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„Ich möchte die Schatztruhe nicht öffnen, ich verzaubere sie in ein Pony und reite auf ihr!“ Rollenspiel mit Kita-Kindern verlangt eine Menge von Spielleitungen. Wenn es im pädagogischen Kontext in Verbindung mit Lern- oder Erkenntniszielen eingesetzt wird, gilt dies umso mehr. Einige Unterschiede möchten wir in diesem Artikel klären.

Es gibt viele Motivationen, ein Dasein als Rollenspieler*in zu beginnen: Flucht aus dem Alltag, das gemeinsame Bestehen von Abenteuern oder der Wunsch, viele Schätze zu sammeln. Die Motivation für den Einsatz von Pen-and-Paper in pädagogischen Kontexten ist eine gänzlich andere: Es bietet mit seinem kooperativen Charakter die Möglichkeit, Handlungsweisen ohne Konsequenzen für das reale Leben zu testen. Deswegen gerät Pen-and-Paper seit geraumer Zeit in den Fokus von Pädagog*innen, Therapeut*innen und Sozialarbeiter*innen, die die positiven Effekte für ihre Arbeit nutzen möchten.

Auch die Wissenschaft setzt sich mehr und mehr mit dem Thema auseinander und präsentiert Verbindungen von psychologischen Modellen, die für den wissenschaftlichen Zugang zu Pen-and-Paper von Bedeutung sind. Diese erklären Lernzuwächse und Mechanismen, die beim Spielen bekannter Rollenspiele – häufig wird Dungeons & Dragons oder Das Schwarze Auge genannt – relevant sind. Schon eine einfache Suche nach Fachliteratur resultiert in vielversprechenden Ergebnissen. Diese erklärt zudem häufig sehr detailliert, was Pen-and-Paper eigentlich ist und was den Reiz des Spiels ausmacht.

Diese Hintergrundinformationen sind von enormer Bedeutung für alle, die Pen-and-Paper für ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nutzen möchten, tragen sie doch zu einem zielgerichteteren Einsatz der Methode bei. Der Einsatz von Rollenspielen im pädagogischen Kontext ist sowohl mit einem hohen Maß an Planung und Vorbereitung als auch mit Improvisationserfordernissen verbunden. Psychologische und soziale Mechanismen sind somit am besten irgendwo im Hinterkopf verortet, wo sie bei Bedarf abgerufen werden können.

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Pen-and-Paper in der Kita

Ehrlicherweise ist der Begriff Pen-and-Paper im Zusammenhang mit dem pädagogischen Einsatz der Methode in Kindertagesstätten irreführend, da die Zielgruppe in den seltensten Fällen in der Lage ist, sich Notizen zu machen oder einen Charakterbogen auszufüllen. Aufgrund dessen wäre es sinnvoller, in diesem Kontext von interaktivem Erzählrollenspiel zu sprechen.

Interaktivität ist gerade beim Rollenspiel mit jüngeren Kindern wichtig, da die Aufmerksamkeitsspanne nicht groß ist und deshalb einige Methoden eingesetzt werden sollten, die die Kinder entspannen und/oder unterhalten. Trotzdem werden in diesem Artikel die gewohnten Ausdrücke Pen-and-Paper und Rollenspiel beibehalten.

Die vorliegenden Erfahrungen und Erkenntnisse wurden größtenteils mit leicht abgewandelten Regeln des Kinder-Rollenspiels So nicht, Schurke! gemacht. Es wurde meist darauf verzichtet, unterschiedliche Werte bei den jeweiligen Charakteren zu ermitteln: Die Kinder können in jeder Spielrunde so stark, schnell, schlau oder fabelhaft sein, wie sie möchten.  

Aller Anfang ist schwer – Vorüberlegungen und Vorbereitungen

Wenn sich die pädagogische Fachkraft entschieden hat, Rollenspiel für pädagogische Zielsetzungen zu nutzen, ist diese in der Regel voll Tatendrang. Am Tisch begegnet sie dann 4–6 Kindern, die in der Regel nur die Brettspiele der Kita oder die von zuhause kennen. Die wenigsten haben durch ihre Eltern oder Sorgeberechtigten bereits Einblick in die Welt des Pen-and-Paper bekommen.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich der Einstieg am besten meistern lässt, wenn die Kinder lediglich eine grobe Einführung darüber erhalten, was sie erwartet.

Wichtig ist ein vorbereiteter Tisch, auf dem die Charakterkarten, die dankenswerterweise bei So nicht, Schurke! enthalten sind, bereit liegen und so aufgrund ihrer Vielfalt ein enormes Interesse und die Lust, sich damit zu beschäftigen, wecken. Trotz der verlockenden Materialien sollte die Spielleitung zunächst ankündigen, dass sie den Kindern eine Geschichte erzählt und der Charakter, den sie sich aussuchen, darin vorkommen und durch das jeweilige Kind gelenkt wird. Im Anschluss daran dürfen die Kinder nach Herzenslust alle möglichen Charakteroptionen anschauen.

Ein vorbereiteter Tisch weckt direkt das Interesse und die Spiellust.

Hierbei kann es zu ersten Konflikten zwischen den Kindern kommen, etwa dann, wenn zwei Kinder sich die gleiche Charakterkarte oder den*die gleiche*n Begleiter*in aussuchen möchten. Dies kann dann durch die Spielleitung bereits in Lernerfahrungen umgesetzt werden, indem die Kinder aufgefordert werden, als Gruppe eine gemeinsame Entscheidung zu treffen, wer welchen Charakter darstellt und was dieser in dem vor ihnen liegenden Abenteuer für die Gruppe beitragen kann.

Ein weiteres verlockendes Utensil auf dem Tisch ist in der Regel der Würfel. Hier hat sich bewährt, im Vorhinein klar zu sagen, dass dieser nur in die Hand genommen wird, wenn man dazu aufgefordert wird. Es kann sich herausstellen, dass das ein oder andere Kind noch nicht in der Lage ist, Zahlen zu lesen, um seine Würfelergebnisse zu interpretieren. Die Spielleitung kann nun zwischen zwei Optionen auswählen: Entweder teilt sie bei jedem Würfelwurf die Zahl mit oder sie hat eine Alternative vorbereitet, wie etwa Lose, die aus einem Beutel gezogen werden und mit Symbolen wie Smileys bedruckt sind oder Blanko-Würfel, die selbst beschriftet werden können. Die zweite Methode hat den Vorteil, dass das Kind Selbstwirksamkeit erlebt und sich nicht aus der Gruppe ausgeschlossen fühlt, weil es durch die Hilfestellung eine Sonderrolle einnimmt.

Behutsam werden nun die Kinder an das vor ihnen liegende Spiel herangeführt, indem jedes Kind so viel zu seiner Figur und der Begleitfigur sagen darf, wie es möchte und sich bereits ausgedacht hat. Der Vorteil für die pädagogische Fachkraft besteht darin, dass bereits erkennbar ist, welches Kind sich schnell in das Spiel hineindenken kann und welches eventuell mehr Hilfestellung braucht. Den Kindern, die sich etwas schwerer damit tun, können an dieser Stelle durch die Spielleitung Fragen zum Charakter gestellt werden. Falls die Kinder schüchterner sind oder aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten haben, sich auf ihre Figur einzulassen, kann die Spielleitung als Hilfestellung Vorschläge machen. Mitunter helfen auch die Mitspielenden aus.

Diese „Vor-Spiel-Phase“ ist von großer Bedeutung, da die Spielleitung zum einen ein Gespür dafür entwickeln kann, wie die einzelnen Kinder auf das Spiel reagieren und zum anderen erste Gruppenmechanismen zu beobachten sind, auf die sie im Abenteuer eingehen kann.

Eine für Kinder gestaltete Einladung katapultiert direkt ins Spielgeschehen.

Viele Wege führen nach Rom – Was während des Spiels beachtet werden sollte

Hat sich die Gruppe nun auf das Spiel, das den Zeitrahmen von 1,5 Stunden nicht sprengen sollte, eingelassen, gibt es einige Kniffe, die helfen, die Spielmotivation aufrecht zu halten. Der erste ist, der Gruppe immer mal wieder Pausen zu gönnen, die sinnvoll in die Geschichte eingebunden sind. Das Regelwerk von So nicht, Schurke! macht in einem vorgefertigten Abenteuer den Vorschlag, die Kinder etwas malen zu lassen.

Dies kann gruppenabhängig eine gute Idee sein, jedoch braucht es an dieser Stelle das Gespür, ob es den Kindern zuzumuten ist, durch eine Malaktion noch länger am Tisch sitzen zu bleiben, als sie es ohnehin schon tun. Zum anderen zeigt die Erfahrung, dass manche Kinder sehr viel länger und enthusiastischer malen als andere und es dadurch zu Unmut über lange Wartezeiten beziehungsweise über einen Abbruch des Malens kommen kann, der erst einmal aufgefangen werden muss.

Aus diesem Grund hat sich bewährt, im Vorfeld mögliche Bewegungsaktivitäten, die zur Geschichte passen und die die Kinder eventuell schon kennen, herauszusuchen und in petto zu haben, sollte es zur Unruhe innerhalb des Abenteuers kommen. Auch ein Lied, das die Kinder bereits in der Kita gesungen haben, kann zur Auflockerung beitragen. Wenn man einer Astronautin beispielsweise ein Mutmachlied singt, kann dies ebenso zur Erleichterung der Mission beitragen.

Generell ist während des Abenteuers ein hohes Maß an Improvisation gefragt, womöglich mehr, als es beim Pen-and-Paper mit Erwachsenen erforderlich ist. Größter Unterschied ist, dass Erwachsene in der Regel wissen, worauf sie sich einlassen und welche Themen problematisch für sie sind. Kita-Kinder können das noch nicht abschätzen. Deswegen ist für die pädagogische Fachkraft wichtig, sowohl die Dynamik der Gesamtgruppe als auch das einzelne Kind im Auge zu halten, denn es kann Themen geben, die im Nachhinein – nicht während des Spiels – mit dem ein oder anderen Kind nochmals angesprochen werden müssen.

NSC lassen sich am besten einbinden, wenn sie eindeutig konzipiert sind. Ein*e wohlmeinende*r Auftraggeber*in, der*die Ausrüstung bereithält, ein Helferlein, das während des Spiels mit Ratschlägen bereitsteht, oder auch – je nach Gruppe – die gemeine Person, die ungute Ziele verfolgt: Es sollte beim Spiel mit Kita-Kindern keine Doppeldeutigkeiten oder Gesinnungswechsel geben. Da sich der pädagogische Fokus auf die Gruppendynamik und den Aufbau von sozialen und emotionalen Fähigkeiten richtet, sind NSC, die für die Spielenden verwirrend handeln, fehl am Platz.

Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten zum Spiel mit Erwachsenen: Es ist wichtig, einen packenden, kurzweiligen Plot zu entwickeln, der die Spielenden gebannt am Tisch sitzen lässt. Wenn Spielleitende die Interessen und Vorlieben ihrer Gruppe kennen, fällt dieser Part leichter. Im Kita-Kontext kommt hier daher eine Person in Betracht, die bereits in der Einrichtung arbeitet und daher die Kinder, die mitspielen, kennt. Sollte eine externe Person die Spielleitung übernehmen, kann diese in engem Austausch mit dem pädagogischen Fachpersonal die Spielsitzung planen und Hinweise, sowohl über die Gruppe als auch über mögliche Schwerpunktsetzungen des Plots erhalten.

Eine weitere Methode, die so auch beim Spiel mit Erwachsenen zu finden ist, sind Rätsel. Es macht einfach Spaß, gemeinsam über einer Herausforderung zu brüten. Selbstredend ist hier darauf zu achten, dass das Rätsel vom Schwierigkeitsgrad her zur Gruppe passt, sie weder über- noch unterfordert.

Wir haben es geschafft! – Das Ende des Abenteuers und die Nachbereitung

Haben die Kinder es geschafft, die ihnen gestellte Herausforderung erfolgreich zu meistern (und es wird definitiv erfolgreich enden), kommt ein Teil, der sie jedes Mal aufs Neue begeistert: das Fest. Um das Erreichte entsprechend zu würdigen, wird, wie im Regelwerk von So nicht, Schurke! vorgeschlagen, immer eine Feier ausgerichtet und die Kinder dürfen entscheiden, wie dekoriert wird und was es zu essen gibt.

Allein die Vorstellung, als Person derartig gewürdigt zu werden, fördert, der Erfahrung nach, das Selbstbewusstsein. In der Regel ist diese Erfahrung auch das Erste, was den Bezugspersonen mit Stolz berichtet wird.

Im Anschluss an das Abenteuer findet eine kurze Reflexion statt. Diese dauert lediglich drei bis maximal fünf Minuten, da die Kinder schon eine hohe Konzentrationsleistung zeigen mussten und deswegen in der Regel „die Luft raus“ ist. Trotzdem kann dieses kurze Gespräch der Spielleitung zum einen ein Feedback über das Erreichen ihrer pädagogischen Ziele geben und zum anderen dient es dazu, Gelerntes bei den Kindern zu festigen und zu verankern.

Um das, was bei dem Spiel bei einzelnen Kindern unter Umständen aufgefallen ist, zu diskutieren und um die pädagogischen Themen, die ihren Niederschlag im Abenteuer fanden, rückzumelden, sind im Anschluss Gespräche mit den weiteren pädagogischen Mitarbeiter*innen der Kita zu führen.

Ein besonderes Bonbon kann die Spielleitung den Kindern bereiten, indem sie ihnen Seiten für ihre Dokumentationsmappen, die Portfolios, gestaltet. So haben die Kinder eine bleibende Erinnerung an ihr Abenteuer und können bei einem eventuellen nächsten Spieltermin auf ihre Erfahrung zurückgreifen. Selbstkritisch muss allerdings angemerkt werden, dass im Berufsalltag leider oftmals die Zeit dafür fehlt.

Pädagogische Zielsetzungen – Was kann mit Rollenspielen erreicht werden (und was nicht)?

Aus pädagogischer Sicht kann Pen-and-Paper, oder interaktives Erzählspiel, dazu beitragen, dass eine Vielzahl von Fähigkeiten entwickelt werden, die im weiteren (Schul-)Leben wichtig sind: in der Gruppe arbeiten, Problemlösestrategien entwickeln, sich in der Gruppe äußern, Handlungen sinnvoll planen und einen Konsens bei divergierenden Meinungen finden. Daneben findet auch durch das freie Sprechen eine Förderung der Sprache statt (allerdings müssen hierzu schon Sprachkenntnisse vorhanden sein). Auch intrapersonale Fähigkeiten wie Selbstreflexion und Selbstwirksamkeit können unterstützend gefestigt werden.

So gut dies klingt, sind diese Lernziele nicht mit einem One-Shot umzusetzen. Wer erwartet, mit einem Rollenspiel-Vormittag bereits große Lernfortschritte zu erzielen, wird mit Enttäuschung aus diesem hervorgehen. Lernen ist ein Prozess. Die zeitlichen Ressourcen, regelmäßig mit einer festen Gruppe von vier bis fünf Kindern zu spielen, fehlen häufig. Zudem widerspricht die kleine Gruppengröße dem Gedanken, dass Angebote einer Kita einer großen Anzahl an Kindern offenstehen sollten.

Doch der große Vorteil des Einbindens von Pen-and-Paper in frühpädagogischen Einrichtungen besteht darin, dass Bildung ganzheitlich erfolgt. Ergänzend zu dem Rollenspiel können Bilderbücher, Bewegungsspiele oder auch künstlerische Aktivitäten angeboten werden, die sich mit diesen Fähigkeiten befassen und diese fördern. Auf diese Weise können immer andere Kinder mitspielen und dem Gedanken eines offenen Zugangs zu Angeboten für alle Kinder Rechnung getragen werden.

Auch das haptische Erleben kann mit Aufstellern (aus der Erweiterungsbox Ich bin Erzähler!) eingebunden werden.

Die Basis ist hierbei, wie bei allen anderen Bildungsangeboten in der Kita auch, die Kommunikation zwischen den pädagogischen Fachpersonen. Wenn es diesen gelingt, sich regelmäßig zielgerichtet über die Inhalte auszutauschen und gegenseitige Rückmeldungen in ihre Arbeit einfließen zu lassen, stellt Pen-and-Paper-Rollenspiel eine hervorragende Methode dar, Bildungs- und Erziehungsziele unterschiedlichster Art in Kitas zu unterstützen.

 

Artikelbilder: depositphotos | © ulza@inbox.ru
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Maximilian Düngen
Fotografien: Jessica Albert

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