handelt es sich um gut beschriebene Abenteuer, die mit ihren Bezügen zu The Next Generation oder Deep Space Nine dem referenzbasiertem Humor von Lower Decks mehr als gerecht werden, dabei aber auch spannende Sci-Fi-Handlungen nicht vernachlässigen.

Erscheinungsbild

Der Campaign Guide macht sich den Stil von Lower Decks zu eigen und sorgt so für visuelle Abwechslung im Buch.
Der Campaign Guide macht sich den Stil von Lower Decks zu eigen und sorgt so für visuelle Abwechslung im Buch.

Der Lower Decks Campaign Guide präsentiert sich im gewohnt-bewährten Sternenflotten-Computer „LCARS“-Design. Blau, Pastell und violette Töne überwiegen. Auf den 237 Seiten, durch die sich auch mithilfe eines Indexes orientiert werden kann, kommt durch das gut strukturierte Layout keine Verwirrung auf. Die Illustrationen sind zahlreich, auch weil manche Szenen aus der Serie Lower Decks übernommen wurden. Im Mix mit den schönen Eigenkreationen, die im gleichen Stil gehalten sind, entsteht so aber ein ungewohnt buntes und viel bebildertes Buch.

  • Verlag: Modiphius Entertainment
  • Autor*in(nen): Cruz, Rachael; Cybe Allison; Dismuke, Michael [et.al.]
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover und PDF
  • Seitenanzahl: 237
  • ISBN: 978-1-80281-042-4
  • Preis: 53,36 EUR (Hardcover); 17,79 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, DriveThruRPG, Sphärenmeister

 

Fazit

Modiphius‘ Erweiterungsband zu Lower Decks erweitert das Star Trek-Universum ungemein. Das Buch enthält sehr viele Inhalte, wobei einige Kapitel durchaus kürzer hätten ausfallen können oder noch pointierter versuchen könnten, einen Mehrwert für Spielrunden zu bieten. Der Großteil der Inhalte bietet aber viele spannende wie lustige Anhaltspunkte, in die endlichen Weiten der unteren Decks vorzudringen und garniert sie mit allerlei neuen Spielereien und Schiffen.

Schön ist vor allen Dingen, dass das Buch sich auch immer um einen ernsthafteren Ansatz bemüht ohne die Komik zu vernachlässigen. Der Lower Decks Campaign Guide funktioniert somit sowohl für Fans der Comedy-Serie als auch für Menschen, die „ihr“ Star Trek lieber ernsthafter serviert bekommen.

Ein Kritikpunkt, der aber der Veröffentlichungspolitik und nicht dem Buch geschuldet ist, ist das manche Informationen im Buch durch Staffel drei schon veraltet sind. Mit der kürzlich gestarteten Staffel vier wird dieser Kritikpukt größer werden. Dennoch ist der Lower Decks Campaign Guide durchaus ein Garant dafür, die Freude auf neue Abenteuer auf den unteren Decks auch über die vierte Staffel hinaus zu erhalten.

  • Viel Inhalt
  • Spielen von Unterdeckler*innen mit ernsthaftem und Comedy-Ansatz
 

  • Ein paar Seiten weniger hätten es auch getan
  • Der Spagat führt an manchen Stellen zum Verlust der spielerischen Relevanz

 

Titelbild: © Paramount Pictures, Modiphius Entertainment
Artikelbilder: © Modiphius Entertainment
Layout und Satz: Milanko Doroski
Lektorat: Maximilian Düngen

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