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Hier ist sie also: Die ultimative, einzig wahre, absolut korrekte und vollständige Anleitung, die dich solange im Glauben lässt, perfekt auf das Spielleiten vorbereitet zu sein, bis die ersten Spieler*innen bei dir aufkreuzen!

„Den Weg zur Perfektion suchst du hier? Dafür bist du den ganzen Weg hier hochgestiegen?“ Der Greis lachte keckernd. „Dann wirst du hier nur Enttäuschung finden, Jungchen. Perfektion ist Nichts, was du finden kannst. Wenn du sie immer nur suchst, wirst du auch immer nur streben.

Besser, du schaust immer nur auf den Punkt, an dem du deinen Fuß als nächstes setzen willst. Und wenn du dich dann irgendwann umschaust und zurückblickst wirst du den Weg sehen, den du gegangen bist und all das was du alles gelernt und mitgenommen hast. Dann wirst du vielleicht erkennen: Das alles wiegt so viel mehr als das bisschen, was noch vor dir liegt.“ 

Das unerreichte Ideal

Viele Spielleiter*innen kennen diese Spielabende, an denen alles perfekt gelaufen ist: Alle waren die ganze Zeit bei der Sache, es gab Enthüllungen, spannende Kämpfe, interessante Entdeckungen, das Pacing stimmte, jede*r Spieler*in hatte seinen Moment, und das Ende kam genau rechtzeitig. Umso mehr ärgert es uns, wenn eine Sitzung später der Wurm drinsteckt, irgendetwas nicht stimmt und sich das Erlebnis nicht wiederholt. Wie praktisch wäre es doch, wenn es da eine Liste gäbe, die einen zielsicher zum „perfekten Spielabend“ führt.

Die gewaltige Vielfältigkeit, die sich in tausenden von Spielrunden über Jahrzehnte gebildet hat, ist eine der schönsten Eigenschaften unseres Hobbys, erschwert aber die Vergleichbarkeit der Spielrunden und damit allgemeingültige Aussagen.

Stimmte das Pacing? Nur einer von vielen Aspekten  © zerfeli@gmail-com
Stimmte das Pacing? Nur einer von vielen Aspekten © zerfeli@gmail-com

Dann ist da noch die Sache mit der Perfektion: Nach dem Paretoprinzip braucht es für die letzten 20% eines Projektes 80% des Aufwandes. Statt also die Perfektion in einem Spielabend zu suchen, wäre es vielleicht besser, die Zeit in die Vorbereitung mehrerer, ausreichend guter Runden zu stecken.

Diese beiden Faktoren scheinen zwar den Anspruch einer allgemeingültigen Anleitung zur Perfektionierung jeglichen Rollenspielerlebnisses im Ansatz zunichte zu machten, aber der Weg zum unerreichbaren Ideal kann uns trotzdem eine Gesamtverbesserung über alle Spielrunden bringen. Ob eine davon dann vielleicht wieder perfekt wird, hängt allerdings von Faktoren ab, auf die man kaum Einfluss hat.

Wann ist ein Spieltermin „perfekt“

Damit wir uns auf dem Weg zum Angestrebten nicht verlaufen, wäre erst einmal zu klären, was denn den perfekten Spielabend ausmacht. Wie oben erwähnt sind Spielrunden derart unterschiedlich, dass es keinen Sinn hat, sich auf bestimmte Spielweisen oder Elemente zu begrenzen, die nicht für alle Spieler*innen gleich wichtig sind. Trotzdem kann man Umgebungsbedingungen schaffen, die für eine gewisse Grundqualität sorgen. Auf diese allgemeingültigen Bedingungen sollen sich die folgenden Empfehlungen daher konzentrieren.

Die 10-Schritt-Anleitung für den perfekten Rollenspielabend

Schritt 1: Du bist gut vorbereitet

Dies gilt sowohl für SL als auch für Spieler*in. Alle sollten wenigsten mit den für ihre Charaktere wichtigen Regeln vertraut sein, Spielmaterial wie Charakterbogen und neben Würfeln und Schreibzeug häufig benutzte Zusatzregeln, Übersichten usw. dabeihaben.

Je nach Spielstil sieht die Vorbereitung auf SL-Seite deutlich umfangreicher aus. Hier besteht die Gefahr sich zu verzetteln, indem man entweder zu viel Arbeit auf Kleinigkeiten verwendet, die im Spiel eine geringe Rolle einnehmen, oder indem man versucht, auf jede Eventualität eingestellt zu sein. Hier hilft Erfahrung, Reflexion und Selbstbeobachtung, um herauszufinden, wie viel Vorbereitung man braucht. Manchmal hilft die Frage: Wenn jetzt plötzlich die Gruppe vor der Tür stünde und sagt „Wir können loslegen“ – hättest du dann ein gutes Gefühl oder müsstest du noch hektisch Tabellen mit Gegnerwerten zusammensuchen? Falls Letzteres der Fall ist, tue genau das jetzt, damit du am Tisch diesen Teil deiner Aufmerksamkeit der Gruppe widmen kannst.

Metaspiel oder nicht? © mzacha  | sxc.hu
Metaspiel oder nicht? © mzacha  | sxc.hu

Schritt 2: Wir wissen, warum wir uns treffen

Es gibt Gruppen, die sich so gut kennen, dass Smalltalk und gemeinsames Essen dazugehören und das eigentliche Rollenspiel in den Hintergrund tritt. Für diese Gruppen kann ein perfekter Spielabend etwas ganz Anderes bedeuten als für rein auf das Spiel fokussierte Gruppen. Schwierig wird es dann, wenn Spieler*innen aus beiden Gruppen in einer Spielrunde landen. Dann entsteht meist ein Konflikt der Erwartungen, der schwierig aufgelöst werden kann. Bevor so etwas passiert ist es wichtig festzulegen, in welchem Modus man sich trifft und ob dieser für alle derselbe ist.

Danach erst folgt der Konsens über System, Setting und weitere Gruppenregeln (zum Beispiel, wie man mit Charaktertoden umgeht oder wie und ob Metaspiel betrieben wird).

Schritt 3: Alle sind wach und erholt

Nicht jede*r ist immer gleich leistungsfähig und kann immer ihre*seine volle Aufmerksamkeit dem Spiel widmen. Umso wichtiger ist ein offener Umgang damit. Es kann irritierend sein, wenn jemand immer wieder gedanklich abdriftet oder Dinge vergisst. Jede*r hat mal einen schlechten Tag. Das Problem ist nur: Als SL ist man deutlich mehr gefordert, dementsprechend wichtig ist, dass man fit und motiviert am Spieltisch ist. Am besten funktioniert das mit ausreichend Schlaf vorher.

Schritt 4: Es steht ausreichend Zeit zur Verfügung

Ob Feierabendrunde zwischen zwei Arbeitstagen gequetscht oder gemütlicher Wochenendtermin: Es braucht Zeit, von der Parkplatzsuche, dem Projektmeeting oder dem ärgerlichen Streit mit dem Nachbarn in den „Betriebszustand Rollenspiel“ zu wechseln. Räumt ein bisschen Zeit für diesen Moment ein, rechnet die Zeit für Smalltalk für den Abend mit ein und legt nicht direkt los, wenn der*die letzte Spieler*in am Tisch sitzt: Auch diese*r muss erstmal ankommen.

Schritt 5: Keine vermeidbaren Störungen von außen

Das Wichtigste am Spielort sind nicht Kerzen und Schwerter oder Computerkonsolen an den Wänden, sondern wie abgeschottet er ist. Zur Not tut es auch der Küchentisch, aber ein eigener Raum mit nur einer Tür fördert deutlich besser die Konzentration. Für die Selbstkontrolle kann es gut sein, Kommunikationsgeräte vom Tisch zu verbannen oder wenigstens stumm zu stellen.

Wer aus irgendwelchen Gründen nicht den ganzen Abend dabei sein kann, sollte das rechtzeitig vorher der Gruppe Bescheid geben, damit sie sich darauf einstellen kann.

"Elite"-Spieler neigen dazu, Gift für den Abend zu sein © fotolia.de | sakkmesterke
„Elite“-Spieler neigen dazu, Gift für den Abend zu sein © fotolia.de | sakkmesterke

Schritt 6: Jeder kann mal glänzen

Das gilt zunächst für die Charaktere. Üblicherweise haben diese unterschiedlichen Stärken, Vorlieben und Rollen in der Gruppe. Sowohl SL als auch Spieler*innen stehen in der Verantwortung, die Entfaltung dieser Rollen zu stützen. Als SL sollte ich darauf eingehen, was die Spieler*innen mir durch die Wahl ihrer Charaktere sagen: Ein Ninja wird eher im Schatten operieren wollen, eine Barbarin will offen kämpfen. Auch wenn nicht jedes Spielangebot von den entsprechenden Spieler*innen aufgegriffen wird: Wenn ich mit meinem Charakter schon eine Glanzszene hatte, halte ich mich bei dem*der Mitspieler*in zurück, die noch nicht im Vordergrund stand – auch wenn ich gerade eine vermeintlich bessere Idee habe – und bin ein*e gute*r Mitspieler*in.

Schritt 7: Das Spielt holt jeden ab

Dieser Punkt ist auf die Spieler*innen bezogen und bezieht sich auf den größeren Kontext, der Art des Abenteuers und/oder der Stimmung. Auch hier gibt es üblicherweise unterschiedliche Interessen, und nicht jedes wird immer bedient. Doch auch wenn 4 von 5 Spieler*innen Lust auf ein Heist-Szenario haben: Wenn ich weiß, dass die fünfte damit nicht so viel anfangen kann, sollte ich einen Teil des Spielabends anders gestalten und sie auch mit einbinden.

Schritt 8: Überraschende Wendung

Was einen perfekten Abend perfekt macht, ist die Abweichung von der Routine. Hier kann man in eine Falle laufen: Wenn man unvorhergesehene Wendungen und Enthüllungen zu oft einsetzt (und man nicht Christopher Nolan heißt) kann daraus eine Erwartungshaltung entstehen, die der bereichernden Wirkung des Überraschungseffektes entgegensteht. Hier ist weniger oft mehr und nachhaltiger.

Schritt 9: Und nicht zuletzt: Auch du als SL hast Spaß!

Als SL muss man kein*e Dienstleister*in sein. Auch wenn man kein spielleiterloses System spielt, hat man als SL nicht nur die Pflicht, auf den Spielspaß der anderen Mitspieler*innen zu achten, sondern auch das Recht, selbst auf seine Kosten zu kommen – natürlich nur, solange das nicht auf Kosten der Anderen geht. Nicht vergessen: Der Spielabend ist erst dann perfekt, wenn alle ihren Spaß hatten!

Schritt 10: Der Abend wird abgeschlossen

Die Sitzung ist zu Ende, der finale Kampf überlebt, alle Ziele erledigt, die Belohnung abgestaubt, und alle sind zufrieden, erschöpft und glücklich. Dann können wir doch jetzt nach Hause fahren, oder? Oder auch nicht! der Abend sollte nicht mit dem Aufschreiben der Erfahrungspunkte enden, sondern Allen Gelegenheit geben, nochmal über die gemeinsame Zeit zu sprechen, offene Punkte zu klären und vor allem: Feedback zu geben und einzuholen.

Dann wäre da noch:

Schritt 11: Folge keinen Schritt-für-Schritt-Anleitungen

Wenn ihr bis hierher gelesen hast und euch wundert, warum ihr alles ganz anders macht und trotzdem schon viele perfekte Spielabende hattet: Bleibt bei eurem Weg! Perfektion sieht für jede*n Spieler*in und jede Gruppe anders aus, und daher kann diese Liste nur ein Anhaltspunkt sein. Man könnte problemlos jeden der Punkte in zehn weitere Unterpunkte aufteilen und hätte trotzdem noch nicht alle Möglichkeiten erwischt. Ich bin aber überzeugt, dass niemand ein schlechteres Spielerlebnis haben wird, wenn er*sie den einen oder anderen Schritt berücksichtigt. Vielleicht sind ja ein paar Punkte dabei, die ihr bisher nicht bedacht habt. Am wichtigsten ist, dass ihr immer beobachtet und reflektiert, was für euch funktioniert und wo es hakt. Wenn ihr alles ausmerzt und eure Spielrunden Schritt für Schritt verbessert, vielleicht habt ihr dann auch irgendwann den perfekten Rollenspielabend!

 

Artikelbilder: © wie gekennzeichnet
Fotografie: Roger Lewin
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids
Quellen: RPGs and the Declaration of Intents

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