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Die größte Zufriedenheit im Rollenspiel erlangt man, wenn der Charakter eine Art Eigenleben entwickelt. Dann sind alle Entscheidungen ganz einfach. Dafür braucht man den richtigen Vibe, die entsprechende Stimmung, in der man die Spielwelt fühlt – und den eigenen Charakter. Wie kommt man in den richtigen Hype für den Spielabend?

Beim Pen-and-Paper findet man sich zusammen, um abzuschalten. Der Alltag soll vergessen und die Sorgen beiseitegeschoben werden. An die Stelle des eigenen Ichs tritt ein Charakter mit anderen Sorgen, Problemen und Lösungsansätzen. In der Rolle einer heldenhaften Kriegerin, eines schurkischen Weltraumbanditen oder einer von unzähligen anderen Inkarnationen findet man sich in phantastischen Welten wieder – je immersiver, desto besser.

Doch nicht immer gelingt es, diesen Wechsel nahtlos zu gestalten. Ein schlechter oder stressiger Tag blockiert schnell die Immersion. Sorgen um die Kinder, Stress im Beruf, die Autopanne von gestern – es ist nicht immer leicht, einfach abzuschalten. Ein paar Tipps können helfen, sich einfacher in den Charakter „zu hypen“, bevor es losgeht. Denn die Vorfreude auf den Spielabend, die Welt, die Charaktere und die besonderen Erlebnisse ist ein Feuer, dass geschürt werden will, damit es nicht erlischt.

Triggerwarnungen

Tod, Hinrichtung, Stress

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Allgemeine Tipps

Bevor es um Dinge geht, die Spieler*innen oder SL gezielt machen können, um sich auf eine Runde vorzubereiten, folgen ein paar allgemeine Tipps. Diese sind für manche selbstverständlich, doch auch das Bewusstmachen allein hilft, den Abend gelungener zu gestalten.

Eine Pause vor dem Start

Spielabende sind zumeist genau das: Abende. Der Tag begann unter Umständen früh, war anstrengend und lang. Gerade, wenn es zeitlich eng wird, sodass man erst kurz vor Beginn dem Alltagsstress auf Wiedersehen sagen kann, ist ein zeitlicher Puffer vor Spielbeginn wichtig.

Man sollte sich also gezielt eine Auszeit nehmen, bevor das eigentliche Spiel beginnt, und in Ruhe ankommen. Es ist niemandem damit geholfen, wenn der Charakterbogen direkt auf den Tisch fällt, während die Gedanken noch um die Arbeit kreisen oder andere Probleme des Tages gar nicht zulassen, dass man abschaltet. Lieber sollte das Abenteuer eine halbe Stunde später starten, bevor man sich in etwas hineinzwingt, was am Ende nur Kummer bringt.

Eine Pause kann den entscheidenden Unterschied machen. © amenic181
Eine Pause kann den entscheidenden Unterschied machen. © amenic181

Quatschen mit Plan

Die Auszeit kann auch in die Quatschphase einfließen. Trifft man sich, geht es oft erstmal um ein paar Dinge, die gar nichts mit der Spielrunde zu tun haben. Das ist auch gut so! Man kommt erstmal an, stimmt sich ein und kann nach kurzer Zeit gemeinsam beginnen. Die Gespräche zu Beginn sorgen für Sicherheit und dadurch für eine angenehme Spiel-Atmosphäre.

Trotzdem sollte das Quatschen nicht unbegrenzt andauern. Irgendwann kommt der Punkt, an dem entweder gar kein Spiel zustande kommt oder der Übergang vom Quatschen zum immersiven Spiel getätigt werden muss. Das ist nicht nur Aufgabe der SL, sondern aller Beteiligten.

In den letzten Jahren haben immer mehr Sicherheitsmechanismen im Rollenspiel Einzug gehalten – die X-Karte zum Beispiel, um aus triggernden Situationen herauszukommen, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Aber auch vor dem Spiel sollte man sich sicher fühlen: Wenn man sich gar nicht in der Lage fühlt, zu spielen, ist das eben so. Dann findet die Gruppe bestimmt eine Lösung.

Das richtige Ambiente

Die Präferenzen für das richtige Ambiente gehen weit auseinander: vom gemeinsamen Spiel vor der Couch im WG-Zimmer bis hin zum pompös dekorierten Spielekeller und Spielenden in kompletter Gewandung. Dazwischen geht alles. Im Allgemeinen ist es zumindest hilfreich, ein wenig Stimmung mit Licht, Hintergrundmusik und ein wenig Deko zu erzeugen.

Das muss nichts Großes sein, manchmal reicht eine Kerze oder gedimmtes Licht, passende Snacks sind wunderbar und auch wenige Deko-Elemente erfüllen ihren Zweck. Besondere Elemente wie ein Blaster auf dem Tisch für eine Runde Blade Runner sind natürlich nicht zu verachten, aber kein Muss. Wiederkehrende Elemente sind besonders hilfreich. Aber dazu später mehr …

Was Spieler*innen tun können

Eigentlich ist jeder*r selbst dafür verantwortlich, spielbereit zu sein, oder? Der eigene Charakter ist die eigene Verantwortung, genauso wie Würfel, Stift und Charakterbogen. Es ist aber niemandem geholfen, wenn nicht alle Mitspielenden voll partizipieren. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem man sich auch gegenseitig helfen kann, den richtigen Hype zu finden.

Playlists und Moodboards

Musik ist ein starker Träger für Emotionen. Playlists können im Pen-and-Paper gut genutzt werden, um sich immer wieder in die Denkweise und Einstellung des Charakters hineinzuversetzen.

Dabei ist es ganz egal, ob die Lieder wirklich thematisch in die Spielwelt passen: Harte Klänge erzeugen eine andere Gefühlswelt als sanfte Harfenkonzerte oder transzendentale Melodien. Der Vorteil von Musik ist, dass man sie heutzutage überall hin mitnehmen, schon auf dem Weg zum Spielort und nebenbei hören kann. Soll es keine ganze Playlist sein, kann auch ein ikonischer Titel als Hymne für den Charakter dienen.

Die richtige Musik verfehlt eigentlich niemals ihren Zweck. © tomert
Die richtige Musik verfehlt eigentlich niemals ihren Zweck. © tomert

Für eher bildlich orientierte Spieler*innen könnten Moodboards die Lösung sein. Die Methode kommt aus dem Bereich kommunikativer und kreativer Berufsfelder: Entweder auf einem großen Kartonbogen oder auf einer digitalen „Tafel“ werden Fotos, Zeichnungen, Texte oder Materialien arrangiert, die zum bearbeiteten Thema passen. Im Bereich von Rollenspielen werden Bilder gesammelt, die der allgemeinen Stimmung des Spiels oder Charakters entsprechen, also das Charakterkonzept visuell präsentieren.

Das leidige Protokoll

Wenn eine Gruppe viel Glück hat, gibt es eine*n passionierte*n Protokollschreiber*in. Ist das nicht der Fall, rotiert man durch oder einigt sich anders – manchmal schreibt die SL selbst das Protokoll. Der Sinn, ein paar wichtige Infos aufgeschrieben zu haben, wurde an vielen Stellen bereits erläutert, aber der Umgang mit der Niederschrift ist ein anderes Thema.

Im ungünstigsten Fall lesen alle nach der Ankunft am Spielort gemeinsam das Protokoll, verzetteln sich, sind irritiert über ungeklärte Details oder einfach gar nicht interessiert. Besser ist es, sich bereits vor dem Spielabend schon einmal damit befasst zu haben. Kurze Protokolle eignen sich gut dazu, in der Mittagspause einmal drüberzulesen und so die wichtigsten Informationen präsent zu haben, wenn es abends losgeht.

Die Erfahrung zeigt, dass es zumeist nicht auf alle Einzelheiten ankommt. Protokolle aus der Sicht der Charaktere, die gerade deshalb Lücken aufweisen, tragen sogar mehr dazu bei, sich in die Welt einzufühlen. Die Schnipsel aus Tagebüchern triggern Erinnerungsketten und es entstehen „Aha!“-Momente, über die man sich freut.

Was die SL tun kann

Die SL ist auch dafür verantwortlich, dass die Stimmung einer Welt am Spielabend übertragen wird. Horror-Settings gelten dabei als die Königsklasse. Denn nur, wenn die Spieler*innen eine gewisse Ernsthaftigkeit mitbringen, kann es gelingen, wahrhaft schreckliche Eindrücke zu erzeugen. Aber in jedem Fall braucht eine SL mehrere Pfeile im Köcher, um den Spielenden Szenen, NSCs und die gesamte Welt anschaulich zu präsentieren. Mit ein wenig Vorbereitung kann man sich die Arbeit am eigentlichen Spieltag erleichtern.

Titellied

Wiederkehrende Elemente sind besonders hilfreich. Wem dieser Satz bekannt vorkommt, bestätigt diese Aussage nur, denn er steht bereits weiter oben im Artikel. Wenn man Spielrunden immer mit dem gleichen Lied beginnt, kommt bei allen eine Art Aufbruchstimmung auf, sobald die ersten Takte erklingen. Das Lied muss natürlich nicht selbst komponiert sein – kann es aber, wenn solche Talente in der Gruppe vorhanden sind.

Bei einer Tales from the Loop-Runde hat zum Beispiel „The Outfield – Your Love“ diesen Job außerordentlich gut erfüllt. Kaum setzte die Gitarre ein, waren die Spieler*innen nicht mehr sie selbst, sondern Kinder im Taunus der 1980er. Wenn die SL „foreshadowing“ – also die Andeutung zukünftiger Ereignisse – mag, können Kampagnen mit dem richtigen Song auch mit den Songs abgerundet werden – vielleicht lässt der Text ja ein paar Ereignisse vorausahnen? Rückbezüge sorgen immer für unvergessliche Momente.

Gezielte Fragen: Was war der fürchterlichste Moment …

Statt eines Protokolls oder zusätzlich dazu können gezielte Fragen Erlebnisse ins Gedächtnis rufen und die Immersion zurückholen. Jeder Spielabend hat spannende, schreckliche oder spaßige Momente, herzerwärmende Szenen und tragische Episoden. Wenn man zu Beginn eines Spielabends gezielt nach diesen fragt, kommen die Erinnerungen von allein: Was war dein fürchterlichster Moment beim letzten Mal? Welche Entscheidung, die du zuletzt getroffen hast, bereust du? Was hat dein Charakter letzte Nacht geträumt, nachdem ihr die Verbrecher hingerichtet hattet?

Darüber hinaus können auch Ausblicke vorgenommen werden: Worauf freut sich dein Charakter diesmal? Wann wird dein Charakter seinem Schwarm gestehen, was er fühlt? Wenn du deinen Auftrag ausgeführt hast, mit wem feierst du und wo?

Konkrete Fragen nach einzelnen Szenen oder spezifischen Erlebnissen sorgen für neue und ganz ungewohnte Ergebnisse, bei denen man auch als SL vieles über die Charaktere lernen kann.

Den Abend langsam ausklingen lassen

Wenn die letzte Schlacht geschlagen und der Oberbösewicht (auch als BBEG, also „Big Bad Evil Guy“ bekannt) besiegt wurde, kommt der Abspann. Im Optimalfall gibt es einen Epilog und noch eine Post-Credit-Szene. Aber nicht jeder Spielabend ist das epische Staffelfinale. Die meisten Abende sind eine Folge der Lieblingsserie, ein Kapitel im Buch der Charaktere. Doch auch diese sollten nicht einfach abrupt enden, ohne vernünftig abgeschlossen zu sein.

Deswegen sollten Spielabende an einer passenden Stelle beendet werden und immer ein wenig ausklingen. Nachdem die eigentliche Action beendet ist, hilft es, kurz über alles zu sprechen: Welche neuen Dinge hat der Charakter gelernt? Wie geht er mit Veränderungen in der Spielwelt um, nachdem der BBEG gestorben ist? Oder welchen Konzern hat der Runner mit seinen Handlungen gegen sich aufgebracht?

Wenn die Charaktere in den Zelten liegen, muss der Abend nicht sofort beendet sein. © ilhnklv
Wenn die Charaktere in den Zelten liegen, muss der Abend nicht sofort beendet sein. © ilhnklv

Die Geschichte ein bisschen weiterspinnen oder lose Fäden verbinden, kann sowohl die erlebten Ereignisse sinnvoll in Zusammenhang stellen als auch positive Effekte auf die Folgeabende haben.

Den Hype zwischen den Abenden schüren

Nicht jede Runde spielt wöchentlich, aber große Abstände zwischen den Spielsitzungen sorgen mitunter für weniger Immersion, wenn dann gespielt wird. Wenn man sich immer mal wieder mit dem Charakter beschäftigt, bleibt die Erinnerung präsent und nebenbei kann man den Charakter noch genauer ausarbeiten.

Eine ehemalige SL fragte einmal: Wenn dein Charakter eine Katze wäre, welche Katze wäre er? Die Diskussion, die darauffolgte, und die Beschreibungen der einzelnen Charaktere waren äußerst spannend zu lesen. Je nach Spielwelt kann man auch interessante Orte in der nächsten Stadt von den Spieler*innen erschaffen lassen oder sie vor die Wahl stellen, für wen aus der Gruppe der Charakter eine Hand opfern würde, wenn das Verbrechersyndikat sie erwischt.

Kleine Schnipsel haben große Auswirkungen und erhalten den Hype auf lange Distanz.

Fazit

Der beste Spielabend ist der, an dem alle Spaß hatten. Für diesen Spaß muss eine gewisse Stimmung, eine Art Hype vorhanden sein. Gemeinsam sollte man in die Welt eintauchen, die Charaktere lebendig werden lassen und die Abenteuer genießen.

Alltagsstress kann dabei nicht unerheblich behindern und dafür sorgen, dass ein Abend ins Wasser fällt – selbst, nachdem er bereits begonnen hat. Oder der letzte Spielabend ist so lange her, dass man gar nicht mehr weiß, wie der eigene Charakter eigentlich drauf ist.

Um den Hype zu erleben und zu erhalten, gibt es viele Methoden, von denen einige in diesem Artikel genannt wurden. Es ist egal, ob man Musik nutzt, um sich in die Gefühlswelt des Charakters zu versetzen, oder mit kleinen Fragen die Wartezeit auf das nächste Mal überbrückt und so ganz nebenbei die Erinnerung an den Charakter erhält. Welches Werkzeug funktioniert, ist sehr individuell, aber am Ende zählt, dass man den eigenen Weg findet.

Spielrunden sollten im positivsten Sinne leidenschaftlich sein. Deswegen: Let there be hype!

 

Titelbild: agsandrew © wie gekennzeichnet
Artikelbilder: depositphotos © wie gekennzeichnet

Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote

1 Kommentar

  1. „Die größte Zufriedenheit im Rollenspiel erlangt man, wenn der Charakter eine Art Eigenleben entwickelt. Dann sind alle Entscheidungen ganz einfach. Dafür braucht man den richtigen Vibe, die entsprechende Stimmung …“
    Ich teile diese Prämisse nicht, ich sehe das sogar umgekehrt: Darf ein Spieler-Charakter in einer Kampagne bedeutsame Entscheidungen fällen, entwickelt sich das Eigenleben („Charakter“) der Personnage. Den ganzen Stimmungs-Firlefanz braucht man dann auch nicht, die Stimmung entsteht aus dem Spiel.

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