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Die Pandemie fand kein Ende, wir treffen uns nur noch online. Beziehungen werden in einem algorithmusgesteuerten Programm gefunden, bei welchem sich die Menschen zum ersten Mal in echt sehen. Davon handelt das internationale Larp Together At Last, welches im Februar zum dritten und vierten Mal stattfand.  

Manche werden das Online-Larp Together Forever kennen, welches in der Pandemie entstanden ist. Nun gibt es aus derselben Orgafeder (Reflection Larp Studios) mit Together At Last eine analoge Version davon. Dieser Conbericht bezieht sich auf Run 3 und 4, welche Mitte Februar 2024 in den Niederlanden stattfanden.

Triggerwarnungen

Drogen

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Setting

Wir schreiben das Jahr 2065. Eine weltumfassende Pandemie mit einem sehr ansteckenden, tödlichen Virus hält über Generationen an. Die Menschheit hat sich dazu entschieden, dass die beste Überlebensstrategie ist, einen konstanten Lockdown aufrecht zu halten und außerhalb der eigenen Familie nur noch online Kontakt zu halten.
Für die Suche nach Partner*innen wurde ein Programm entwickelt, bei welchem sich Teilnehmende in einem geschützten Rahmen treffen können, um auf drei KI-definierte Dates zu gehen. Es ist auch der Algorithmus, der am Ende weiß, wer der drei schlussendlich dein*e Partner*in fürs Leben ist oder ob du doch allein bleibst, was natürlich höchst selten geschieht.

Diese drei Dates werden an dem Larp über einen Abend und zwei Tage bespielt. So dystopisch das Setting klingen mag, ist das Spiel eher ein absurdes Beziehungsdrama als ein post-apokalyptischer Thriller. Für die Charaktere ist die Prämisse der Welt eine normalisierte Realität und wird allgemein als beste Lösung, um mit der Pandemie umzugehen, angesehen. Das Larp ist inspiriert von Filmen wie The Lobster oder der Black Mirror-Folge Hang the DJ.

Das Genre lässt sich irgendwo zwischen surrealem Drama und Romcom ansiedeln. Die Spielsprache ist Englisch.

Transparenz und gemeinsame Charaktererschaffung

Das Together At Last-Programm ist nur unter hohen Schutzmaßnahmen möglich

Die Charaktere werden mit Input der Spielenden erstellt (Co-Created). So kann man bei der Anmeldung entscheiden, ob man selbst einen Charakter schreiben, teilweise Input geben oder einen komplett von der Orga vorgegeben bekommen will. Die Spielleitung ergänzt dann zum Beispiel Charakterbeziehungen oder verknüpft den Charakter weiter in den Hintergrund.

So hat man als Spieler*in großen Einfluss auf das eigene Spielerlebnis und kann mitentscheiden, ob viel Drama und Konflikt gewünscht wird oder lieber eine gemütliche Romcom.

Das resultiert auch in unterschiedlichen Stimmungen für den ganzen Run. Bei uns waren zum Beispiel viele Charaktere Personen des öffentlichen Lebens, wie Realityshow-Promis, Rockstars oder eine Schachmeisterin. Themen wie Drogen und Druck der Medien wurden so zu einem großen Spielinhalt. Das kann jedoch auch ganz anders aussehen, je nach Spieler*innen.

Allgemein arbeitet die Spielleitung mit großer Transparenz. Es gibt kaum Dinge, die geheim sind und so können sich die Spieler*innen darauf vorbereiten, was auf ihre Charaktere zukommt. Auch sorgt das dafür, dass selbst bei einer solchen Dichte an tragischen Charakteren wie in unserem Run, alle doch an einem Strang ziehen können, um das Setting aufrecht zu halten. Rebellionen gegen das System oder geheime Intrigen gehören nicht zum Spiel.

So weiß man auch im Vorfeld, wer die drei Partner*innen sein werden und darf Wünsche anbringen, auch wenn es IT natürlich eine Überraschung ist, wer die Matches sind. Das ist gut so, denn mit diesen Personen verbringt man doch einen Großteil des Spiels. Das Risiko des Larps bleibt trotzdem, einer Person zugeteilt zu werden, mit der man nicht gut ins Spiel kommt.

Auch während des Spiels ist sehr vieles offen. Es gibt eine starke zeitliche Struktur, die durch das Larp führt, aber es gibt zum Beispiel viele Partner*innen-Workshops, die alle optional sind. Das ergibt eine gute Balance zwischen sehr selbst bestimmtem Spiel, aber einem Netz an Programm, was einen auffängt, wenn der eigene Plot gerade etwas hängt.

Das Spielerlebnis

Das Larp lebt von Charakterbeziehungen

Wie oben erwähnt, hängt das eigene Spielerlebnis sehr von den Wünschen der Spieler*innen ab. Da ich mit zwei langjährigen Larp-Freund*innen doch eher einen Hang zu Tragik und Drama habe, meldeten wir uns mit einem entsprechenden Konzept an. So entstand die mäßig erfolgreiche Hard-Rock Band Stormslayer, deren Mitglieder zwischen Drogen, Abhängigkeiten und dem langsamen Zerfall der Band, nachdem ihr Bassist und Manager sie für ein Familienleben verlassen hatte, standen.

Das Spiel beginnt in Schutzanzügen und mit (den uns allen noch aus Covid-Zeiten bekannten) Gesichtsschildern. Alle durchlaufen ein medizinisches Immunisierungsprozedere und werden dann im Programm willkommen geheißen. Eine absurde Stimmung, doch ein sehr immersiver Spielstart. Ich fand schnell ins Spiel, denn auch abgesehen von den Dates, ist es zum Beispiel das erste Mal, dass sich die Bandmitglieder in echt treffen und Aeron (mein Charakter) seinen in die Wildnis verschwundenen Bruder nach Jahren wieder sah. Das etablierte gleich wichtige Figurendynamiken und gab erste Spielansätze.

Die Band beim Karaoke

Bald wurden die ersten Matches angekündigt und das Spiel nahm seinen Lauf. Zwischen Banddynamiken, Zugehörigkeit, Drogen und dem Druck, nun die wahre Liebe zu finden, vergingen die Tage schnell. Wir fanden eine neue Bassistin beim Karaoke, lösten uns mehrfach fast auf und sorgten für mediale Skandale. Aeron war gefangen zwischen echter und Wahlfamilie, verliebte sich in den Falschen, betrog seine Matches, ging auf Entzug, wurde rückfällig und lehnte sich gegen den Missbrauch seiner Bandmitglieder auf. Sein Forever Match war nicht die gewünschte Person, doch er fand Liebe in der neuen Bassistin und die Band war gerettet – ein bittersüßes Ende.

 

Spiel mit Gefühlen

Der Hauptinhalt von Together at Last sind Beziehungen. Das ist natürlich als Setting prädestiniert für Bleed. Gerade Eifersucht und Zurückweisung können auch mit noch so guten Absprachen unerwartet zuschlagen.

Die einführenden Workshops, sowie die Nachbearbeitung funktionieren sehr gut. Das Spiel hört am Samstagabend angenehm früh auf, sodass genug Zeit bleibt, um ausführlich über das Erlebte zu sprechen. Und da Gefühle und Beziehungen so spezifisch Thema des Spiels sind, herrscht unter der Spieler*innenschaft ein großes Bewusstsein dafür, dass mit dem Thema sensibel umzugehen ist.

Menschliche Nähe ist ein Hauptinhalt des Spiels

Auch die Transparenz des Spiels hilft hier sehr. Große Ereignisse kommen nicht überraschend, sondern können emotional vorbereitet werden. So kann gemeinsam auf IT-unangenehme Situationen hingespielt werden.

Es gibt klare Ansagen: (Un-)attraktivität wird explizit nicht bespielt und einseitiges Verlieben nur mit gegenseitigem Einverständnis. Auch zum Thema Sexualität gibt es klare Mechaniken, die auch nochmals nach Präferenzen und Grenzen der Spieler*innen angepasst werden können.

Social Media als Spielelement

Wie inzwischen bei vielen Larps üblich, gibt es einen Discord-Server pro Run. Bei Together At Last ist die Besonderheit, dass es darauf einen großen IT-Bereich gibt, der als Facebook dient. Hier hat jeder Charakter einen eigenen Kanal als “Timeline”, sowie mehrere Gruppenchats, für zum Beispiel Medien oder IT-anonyme Gamingchats. Dieser Bereich kann schon im Vorfeld bespielt werden, bleibt jedoch auch während des Spiels als Social Media offen.

Hinzu kommen online NSC. Einen solchen spielte ich in Run 3, in der Woche vor meinem eigenen Spiel. Das war ein spannendes Erlebnis, während eines normalen Wochenendes den toxischen Vater zu spielen und neben dem OT-Alltag in ein Spiel einzugreifen, welches live stattfand. Das Einzige, was mir gefehlt hat, war der Austausch nach dem Spiel, da natürlich die Leute vor Ort die Zeit erstmal für sich nutzten und der Server stumm wurde.

Im Spiel selbst fand ich nicht so viel Zeit online zu sein, das variiert jedoch sehr. Manche fanden sie fast störend, andere nutzten die Facebook-Timelines sehr intensiv. Besonders bei unserem celebrity-lastigen Run funktionierte der News-Kanal sehr gut. Dieser wurde ebenfalls von einem NPC bespielt, dem man ein paar Stichworte schicken konnte, aus denen ein Artikel geschrieben wurde. So wurden viele Konflikte auch öffentlich ausgetragen, wodurch auch Leute von Ereignissen erfuhren, die sie im Spiel nicht direkt mitbekommen hatten.

Auch hier spielt die Transparenz des Spiels eine große Rolle. Es macht Spaß, die “Privatnachrichten” anderer Leute zu lesen, die ebenfalls in den Kanälen gepostet werden oder mit der Anonymität des Internets zu spielen (obwohl natürlich OT alle wissen, wer was gepostet hat).

Fazit

Der Helpbot steht für Fragen und Anliegen stehts zur Verfügung

Together At Last ist ein intensives, gut designtes Larp über Beziehungen, menschliche Nähe und Gefühle mit viel Witz, Absurdität und Liebe zum Detail. Durch die Transparenz und vielen Möglichkeiten als Spieler*in selbst Input zu geben, kann viel Einfluss auf das eigene Spielerlebnis genommen werden. Das Spiel ist auf jeden Fall eine große Empfehlung für alle, die Charakter- und Beziehungsspiel mögen. Nächstes Jahr gibt es weitere Runs, die Anmeldung ist zwar schon vorbei, man kann sich aber auf die Warteliste setzen lassen.

Mehr Infos: https://togetheratlastlarp.weebly.com/

 

Layout und Satz: Andreas Hübner
Lektorat: Giovanna Pirillo
Fotografien: © Reflection Larp Studios

Über den Autor

Rumo Wehrli ist ganz klassisch über Fantasylarp und D&D zum Rollenspiel gekommen. Inzwischen spielt er sich jedoch durch unterschiedliche Settings und ist vor allem bei kleinen, narrativen Pen-and-Paper-Regelwerken sowie im nordic/modern Larp zuhause. Ob als Spielleiter, Orga oder Spieler probiert er gerne neue Dinge aus. Im echten Leben arbeitet er in Theater, Film und Kleinkunst und lebt in der Schweiz.

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