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Ab und zu möchte manch gestandene Spielleitung auch mal wieder zum Spielenden werden. Dann ist jemand anderes gefragt, das Ruder zu übernehmen. Doch kann das gut gehen, wenn man selbst tiefgründig mit dem bespielten Regelwerk vertraut ist? Gedanken zum Thema Spielleiter*innen als Mitspielende.

Auf den ersten Blick scheint die Situation gar nicht so problematisch. Es ist absolut legitim, dass ein*e Spielleiter*in auch mal wieder einen eigenen Charakter ausspielen möchte. Schließlich sollte niemand sich gezwungen fühlen, nur eine der Rollen am Tisch wahrzunehmen. Allerdings ist es hilfreich, nicht unvorbereitet in die großen und kleinen Hürden dieser Ausgangslage zu stolpern. Deshalb haben wir hier ein paar Überlegungen zusammengetragen, die diese Situation beleuchten.

Der „alte Hase“ als Mentor*in: Vor- und Nachteile von aktiver Hilfestellung

Wir haben bereits darüber berichtet, warum jede*r einmal die Rolle als Spielleitung einnehmen sollte. Entlastung der eigenen Spielleitung, neue Erfahrungen sammeln, die Perspektive der SL besser schätzen lernen – es gibt viele Vorteile. Aber wie geht man damit um, wenn die oder der ursprüngliche Spielleiter*in mit am Tisch sitzt und deutlich bessere Regelkenntnisse hat? Ganz einfach, man stellt sich gemeinsam eine entscheidende Frage: Möchte ich als (neue) SL Unterstützung vom „alten Hasen“?

Erfahrung weitergeben: Von gewollter Unterstützung

Der größte Vorteil, als neue Spielleitung mit erfahreneren Spielleiter*innen zu spielen, ist deren Regelkenntnis. Statt eine selten genutzte Regel im Regelwerk nachschlagen zu müssen, weiß die zweite Person am Tisch vielleicht aus dem Kopf Bescheid und kann unterstützen. So wird das Spiel flüssiger. Aber auch für bereits erfahrene Spielleitung lohnt es sich, bei anderen SL um dezidiertes Feedback nach der Runde zu bitten. Tipps und Ideen untereinander zu teilen ist nicht nur hilfreich, sondern macht oft richtig Spaß.

Ein nicht zu vernachlässigender weiterer Vorteil ist, dass man als Spielleitung oft ein gutes Gespür für Gruppendynamik entwickelt. In der neuen Rolle als Spieler*in kann die ehemalige Spielleitung den anderen Mitspielenden dabei helfen, im Eifer des Gefechts nicht unterzugehen. Das gelingt durch Anspielen mit dem eigenen Charakter vermutlich sogar besser, als das die Position der Spielleitung zulässt.

Wichtig hierbei ist allerdings, dass vorher klare Absprachen gemacht werden. Am Ende bestimmt die neue Spielleitung, was im Spiel geht und was nicht geht. Als Mitspieler*in mit SL-Erfahrung muss man sich besonders bei Erstlings-Spielleiter*innen im Klaren darüber sein, dass Fehler passieren werden. Bei so einem Fehler muss man dann auch mal ein Auge zudrücken können. Denn sobald man sich selbst dabei ertappt, das Spielgeschehen nach alter Manier lenken zu wollen, ist eine Grenze überschritten. „Backseat Gaming“ sollte tunlichst vermieden werden.

„Backseat SL“: Von ungewollter Unterstützung

Als „Backseat Gaming“ wird laut Urban Dictionary das permanente Kommentieren von Entscheidungen in einem Spiel bezeichnet, die man nicht selbst trifft. Wir entlehnen den Begriff hier kurz für eine zweite, weiter gefasste Definition: In unserem Kontext ist auch das Versuchen, aktiv in die Entscheidungen der Spielleitung einzugreifen, gemeint.

Die Versuchung ist groß. Pen& Paper-Spiele sind kollaborative Ereignisse – gemeinsames Erzählen ist die Essenz des Hobbys. Dennoch hat die Spielleitung eine klar abgetrennte Rolle. Nur sie entscheidet, wann welche Wurfprobe durchgeführt wird. NSCs werden in den allermeisten Fällen von der Spielleitung übernommen. In solche Dinge sollte auf keinen Fall ungefragt eingegriffen werden. Das kann die eigentliche Spielleitung verunsichern und hindert die Gruppe an gutem Zusammenspiel. Besonders kritisch wird es, wenn die Ex-Spielleitung unzufrieden mit der Entwicklung der Runde wird.

Ich kann das aber besser! Störende negative Gedanken

Als langjährige Spielleitung kommt man schnell in die Gewohnheit, während einer Sitzung viel zu reden und viel zu wissen. In der neu gewonnenen Position als Spieler*in jedoch sollte die eigene Redezeit im Vergleich zurückgeschraubt werden, damit alle Mitspielenden Platz zur Entfaltung bekommen. Daran muss eine ehemalige Spielleitung oftmals aktiv arbeiten.

Das eigene Wissen als Spieler*in ist ebenfalls im Vergleich zu der Position als Spielleitung geschrumpft. Statt sich selbst die Details auszudenken, muss man bei gewissen Dingen die Situation erfragen – und dann damit umgehen können, wenn narrativ etwas nicht so läuft, wie man sich es vorgestellt hat. Diese „Macht“ einzubüßen kann unbequem sein, wenn man es ansonsten anders gewohnt ist. Besonders anstrengend kann dies werden, wenn aus (Anfänger-)Fehlern der SL heraus negative Erlebnisse im Spiel entstehen. Schneller als gedacht ist der Gedanke da, dass man die Situation selbst vermutlich besser gelöst hätte.

Diese Arten von Frustration sind nicht schön. Es ist oft nicht leicht, sich gegen die intrusiven Gedanken zu wehren. Das Einzige, was hier hilft, ist Gelassenheit zu zeigen. Und natürlich kann man die Spielleitung auch nach der Runde zum privaten Gespräch bitten und erfragen, ob konstruktives Feedback erwünscht ist. Jeder soll Spaß am Spiel haben – Spielleitung wie Spielende.

„Das Monster kenne ich doch!“ – Das Meta-Problem

Wird ein*e Spielleiter*in zum Spielenden, kann auch Regelwissen schließlich zu einem intrinsischen Problem werden. Besonders in Spielen mit sehr detailliertem Kampfsystem, wie zum Beispiel Dungeons & Dragons oder Das Schwarze Auge, tritt dies gerne auf. Die neue Spielleitung sucht sich zum Beispiel ein Monster aus, gegen das die Gruppe kämpfen soll. Dieses Monster hat eine besondere Schwäche, die es herauszufinden gilt. Die Spieler*innen wissen nicht davon – bis auf die ehemalige Spielleitung, die das Buch, aus dem das Monster stammt, selbst besitzt. Und schon sitzt man in einem Metagaming-Dilemma fest.

Blöd, wenn man die Werte und Schwachstellen des Monsters bereits kennt!
Blöd, wenn man die Werte und Schwachstellen des Monsters bereits kennt!

Hier muss der/die betroffene Spieler*in sich entweder entscheiden, das Wissen zu nutzen, oder sich absichtlich „dumm stellen“. Für beide Vorgehensweisen gibt es gute Argumente; die Entscheidung ist gruppen- bzw. situationsabhängig. Man kann niemandem vorwerfen, dieses Wissen zu besitzen – auch alteingesessene Spielende können dem Monstertypus bereits begegnet sein und seine Schwächen kennen. Der Charakter des Spielenden darf in diesem Moment also ruhig auch einmal glänzen und die Gruppe in den Sieg führen. Sich zurückzunehmen bietet hingegen den noch unwissenden Mitspielenden die Möglichkeit, selbst auf die Lösung zu kommen. Außerdem kann man sich als Spielender auch nie sicher sein, ob die Spielleitung nicht noch ein Ass im Ärmel hat. Viele Systeme laden schließlich auch dazu ein, ein bisschen auszuprobieren und den ein oder anderen Statblock an die individuelle Situation anzupassen. In den allermeisten Fällen lohnt es sich also, erst einmal abzuwarten und die Szene zu genießen.

Bei Meta-Fragen muss also ein wenig Feingefühl beweisen. Wer weiß – vielleicht lässt sich die Situation ja auch ausnutzen und durch RP herausfinden, warum der eigene Charakter diesen Monstertypus kennt? Wichtig ist nur, dass innerhalb der (realen) Runde Zusammenhalt bewiesen wird und der Eingeweihte die Situation nicht ausnutzt.

Ein Gedankenanstoß für kooperatives Spielleiten: Das SL-Duo

Es gibt also doch einige Hürden, die sich bilden können. Selbstverständlich gibt es auch Runden ohne diese Probleme – all diese Faktoren sind stark von der eigenen Situation abhängig. Im Zuge dieser Überlegungen stellt sich allerdings eine Frage: Müssen wir denn eigentlich in der starren Situation „eine Spielleitung – der Rest sind Spieler*innen“ bleiben? Die Antwort ist selbstverständlich nein. Gerade in Situationen, in denen die neue Spielleitung Unterstützung möchte, bietet es sich an, als Spielleitungs-Duo aufzutreten.

Geteiltes Leid ist halbes Leid – und geteilte Freude doppelte. Warum sich nicht also auch einmal gemeinsam in das Abenteuer Spielleitung stürzen? Zusammen planen, Strategien diskutieren und Begegnungen für die Gruppe entwerfen kann die eigene Kreativität maßgeblich fördern. Zuletzt wird noch aufgeteilt, wer das Erzählen an welcher Stelle übernimmt, und fertig ist das Grundgerüst für echtes Teamwork. Dadurch lastet der Druck der Spielleitung nicht auf einer Person. Das kann nämlich durchaus zu einem Problem werden, weshalb wir diesem Thema bereits einen Artikel gewidmet haben. Natürlich bleibt hier die Frage offen, was die zweite Person macht, während die andere gerade leitet. Hier gibt es aber zahlreiche Optionen: Zuhören und sich berieseln lassen, einen Spielercharakter übernehmen, einem NSC die Stimme leihen. Vielleicht sogar abwechselnd die Runden oder Abschnitte einer Kampagne leiten, ohne ihnen selbst beizuwohnen? Alle Beteiligten sollten sich vorab zwar genau fragen, ob sie für ein solches kooperatives Projekt gemacht sind. Aber warum eigentlich nicht?

Fazit

Als erfahrene Spielleitung die Rolle zu wechseln, kann einige Hürden mit sich bringen – kommunikative wie auch intrinsische. Zum Thema Unterstützung am Tisch ist es vor allem wichtig, vorab Absprachen zu treffen. Zum einen muss geklärt werden, ob bei Regelentscheidungen die Meinung der Regelwerkkennenden erwünscht ist. Das sollte vor allem bei längerfristigen Spielsituationen wie ganzen Kampagnen dringlichst geklärt werden, um ein gutes Miteinander zu schaffen.

Außerdem sollte man als ehemalige SL auch ein wenig Gelassenheit mitbringen. Fehler und vermeintlich „falsche“ Entscheidungen wird es zwangsweise geben, denn niemand ist perfekt. Auch die eigene Wissenssituation kann in beide Extreme umschwenken. Hintergrunddetails liegen nun bei der jetzigen SL, und man selbst hat weniger Einfluss auf das Spielgeschehen als zuvor. Dagegen kann das eigene Wissen über zum Beispiel Monster zu ungewolltem Metagaming führen.

Dennoch wollen wir hier dafür plädieren, sich der Situation zu stellen. Austausch unter Spielleitungen ist viel wert, denn es gibt immer Neues dazuzulernen. Außerdem ist es schön, eine Welt mal wieder aus der Entdeckerperspektive zu genießen. Statt eigenes Unwissen zu verteufeln, sollte man es lieber als Herausforderung sehen und Interesse daran bekunden, ebenjene Welt zu erkunden. Die neue Spielleitung freut sich garantiert, wenn man Enthusiasmus ihrer Szenerie gegenüber zeigt.

Wenn man feststellt, dass die Konstellation Spielleitung und Spieler*in doch nichts für sich selbst ist, lohnt es sich vielleicht auch zu überlegen ein SL-Duo zu bilden. Gemeinsames Schaffen fördert die Kreativität beider Parteien und kann viel Neues bieten. Egal welchen Weg man wählt, mit dem richtigen Mindset lassen sich die hier aufgeführten Hürden überwinden – Spielleiter*innen als Mitspielende können nämlich auch eine echte Bereicherung für die Runde sein!

Artikelbilder: depositphotos © blackregis2 © antonbrand
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Nina Horbelt

1 Kommentar

  1. Ja, da muß man sich manchmal auf die Zunge beißen… das Meta-Problem sehe ich aber nicht wirklich als eines an. Wenn man wirklich jedes Monster kennt, gut, aber wieviele gibt es denn da draußen? Und das man weiß, wie ein Goblin so funktioniert das läßt sich ja auch gut Spielweltlich erklären. Ist mir jedenfalls als spielender Spielleiter noch nie passiert, das ich sofort gewußt habe was das war… und selbst dann „oh, ich hab davon gehört“ ist ja noch nichtmal gelogen, und das Abenteurer, oder wie immer man sie auch nennen mag, sich über die Gefahren da draußen austauschen ist doch natürlich.

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