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Der Beginn einer neuen Sitzung im Tischrollenspiel verläuft schleppend, weil sich niemand so richtig erinnert, was letztes Mal geschehen ist? Das passiert schnell. Denn Mitschreiben während einer spannenden Runde mag dröge wirken, muss es aber nicht sein. Dieser Artikel stellt drei Möglichkeiten vor, Spieler*innenmitschriften spannender zu gestalten.

Im Spiel haben SC die Möglichkeit, von Bard*innen besungen und in den Geschichtsbüchern ihrer Welt verewigt zu werden. Am Spieltisch sieht das Ganze anders aus. Hier wird das Erinnerungsvermögen der Spieler*innen gefordert. Wenn mehrere Wochen, gar Monate ins Land gezogen sind, ist das Erlebte meist nur noch eine flüchtige Nebelschwade im Dunst der gesammelten Erinnerungen.

Denn obwohl Pen-and-Paper ein überaus spannendes und aufregendes Hobby sein kann, erscheint eine Mitschrift auf den ersten Blick genauso spannend, wie bei einer geschäftlichen Besprechung Protokoll führen zu müssen. Es entsteht ein einfaches Aufzählen und Aneinanderreihen von Ereignissen, welches lebhafte Anekdoten zu Stichpunkten degradiert.

Dass es dafür jedes Mal aufs Neue viel Motivation und Überwindung braucht, ist mehr als verständlich. Deshalb sollen nun drei Wege vorgestellt werden, wie die Mitschrift zu einer interessanten Nebentätigkeit werden kann und gleichzeitig eure Kampagne bereichern und euren Figuren mehr Tiefgang verleihen kann.

Zuallererst muss aber die Frage geklärt werden, wer sich an der Zusatzaufgabe versuchen mag.

Eine*r für Alle? Oder Alle für eine*n? – Wer schreibt mit?

Denn bevor die Art der Mitschrift verbessert werden kann, muss überhaupt mindestens eine Person Aufzeichnungen festhalten.

Dabei sind verschiedene Varianten denkbar. Für manche Gruppen mag es logisch erscheinen, dass die SL das Geschehene niederschreibt. Jedoch mutet man dieser damit zu, neben dem Ausspielen der ganzen Welt noch zu protokollieren. Dies mag zurecht als unfair empfunden werden, ebenso wie es zum Beispiel am Anfang der Runde zuzulosen, was den Eindruck erweckt, man würde sich einen „Schwarzen Peter“ hin- und herschieben.

Am besten eignet sich ein ausgewogener Ansatz in puncto Mitschriften. Das kann dann etwa abwechselnd geschehen nach einer festen Reihenfolge, oder alle schreiben jedes Mal mit. Das verhindert von Anfang an potenzielle Missverständnisse und mindert die Konflikte innerhalb einer Spielrunde.

Wenn sich ein*e Teilnehmende*r besonders berufen fühlt, sollte sie aber niemand davon abhalten, die Rolle eines*einer Chronist*in zu übernehmen. Wer von Beginn an Motivation mitbringt, wird später vermutlich auch informativere Aufzeichnungen aufbieten können.

Oft hält sich die Begeisterung in Grenzen, wenn es ums Mitschreiben geht. ©depositphotos | deagreez1

Welche Art der Mitschrift soll es werden? Wie gestalte ich sie sinnvoll?

Nachdem festgelegt wurde, wer mitschreibt, können sich nun erste Gedanken zur Art der Abfassung gemacht werden.

Die Klassische – Das Outplay-Protokoll

Bereits in der Einleitung wurde über das Protokoll gesprochen. Hier werden chronologisch in Stichpunkten oder kurzen Sätzen die Ereignisse einer Spielsitzung aufgeschrieben. Dies wirkt zwar dröge, erledigt aber die Aufgabe, die es tun soll: Informieren und strukturieren.

Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist, dass sie mit einem geringen Maß an Nachbereitung auskommt. Das Aufschreiben geschieht während des Spielens, niemand muss sich nach der Runde nochmal extra hinsetzen und nachbereiten. Es muss sich in keine andere Perspektive versetzt oder überlegt werden, welche Information welcher Figur zur Verfügung stehen. Die auktoriale Erzählform ermöglicht dabei einen allumfassenden Überblick und bringt Struktur in die Kampagne.

Durch die Outplay-Perspektive (also nicht aus der Perspektive des eigenen Charakters) bietet sie außerdem noch einen Mehrwert für die Gruppe. Denn in einem Protokoll können schnell Dinge aufgeschrieben werden, die sich die Spieler*innen vornehmen, in Ermangelung an Zeit oder Lust diese aber vertagen und so Gefahr laufen, sie beim nächsten Mal vergessen zu haben. Aspekte wie „beim nächsten Mal möchte ich vor Beginn meine Klassenfähigkeiten leveln“ oder „xy bringt den Sonderband zu den Kampfregeln mit“ finden daher ebenso Platz in einem guten Protokoll und können zusätzlich motivieren, sich am Klassiker der Mitschriften zu versuchen. Obendrein strukturiert es die Kampagne ungemein.

Ein gutes Protokoll sollte sich nicht in Details wie „Spielerin A kauft fünf Äpfel, zum Preis von je drei Münzen“ verlieren, aber auch nicht ganze Sitzungen auf „Kampagnenobermotz getötet“ beschränken. Ein Mittelweg ist hier wie so oft das Mittel der Wahl um Orte, Personen und wichtige Dialoge in Erinnerung zu behalten

Spannender mag das Aufschreiben dadurch nicht werden, aber mit der richtigen Motivation, nämlich etwas Wichtiges für die Gruppe zu leisten, kann es den Blick auf das vermeintlich angestaubte Protokoll zum Besseren wenden.

Ein Protokoll ist spröde, hilft aber am besten, den Überblick zu wahren. ©depositphotos | mangone

Die Titelgebende – Das Tagebuch

Titelgebend, aber nicht unbedingt tonangebend in vielen Runden ist die Mitschrift in Form eines Tagebuchs. Dabei liegt ihr Vorteil in der Individualität, da jede*r aus der Gruppe aus unterschiedlichen Perspektiven mitschreibt. Dafür braucht es etwas Nachbereitung, welche die Mühen aber wert ist. Außerdem muss nicht alles mitgeschrieben werden, sondern das, was für den eigenen SC entscheidend war. Ein einzelnes Tagebuch bietet damit nur einen persönlichen, keinen allumfassenden Überblick. Führen aber alle ein bisschen Tagebuch, setzt sich geschwind ein vielfältiges Mosaik des Vergangenen zusammen.

Des Weiteren bietet ein SC-Tagebuch, wie sein realweltliches Gegenstück, die Möglichkeit der Reflektion. Was hat meinen Charakter bewegt, aufgewühlt und verändert. Somit ist ein Diarium nicht nur eine Möglichkeit der Spielzusammenfassung, sondern auch ein Werkzeug zur indirekten Charakterentwicklung.

Gleichzeitig besteht die Gefahr, einen zeitigen Rundenstart durch Belanglosigkeiten zu verzögern. Daher empfiehlt es sich, dass eine oder mehrere Personen Auszüge vortragen und sich auf die wichtigsten Aspekte beschränken, zumindest wenn direkt danach eine Runde ansteht.

Dennoch bleibt das Tagebuch ein gutes Einstiegsmittel, solide Zusammenfassungen auf den Weg zu bringen, da viele bereits Erfahrungen mit einem eigenen Tagebuch haben. Zusätzliche Motivation bietet die Möglichkeit, den eigenen Charakter abseits der Runde weiterzuentwickeln, wovon im Gegenzug alle Spieler*innen wie auch die SL, die nun mehr Material zur Verfügung hat, profitieren.

Ein bisschen Nachbereitung benötigt das Tagebuch. Es bietet aber auch die Möglichkeit für ein schönes, kleines Ritual. ©depositphotos | viki2win

Die Exotische – Gerüchte und Geschichten (für andere!)

Ganz neue Pfade beschreitet die hier grob umfasste Kategorie von „Gerüchten und Geschichten“. Anstatt die übliche Gruppenperspektive einzunehmen, wird sich freiwillig auf eine gruppenferne Drittperspektive beschränkt. Das vorher selbst Erlebte wird durch Augenzeug*innen oder Weggefährt*innen wiedergegeben.

Der Wechsel der Perspektive erfordert ein Extra an Nachdenken. Wie hat die Held*innen-Truppe auf die Stadtbevölkerung gewirkt, haben sie Eindruck bei Hofe gemacht, sind sie ihren Vorgesetzten positiv oder negativ aufgefallen? Dies hilft, das Erlebte intensiver zu verarbeiten und schafft gute Schriftstücke, die geradewegs aus der Spielwelt zu stammen scheinen.

Ein Zeitungsartikel kann über mysteriöse Vorkommnisse in Arkham berichten, in welche die Gruppe involviert war, die Reporter*innen wissen aber nicht die ganze Geschichte. Die Evaluation eines*einer Offiziers*in kann ein vergangenes Abenteuer aus der Fremdperspektive zusammenfassen und gleichzeitig das Vorspiel zu einer Beförderung im nächsten sein. Vielleicht wird das Erlebte aber auch von weisen Alten viele Jahre später am Lagerfeuer wiedergegeben.

So wird auch abseits der eigenen Charaktere die bespielte Welt ein Stück lebendiger, und sie ermöglicht auch eine Teilhabe Dritter am Erlebten des Trüppchens. Wenn zum Beispiel mehrere Runden im selben Spiele-Treff oder auf dem gleichen Discord-Server unterwegs sind und sie dieselbe Welt bespielen, mögen als besonderes Schmankerl die Gerüchte und Geschichten geteilt werden. Bewusste Verfälschungen durch Hörensagen oder Framing inklusive. Diese Art der Rundenzusammenfassung ist damit nicht bloße Wiedergabe, sondern ein eigenständiges Rätsel- und Erzählstück, welches im besten Fall andere Gruppen anspornt, an die beschriebenen Orte zu reisen und sich die Vorkommnisse selbst anzusehen oder mit NSC xy in Kontakt zu treten.

Dadurch kann sie alleinstehend eine unerfahrenere Gruppe eher verwirren als helfen, wenn Informationen bewusst falsch aufgeschrieben werden. Deswegen erscheint die Kombination mit einem Protokoll sinnvoll.

Außerdem ist diese Form der Mitschrift nicht für jede Sitzung geeignet, weil nicht immer etwas Spannendes passiert. Ein ausgeräucherter Dungeon bietet weniger Anstoß für held*innenhafte Sagen und Erzählungen als ein gerettetes Herrscher*innenkind.

Auch mag nicht immer die Zeit sein, sich eine Erzählperspektive auszudenken. Diese Methode geht eindeutig mit dem höchsten Zeitaufwand der hier beschriebenen einher, ist aber auch zeitgleich die Innovativste.

„Er soll sich ja insgeheim mit Kultisten treffen.“ Mitschriften aus Fremdperspektive erfordern umdenken. ©depositphotos | Angel_a

Ein ganzes Abenteurer*innen-Leben auf wenigen Seiten – Fazit

Ein gutes Mittel, die Zusammenfassung durch Spieler*innenmitschriften aufrechtzuerhalten, ist Abwechslung. Das Experimentieren mit verschiedenen Formen, sei es Tagebuch, Radiobeitrag oder Verhörprotokoll, ist der Schlüssel zur sinnvollen Aufzeichnung. Wichtig ist vor allem, dass konstant mitgeschrieben wird. Denn dadurch entfaltet sich erst das volle Potenzial der Rekapitulation am Spieltisch.

Es wird klar, welche Ziele verfolgt werden, welche kleineren und größeren organisatorischen Aufgaben anstehen oder -standen, und gibt Struktur und Überblick für eine Kampagne. Denn gerade bei langlaufenden Kampagnen sammeln sich mit der Zeit viele Informationen an, über die es Überblick zu behalten gilt. Außerdem ist es eine Möglichkeit, nach Abschluss einer Kampagne im Erlebten zu schwelgen, zu evaluieren, was einem*r persönlich gefiel und für die SL zu sehen, auf was die Spielenden angesprungen sind, wo sich die geplante Handlung eventuell verrannt hat.

Eine gründliche Mitschrift bietet außerdem Anhaltspunkte für neue Abenteuer. Zu welchen Charakteren und Orten würde man gerne zurückkehren, welche Geschehnisse haben die Welt verändert? Vielleicht findet sich ja sogar eine jüngere Generation von Figuren inspiriert durch die Abenteuer der aufgezeichneten Gruppe und begibt sich daraufhin selbst auf die Reise.

Wie bei vielen Dingen steht einer guten Spieler*innenmitschrift erstmal die eigene Motivation im Wege, da Protokolle und dergleichen nicht die spannendsten Aktivitäten sind. Die Vorteile sind aber nicht von der Hand zu weisen und lassen mit dem Plädoyer verbleiben, auf die eine oder andere Art sich an Aufzeichnungen zu versuchen und es nicht nur als Anhängsel von Pen-and-Paper, sondern als eigenständigen, ergänzenden Teil zu einer spannenden Spielrunde zu sehen.

Spielaufzeichnungen bleiben auch erhalten, wenn die Held*innen dem Sonnenuntergang entgegengeritten sind. ©depositphotos | grandfailure

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Titelbild: ©depositphotos | NastyaBerezen
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Rick Davids

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