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Mobbing ist kein einfaches Thema. Wie können wir es im Larp trotzdem so bespielen, dass es für alle Beteiligten Spaß macht und sicher ist? Und warum sollte man das überhaupt tun? Ein paar Überlegungen und Ideen zu Sozialdynamiken, Außenseitertum und Konfliktspiel im Larp.

Ich kenne das Thema Mobbing gut aus meiner eigenen Jugend. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, war in der Grundschule immer jünger als die anderen, den Tränen nahe und dann noch gut in der Schule – das Streberbild erfüllte ich damit komplett und war ein einfaches Opfer. Als ich dann mit Hobbys wie Magic the Gathering oder Pen & Paper begann, half das auch nicht. Heute habe ich meinen Frieden damit gefunden, doch die Erfahrungen bleiben mir.

Und in meinem Rollenspiel-Umfeld bin ich nicht der Einzige. Viele haben in ihrer Jugend mit Mobbing Erfahrungen gemacht. Da kommen schnell Erinnerungen an Schulhofdynamiken hoch. Die Ausgrenzungen, die mit dem “Nerd-Sein” einher gehen, kennen sicherlich viele von uns. Damals gab es noch kein Stranger Things, welches dafür sorgte das zumindest D&D im Mainstream angekommen ist.

Dennoch bespiele ich Mobbingdynamiken im Larp oft und gerne. Sowohl als Täter, wie auch als Opfer. Einige meiner intensivsten Erfahrungen im Liverollenspiel stellen genau solche Szenen dar, unter welchen ich als Kind selbst litt.

Warum Mobbing bespielen?

Im Larp bespielen wir Konflikte in verschiedensten Formen: Mord, Krieg, Intrigen – warum dann nicht auch andere (menschliche) Abgründe? In Larps, die auf intensiven Sozialdynamiken basieren, taucht das Thema Mobbing immer wieder auf. Gerade wenn Status, Zugehörigkeit, Ausgrenzung und starke Hierarchien Teil des Spiels sind, kann dies das Spiel bereichern. Und auch wenn es nicht als Hauptinhalt des Spieles kommuniziert wird, vielleicht ist es eine Überlegung wert, darauf zu achten, wie man mit Ausgrenzung im eigenen Spiel umgeht.

Wichtig ist: alle Beteiligten müssen Lust auf diese Art von Konfliktspiel haben und es braucht sichere Mechaniken, um das Spiel zu steuern. Wenn das gegeben ist, wird intensives und emotionales Spiel möglich, welches Dynamiken und Beziehungen der Charaktere ergründen kann.

Spiel mit Status kann interessante Dynamiken aufmachen © Felix Jonathan Jenkins

In der internationalen Szene gibt es den Begriff “Type 2 Fun”, also Dinge die IT schlimme und negative Erfahrungen sind, aber OT den Spielenden Spaß machen. Ich finde, es hat fast schon etwas kathartisches – ich nehme meine schlechten Erfahrungen und habe in meinem Nerdhobby Spaß damit. Dem ganzen Trauma zum Trotz.

Aber warum etwas bespielen, was OT schon schlimm genug ist? Vorweg: Muss man nicht. Es ist vollkommen legitim, sich die Spielinhalte zu suchen, auf welche man im Hobby Lust hat. Und gerade bei Themen, die potenziell negativen Bleed haben können (dazu später mehr), ist es wichtig, die eigenen Grenzen und Bedürfnisse zu kennen. Es ist immer noch ein Hobby und soll Spaß machen.

Was genau ist Mobbing?

Der Duden beschreibt Mobbing als psychische Gewalt, die durch das wiederholte und regelmäßige, vorwiegend seelische Schikanieren, Quälen und Verletzen eines einzelnen Menschen durch eine beliebige Gruppe von Personen oder durch eine einzelne Person in überlegener Position definiert wird. Dazu gehören Demütigungen, Machtmissbrauch, Gewaltandrohungen und soziale Exklusion. Oft sind diese Handlungen unbegründet und dienen nur dazu, das Opfer leiden zu lassen.

Im Larp kann das Thema zum Beispiel in schulischen oder akademischen Settings auftauchen, bei welchen wir Dynamiken bespielen, die wir aus eigenen Schulzeiten kennen. Auch bei starken Hierarchien (wie beispielsweise in militärischen Settings) können die Machtpositionen, die damit einher gehen, ausgenutzt werden, etwa durch ungerechtfertigte Strafen oder Favorisieren von Einzelpersonen. Auch bei engem Familienspiel oder Settings mit starken, sozialen Normen gibt es oft Außenseiter*innen.

Wichtig ist, zu beachten, dass OT Mobbing oft auch mit anderen Diskriminierungsformen einher geht. Menschen die gesellschaftlich durch gewisse Eigenschaften ohnehin schon Außenseiter*innen sind, sind häufiger davon betroffen. Für Larp heißt das, darauf achten, warum die Person ausgeschlossen wird. Um die Dynamik sicher zu bespielen, ist es wichtig, dass es IT-Gründe sind und keine OT-Eigenschaften der Person.

Sichere Absprachen und Mechaniken

Gerade bei Themen, die uns auch außerhalb des Spiels nahe sind, ist es wichtig, sich vorher mit allen Beteiligten auszutauschen. Inzwischen sind bei vielen Larps Workshops üblich, wo solche Absprachen Teil des Konzepts sind.

Es ist wichtig, sich gemeinsam über die Erwartungen und Ziele eines Spieles auszutauschen. Was erhoffe ich mir davon? Wie könnte sich die Dynamik verändern? Was sind meine OT Grenzen? Und vor allem: wie können wir uns gegenseitig dabei unterstützen das Thema zu bespielen?

Es hilft, gemeinsam nach Ideen zu suchen, die für alle cooles Spiel ergeben können. Und das geht in beide Richtungen: Mir half es als Täter bei einem Spiel zu wissen, dass die Spielende des Opfers Spaß daran hatte, wenn ich ihr Essen klaute, dann tat ich das gerne. Als ich wiederum bei einer anderen Con als Opfer wusste, dass meine Peinigerin etwas unsicher mit dem Hochstatusspiel ist, konnte ich sie besser hoch spielen, indem ich allen erzählte, wie gemein sie zu mir war.

Meine besten Erfahrungen mit dem Thema sind Settings mit vorgeschriebenen Charakteren, in welchen die Dynamiken schon in die Rollen eingearbeitet wurden und so bewusst Teil des Designs sind. Es hilft, wenn sowohl Opfer als auch Täter*innen nicht alleine sind, sondern zum Beispiel auch positive Verknüpfungen haben. Diese können aber auch selbst vereinbart werden.

Auch hilft es, sich mit den Mechaniken des Spiels auseinanderzusetzen oder sich selbst welche zu überlegen. Diese sind dazu da, das Spiel sicher zu gestalten, aber auch die Freiheit zu bieten, sich ins Spiel zu werfen und tolle Szenen entstehen zu lassen, ohne dass alles geplant ist. Wie kann ich signalisieren, dass ich weiter eskalieren will? Was sind Dinge, die ich tun darf? Auf einem vergangenen Larp, machte zum Beispiel eine Malerin, die mein Charakter hasste, auf ihre IT-Bilder ein Kreuz, wenn sie OT damit einverstanden war, dass ich sie zerreiße.

IT Ausgrenzung heißt nicht OT Ausgrenzung 

Auch Tätercharaktere brauchen sozialen Rückhalt © Felix Jonathan Jenkins

Dass Konflikte im Spiel nur dann möglich sind, wenn sie im Spiel bleiben ist eigentlich klar. Doch manche Dynamiken können sich auch unabsichtlich auf die OT-Ebene verlagern. Im Larp macht es grundsätzlich Spaß, mit anderen zu spielen. Selbst wenn der eigene Charakter gerade absolut keine Lust darauf hat.

Mobbing passiert oft dadurch, dass das meist einzelne Opfer ausgeschlossen wird, nicht Teil einer Gruppe ist. Es werden zum Beispiel Gespräche abgebrochen, wenn die Person dazu kommt oder das Opfer wird weggeschickt.

Im Larp ist funktioniert das jedoch schlecht: “Geh weg, du gehörst nicht dazu” ist nie spielfördernd. Es resultiert darin, dass nicht nur der ausgeschlossene Charakter nicht mehr Teil der Gruppe ist, sondern auch die spielende Person nicht mehr Teil der Szene.

Der Gedanke, wie man die Ausgrenzung gemeinsam (also sowohl als Opfer wie auch als Täter*in) bespielen kann, lohnt sich deutlich mehr. Wie kann ich meine*n Mitspieler*in ins Spiel einbeziehen, obwohl ich deren Charakter leiden lasse? Am besten passiert das gemeinsam mit der Person, die das Opfer spielt, da die ja auch auf solche Szenen Lust haben sollte. Hier ein paar Ideen dafür:

  • Mutproben (Wette, du traust dich nicht, x.y. zu tun)
  • Unfaire Spiele, bei welchen klar ist wer verliert
  • Opfer mit IT Ängsten konfrontieren (zum Beispiel einen ängstlichen Charakter absichtlich erschrecken)
  • Bedingungen, um zur Gruppe gehören zu dürfen (du darfst bei uns mitmachen, wenn du uns unser Essen servierst)
  • Etc.

Die Sache mit der Agency

Agency heißt im Englischen so viel wie “Handlungsfähigkeit”. Der Begriff wird in verschiedenen Medien verwendet, um zu beschreiben, wie viel Handlungsspielraum eine Figur hat. Also was kann sie selbst entscheiden und wo ist sie davon abhängig, was das Umfeld macht.

Im Larp bezieht sich das zum einen darauf, wie unabhängig der Charakter IT ist. Zum anderen übersetzt sich das aber auch auf die Handlungsfähigkeit der spielenden Person. Wenn mein Charakter für ein tolles Konfliktspiel davon abhängig ist, dass jemand ihn herumschubst und den Konflikt so ins Rollen bringt, dann bin ich das als Spieler*in auch, sonst besteht die Gefahr, dass ich nichts zu tun habe.

Hier ist wichtig, dass der*die Aggressor*in (bzw Täter*in) dafür verantwortlich ist, dass das Opfer Spiel hat. Im Hochstatus hat man automatisch mehr Handlungsspielraum, da man in der stärkeren Position ist. Auch hier helfen Absprachen vor dem Spiel, um gegenseitige Erwartungen zu klären.

Was jedoch oft untergeht: Auch Täterspiel kann sehr anstrengend sein. Auch als Täter*in bin ich Mitspieler*in und habe wahrscheinlich neben dem Mobbingplot noch andere Dinge, die ich spielen möchte. Oder vielleicht habe ich schlecht geschlafen und keine Lust auf große Konflikte.

Versuche also auch als Opfer zu überlegen, wo dein Handlungsspielraum ist. Wie kann ich aus dem Stiefstatus heraus den Konflikt weiter anstacheln oder beschwichtigen? Wie kann ich mir Blößen geben, welche ausgenutzt werden können?

Und schlussendlich: Sozialdynamiken verändern sich! Die meisten Larps bespielen eine sehr verdichtete Zeit an Ereignissen, Charaktere verändern sich und so verändert sich auch der Status. Larp macht dann Spaß, wenn alle daran arbeiten, das Spiel voranzutreiben, weiter zu entwickeln und neue Impulse zu geben.

In einem Workshop von Rolling (die Orga hinter Spielen wie Legion) fiel der schöne Satz: “Was mache ich wenn ich gemobbt werde? Ich nehme Rache und suche das nächste Opfer!” Niemand muss ein ganzes Spiel lang Täter*in oder Opfer sein. Hier ein paar Beispiele: Die Nerds rotten sich zusammen und gehen auf ihren Bully los. Tara, die Soldatin mit Aggressionsproblemen, lernt Verantwortung zu übernehmen und sieht ihre Fehler ein. Max, der Außenseiter, beginnt die Gutmütigkeit seines Geliebten auszunutzen und hetzt ihn auf seine Peiniger*innen.

So wird neues Spiel generiert und gleichzeitig ändern sich die sozialen Hierarchien. Die Verantwortung, Ideen zu haben und Handlung voranzutreiben wird geteilt.

Vorsicht Bleed

Dynamiken verändern sich, Täter*innen können zu Opfern werden und umgekehrt © Felix Jonathan Jenkins

Nach einem erfolgreichen Larp, besonders wenn intensive Gefühle im Spiel waren, kann es schwer sein, diese nicht ins OT zu nehmen. Wenn das passiert, nennt man das Bleed.

Genau wie vor dem Spiel hilft es, gerade wenn große Statusunterschiede zwischen den Charakteren bestanden, sich OT nochmals neu zu begegnen. Also nach dem Spiel etwas anderes anzuziehen, den Charakter klar von der Person zu trennen und sich nach dem intensiven Konflikt auf Augenhöhe zu begegnen, um das gemeinsam Erlebte nachzubearbeiten.

Mir helfen Larps, die einen harten OT-Schnitt am Ende haben. So ist klar, wann ich die Taten meines Charakters hinter mir lassen kann und den Menschen dahinter begegnen darf. Auch hilft es, am letzten Abend eines Spieles Zeit zu haben, gemeinsam etwas runterzukommen, bevor alle nach Hause fahren. Manchen helfen geführte Nachbesprechungsrunden (Debriefing), andere gehen lieber auf Distanz. Es ist wichtig herauszufinden, was einem gut tut. Wichtig ist vor allem: darüber reden. Auch wenn ungute Gefühle bleiben.

Gemeinsam in “erfolgreichen” Szenen zu schwelgen, kann sehr bestätigend sein. Und paradoxerweise: Larps bei denen ich mit Ausgrenzung und Mobbing gespielt habe (auf beiden Seiten), waren immer die, an welchen ich mich den Menschen, die an dem Larp teilgenommen hatten, sehr zugehörig gefühlt habe. Also genau das Gegenteil von dem, was ich in meiner Jugend OT damit erlebt habe. Weil wir eben gemeinsam das Thema untersuchten, anstatt gegeneinander vorzugehen und so zusammen ein tolles, bereicherndes Spiel hatten.

Fazit

Mobbing bleibt ein kompliziertes Thema. Mit guten Absprachen und Mechaniken kann Larp jedoch erlauben, auch solche negativen Dynamiken in einem sicheren Rahmen zu entdecken. Unser Hobby erlaubt uns, Dinge zu erleben, die wir OT nicht erleben wollen oder mit denen wir sogar schlechte Erfahrungen gemacht haben – aber ohne, dass Menschen darunter leiden. Im Gegenteil: es macht Spaß und ist bereichernd auch die menschlichen Abgründe zu untersuchen. Das Spiel mit solchen Themen erlaubt es uns, emphatischer an sie heranzugehen und vielleicht auch OT aufmerksamer und einfühlsamer damit umzugehen.

 

Artikelbilder: © Felix Jonathan Jenkins (LARP: The Trip)
Layout und Satz: Andreas Hübner
Lektorat: Susanne Stark
Fotografien: © Felix Jonathan Jenkins (LARP: The Trip)

 

Über den Autor

Rumo Wehrli ist ganz klassisch über Fantasylarp und D&D zum Rollenspiel gekommen. Inzwischen spielt er sich jedoch durch unterschiedliche Settings und ist vor allem bei kleinen, narrativen Pen-and-Paper-Regelwerken sowie im nordic/modern Larp zuhause. Ob als Spielleiter, Orga oder Spieler probiert er gerne neue Dinge aus. Im echten Leben arbeitet er in Theater, Film und Kleinkunst und lebt in der Schweiz.

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