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Tapfere Held*innen und kühne Reck*innen? Hehre Paladine und wagemutige Streiter*innen des Guten? Warum nicht einmal ein Wechsel auf die Seite, welche die Kekse hat? In diesem Artikel werden dir Möglichkeiten vorgestellt, wie man mit einer bösen Gruppe spielt. Die Moral bitte beim Eingang lassen.

Einmal möchte ich ein Böser sein, eine miese Sau.

– Erste Allgemeine Verunsicherung

Einleitung – das Böse und warum es gut ist

Der Kampf gegen das Böse™ ist eine Konstante in der Fantasy und dem sich daraus entwickelten Pen-and-Paper-Rollenspiel. Ohne einen Sauron würde es keinen Herrn der Ringe, ohne einen Voldemort keinen Harry Potter und ohne die Weißen Wanderer kein Lied von Eis und Feuer geben. Klassische dunkle Antagonist*innen bieten einen schönen Spiegel für die Held*innen, welche umso heller erstrahlen können, je sinistrer die Bösen sind. Nicht umsonst haben die Küstenmagier unlängst einen eigenen Erweiterungsband herausgebracht, welcher sich mit sogenannten Darklords beschäftigt und wie man ihnen (Un)Leben einhauchen kann. Damit kann man sich als Spielleitung sicher sein, seinen Spieler*innen ein schönes klassisches Abenteuer bieten zu können.

Wie langweilig.

Wir spielen doch Pen-and-Paper, eines der wohl vielseitigsten und kreativsten Hobbys, die denkbar sind. Ist es denn nicht verführerisch, einmal die Seiten zu wechseln und dem Bösen nicht den Tag zu verderben, sondern zum Sieg zu verhelfen? Wie fühlt es sich an, für das Böse zu streiten? Was tut man im Kampf gegen die strahlenden Saubermänner und -frauen der hellen Seite? Spricht vielleicht gar etwas für die Pläne des Bösen?

Das Spiel einer bösen Gruppe ist fordernd und spannend gleichermaßen. Es ist eine Erfahrung, die man als Spieler*in und Spielleitung einmal gemacht haben sollte (und sei es nur, um zu sehen, auf wie viele Arten es schief gehen kann). Auf jeden Fall dürfte es nicht langweilig werden.

Die Bösen sind nicht gut.

Mark Rosewater: „So… you’re not the embodiment of evil?

Black: „I don’t even believe in the concept of evil. It relies on the existence of absolute truths, which, to the best of my knowledge, no one has ever proved the existence of“.

– Magic the Gathering Interviews: Black

Was bedeutet es eigentlich, „böse“ zu sein?

Auch die Guten begehen furchtbare Taten (sie schämen sich zwar ein wenig, aber so gut wie alle Held*innen haben eine furchtbare Blutspur in ihrer Welt hinterlassen). Ist es die Moral? Wessen Moral? Haben die Bösen mit „Macht schafft Recht“ nicht vielleicht doch Recht, da die Held*innen die Bösen meistens mit Gewalt und selten mit Worten überzeugen müssen?

Fügen wir all diese Puzzleteile zusammen, bleibt dennoch lediglich geistiges Stückwerk übrig. Die Bösen sind eine zu heterogene Gruppe, um sie moralisch, ethisch oder im Glauben auf einen Nenner zu bringen. 

Bis auf eines – die Bösen sind eigensüchtig.

Das Gute kann schlimme Dinge tun, verfolgt dabei aber immer höhere Ziele. Die Bösen bedürfen einer solchen moralischen Krücke nicht, um ihre Handlungen zu rechtfertigen. Für böse Charaktere ist es vollkommen ausreichend, eine Tat aus ihrem eigenen Willen heraus zu rechtfertigen, um sie zu unternehmen. Das Streben nach Macht ist oft ein Grund, aber auch die Lust am Verursachen von Leid. Oder auch die Indifferenz gegenüber jenem.

Als böser Charakter gehst du deinen eigenen Weg. © grandfailure | depositphotos.com

Es ist leicht, einen bösen Charakter zu erschaffen. Schwieriger ist es, ihm mit einer interessanten Motivation Leben einzuhauchen, welche ihm Persönlichkeit verleiht und ihn gleichzeitig in einer Gruppe spielenswert macht.

Warum bin ich eigentlich böse?

Nun, die Guten verstehen sich darauf, die Bösen zu überwältigen und ihnen das Handwerk zu legen. Ja, darin sind die Guten wirklich gut, zugegeben. Das Problem besteht jedoch darin, daß sie keine anderen nennenswerten Fähigkeiten haben. An einem Tag feiern sie den Sturz des bösartigen Tyrannen, und am nächsten sitzen sie herum und beklagen sich darüber, daß seit dem Sturz des Tyrannen niemand mehr den Müll fortbringt. Der Grund: die Bösen können planen. Das ist sozusagen eines ihrer Wesensmerkmale. Jeder grausame Tyrann, der etwas auf sich hält, plant die Unterwerfung der gesamten Welt. Wenn es darum geht, in die Zukunft zu blicken, haben die Guten einfach nicht den Dreh raus.

– Patrizier Lord Havelock Vetinari, „Wachen! Wachen!“

Eigentlich kommt niemand böse auf die Welt – heutzutage nicht einmal mehr Orks, Dunkelelfen oder Dämonen. Warum ist dein Charakter böse (geworden)? Sucht er die Gesellschaft von anderen Bösen, um seine Ziele effektiver zu verfolgen, oder ist es vielleicht die Gemeinschaft an sich, die ihn anzieht?

Guten Tag, Herr Nachbar… Foto © bcrbnbvtw | depositphotos.com

Fühlt er sich gar nicht als böse, sondern „befolgt nur Befehle“, „macht halt einen Job, den sonst ein anderer machen würde“ oder sucht eine ähnliche Ausrede? Wo hat der Charakter die Pfade der üblichen Moral verlassen und sich entschlossen, alternative Methoden anzuwenden und abwegige Ansichten zu präferieren? Was hat ihn gebrochen? Man sieht schon, es liegt hier sehr viel an der Charaktermotivation, zu welcher auch der persönliche Moralkodex des Charakters gehört. Leon ermordet gewissenlos Männer, verschont aber Frauen. Q hat eine Schwäche für Picard. Vader mag keinen Sand. Jeder Charakter, an den man sich gerne erinnert, hat Eigenheiten, die ihn zu dem machen, was er ist. Das kann eine Kleinigkeit sein wie eine Erinnerung an ein früheres Leben, eine kleine Schwäche oder Marotte.

„Böse“ Charaktere in der Spielwelt stehen offenbar gegen eine gewisse Moral, welche sie als „böse“ verurteilt, haben also mit der vorherrschenden Moral gebrochen. Wer ist diese Autorität? Der Staat? Eine Kirche? Ein Prinzip? Das Brechen dieses Moralkodex ist ein wichtiger Eckpfeiler einer bösen Gruppe. Es ist lohnenswert, sich Gedanken darüber zu machen, gegen was oder wen man rebellieren möchte, und welcher Art die Welt ist, die sich nach dem Sieg zeigen soll – sofern es nicht nur um das Wohl der Einzelnen geht.

Die Bösen und das Teamwork – das Zusammenspiel in einer bösen Gruppe

Ein wesentliches Element eines bösen Charakters ist also die Eigensucht. Dies steht im direkten Gegensatz zu einem gelingenden Gruppenspiel, in welchem man gemeinsam Hindernisse überwindet, feuerspeiende Prinzessinnen besiegt und holde Drachen rettet.

„Ausgezeichnet!“ – C.M. Burns Foto © SIphotography | depositphotos.com

Zu viele Solist*innen schaden dem Zusammenspiel.

Um eine böse Gruppe gemeinsam funktionieren zu lassen, benötigt man entweder ein gemeinsames Ziel oder einen gemeinsamen Feind. Warum ist die Gruppe zusammen und erlebt Abenteuer? Für die Spieler*innen ist ihre Motivation klar, sie möchten in ihrer Freizeit Pen-and-Paper spielen. Wie sieht das für ihre Charaktere aus? Sind ihre Motivationen vereinbar oder gar gegensätzlich? Ein Klüngel aus Ventrue-Vampiren, die sich alle gegenüber ihrem Erzeuger beweisen möchten, wird wahrscheinlich grundsätzlich anders „funktionieren“ als eine Gruppe Nekromant*innen, welche ein gemeinsames Forschungsprojekt aufbauen möchte. Diese wird wohl nur notgedrungen in der Einsamkeit der Wildnis ihren akademischen Forschungen der post- und transmortalen Kommunikation nachgehen. Wieder anders werden angeheuerte Schattenläufer*innen in der Sechsten Welt von Seattle arbeiten, die möglicherweise Aufträge von unterschiedlichen Mr. Johnsons erhalten haben können.

Für die erste böse Gruppe bietet sich die berühmte Session Null an, in welcher man gemeinsam die Charaktere erstellt. Noch mehr als in Standardrunden tut es sicher gut, über die Gruppe an sich und deren Ziele zu sprechen. Ein gemeinsames Ziel schweißt zusammen und gibt den Spieler*innen einen klaren Fokus, was sie eigentlich erreichen möchten.

Ebenfalls überlegenswert ist, ob man die böse Runde nicht von Beginn an zeitlich begrenzen möchte, um eine kurze, dafür umso intensivere Kampagne zu spielen. Böse Runden haben das Problem, dass sich das Neue der „bösen“ Möglichkeiten relativ schnell abnutzt, wenn man nur von geplündertem Dorf zu geplündertem Dorf eilt. Man sollte sich nach dem Antrieb fragen, böse Charaktere zu spielen. Ist es das Charakterkonzept? Die erhöhte Schwierigkeit einer Kampagne, wenn man gegen und nicht mit der Staatsmacht, der Inquisition, Engeln und weiteren rechtschaffenen Streiter*innen bestehen muss?

Gerade in bösen Runden ist die Frage der Hierarchie eine besonders faszinierende. Wenn die Gruppenmitglieder nicht aus Loyalität und einer gemeinsamen Ideologie zusammenstehen, warum dann? Wer entscheidet letzten Endes, wohin die Gruppe geht und was sie dort tut? Vielleicht ist die Gruppe basisdemokratisch ausgerichtet wie die karibischen Piraten, deren Kapitän recht schnell abgesetzt werden konnte. Oder vielleicht ist ein „Macht schafft Recht“-Ansatz passender. Es muss bedacht werden, dass eine böse Runde die ein oder andere Diskussion um Gruppendynamik und Entscheidungsprozesse haben wird.

Das Wesen des Bösen

Dort unten gibt es Menschen, die jedem Drachen folgen, jeden Gott verehren und jede Gräueltat bejubeln. Und das alles nur aus stumpfsinniger, alltäglicher Verderbtheit. Es handelt sich dabei nicht um die erstklassige und kreative Scheußlichkeit der großen Sünder, eher um eine serienmäßig hergestellte Dunkelheit der Seele. Anders ausgedrückt: es ist Sünde ohne eine Spur Originalität. Solche Menschen nehmen das Böse nicht etwa deshalb hin, weil sie ‚ja‘ dazu sagen, sondern weil sie auf ein ’nein‘ verzichten.

– Patrizier Lord Havelock Vetinari, „Wachen! Wachen!“

Nicht jeder böse Charakter muss gleich der nächste Sauron sein. Natürlich sind epische Schurken mit megalomanischen Plänen und Komplexen, die nur von ihrem Ego übertroffen werden, interessant zu spielen, keine Frage. Aber das Böse ist viel facettenreicher als das. Böse Charaktere müssen nicht gleich die ganze Welt unterwerfen wollen, um interessant zu sein. Viel spannender ist das Innere des gespielten Charakters. Wäre es nicht viel lohnenswerter, einen „Normalo“ zu spielen, der aber nicht das Gute, sondern ganz bewusst seine eigenen, selbstsüchtigen Ziele hat? Selbst Heinrich Faust beginnt als gelangweilter Akademiker, der erst durch die Verwicklung mit Mephistopheles Gretchen ins Verderben reißt. Leider hat Goethe nie einen zweiten Teil des Fausts geschrieben, um diese Geschichte nach ihrer Hinrichtung fortzudenken …  Was ist damit gemeint?

Eine böse Runde benötigt nicht unbedingt die Klassiker wie Nekromant*innen, gefallene Paladine, mörderische Schurken*innen mit finstersten Absichten, um Spaß zu machen. Es reicht vielleicht eine Prise dunkelgrau, um mehr Farbe ins Spiel zu bringen:

  • Ein Charakter, der sich an einem (eingebildeten) Unrecht rächen möchte
  • Eine Ritterin, die immer wieder erlebt hat, dass Ehre nur ein Märchen für Kinder ist
  • Ein Fährmann, der ab und an reiche Reisende um ihr Geld erleichtert
  • Eine Klerikerin, die den Glauben verloren hat – besonders spannend in einer Welt, in der sich die Gottheiten bedeckt halten und verborgen sind
  • Ein Druide, der zum Bioterrorismus neigt, um eine Botschaft zu senden
Zu wahnsinnige Charaktere laufen Gefahr, dass sich die Gruppe aus reinem Selbstschutz von ihnen trennt. Foto © dekanaryas | depositphotos.com

Am besten versucht man, die bösen Charaktere und Runden mit noch zumindest einem Bein in einer erklärbaren Realität stehen zu lassen. Wahnsinnige Charaktere wie der Joker sind zwar faszinierend im Film anzusehen, aber eben genau das: nur dann interessant, wenn man selbst von ihren Aktionen nicht betroffen ist. Zu wahnsinnige Charaktere, welche den Erfolg ihrer Gruppe oft durch Eigenmächtigkeit gefährden, laufen verständlicherweise Gefahr, dass sich die Gruppe früher als später aus reinem Selbstschutz von ihnen trennt. Und das kann im schlimmsten Fall zu Unmut unter den Spieler*innen führen.

Fazit – es ist gut, böse zu sein.

Das Spiel mit und in einer bösen Runde ist eine lohnende Erfahrung, die viel Spaß machen kann.  Man muss sich aber im Klaren darüber sein, dass in solchen Konstellationen die Kommunikation der Erwartungshaltungen noch einmal wichtiger ist als sonst. Sei bereit, Kompromisse bei der Gestaltung deines Charakters einzugehen, wenn es dem Spiel in der Gruppe hilft. Es ist sicherlich angenehmer, vor dem Beginn der Kampagne abzuklären, ob man Charaktere mit Ansichten spielt, die schon von Grund auf problematisch sind. Eine Gruppe Orks wird mit einem gefallenen Paladin, der immer noch gewisse Moralvorstellungen pflegt, wenig Freude haben. Zwei Kleriker*innen des Kults von Rakdos und der Orzhovkirche werden ebenfalls wenige Berührungspunkte haben, ohne sich ständig an die Gurgel zu gehen. Vielleicht ist gerade dies die Zeit für eine Spielrunde, in der das gemeinsame Ziel bereits in der Gruppengründung angelegt ist.

Wie immer im Umgang mit dem Bösen™ gilt auch bei einer bösen Rollenspielrunde: Die Belohnung ist verlockend, nur sei dir der Risiken bewusst.

 

Artikelbilder: © fxquadro, grandfailure, bcrbnbvtw, SIphotography, dekanaryas | depositphotos.com
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Alexa Kasparek

2 Kommentare

  1. „Dies steht im direkten Gegensatz zu einem gelingenden Gruppenspiel, in welchem man gemeinsam Hindernisse überwindet, feuerspeiende Prinzessinnen besiegt und holde Drachen rettet.“

    Hm da hat der Autor des Artikel doch geprüft ob wir noch aufmerksam mitlesen….. ;-)

    • Ganz ehrlich: Ich habe es überlesen! :D

      Ich hatte auch schon eine ‚böse Gruppe‘, leider ohne gute Konzepte. Eigentlich nur ein dunkelbunt gemischtes Team, wo jeder Einzelne auf Tod und Zerstörung aus war. Wenn man das oben Geschriebene berücksichtigt hätte, hätte es vermutlich besser funktioniert.

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