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Beim Pen&Paper-Rollenspiel weist das eigene Wissen im Vergleich zu dem des gespielten Charakters mehr oder weniger große Unterschiede auf. Wenn der Charakter stark vom eigenen Selbst abweicht, kann es passieren, dass man ihm beim Rollenspiel Wissen gibt, das er eigentlich nicht hat. Doch wie geht man damit am besten um?

Beim Rollenspiel verkörpert man mit großer Wahrscheinlichkeit Charaktere, die ein deutlich anderes Leben aufweisen als man selbst. Sie verfügen damit auch über anderes Wissen und Können. Dieser Umstand führt dazu, dass der Charakter beispielsweise in seinem Berufsfeld mehr weiß als sein*e Spieler*in. Aber auch der umgekehrte Fall kann auftreten. Wenn man zu einem Thema mehr weiß, dann ist es verlockend, solches Wissen einzubringen.

Berufliches und angeeignetes Wissen

Jeder Mensch verfügt über ein bestimmtes Wissen. Dieses hat man sich etwa durch Schule, Beruf, Studium oder Interesse an einer Sache angeeignet. Manches davon ist allgemein gehalten, anderes kann sehr spezialisiert sein. Das Gleiche trifft auf den Charakter zu, den man verkörpert. Sein Wissensstand wird jedoch vermutlich anders aussehen. Dennoch wird man als Spieler*in, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt, während des Rollenspiels Wissen einstreuen oder beisteuern, das man selbst besitzt, der Charakter aber aufgrund seines Hintergrundes gar nicht haben kann.

In Rollenspielsystemen mit einem erzählerischen Fokus wird sich in vielen Fällen ein Grund finden lassen, warum der Charakter dies oder jenes doch weiß. Bei Systemen mit vielen Regeln, in denen so gut wie alles festgelegt ist, kann das schon problematischer werden. Denn bei solchen Systemen ist es wahrscheinlich, dass die meisten Aktionen über eine Fertigkeit und ihr Gelingen oder Misslingen durch einen Würfelwurf geregelt werden. Das bedeutet auch, dass man Erfahrungspunkte ausgegeben oder irgendetwas dafür getan hat, um bei einer bestimmten Fertigkeit besser zu werden und somit einen Vorteil im Spiel zu erhalten. Wenn nun jemand anderes aus der Gruppe eigenes Wissen zu einer Fertigkeit hat und dieses beisteuert, ohne eine Probe gewürfelt zu haben, dann ist dies für die Person, die Erfahrungspunkte dafür ausgegeben hat, mindestens ernüchternd.   

Ein Beispiel: Katrin ist im echten Leben Ornithologin. Im aktuellen Szenario verkörpert sie eine Diebin aus der Stadt. Ihre Gruppe wandert durch einen Wald, als ihnen auffällt, dass die Vögel sich irgendwie merkwürdig verhalten. Katrin hat daraufhin eine Ahnung und zählt auf, welche Gründe es für dieses seltsame Verhalten geben kann und welcher es in diesem Fall wahrscheinlich ist. Da dies nur das Wissen der Spielerin ist, gewährt ihr die Spielleitung, dass ihre Diebin diese Eingebung hat, damit sich Katrins Aussage möglichst stimmig einfügt. Joshua, der auch am Spieltisch sitzt, legt enttäuscht seine Würfel wieder auf den Tisch. Er hatte darauf gehofft, dass sein wildniskundiger Charakter etwas darüber weiß und der Gruppe auf diese Weise hätte helfen können.

Ein Gegenbeispiel: Wer im echten Leben Mediziner*in ist, wird sich im Rollenspiel wohl kaum darüber beschweren, dass der eigene Charakter die drei Pfeile in der Brust wohl kaum überleben kann und dass die einfache Probe, um die Wunden zu versorgen, nicht ausreichen wird. Solange man noch Lebenspunkte hat und die Wunden grob behandelt wurden, ist es in den meisten Rollenspielsystemen schwer, doch noch an den Verletzungen zu sterben.

Anhand dieser beiden Beispiele sieht man gut, dass eine Vermischung von eigenem Wissen und Charakterwissen im Rollenspiel wahrscheinlicher dann stattfindet, wenn es einen Vorteil bringt. Zudem zeigt vor allem das zweite Beispiel, dass es sich beim Pen&Paper-Rollenspiel – wie der Name schon sagt – immer noch um ein Spiel handelt, in dem kein völliger Realismus in allen Bereichen erreicht werden kann und auch nicht erwartet werden sollte.  

Das Wissen über die Welt

Ein anderer Bereich, in dem sich eigenes und Charakterwissen gegebenenfalls unterscheiden, ist das Wissen über die Spielwelt. Als Spieler*in kann man nach Belieben in allen Büchern lesen, die zu einem Rollenspielsystem existieren, um sich auf diese Weise Wissen über die Welt anzueignen. Sowohl rollenspielerisches als auch regeltechnisches Wissen wird so erworben. Ein Charakter dieser Welt hat diese Möglichkeit nicht oder lediglich in begrenztem Maße. Durch das Sammeln von Erfahrung, das Aufschnappen von Nachrichten oder das Lesen von vorhandener Literatur kann auch er etwas über seine Welt lernen. Aber manche Dinge, die den Spieler*innen nur in einem Regelbuch eröffnet werden und nicht als Charakterwissen dienen sollen, bleiben ihm verborgen.

Wenn man sich nun also viel mit einer Spielwelt auseinandergesetzt hat, dann kann man sich in vielen Situationen während des Spielens erschließen, wie am besten zu agieren oder reagieren ist. Dieses Wissen hat aber nur der*die Spieler*in und nicht zwingend der verkörperte Charakter. Woher sollte ein*e Schmied*in aus der tiefsten Provinz wissen, mit welcher Methode man am besten gegen einen Vampir aus Das Schwarze Auge vorgeht? Eine Trennung von eigenem und Charakterwissen ist hierbei sehr wichtig. Es kann zwar manche Dinge vereinfachen, an anderer Stelle aber auch den Spaß der anderen nehmen, welche die Lösung gerne auf rollenspielerische Weise herausgefunden hätten, anstatt es außerhalb des Spiels erzählt zu bekommen.

Den Charakter angleichen

Wenn man möchte, dass der eigene Charakter einen Wissensstand aufweist, der dem eigenen ähnelt, dann gibt es dazu verschiedene Möglichkeiten. Am naheliegendsten ist es, den eigenen Beruf auch für den des Charakters auszuwählen. Genauso ist dies bei Hobbys oder Interessen möglich. Das funktioniert selbstverständlich nur in dem Rahmen, den das Setting auch erlaubt. Computer oder Autos gab es eben im Mittelalter noch nicht. Diese Vorgehensweise macht es jedoch vor allem für Neulinge einfacher, einen Charakter zu verkörpern, da sie sich in dessen Fachgebiet auskennen. Da es aber einer der Reize des Pen&Paper-Rollenspiels ist, einen Charakter zu verkörpern, der man selbst nicht ist, sollte man früher oder später den Versuch wagen, über den Tellerrand hinauszuschauen.

Eine weitere Möglichkeit ist es, den Charakter im Laufe seiner Karriere als Spieler*innencharakter die entsprechende Fertigkeit eines eigenen Wissensgebietes erlernen zu lassen. Auf diese Weise hat der Charakter sich damit beschäftigt, hat Erfahrungspunkte dafür ausgegeben und man selbst hat auch im Rollenspiel ein Thema, mit dem man sich auskennt. Einen passenden Grund zu finden, warum sich beispielsweise bereits besagte*r Schmied*in plötzlich mit Psychologie beschäftigt, ist zwar stimmiger, aber nicht unbedingt ein Muss – zumal nicht alle Rollenspielsysteme das Verbessern von Fertigkeiten erlauben, mit denen man sich während des Spielens nicht beschäftigt hat.

Die Spielleitung ist nicht allwissend

Ein Punkt, der nicht das Charakterwissen betrifft, aber dennoch nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist die Diskrepanz des Wissensstandes von Spieler*innen und Spielleitung. Durch das Vorbereiten eines Szenarios weiß die Spielleitung in der Regel über das Wichtigste Bescheid. Dennoch kann es im Spielverlauf etwa durch Diskussionen zwischen den Charakteren passieren, dass ein Thema aufkommt, zu dem die Spielleitung nicht unbedingt Antworten auf Fragen hat, aber dafür ein*e Spieler*in. Umgekehrt kann eine unbedachte oder ungenaue Aussage seitens der Spielleitung dazu führen, dass Spieler*innen mit Ahnung diese korrigieren oder ergänzen wollen.  In beiden Fällen ist dies auf der einen Seite durchaus hilfreich für alle. Auf der anderen Seite kann es zu weiteren Diskussionen führen, die vom ursprünglichen Thema ablenken und die Immersion stören.

Realismus versus Spielerlebnis

Den eigenen Charakter Dinge wissen zu lassen, die er eigentlich nicht weiß, muss kein Problem sein. Es kommt auch darauf an, welchen Grad an Realismus man selbst und die restliche Gruppe vom Rollenspielen erwarten. Manche vorgefertigten Szenarien setzen jedoch eine gewisse Kenntnis seitens der Spieler*innen voraus. Dies ist zum Beispiel bei Rätseln der Fall. Oft werden Rätsel genutzt, die man aus der echten Welt kennt, wie etwa das Einstein-Rätsel, in dem mit ein paar Hinweisen unter anderem herausgefunden werden muss, wer mit welchem Tier in welchem Haus wohnt und welches Lieblingsgetränk hat. Dadurch wendet man konkret eigenes Wissen an und nicht das des Charakters, was wiederum dazu führt, dass man den Teil des Rätsel-Lösens nicht im Charakter, sondern als man selbst spielt. Das Rätsel wird also von den Spieler*innen gelöst und nicht von den Charakteren, da der Erfolg nicht vom Bestehen einer Intelligenz-Probe oder ähnlichem abhängt, sondern von den eigenen Fertigkeiten.

Wenn es dennoch möglichst realistisch sein soll, dann weiß der*die Schmied*in nicht, was die Symbole der Diebesgilde in der großen Stadt am anderen Ende des Kontinents bedeuten. Wenn es nicht so streng sein muss, lassen sich auch Erklärungen finden, warum jemand dieses oder jenes weiß. Die einfachste Möglichkeit ist, dass der*die Schmied*in schon einmal davon gehört hat. Je nach Situation kann man aber auch einfach Fünfe gerade sein lassen. In diesem Fall profitiert man von Spieler*innen, die Ahnung von einem im Szenario relevanten Thema haben. Vor allem kann dies nützlich sein, wenn keiner der Charaktere sich damit auskennt und auf diese Weise etwa langwierige Recherchearbeit überflüssig wird.

Es ist also stets wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass man selbst in den meisten Fällen einen anderen Wissensstand hat als der Charakter, den man verkörpert. Der bevorzugte Grad an Realismus wird von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich sein, doch eigenes Wissen und Charakterwissen sollte möglichst immer voneinander getrennt werden. Manchmal ist zusätzliches eigenes zwar Wissen hilfreich, aber man sollte auch versuchen zu erkennen, ob man, vor allem wenn es oft passiert, den anderen Spieler*innen und ihren Charakteren nicht zu viel vorwegnimmt. Wenn es sich nur um eigenes Wissen handelt, dann gibt es keine Möglichkeit, dieses im Spiel als Charakter zu artikulieren. Andere Charaktere sollten dann die Gelegenheit erhalten, ihre Fähigkeiten anzuwenden. Je nach Spielstil der eigenen Gruppe können diese Möglichkeiten eher positiv oder negativ bewertet werden und alle sollten möglichst einen gemeinsamen Konsens dazu finden, wie man während des Spielens mit Spieler*innenwissen umgeht, das die Charaktere nicht haben.

Titelbild: depositphotos | ©lightsource
Artikelbilder: depositphotos | ©lineartestpilot | ©paseven
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Alexa Kasparek

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