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Ob urige Herberge oder verdreckte Raumhafen-Bar – fast jede Rollenspielrunde landet mit ihren Spielfiguren irgendwann an einem Ort der gemütlichen Zusammenkunft. Während diese Momente für manche Spieler*innen das geheime Highlight des Spielabends sind, wollen andere lieber weiter der Geschichte folgen. Oder geht beim Tavernenspiel gar beides?

Viele Rollenspielrunden, ganz egal in welchem Genre sie sich bewegen, landen häufig irgendwann in Tavernen oder Kneipen. Sei es die Stammkneipe, in welcher die Ermittler die Hinweise auf einen archaischen Kult besprechen oder das Gasthaus am Wegesrand, in dem Magierin und Zwerg auf ihrer Wanderung zum dunklen Turm Pause machen. Was dort passiert, kann ganze Spielabende füllen. Doch sollte es das auch? Dieser Artikel möchte auf Chancen und Probleme eingehen, die ein solches Tavernenspiel mit sich bringt, Lösungen anbieten und neue Ansätze aufzeigen.

Wofür ist das Tavernenspiel überhaupt nötig?

Die Handlung eines Rollenspiel-Abenteuers sieht nur selten vor, dass die Spielfiguren längere Zeit in einer Taverne verbringen. Wenn nicht gerade der Ort selbst mit der Handlung verknüpft ist – sei es als Tatort oder auch Versteck der Antagonisten – dient er in der Regel dazu, eine Erklärung dafür zu bieten, warum niemand in der Gruppe verdurstet, verhungert oder im Zelt schlafen muss. Genauso wie mitunter das Errichten eines Nachtlagers näher beschrieben wird, verdient auch die Taverne zumindest eine grundlegende Beschreibung, wenn die Spielfiguren dort eine gewisse Zeit verbringen werden.

Während das Nachtlager oder die automatisierte Tankstation auch ohne Nichtspielercharaktere funktionieren, benötigt die Taverne solche Figuren, um einigermaßen realistisch zu wirken. Sofort stellt sich deswegen für die Spielleitung die Frage, wie viele Nichtspielercharaktere so ein Ort überhaupt verträgt, ohne von der eigentlichen Handlung abzulenken.

Denn die Taverne ist, wie oben beschrieben, oft nur eine Durchgangsstation, in vielen Fällen auch Ausgangspunkt einer Reise, selten aber ihr Ziel. Was kann man also tun, wenn die Spieler*innen plötzlich Gefallen an einem Aufenthalt finden, der eigentlich mit einem knappen Satz erzählerisch abgehandelt werden könnte? Vielleicht sind es auch gar nicht der Ort oder seine Bewohner, welche die Spieler*innen reizen, sondern die Möglichkeit, endlich untereinander zu klönen und die Ingame-Bekanntschaft zu vertiefen.

Es ist wie bei jeder Party: Alle sollten Spaß haben.

Die Entwicklung hin zu einem ausgiebigen Tavernenspiel mag selten geplant sein, kann den Spielfiguren aber deutlich mehr Tiefe geben, wenn die Interaktionen rollenspielerisch ernsthaft umgesetzt werden. Da diese Situationen oft spontan entstehen, nutzt die Spielleitung diese Momente sicherlich gerne zum zurücklehnen, beobachten und genießen.

Beim Tavernenspiel mag manche Spielfigur neue Seiten von sich zeigen.

Doch was ist mit jenen Spieler*innen, die sich nicht in die Szene einbringen können oder wollen? Es muss nicht einmal an der persönlichen Neigung liegen, sondern kann auch durch den Charakter der Spielfigur oder vorherige Entscheidungen beeinflusst werden. Die vorsichtige Waldläuferin sichert vielleicht lieber die Umgebung, anstatt in der lauten Schenke zu hocken. Der verwundete Kämpfer liegt möglicherweise bereits auf seinem Zimmer und die Magierin brütet über ihren Aufzeichnungen. Währenddessen liefert sich die Zwergin noch ein längeres Armdrück-Duell, der Schurke erleichtert den Wirt um dessen Einnahmen, und die beiden Kleriker betreiben mit einer theologischen Diskussion interessantes Charakterspiel.

Im besten Fall sind solche Momente für alle Anwesenden unterhaltsam. Die Spielleitung sollte jedoch ein Auge darauf haben, die Spielanteile möglichst ausgewogen zu halten. Niemand sollte dafür abgestraft werden, dass er oder sie es nicht für stimmig erachtet, mit der eigenen Spielfigur lange Zeit an einem Tresen zu stehen oder mit anderen Gästen zu klönen.

Im Prinzip ist dies nichts anderes als das kurzzeitige Auftrennen der Gruppe, was neben vielen Möglichkeiten auch einige Probleme mit sich bringt, denen aber, wie bereits in einem anderen Artikel beschrieben, ganz unterschiedlich begegnet werden kann.

Was ebenfalls auf der Strecke bleiben könnte, ist die Handlung. Eilten die Spielfiguren eben noch einem wichtigen Hinweis hinterher, veranstalten sie nun spontan einen Trink-Wettbewerb untereinander. Dies hat eigentlich nichts mit der Handlung zu tun, kann aber zur Herausstellung des Charakters einer Spielfigur dienen.

Nicht vergessen: Interaktion ist ein Teil der Handlung.

Wie können diese Vorteile genutzt und die Nachteile ausgewetzt werden? Der größte Vorteil ist sicherlich, dass bei einer solchen zwischenmenschlichen Aktivität der Charakter einer Spielfigur, möglicherweise auch das Verhältnis von zwei Spielfiguren untereinander, ausgearbeitet werden kann. Doch warum sollte dies nur am Tresen gelingen? Warum nicht während einer Wanderung oder im Maschinenraum?

Systeme wie das Superhelden-Nachwuchs-Rollenspiel Masks regen durch ihren Hintergrund zum Ausspielen der Interaktionen zwischen den Spielfiguren an. Bei Tales from the Loop, mehr noch beim Nachfolger Things from the Flood, können diese Interaktionen gar regeltechnische Auswirkungen haben, da darüber Negativ-Zustände abgebaut und Erfahrungspunkte erlangt werden können.

Nichts spricht dagegen, eine solche Herangehensweise auch im Tavernenspiel einzusetzen, auch wenn die Regeln es nicht hergeben. Schließlich ist die Interaktion untereinander eine der besonderen Eigenschaften des Rollenspiels. Letztlich, um einen weiter oben genannten Punkt aufzugreifen, ist auch dies Teil der Handlung.

Moderne Comics und Serien erfreuen sich nicht zuletzt deswegen großer Beliebtheit, weil sie auf Dialoge setzen, die gleichermaßen unterhaltsam sind, wie auch die Figuren charakterisieren. Im Rollenspiel stellt dies eine ganz eigene Herausforderung dar, da man durch diese Situationen auch die eigene Spielfigur besser kennenlernt. Weil die Spielfiguren die Protagonisten der Handlung sind, kann somit jede ihrer Aktionen (oder Interaktionen) ein relevanter Teil der Geschichte werden.

Die Spielleitung gibt den Rahmen vor

Selbst ein Gelage sollte zur Geschichte beitragen.

In diesem Punkt ist auch die Spielleitung dazu angehalten, eine möglichst passende Kulisse für solche Interaktionen bereitzustellen. Der ausufernde Trinkwettbewerb kann stattfinden, sollte aber nicht im Mittelpunkt stehen, wenn währenddessen zwei Spielfiguren einander ihr Herz ausschütten. Ebenso bekommt die alkoholisierte Diskussion mit einem anderen Tavernengast mehr Tiefe, wenn es sich dabei nicht um eine zufällige Begegnung handelt, sondern um eine Nebenfigur, die später noch einmal auftaucht.

Genau gesagt, handelt es sich auch beim so genannten Tavernenspiel um einen Teil der Geschichte, der umso besser funktioniert, wenn die Spielleitung ihn mit der Handlung verwebt. Entsprechend wichtig ist es für sie, einzuschätzen, wann es zu einer solchen Situation kommt und die Stimmung für die folgende Szene zu setzen. Zu erwähnen, dass der Schankraum gemütlich und die Bedienung freundlich ist, vermittelt direkt eine ganz andere Atmosphäre als ein zugiger Raum mit knarzenden Stühlen und einem griesgrämigen Wirt.

Hierbei darf, wie in vielen anderen Fällen auch, nicht vergessen werden, dass die Spielleitung durchaus Möglichkeiten besitzt, um das Geschehen zu steuern. Wer in einem Reiseabenteuer jeden Zwischenstopp in der Herberge ausspielen lässt, darf sich nicht wundern, wenn die Spieler*innen dieses Angebot annehmen. Gleichermaßen sollte es der Spielleitung bewusst sein, dass sie keinen Raum für Interaktionen lässt, wenn sie eine Reise knapp und erzählerisch abhandelt. Gerade lange Kampagnen sind häufig mit einer hohen Informationsdichte verbunden. Umso wichtiger ist es, relevante Ereignisse bewusst und nicht zufällig geschehen zu lassen.

Was auf jeden Fall vermieden werden sollte, ist, die Taverne als Sackgasse oder toten Punkt zu setzen. Wenn die Spieler*innen in einem Schankraum versacken obwohl eigentlich die Weltrettung auf sie wartet, muss sich auch die Spielleitung selbst hinterfragen, wie es so weit kommen konnte. Wer den Spieler*innen in einer Taverne stets neue Spielangebote liefert, sollte nicht überrascht sein, wenn diese wahrgenommen werden und erst recht nicht so fatalistisch, das Abenteuer irgendwann für beendet zu erklären, wenn zu viel Zeit vergangen ist. Dann wäre es konsequenter, Mittel, wie die oben beschriebenen, anzuwenden, um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.

Prost?

Jede Person reagiert unterschiedlich auf bierselige Runden.

Oft passiert es, dass die Taverne nicht nur im Spiel, sondern auch am Spieltisch stattfindet. Gerne wird der Besuch des Schankraums von der realen Verköstigung einiger Kaltgetränke begleitet. Es mag stimmig sein, den Spieler*innen einen Whiskey einzugießen, wenn sie in einer Kneipe in Arkham eine schockierende Begegnung verdauen, doch sollte dabei nicht übertrieben werden. Erstens ist Alkohol nicht jedermanns Sache und zweitens verlieren lallende Spieler*innen irgendwann die Kontrolle über die eigene Spielfigur.

Ingame kann es aber eine interessante Entwicklung und rollenspielerische Herausforderung sein, wenn die Spielfigur betrunken wird. Gerade aber weil dieser Zustand zu ernsthaften Situationen führen kann, sollte am Spieltisch ein nüchterner Kopf bewahrt werden. Wer will schon tatsächlich betrunken sein, wenn nach dem Trink-Wettbewerb ein Schurke mit den Wetteinsätzen abhaut und die Spielfiguren ihn verfolgen?

Vorbereitung und Kreativität sind gefragt

Es ist also festzuhalten, dass das Tavernenspiel kein Zeitfresser sein muss und natürlich zum, nicht nur geheimen, Highlight am Spieltisch werden kann. Dies erfordert aber von allen Beteiligten eine gewisse Ernsthaftigkeit in dem Sinne, dass die Situation weiterhin einvernehmlich als Teil des Rollenspiels und der sich entwickelnden Geschichte begriffen wird.

Dies fängt bei der Spielleitung an, die viele Mittel besitzt, um die Bühne vorzubereiten, auf der Interaktionen zwischen den Spielfiguren oder mit Nebencharakteren stattfinden können. Dazu gehören sowohl atmosphärisch angespannte Momente als auch ausgelassenes Klönen. Vorbereitung schadet nie und sei es nur, dass Regeln für ein paar heitere Trinkspiele überlegt werden.

Wichtig ist dabei auch, möglichst alle Spieler*innen mit einzubeziehen. Deswegen ist wichtig, selbst banalen Handlungen eine Relevanz für die Geschichte zu geben. Sei es, dass sich ein freundlicher Kneipenbruder als Handlanger des Gegenspielers entpuppt oder eine in bierseligen Erinnerungen schwelgende Spielfigur Teile ihrer Hintergrundgeschichte erzählt. Wenn sich ein Bezug zur Handlung herstellen lässt, sind Einzelaktionen unterhaltsamer für alle Anwesenden am Spieltisch.

Mit guter Vorbereitung durch die Spielleitung oder rollenspielerischer Kreativität der Spieler*innen kann das Tavernenspiel also weit mehr sein als nur das zünftige Highlight eines unterhaltsamen Spielabends. Wenn dabei nicht nur Bier fließt, sondern auch die Geschichte und ihre Figuren einbezogen werden, ist es kein Zeitfresser, keine Ausnahme, sondern schlicht Teil des Rollenspiels.

 

 

Artikelbilder: © everett225 | depositphotos.com
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Sabrina Plote

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