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„Aber ich dachte, wir spielen Fantasy? Und da kann ich uns nicht einfach zum Ziel zaubern?“ – „In Mittelerde funktioniert das nicht so einfach …“ – „Aber dann will ich kein Magier sein, sondern eher ein cooler Steampunk-Zwerg! Geht das wenigstens?“ – „Ich denke, wir sprechen nochmal über das Setting …“

Auch bei einem Setting, welches durch Bücher und Filme mehrere Jahrzehnte etabliert wurde, kann sich mangels Vorkenntnisse und/oder anderer medialer und kultureller Prägung so ein Dialog entwickeln und das Spiel damit unterbrechen.

Wer schon öfter in der Situation war, der eigenen Spielgruppe ein neues Setting zu erklären, wird den Satz „Kann ich das hier machen?“ in der einen oder anderen Form schon einmal gehört haben. Fällt er zu oft, kann das für Frust sorgen, weil die Spieler*innen sich darüber unsicher sind, wie die Spielwelt funktioniert und vor allem: wo die Grenzen liegen. Wie also kann ich ein Setting gut und verständlich vermitteln und dabei langwieriges Vorlesen von Settingbeschreibungen vermeiden?

Die Ausgangslage: Informationsvorsprung bei der SL

Haben alle am Tisch mindestens schon ein Hintergrundbuch, Romane aus der Welt oder zumindest das Grundregelwerk gelesen, herrscht meist Klarheit darüber, was geht und was nicht. Üblicher dürfte aber die Situation sein, dass die Spielleitung ein Setting vorstellt und sich Spieler*innen sucht, um diesen im Rahmen eines Einführungsszenarios die Spielwelt und den Rest des Settings vorzustellen. Diese stehen nun vor der Herausforderung, Charaktere in einer Spielwelt zu verkörpern, die sich dort besser auskennen als die*der Spieler*in.

Abtauchen in eine neue Welt. © Depositphotos | Khakimullin

Dieses Problem kann man auf unterschiedliche Weisen in den Griff bekommen, die ich nachfolgend vorstellen werde. Zunächst aber müssen wir festlegen: 

Was ist eigentlich ein Setting?

Erschlagen von der Vielfalt. © Depositphotos | kevron2002

Der Begriff „Setting“ meint im Rollenspielkontext mehr als nur den Schauplatz, sondern umfasst eine ganze Spielwelt: angefangen von Landschaften, einzelnen Orten, Städten und Dörfern bis zu den Bewohner*innen, ihren Lebensweisen, Kulturen und den vereinbarten Regeln des Zusammenlebens. Damit wird beschrieben, was man im Setting findet. Gleichzeitig wird aber auch festgelegt, wie die Welt funktioniert, welche Naturgesetze anders sind, ob und wie Magie und Technologie funktionieren und so weiter.

All das kann in wenigen Sätzen beschrieben sein, wenn man sich an etablierten Vorlagen wie beispielsweise Herr der Ringe orientiert. Originäre Settings wie Das Schwarze Auge sind aber in unzähligen Ergänzungsbänden und Lexika beschrieben – wie soll man das alles Neulingen vor dem Spiel vermitteln?

Die Antwort: Gar nicht! Man kann eine komplette Welt nicht in wenigen Minuten ausführlich beschreiben, bevor man losspielt. Wichtiger ist, der Gruppe einen ausreichend guten Eindruck der Spielwelt zu vermitteln, um daraus den Handlungsrahmen für ihre Figuren ableiten zu können und ihnen eine ausreichende Sicherheit zu vermitteln, damit sich diese in der Welt frei bewegen können.

Präsentation des Settings

Je nach Art und Detailtiefe der verwendeten Rollenspielwelt gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, diese zu vermitteln. Ausgehend vom Detailgrad kann man alle Settings in die folgenden drei Gruppen einteilen:

  • Selbstgebaute, sogenannte „Homebrew“-Settings:
    Der größte Vorteil einer selbstgemachten Spielwelt ist: Der*die Macher*in kennt sich dort am besten aus. Vielleicht hat die ganze Spielgruppe sogar daran mitgearbeitet. Viele etablierte Rollenspielwelten sind aus solchen kooperativen Weltenbau- und Erforschungsrunden hervorgegangen – zuvorderst natürlich das Urgestein Dungeons & Dragons.
  • Grob gefasste Settings:
    Je nach Spielweise und Fokus des Systems mögen die Details der Welt gar nicht so wichtig sein oder können von jeder Person frei improvisiert werden, weil die Themen und das Genre sehr klar definiert sind, beispielsweise bei Pulp. Doch auch ein knapp beschriebenes Setting kann in entscheidenden Details absichtlich abweichen oder zwei verschiedene Themen zusammenbringen.
  • Detaillierte Settings:
    Ob die komplexe Welt von Mittelerde, die Städtebände von Shadowrun oder die in einzelnen Büchern ausführlich beschriebenen Planeten von Space 1889: Viele Settings am Markt sind in langen Jahren angewachsen und mit so viel Material versehen worden, dass man beliebig tief eintauchen kann.

Grundsätzlich ist ein Setting zugänglicher, je eindeutiger es sich an etablierte Genrekonventionen hält und Klischees nutzt. Knapp beschriebene Settings laden zum Erweitern während des Spiels ein, detaillierte Welten bieten einen Einstieg durch Lesen. Am schwierigsten zu vermitteln sind Settings, die detailliert beschrieben sind und an vielen Stellen von bekannten Vorbildern abweichen und Klischees oft brechen. 

Wie fange ich als Spielleitung also ein Setting in kürzester Zeit so ein, dass alle am Tisch sich in derselben ausgedachten Welt befinden?

Das Setting verstehen

Im ersten Schritt muss ich mir selbst einen klaren Eindruck von der Spielwelt verschaffen. Dazu helfen Genres und Beispiele (andere Rollenspiele, Filme, Serien, Bücher und so weiter) zur Einordnung und zur Abgrenzung. Ist das Science-Fiction-Setting vielleicht Space Opera (Genre) wie Star Wars (Vergleich), nur ohne die Macht (Abgrenzung)?

Jedes Setting hat Grenzen. © Depositphotos | trgowanlock

Nachdem ich das weiß, überlege ich, was die Stützpfeiler sind: Wenn ich Teile streichen müsste – welche Bestandteile brauche ich unbedingt, damit es sich immer noch von anderen abhebt? Diese sind die Kernaspekte des Settings, die ich vermitteln muss.

Damit kann ich einen „Elevator Pitch“ oder Teasertext schreiben: eine kurze Settingzusammenfassung, die in drei bis fünf Sätzen die wichtigsten Punkte erklärt und möglichst neugierig auf mehr macht. Ein solcher Teaser könnte beispielsweise für Tales from the Loop so aussehen:

In den 80ern hatten Computer noch grüne Schrift, man nahm Filme auf VHS auf und fuhr auf BMX-Rädern zu seinen Freunden. Mobiltelefone waren etwas für Reiche und Videospiele noch in 2D. Aber was, wenn es doch noch etwas Anderes gegeben hätte? Welche Abenteuer hätte man erlebt, wenn es auf den Feldern und bei den Fabriken seltsame Maschinen und Überreste von Schwebe-Lkw zu entdecken gäbe? Wenn es in der Nähe der Firma, von der niemand genau weiß, was die eigentlich dort machen, immer wieder merkwürdige Dinge passierten?]/box]

Das Setting vermitteln

Der Teasertext kann schon ein guter Einstieg sein. Vielleicht nutze ich ihn zur Ankündigung der Runde in sozialen Netzwerken oder auf einer Con – oder ich lese ihn zu Beginn der ersten Sitzung kurz vor. Es reicht, um einen ersten Eindruck zu bekommen. Um aber in der ersten Sitzung mit neuen Spieler*innen schnell losspielen zu können, gibt es noch ein paar andere Werkzeuge:

Keine Angst vor Vergleichen!

Gerade bei Homebrew-Settings fällt Autor*innen oft schwer, sich mit anderen, nahestehenden Werken zu vergleichen. Es ist aber völlig natürlich, dass man sich am Vorhandenen orientiert – also warum den Spieler*innen diese Halteleine verweigern? Wenn sich ein starker Vergleich mit etwas Vorhandenem anbietet, kann man das gern nennen – aber immer in Kombination mit dem klaren Abgrenzungsmerkmal.

Vorgefertigte Charaktere

Charakterklassen oder Archetypen vermitteln, was man in dieser Welt an Protagonist*innen verkörpert. Über die Regelebene kann auch schnell verdeutlicht werden, welche Fähigkeiten hier wichtig sind, um das Thema des Settings zu erfüllen.

Gerade für One-Shots sind vorbereitete Charaktere schon fast Pflicht. Um den Spieler*innen trotzdem etwas Freiheit zu geben, kann ich Teile offenlassen und zum Beispiel eine Liste sinnvoller Talente mit Kurzbeschreibungen zur Auswahl vorbereiten oder gemeinsam Verknüpfungen untereinander und zu NSC erarbeiten.

Spielsteine

Auch andere Elemente kann ich als Bausteine zur Verwendung vorbereiten. Vielleicht gibt es typische Aussprüche, die zu den vorbereiteten Charakteren passen? Oder typische Slangbegriffe, die man ins Spiel einfließen lassen kann? Diese kann man in Form von Listen und Übersichten quasi als Spielsteine zur Auswahl stellen und als Motivation einen Erfahrungspunkt vergeben, wenn jemand drei Begriffe ins Spiel gebracht hat.

Für andere Settings bieten sich vielleicht eine Liste besonderer Gegenstände an oder ein paar speziell angefertigte Waffen. Wichtig ist nur: Was ich anbiete, sollte in der Spielwelt ein wichtiges und/oder typisches Element sein.

Amnesie

Der einfachste Einstieg ist vermutlich auch einer der ältesten: Wenn die Spielfigur genauso wenig weiß wie die*der Spieler*in, dann gibt es keinen Informationsunterschied und man entdeckt die Spielwelt Schritt für Schritt, wie es in zeitgenössischen Videospielen auch oft gemacht wird.

Der Grund dafür muss nicht Gedächtnisverlust sein: Vielleicht ist die Figur aus ihrer bisherigen Umwelt herausgerissen worden und muss sich (mit anderen zusammen) in einer neuen Umgebung zurechtfinden? Oder die Welt hat sich durch einen Kataklysmus verändert? Es gibt viele Möglichkeiten, Spieler*innenwissen und Figurenwissen zu synchronisieren – wichtig ist nur, dass es in die Spielwelt passt.

Handouts

Ebenfalls eine bewährte Methode, die aber mit Bedacht eingesetzt werden sollte. Statt ganze Seiten aus dem Grundregelwerk zu kopieren lohnt es sich, wichtige Bestandteile als vorbereitete Übersichten in Form von Handouts zur Verfügung zu stellen.

Für historische Settings bietet sich eine Zeitleiste mit den wichtigsten Errungenschaften der Epoche an, dazu vielleichte ein paar Fotos mit Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. 

Vormachen!

Das zuletzt vorgestellte Werkzeug ist zugleich das mächtigste, aber auch das am schwierigsten anzuwendende. Wir lernen am besten, indem wir von anderen abgucken und das ist auch in unserem Hobby nicht anders. Als SL nutze ich das, indem ich NSC in Situationen bringe, die den Spieler*innen typische Grenzen demonstrieren. Magie ist gefährlich und verboten? Dann lasse einen NSC-Magier von der Inquisition festnehmen und bei der verzweifelten Verteidigung an seiner eigenen Magie sterben. Oder ich zeige, wie ein viktorianischer Gentleman einen unschuldigen Schuhputzer heruntermacht und die feinen Herrschaften drumherum nur zustimmend nicken. 

Wie üblich gilt: Nicht alles auf einmal! Je nach Detailgrad und Art des Settings mag die eine oder andere Vorgehensweise besser geeignet sein. 

Das Setting verändern

Wie oben beschrieben nehmen Homebrew-Settings in Bezug auf die Ausgangsfrage eine eigene Kategorie ein. Wenn die Gruppe aber an dem Punkt ist, wo alle dasselbe Verständnis von der Spielwelt haben, spricht natürlich nichts dagegen, diese auf eigene Bedürfnisse anzupassen.

Das kann schon bei Gruppengründung und Kampagnenstart passieren oder sukzessive durch offene Fragen, die von der SL immer wieder eingestreut werden: „Hastig greifst du nach dem Smartphone und wählst irgendeine Nummer, hoffst, das die Person dran geht – wer nimmt ab und was schuldet er dir?“ Statt einen vorbereiteten NSC zu treffen, kann die*der Spieler*in selbst einen erschaffen.

Oder man macht es von Würfelwürfen oder Fähigkeiten abhängig. Jemand hat „Orientierung“? Dann darf die Person bei einer erfolgreichen Probe die nahe Umgebung der Stadt frei zeichnen und festlegen. Wer mit „Kontakte“ Zugriff auf hilfreiche NSC hat, kann sich diese ebenfalls selbst ausdenken. 

Auch in detaillierten Settings kann man die Gruppe Entscheidungen darüber treffen lassen, was das gewünschte Thema sein soll, in welcher Gegend oder auf welchem Kontinent der Welt man spielt oder welche Art von Charakteren sich die Spieler*innen wünschen. Im Gegensatz zum reinen Vorstellungsmonolog findet hier aber ein Dialog statt und es wird konzentrierter zugehört, wenn man die unterschiedlichen Optionen vorstellt, da man hinterher Entscheidungen treffen kann.

Solche Werkzeuge zum „Player Empowerment“ entbinden von der Verantwortung und dem Druck, jedes Detail als SL selbst liefern zu müssen und verteilen die kreative Last auf mehrere Schultern.

Fazit

Spielleiter*innen haben gerne eine starke Vision davon, wie „ihre“ Welt (ob selbst ausgedacht oder aus vorhandenen gewählt) aussehen soll und wie Dinge dort funktionieren. Diese Vision zu vermitteln, kann viel Mühe machen – besonders, wenn die Last der Vermittlung allein auf den Schultern einer Person liegt. Einfacher wird es, wenn man mit den unterschiedlichen Erwartungen spielt, Ideen sammelt, passend zur Welt umformuliert und öfter „Ja, aber“ statt „Nein, weil“ sagt. Dadurch kann sich eine Gruppe schnell eine eigene Version der Spielwelt schaffen und in einer solchen bewegt man sich immer vertrauter, als wenn man bei einem fremden Setting immer wieder nachfragen muss.

Viele Köpfe, viele Ideen. © Depositphotos | Rawpixel

Denn am Ende ist es niemals ein generisches Setting – sondern euer Setting, eure Spielwelt. Spätestens, wenn die ersten Charaktere in die Welt kommen, unterscheidet sich diese von der gleichen Welt mit einer anderen Spielgruppe. Wenn etwas stört und alle sich einige sind: Ändert es! Macht die Spielwelt lebendig! Dann lautet die Frage irgendwann nicht mehr: „Was geht in dieser Welt?“, sondern: „Was geht in dieser Welt eigentlich nicht?“

 

Links und Quellen: Genderswap E32: Genre und Genrekonventionen, Setting (Lexikon der Filmbegriffe)
Artikelbilder: © Depositphotos | solarseven
Layout und Satz: Verena Bach

Lektorat: Lukas Heinen

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