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Descent – Legenden der Finsternis will neue Maßstäbe im Bereich der Dungeon-Crawler setzen. Hier dringen Fantasy Flight Games und Asmodee in den Markt hochpreisiger, miniaturbesetzter Kickstarter. Kann das App-gesteuerte Spiel in der großen blauen Kiste mit seinem 3D-Terrain auch diesem Vergleichen standhalten?

Spoiler-Info: Der folgende Text enthält beispielhafte Informationen und Bilder von Aufbau und Inhalt primär des ersten Szenarios. Keine unbekannten Komponenten, überraschende Wendungen oder tiefere geschichtliche Entwicklungen werden euch vorweggenommen.

Es beginnt – wie so oft – mit ein paar zusammengewürfelten Söldner*innen. Hier treffen sie nicht in einer Taverne aufeinander, sondern am Lagerfeuer. Gemeinsam begleiten sie eine Karawane, als die Wache der Gruppe merkwürdige Geräusche aus dem Unterholz vernimmt …

Macht im Regal einiges her – die große, blaue Box.

So fangen sie an, die besten Geschichten, die wir lesen, hören, sehen, aber vor allem jene, die wir spielen. Wir wissen schon jetzt, wir werden diese Truppe zusammengewürfelter Charaktere auf ihren Abenteuern zu Macht und Ruhm verhelfen. Sie werden Fähigkeiten lernen, Ausrüstungsgegenstände erhalten, aber vor allem werden sie uns mit auf eine epische Reise nehmen, die uns hoffentlich in ihren Bann ziehen wird.

Um die beiden Elefanten im Raum direkt anzusprechen: Ja, das Spiel benötigt eine App. Das ist komfortabel und bietet neuartige Spielmechaniken, die wir sonst nur aus Videospielen kennen. Wer jedoch generell damit ein Problem hat und fürchtet, dass das Spiel vielleicht in 15 Jahren aufgrund von auslaufendem IT-Support nicht mehr spielbar sein wird, ist hier vermutlich falsch aufgehoben. Wer da allerdings mehr Vertrauen in die Kontinuität setzt oder denkt in 15 Jahren sowieso andere, neuere Spiele zu spielen, sollte sicherlich weiterlesen.

Und dann ist da noch der stolze Preis von über 150 Euro für die große, unglaublich hübsche, blaue Box. Von Fantasy Flight Games sind wir es gewohnt, schon mal 70 bis 80 Euro für ein Spiel zu zahlen. Doch hier bewegen wir uns im Bereich der Kickstarter-Spiele, für die auch schon mal kleine bis mittlere dreistellige Beträge fällig werden, meist für zwei Dinge: Miniaturen und lange Geschichten. Bei beidem übertreffen FFG noch ihre bisher solide Qualität, aber dazu später mehr.

Auf den Spuren der Descent-Reihe

Descent – Legenden der Finsternis ist dabei bewusst keine dritte Edition der erfolgreichen Reihe, die 2005 als One vs. Many Dungeon Crawler begann. 2012 kam die zweite Edition heraus, in der weiterhin eine Person die Rolle des Overlords übernahm, um gegen bis zu vier Held*innen anzutreten. Zahlreiche große sowie Charakter- und Monster-Erweiterungen wurden dann 2016 durch eine App ergänzt. In Road to Legend übernahm die App die Monster-KI und es war möglich mit bis zu vier Personen kooperativ zu spielen; ebenso wie beim 2015 erschienen Imperial Assault, dem Star Wars-Ableger, basierend auf dem Descent-Spielsystem.

Spielablauf

Maximal vier Spielende stellen sich bis zu 15 Abenteuern. Dabei können sie aus sechs verschiedenen vorgefertigten Charakteren wählen. Eine App sagt uns dabei, wie das Terrain aufzubauen ist und wo Charaktere und Monster platziert werden. Unsere Angriffe und die der Gegenseite werden ebenso in der App abgehandelt wie die Interaktion mit Geländeelementen wie Bäumen und Bücherregalen.

Zu Beginn gleich lauern ein paar Monster.

Die Grundmechanik

Der Spielmechanismus ist schnell erklärt und im Kern ähnlich den Vorgänger-Spielen, wie auch anderen Dungeon Crawlern: Wir sind abwechselnd an der Reihe, können unseren Charakter entsprechend unserer Bewegungsreichweite auf dem modularen Spielfeld bewegen und zwei Aktionen machen – es darf auch zweimal die gleiche sein. Die Möglichkeiten umfassen:

  • Weitere Bewegung
  • Angriff
  • Interaktion mit Geländeteilen
  • Spezielle Aktionen auf Karten
  • Bereitschaft

Angriffe sind dabei natürlich ein zentrales Element des Spiels, denn irgendwie müssen wir die gegnerischen Horden ja vom Spielfeld bekommen, um uns der weiteren Erkundung zu widmen. Hierzu würfeln wir mit einem von drei verschiedenen Würfeln. Auf diesen finden sich a) Erfolgssymbole, b) Vorteilssymbole für potenzielle Erfolge, wenn wir bereit sind, dafür Erschöpfungsmarker in Kauf zu nehmen, und c) Energiesymbole, mit denen wir spezielle Effekte und Fähigkeiten aktivieren. Manche Würfel machen dabei mehr Schaden, andere erlauben durch mehr Energiesymbole, öfter die speziellen Fähigkeiten zu nutzen.

Der Kampf-Bildschirm zeigt aktuelle Hitpoints, Verteidigung und Schwächen – aber auch Loot.

Dann wird die Anzahl der Erfolge mit einem Grundschadenswert der Waffe multipliziert und natürlich noch modifiziert: Durch gegnerische Schwächen gegenüber Schadensarten, durch Charakterfähigkeiten und Ausrüstungsteile. Zuletzt wird der Schaden – je nach Rüstungswert – noch zufällig verringert. Klingt etwas kompliziert? Kein Problem, denn das alles erledigt die App im Hintergrund. Wir wählen nur den Charakter (sowie dessen Waffe) aus und ziehen diesen auf den Gegner, wir geben die Anzahl der Erfolge ein und das war‘s.

Was es, im Gegensatz zum Vorgänger, erfrischenderweise nicht mehr gibt: Fehlschläge. So einfach und irgendwie ungewohnt, so revolutionär, denn letztlich ist es immer ein kleiner Frustrationsmoment gewesen, die gegnerische Figur schlicht nicht getroffen zu haben. Zumindest wenn wir Erschöpfung nehmen, machen wir so eigentlich immer etwas Schaden. Das können dann zwei bis drei Trefferpunkte sein, in anderen Fällen auch mal um die 20. Es fühlt sich dennoch ganz anders an, als durch Würfelpech teils mehrere Runden nacheinander am Gegner vorbeizuschlagen. Hier entsteht mit einem einfachen Mechanismus ein insgesamt heroischeres und freudigeres Spielgefühl.

Eine App sie zu binden

Nach Angriffen liegt die zweite Hauptaktion in der Interaktion mit dem Gelände. Auch hier nutzen wir in der App Drag-and-drop und ziehen unseren Charakter auf den zu untersuchenden Baum, um auf ihn draufklettern, Kräuter sammeln oder seine Früchte essen zu können; entsprechend interagieren wir mit Kisten und Bücherregalen, um diese zu durchsuchen. Die App sagt uns dann, welche Effekte dies auslöst oder welche Informationen wir gewinnen, um die Geschichte voranzutreiben. Hierdurch finden wir auch Gegenstände, Rezepte oder Materialien, die wir zwischen den Abenteuern in der Stadt fürs Crafting verwenden können.

So fängt immer alles an: Mit dem Legen des ersten Geländeteils.

Die gegnerischen Züge werden wie sonst auch üblich von der App abgehandelt. Alle im Spiel befindlichen Figuren sind der Reihe nach dran und nehmen einen unserer Charaktere in den Fokus. Wenn sie diesen mit ihrem Nah- oder Fernkampf nicht erreichen können, suchen sie das nächstgelegene Opfer. Dieses kann dann noch mit einem Verteidigungswurf Schaden verhindern.

Ein schlichtes, elegantes System, gespickt mit kleinen, szenischen Beschreibungstexten in der App, die uns darüber Aufschluss geben, dass ein Wolf gerade aufheult oder jemand einen Zauber vorbereitet. Dadurch wird manchmal ein besonders starker Angriff in der nächsten Runde vorausgedeutet, den es zu verhindern gilt – es kann aber auch sein, dass genau dann, wenn wir uns neben ihn bewegen oder angreifen ein Effekt ausgeführt wird. Und so lernen wir nach und nach die unterschiedlichen Monstertypen, ihre Schwächen und Mechaniken kennen.

Geschafft, alle Charaktere leben noch und haben einiges fürs Crafting gefunden.

Das neuartige Erschöpfungs- und Bereitschaftssystem

Erschöpfung ist ein altbewährtes Prinzip der Descent-Reihe. Wir strengen uns an und nehmen Erschöpfungsmarker auf, um damit besonders heroische Handlungen zu vollziehen oder uns gerade eben noch zu retten. Wenn wir allerdings das Maximum erreicht haben, können wir diese Aktionen nicht mehr machen. Erhalten wir anderweitig Erschöpfung, zehrt das ebenso an unseren Lebenspunkten, wie normaler Schaden. Bei Descent 2nd Edition sind wir diese nur losgeworden, wenn wir uns eine ganze Runde lang ausgeruht haben. Das war so langweilig, dass wir eigentlich meist, einmal unser Erschöpfungs-Maximum erreicht, stets auf dem Zahnfleisch gingen, um ja nicht einen gesamten Zug zu opfern.

Am Ende geht es um das Management der orangefarbenen Erschöpfungsmarker auf den eigenen Karten.

Jetzt haben wir immer zwei Aktionen zur Auswahl, da kann man schon mal eine ausgeben für die letzte Aktion: Bereitschaft. Hierbei drehen wir schlicht eine unserer Karten um. Dadurch verliert sie alle Erschöpfung, wie auch andere negative und positive Marker. Desweiteren finden wir auf allen Karten auch eine Rückseite mit ganz eigenen Spielmechaniken. Das gilt für unseren Charakter, wie auch unsere Fähigkeiten. Zudem hat jeder Charakter stets zwei Waffentypen dabei. Diese kommen gemeinsam Rücken an Rücken in eine Plastikhülle und so können auch die Waffen mit der Bereitschaftsaktion im Kampf gewechselt werden.

All diese Karten gewähren nicht nur eigene Zusatzeffekte oder Fähigkeiten, sondern haben jeweils auch ein eigenes Maximum an Erschöpfung. Das ist das mechanische Herz des Spielsystems: Die Art und Weise, wie Charaktere Erschöpfung verlieren, verschieben oder auch nutzen sowie wann und wie sie Karten umdrehen dürfen. Genau hier kommen die recht unterschiedlichen Spielweisen der einzelnen Charaktere zur Geltung.

Das Zwischenspiel

Zwischen den einzelnen Haupt- und (wenigen) Nebenmissionen tauchen auf der Landkarte und in der Stadt noch Ereignisse auf, die wir nicht verpassen sollten. Wir erfahren mehr über die Charaktere und bekommen auch kleine Belohnungen. Oft begegnen sie uns auch auf dem Weg zur nächsten Aufgabe.

Aber erst mal wird in der Stadt entspannt und sich an drei verschiedenen Orten auf die nächste Mission vorbereitet:

  • In der Handwerkshalle können wir auf unseren Abenteuern gefundene Kräuter, Stoffteile und Essenzen nutzen, um zum Beispiel dem Bogen eine neue Sehne oder der Klinge einen neuen Griff zu bauen. Die daraus resultierenden Boni werden von der App automatisch einberechnet.
  • In der Rüstkammer können wir das gewünschte Waffenset auswählen und die in der Handwerkshalle hergestellten Bestandteile ausrüsten. Wenn wir uns zu neuen Abenteuern aufmachen und die Charaktere auswählen, können wir das natürlich noch einmal anpassen.
  • Beim Händler gibt es immer ein paar wenige Gegenstände und Handwerksmaterialien zu kaufen. Gerade Essenzen sind rar und es empfiehlt sich, immer ein paar der diversen Sorten zu besitzen. Wir können auch Gesammeltes verkaufen, falls wir meinen, doch vielleicht genug Kräuter zu besitzen.
Wir haben genug Material zusammen, um uns einen Zwielichtpfeil bauen zu können.

Diese Ebene des Spiels lädt zum Optimieren ein und Computer-Rollenspiel-Erprobte werden voll auf ihre Kosten kommen und gern einiges an Zeit investieren. Was aber solo super funktioniert, kann im Spiel zu viert auch ausarten, da Gold und Materialien der gesamten Gruppe gehören, und wir abwägen oder verhandeln müssen, wer jetzt die Feueressenz erhält, um die eigene Waffe zu verbessern. Vermutlich haben an diesem Aspekt des Spiels nicht alle gleich viel Interesse und ein bis zwei Leute kümmern sich für die Gruppe darum. Denn wer auf normalem Schwierigkeitsgrad spielt, sollte nicht darauf angewiesen sein, jedes letzte Prozent Schaden aus dem System herauszukitzeln.

Inklusion

Die gegnerischen Figuren werden mit farblichen Markern unterschieden, die unter die Bases gesteckt werden. Für Menschen mit Farbschwächen haben diese viereckigen Marker aber auch noch zusätzlich eine bis vier Einkerbungen. Doch auch im Spiel selbst begegnet uns etwas mehr Diversität, als wir es bislang gewohnt sind. Neben der „Zwergin of Color“ ist da vor allem Galaden, der Waldelf, zu nennen – er ist taub. Praktischerweise verständigt sich sein Volk auf der Jagd viel mit Handzeichen, so dass es letztlich keinen großen Einfluss auf das Spiel hat, aber es ist ein Detail, welches zwischenzeitlich thematisiert und stimmig in die Geschichte eingebettet wird.

Ausstattung

Die Spielbox gehört mit zum Allerschönsten, was euer Spielregal zieren wird. Leider kam unsere, (sowie auch die bei manchen Händlern) leicht lädiert an, was bei einem Artikel dieses Preises natürlich besonders ärgerlich ist. Wer bei seinem Spielegeschäft des Vertrauens einkauft, kann das natürlich vorher ausschließen und wer online bestellt, bekommt sicherlich Ersatz. Es bleibt zudem zu hoffen, dass die nächste Generation dann doch noch etwas stabiler gebaut ist, um diese Probleme zu verhindern. Das Box-Design ist aber nicht nur hübsch, sondern auch funktional, denn es ist ein doppelter Boden eingebaut. So können Geländeteile gesondert von den Miniaturen und anderen Spielbestandteilen aufbewahrt werden – das ist praktisch und sorgt zudem für den Hingucker-Effekt der glasmalerischen Aussparung zwischen der orange-blauen Drachenornamentik.

Der doppelte Boden ersetzt kein Insert, aber schafft platzsparend solide Ordnung.
Der doppelte Boden ersetzt kein Insert, aber schafft platzsparend solide Ordnung.

Diese beiden soeben genannten Design-Elemente erfreuen sich nicht nur bei mir großer Beliebtheit. Die Charakterbebilderungen hingegen werden schon etwas kontroverser diskutiert. Das faltige Gesicht des Elfen Galaden oder der exorbitant unpraktische Helm von Brynn stechen hervor aus dem Einheitsbrei amerikanischer Comic- oder japanischer Manga-Ästhetik.

Die Miniaturen hingegen sind von außergewöhnlicher Qualität. Filigran, detailliert und vor allem in lebendig-dynamischen Posen sind sie wahre Hingucker. Leider ist es manchmal etwas friemelig sie aus dem sehr guten Plastikinsert herauszuholen. Auch gehen Magier Cyrus und Halbdrachenpriester Vaerix so weit über die Größe der einzelnen Spielfelder hinaus, dass es schon etwas Fingerspitzengefühl verlangt, Figurengruppen nebeneinander zu platzieren. Aber das ist wirklich Jammern auf hohem Niveau bei so guter Qualität.

Vor dem ersten Spiel wartet eine gute Stunde Bastelarbeit für die wirklich hübschen Umgebungs-Element.

Aber kommen wir zu den beiden Herzstücken: Das 3D-Gelände und die App. Die flachen Bodenteile sind relativ generisch in ein paar Standard-Untergründen (Erde, Stein) gehalten, aber dann gibt es noch die dünnen Unterlegplatten, die Wasser, Fallen, Sumpf oder Lava zeigen und die jeweils andere Spieleffekte haben. Hübsch gelöst, dort auch ein wenig Höhenunterschied zu haben. Die 3D-Teile selbst nehmen vor dem ersten Spiel schon gut eine Stunde Aufbau (also Ineinandersteck-Zeit) in Anspruch. Ohne viel weiteren Aufwand jedoch werden die eher generischen Bodenteile so schnell zu Lichtungen, Burgteilen oder ähnlichem. Was ein paar Bäume und Tore so an Spielgefühl hinzufügen, wenn es keine Plättchen sind. Dann gibt es die Säulen und Treppen mit deren Hilfe wir in die dritte Dimension eintreten. Ehrlich gesagt, ist es ein eigentlich nicht wirklich nötiges Element, da es keine große Relevanz fürs Spiel hat – aber es macht doch einiges her. Wir hatten zunächst den Eindruck, dass beim ersten Szenario schon ziemlich viel Pulver verschossen wurde, waren dann aber sehr positiv überrascht wie unterschiedlich spätere Geschichten nicht nur inhaltlich, sondern auch gerade in der innovativen Anordnung des Spielmaterials konzipiert wurden.

Das 3D-Gelände bringt uns in ungekannte Höhen.
Das 3D-Gelände bringt uns in ungekannte Höhen.

Die App erzählt die bebilderte Geschichte, zeigt den Szenarioaufbau, dient als Interface für die Kämpfe und Charakterfähigkeiten, sowie das Herstellen und Verwalten von Gegenständen, und macht einen verdammt guten Job. Eine Vollvertonung wäre schön gewesen – aber durch das Vorlesen der Dialoge mit verteilten Rollen kam so in unseren Testspielen vielleicht mehr Atmosphäre auf, weil wir den Charakteren selbst eine Stimme gaben. Unklar, ob es eine bewusste Design- oder eine reine Kostenentscheidung war, aber es sorgt so letztlich für mehr Aufmerksamkeit und Immersion.

Die Geschichte wird mit Kirchenglas-Optik sowie im sehr eigenen Charakterdesign erzählt.
Die Geschichte wird mit Kirchenglas-Optik sowie im sehr eigenen Charakterdesign erzählt.

Die Geschichte selbst beginnt so generisch, wie sich mir die eher klassich-tolkienistische Welt Terrinoth bisher darbot. Das Aventurien beziehungsweise die Forgotten Realms von FFG, in der auch Runewars oder Battlelore spielen, haben mich irgendwie nie großartig interessiert. Zwerge sind Zwerge, Elfen sind Elfen, Orks … heißen hier eben Uthuk – fertig.

Man sollte sich aber nicht täuschen lassen: Sowohl die Grundgeschichte als auch die Charaktere entwickeln sich und spinnen dabei Fäden, die große Erwartungen für den zweiten Akt hegen lassen. Auf dem Weg treffen wir in Zwischensequenzen oft gemeinsame oder individuelle Charakter-Entscheidungen. Die Persönlichkeitsentwicklung wird dabei für alle sechs Charaktere zwischen zwei Grundmotiven aufgespannt. Nicht alles davon ist kriegsentscheidend, aber es führt zu mehr Identifikation und hat Einfluss auf künftige Situationen.

Die Gruppe oder einzelne Spielende treffen mal kleine, mal weitreichende Entscheidungen für die Charaktere.
Die Gruppe oder einzelne Spielende treffen mal kleine, mal weitreichende Entscheidungen für die Charaktere.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Fantasy Flight Games, Asmodee
  • Autor*in(nen): Kara Centell-Dunk, Nathan I. Hajek
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 120-180 Minuten (je Spiel bei 15 Szenarien)
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4
  • Alter: 14+
  • Preis: 150-180 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

Bonus/Downloadcontent

Die Spielregeln und jede Menge Smartphone-Wallpaper finden sich bei Asmodee.

Fazit

Noch eine Partie – und noch eine. Am Ende ist es wohl dieses Gefühl, welches ein wirklich gutes Spiel auszeichnet. Man bekommt nicht genug. Sowohl Charaktere und Geschichte als auch das abwechslungsreiche Level-Design wissen, mehr und mehr in den Bann zu ziehen. Einige brauchen vielleicht ein bis zwei Szenarien, aber dann packt sie die Vielfalt der Möglichkeiten. Wenn es auch auf den ersten Blick so wirken könnte, als gäbe es ja nur ein paar Miniaturtypen und gar nicht mal so viele Karten. Doch ein Großteil des Spiels befindet sich eben in der App und im Zusammenspiel entdeckt man, dass hier beides mehr ist als die Summe der jeweiligen Teile.

Wir entscheiden selbst den Grad der Herausforderung, der zu uns passt.
Wir entscheiden selbst den Grad der Herausforderung, der zu uns passt.

Die vier Schwierigkeitsgrade, die nach Kampagnenbeginn noch verändert werden können, erlauben es allen, das jeweils für sich beste Spielerlebnis zu justieren: Geschichte erleben oder wirklich harte Kämpfe, egal ob mit zwei oder vier Charakteren. Mehr als je zuvor wirkt eine App wirklich integriert und besticht durch und durch als wirklicher Mehrwert fürs Spielerlebnis. Das Grundprinzip ist weiterhin recht einfach, und es muss vor allem geschaut werden – neben all den spannenden Gegenstandsinteraktionen – immer ein bis zwei Angriffe pro Runde durchzubekommen. Und hier liegen außerordentliche Stärken. Zwei Aktionen, kein Danebenhauen und das Minispiel des Umdrehens der eigenen Karten, sind allesamt deutliche Verbesserungen des schon bewährten, wenn auch etwas in die Jahre gekommenen Descent-Prozederes: Bewegen, Angriffswurf.

Wen schickt ihr auf eure erste Wache?

Descent war in der Welt der Dungeon Crawler der nächste große Meilenstein nach Hero Quest. Aber miniaturgefüllte Kickstarter haben den Markt und die Erwartung der Spielebegeisterten stark gesteigert, quantitativ wie qualitativ. Allen voran hat Gloomhaven (mit seiner Einstiegsvariante Pranken des Löwen), das seit Jahren die Bestenliste auf BoardGameGeek anführt, das Genre nachhaltig in neue Sphären gehoben. Doch Asmodee zeigt, dass die herkömmliche Spieleentwicklung bereit ist, mitzuhalten. Zudem besitzt der weltgrößte Brettspieleverlag auch die Marktmacht, die bislang sicher aufwendigste und teuerste Brettspiel-Begleit-App zu produzieren. Und das Ergebnis ist nicht das Miniaturen-reichste, nicht das längste und nicht das spielmechanisch interessanteste Spiel, aber es ist ein verdammt gut designter, stimmiger Mix, der einfach Spaß macht.

Erstmals gelingt es Fantasy Flight Games, dem Verlag mit großen Nerd-Lizenzen wie Star Wars, Cthulhu und Battlestar Galactica, uns in ihre eigene Fantasy-Welt Terrinoth zu ziehen, die hier als mehr erstrahlt, denn als rein generisches Tolkien-Derivat. Das lässt auf mehr hoffen: Auf mehr Terrinoth und vor allem natürlich auf den zweiten Akt – koste er, was er wolle, na ja, zumindest beinahe.

 

  • Immersives Spielerlebnis durch 3D-Terrain und hochwertige Miniaturen
  • Nutzung der Stärken von Brett- und Computerspielelementen
  • Differenzierte Charaktere in einer sich entwickelnden, spannenden Geschichte
 

  • Für einige sicherlich zu teuer
  • Wer Apps nicht mag, kommt hier nicht weit

 

Artikelbilder: © Asmodee
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Maximilian Düngen
Fotografien: Daniel Hoffmann
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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