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Larp lebt von Klischees – eine Faustregel, die wir alle kennen. Doch welche Klischees, oder besser, Stereotype gibt es überhaupt? Und welche bekannten Charaktere der Populärkultur eignen sich als Blaupause? Diese Serie beleuchtet verschiedene Klassiker unter den Charakterklassen – und gibt Hilfestellung auf der Suche nach Inspiration.

Der Heiler oder die Heilerin ist wohl eines der beliebtesten Charakterkonzepte in der Welt – oder den Welten – des Liverollenspiels. Fantasy – oder Postapokalypse, niemand kommt lange ohne heilkundige Charaktere aus. Je nach Vorlieben und Hintergrund ist dabei die Ausgestaltung der gewählten Rolle sehr flexibel. Die jeweils geltenden Regelwerke müssen eingehalten werden, doch wie dies an den Mitspielenden geschieht, liegt ganz in der Hand des Heilers oder der Heilerin, des Sanitäters oder der Schamanin.

Natürlich kann man die Rolle als Lehrling oder Studierende*r der Medizin beginnen und schauen, wohin die Reise geht, doch wer ein Ziel hat, wie er oder sie gern auftreten möchte, nimmt sich vielleicht gern einen Anhaltspunkt in einem bereits bestehenden Charakter, oder einer Kombination aus mehreren davon.

Triggerwarnungen

Blut, Tod, Verletzung, Trauma

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Die Leidenschaftlichen – „Heilen ist meine Berufung“

Wer der Heilerei mit Ernst, Kompetenz und einem Herzen begegnen möchte, das voll und ganz für die Patient*innen aller Herkunft und Couleur schlägt, kann sich in dieser Kategorie wiederfinden.

Gute Vorbereitung und eine gewisse Bereitschaft, sich auch tiefer in historische und moderne Medizin einzulesen, ist hier von Vorteil. Der große Teil dieser Art des Heiler*innenspiels findet im OT statt, indem Wissen erworben und dann “angewendet” wird. Eine einfache Wunde zum Auflegen, Kunstblut, Nähzeug und das ein oder andere Fläschchen mit “Alkohol” sind bereits absolut ausreichend. Eine “volle” Ausrüstung kann sehr gut über die Zeit aufgebaut werden, wenn man sich sicher ist, dass das Spiel auch das richtige für einen ist.

Kranke und Verwundete sind für diese Heilenden mehr als die Summe ihrer (Einzel-)Teile und jedes Schicksal geht nahe – egal ob Fluch, Schlachtenwunde oder schlichte Tollpatschigkeit im Rahmen des Plots. Je nach gewünschter Tiefe der Darstellung kann dieses sogar als Low-Budget-Konzept funktionieren, den es lebt von Mitgefühl und ausgestrahlter Kompetenz.

Auch Heilende leiden manchmal ein bisschen mit
Auch Heilende leiden manchmal ein bisschen mit

Bereits mit kleinem Aufwand an Ausrüstung kann so ein schönes Spielerlebnis erzielt werden, indem man Mitspielende aktiv einbezieht: der*die Verwundete kann zu Familie, Freund*innen und Vergangenheit befragt werden, um von der unangenehmen Behandlung abzulenken. Ebenso können Umstehende zur Hilfe angeleitet und dabei direkt ein bisschen in den Regeln der Hygiene und Heilkunst unterrichtet werden. Diese Kategorie der Heilenden versteht sich nicht nur als Anwalt oder Anwältin ihrer Verwundeten, sondern auch zugleich als Lehrer*in. Es ist ihre Aufgabe, die Welt mit jeder vernähten Wunde etwas besser zu machen.

Wer sich für diese Herangehensweise interessiert, kann sich Claire Fraser (Outlander) als Vorbild nehmen.

Gerade Spieler*innen, die Lust auf ein Charakterkonzept haben, das sich bei aller Liebe zum Heilen nicht die Butter von Brot nehmen lässt, sind hier gut aufgehoben.

Die Zynischen – „Heilen ist mein Dienst an den Dummen“

Dieses Konzept ist gut geeignet für Spielende, die eine*n Heiler*in mit einiger Erfahrung darstellen möchten. Sie haben (so ihre – oft berechtigte – Überzeugung) schon beinahe alles gesehen und über die Zeit jegliches Vertrauen verloren, dass der oder die Verwundete nicht zumindest ein bisschen selbst schuld ist an der misslichen Lage. Dabei fehlt es nicht am Willen anzupacken und den Verwundeten nachhaltig Linderung zu verschaffen – aber auch nicht am Wortschatz, sie währenddessen immer wieder daran zu erinnern, dass sie mit dem richtigen Helm, Schild oder ohne ihr Vertrauen in die falschen Gottheiten jetzt sicher anderswo wären.

Wer Freude an schwarzem Humor und einer guten Spur Zynismus – auch gern auf Kosten der Idealist*innen unter den Heilerkolleg*innen – hat, ist mit diesem Konzept gut bedient.

Eine gute Orientierung bietet Gregory House (House M.D.).

Der Wahl der Ausrüstung sind kaum Grenzen gesetzt. Vom akademischen Ansatz nach viktorianischem Vorbild mit Büchern, Schaubildern und Modellen bis hin zum vollausgestatteten Chirurgen oder der Chirurgin macht hier alles Sinn. Dennoch ist bei dieser Spielweise eine Gewisse Vorsicht geboten, da ganz klar sein muss, dass jegliche Bärbeißigkeit im reinen In-Time stattfindet. Wer sich Heiler*innenspiel in diesem Stil vorstellen kann, sollte ein gutes Gespür für die Mitspielenden und deren Grenzen mitbringen.

Selbst schuld?
Selbst schuld?

Die Desillusionierten – Heilen ist meine Pflicht

Wo die Zynischen schon alles gesehen habe, hat diese Kategorie der Heilenden schon zu viel gesehen – und darüber den Glauben an die Menschheit verloren. Heiler*innen nach dem Vorbild von Hawkeye Pierce (M*A*S*H*) sind hier goldrichtig. Sie verstehen sich als letzte Bastion von Menschlichkeit und Vernunft in einer Umgebung, in der verfeindete Fronten sich wieder und wieder für nichts und wieder nichts die Köpfe einschlagen. Sie heilen, weil es irgendjemand tun muss, aber sie sind absolut nicht glücklich darüber. Dieses Konzept passt gut zu Spielenden, die Freude an der Darstellung von Flickchirurgie mit Requisiten, Operationen und einer Menge Kunstblut haben.

Auch hier macht eine gute Vorbereitung Sinn, wenn Wert auf eine realistische Darstellung gelegt wird. Mitspielende und Zuschauende werden auf ihre Kosten kommen, denn im Lazarett gehen diese Charaktere in die Vollen. Doch so richtig aufblühen dürfen sie im „Danach“: im eins-zu-eins-Spiel darf hier der Schrecken des Erlebten richtig bearbeitet werden, mit anderen Heilenden oder einem anderen vertrauten Charakter. Denn den Kern der Desillusionierten bildet ihr eigenes Trauma, sodass sie besonders für erfahrene Spielende geeignet sind, die emotionale Tiefen ausloten und ihre Rolle mit allem erleben wollen, das auch schon mal die Tränen fließen lässt. Außerhalb ihrer verletzlichen Momente ist für diese Charaktere schwarzer Humor das Mittel der Wahl, frei nach dem Motto: „Wenn der Tod dir ins Gesicht lacht, erzähl einen Witz, der ihn blass werden lässt.“

„Krieg ist die Hölle …“
„Krieg ist die Hölle …“

Die Neugierigen – „Menschen sind meine Lieblingstiere“

Nicht immer ganz ernst
Nicht immer ganz ernst

Wer den Ernst des Lazaretts ein wenig durchbrechen und die Mitspielenden lieber erheitern als zu Tränen rühren möchte, findet sich in den Reihen derer wieder, die stets auf der Suche nach neuem Wissen sind und dabei sich und andere nicht allzu ernst nehmen. Sie finden stets eine Gelegenheit, zu lernen, auch wenn dies vielleicht auf Kosten des Berufsethos geschieht. Absurde Ideen und ein Sinn fürs Komische sind hier von Wert, aber auch die Bereitschaft, ein wenig mehr an Requisiten mitzuführen. Spielende mit Freude am Basteln können ihrer Kreativität im Vorfeld hier freien Lauf lassen, ohne sich allzu große Gedanken um Realismus zu machen. Erfundene Organe können entfernt – oder eingebaut – werden, ebenso wie eine komplexe Hirn- Operation denkbar ist, an einem Hirn, dem zuvor Wackelaugen aufgeklebt wurden. Patient*innen dieser Charaktere sind für sie in erster Linie Lernobjekte und in zweiter Linie Versuchskaninchen. Dabei kann die moralische Ausrichtung von ehrlicher Lernbereitschaft bis zu experimenteller Medizin variieren. Wie alle Extreme verlangt auch diese Darstellung nach einem guten Gespür für die Umgebung und die Mitspielenden. Slapstick kann wahnsinnig gut ankommen, wenn er zur Situation passt. Genauso kann eine humoristische Darstellung eine emotionsgeladene Szene ins Lächerliche ziehen und so die Stimmung verderben. Wer sich dieses Spiel zutraut und das nötige Feingefühl mitbringt, kann jedoch jedes Lazarett bereichern. Eine Blaupause würde hier die Kreativität nur unnötig einschränken.

Packungsbeilage – Notiz für Verwundete

Egal zu welchem Typ der oder die Heilende zählt, dem man als Verwundete*r in die pflichtbewussten Hände fällt: das Heiler*innenspiel ist ihr Moment, um das Rampenlicht zu betreten. Wo kriegerische Darstellungen im Duell und der Schlachtreihe glänzen, sind Lazarett und OP-Tisch die Bühne der Heilenden. Für kämpfende Charaktere heißt das, dass sie einfach mal Pause machen können, oder nur eingeschränkt kommunizieren, sei dies durch Winseln, Schreien oder Schweigen in der Bewusstlosigkeit. Solange das eigene Wohlbefinden und die eigenen Grenzen gewahrt sind, sollte man den Heilenden ihr Spiel lassen, und ihnen auch den Erfolg einer schönen Spielszene gönnen. Auch wenn dies vielleicht die eigene aktive Spielzeit unterbricht und so nicht geplant war. Verwundungen und deren Versorgung sind in den meisten Larps ein wichtiger Teil von Regelwerk und Spielerlebnis – sich darum herum zu mogeln ist schlicht kein schönes Angebot. Ebenso sollte man es vermeiden, die Grenzen der Heilenden zu überschreiten. Der Appell an Heilende, einen Treffer im Intimbereich zu behandeln, ist nicht lustig, sondern bestenfalls unangenehm, schlimmstenfalls übergriffig. Verwundete können sich darauf verlassen, dass den Heilenden sicher etwas Besseres einfällt.

Denn nicht nur das große Duell eignet sich im Nachhinein für eine beeindruckende Kriegsgeschichte, auch Erlebnisse im Lazarett können, mit Pathos wiedergegeben, noch Jahre später am Lagerfeuer erzählt werden. Denn auch Heilende haben ihre Momente im Rampenlicht verdient.

 

 

Artikelbilder: © Depositphotos | Dmitry1991, Nabil Hanano
Layout und Satz: Verena Kröger
Lektorat: Sabrina Plote

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