Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Das Ödland ist unerbittlich. Stets lauern Gefahren, die den sicheren Tod bedeuten können. Seien es Raider, radioaktive Strahlung oder einfach die Tatsache, dass sich der Anbau von Lebensmitteln auf dem kargen Boden schwierig gestaltet. Doch eine kleine Siedlung irgendwo im Ödland hat mit ganz anderen Problemen zu kämpfen.

Spielwelt und Regeln

Fallout – The Roleplaying Game spielt in einer postapokalyptischen Welt, mehr als zweihundert Jahre, nachdem ein weltweiter nuklearer Krieg die ehemaligen USA in ein Ödland verwandelt hat. Die Menschen kämpfen Tag für Tag ums Überleben. Strahlung, mutierte Tiere und skrupellose Raider sind nur einige der Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind.

Das Grundregelwerk konzentriert sich auf das Gebiet, welches auch der Hauptschauplatz in Fallout 4 ist: das Commonwealth, also die ehemalige Stadt Boston und Umgebung.

Nur wenigen Menschen wurde das Privileg zuteil, in (vermeintlich) schützenden Vaults untergebracht zu werden.
Nur wenigen Menschen wurde das Privileg zuteil, in (vermeintlich) schützenden Vaults untergebracht zu werden.

Das System verwendet das 2d20-System aus dem Hause Modiphius. Jeder Charakter verfügt über sieben Attribute, die im Englischen mit „S.P.E.C.I.A.L.“ abgekürzt werden, und verschiedene Skills. Für eine Probe werden die Werte eines Attributs mit denen eines Skills addiert. Anschließend muss mit mindestens einem der zwei zur Verfügung stehenden zwanzigseitigen Würfel der errechnete Wert unterwürfelt werden.

Eine ausführliche Beschreibung der oben genannten Punkte lässt sich im Ersteindruck zu Fallout – The Roleplaying Game finden.

Spielbericht

Für den folgenden Spielbericht wurde das im Grundregelwerk vorhandene Abenteuer „With a bang, or a whimper“ gespielt. Inklusive Charaktererstellung wurden dafür drei Spielabende mit je vier Stunden benötigt. Wer es selbst noch als Spieler*in erleben möchte, sollte das Lesen des folgenden Teils am besten der eigenen Spielleitung überlassen.

Das Erstellen der Charaktere erwies sich als simpel und war durch die Schritt-für-Schritt-Anleitung leicht verständlich und schnell erledigt. Die Erschaffung mit Roll20 machte es noch einfacher und unkomplizierter. Am meisten Zeit nahm dabei vermutlich das Aussuchen eines Perks aus einer Vielzahl an Möglichkeiten, die aus Fallout 4 bekannt sind, in Anspruch.

So entstanden nach kurzer Zeit „Bane Bittersweet“, ein liebenswerter, aber dennoch nicht zu unterschätzender Supermutant, „Mr. Boom“, ein Mr. Handy mit pyromanischen Neigungen. Der dritte Charakter ist „Void“, eine ehemalige Mechanikerin, die sich bis zum Ausbruch des Großen Krieges (un)glücklicherweise keinen Platz in einem Vault ergattern konnte und jetzt als Ghulin von ihrem Hund Pirelli begleitet wird. 

Hunde sind auch im Ödland treue Begleiter.
Hunde sind auch im Ödland treue Begleiter.

Um den Charakteren etwas Tiefe zu verleihen, sieht das Abenteuer die Beantwortung von bestimmten Fragen vor. So beklagt Bane den Verlust seines Scharfsinns, nachdem er zu einem Supermutanten wurde, Mr. Boom sieht die Welt als seinen Garten an, der gepflegt und von Ungeziefer – was nach seinem Verständnis insbesondere Raider sind – befreit werden muss und Void vermisst ihr altes Leben, so wie es vor dem Großen Krieg war.

Für ein Rollenspiel ungewöhnlich, aber ganz im Sinne von Fallout 4, beginnt das Abenteuer damit, dass die Spieler*innen dazu aufgefordert werden, einer Siedlung, die vor einem Jahr mithilfe eines „Garden of Eden Creation Kits“ im Ödland errichtet wurde, Leben einzuhauchen. Anhand verschiedener Leitfragen nahm die Siedlung Gestalt an: Radiant Haven, ein Zufluchtsort für Nicht-Menschen und aus diesem Grund am Rand einer Strahlungszone errichtet. Ghule, Supermutanten, Mr. Handys und freie Synths bewohnen die Siedlung. „Doc“ ist der einzige Mensch und niemand weiß so recht, warum er sich hier niedergelassen hat. Aber er ist ein geschätztes Mitglied und zu seinem Glück hat er als Arzt leichten Zugang zu Rad-X und RadAway, um die Strahlenbelastung für seinen Körper zu minimieren.

Die Ereignisse nehmen auf der Farm ihren Lauf.
Die Ereignisse nehmen auf der Farm ihren Lauf.

Jesse Pedigrue, ein Supermutant, ist nicht nur Coach der Baseballmannschaft, sondern auch Anführer der Siedlung. Von ihm erhalten die Charaktere den dringenden Auftrag, sich auf einer Farm in der Nähe umzusehen, die von Theresa und Joseph, einem Ghul-Ehepaar, bewirtschaftet wird. Dort angekommen machen sie die grausige Entdeckung, dass Theresa brutal ermordet wurde. Ihren Ehemann Joseph finden sie in der Scheune: Er ist aggressiv, verwirrt und hat deutliche Gedächtnislücken. Sofort kommt der Verdacht auf, dass Joseph sich in einen Wilden Ghul verwandelt, aber sein Verhalten passt nicht dazu. Nachdem die Charaktere ihn überwältigt haben, wird er von anderen Mitgliedern der Miliz von Radiant Haven bewacht, während sie sich in der Siedlung umhören. Es stellt sich heraus, dass sich auch andere seltsam verhalten. Die Spur führt schließlich zum Arzt Doc, der dahinter jedoch keine Krankheit vermutet, da er ungewöhnliche Strahlen ausgemacht hat, die hinaus ins Ödland führen.

Bevor die Charaktere dem nachgehen können, werden sie vor der Klinik von mehreren Mitgliedern der Siedlung angegriffen, darunter auch Jesse Pedigrue, und sie sind gezwungen, sich zu verteidigen. Nach einem äußerst effizienten Einsatz seines Flammenwerfers beendet Mr. Boom den Kampf unerwartet schnell. Doch die geschmolzenen Überreste der Besiegten offenbaren den nächsten Schock: Es waren Roboter in Gestalt der Siedlungsmitglieder.

Einen pyromanisch veranlagten Mr. Handy in der Gruppe zu haben, stellte sich als sehr nützlich heraus.
Einen pyromanisch veranlagten Mr. Handy in der Gruppe zu haben, stellte sich als sehr nützlich heraus.

Nach einem Gespräch mit dem richtigen Jesse machen die Charaktere sich beunruhigt auf den Weg zu den von Doc ermittelten Koordinaten. Dort finden sie einen kleinen, von Raidern bewachten Gebäudekomplex vor. Nach einem harten Kampf betreten sie das Gebäude und finden sich in einer perfekten Nachbildung des Marktplatzes von Radiant Haven wieder. Selbst mehrere Mitglieder der Siedlung gehen dort ihren Tätigkeiten nach.

Aus einem Nebenraum tritt ein Mann, der sich als ein Wissenschaftler des Instituts vorstellt und stolz seine Arbeit zeigt. Sein Ziel und das des Instituts ist es, die Menschheit durch Roboter, sogenannte Synths, auszutauschen, da sie den Menschen in allen Belangen überlegen seien. Es stellt sich heraus, dass er auch schon Synth-Duplikate von Bane und Void erschaffen hat, diesen aber noch die Erinnerungen der Beiden fehlen. Nach dem erfolglosen Versuch, ihn mit Worten von der Falschheit seines Vorhabens zu überzeugen, gelingt es Mr. Boom, das System zu überlasten, wodurch die Synths ihre Verbindung dazu verlieren und die Strahlen die Bewohner von Radiant Haven nicht mehr beeinflussen.

Das Institut steht für Fortschritt, setzt dafür aber moralisch fragwürdige Methoden ein.
Das Institut steht für Fortschritt, setzt dafür aber moralisch fragwürdige Methoden ein.

Die Charaktere nehmen schließlich alle mit zur Siedlung. Dort wird beschlossen, die Synths in die Gemeinschaft zu integrieren und den Wissenschaftler im Ödland auszusetzen. Falls er überlebt und dem Institut davon berichten kann, hat Radiant Haven nun einen mächtigen Feind.

Spielbarkeit aus Spielleitungssicht

Für die Spielleitung gestaltete sich die Charaktererschaffung angenehm, da die verschiedenen Schritte verständlich erklärt werden. Dass das System sich, beispielsweise bei Skills, Perks oder Ausrüstung, nah an die Vorlagen aus den Videospielen hält, wurde als sehr gelungen empfunden.

Das bespielte Abenteuer ist auf wenigen Seiten übersichtlich zusammengefasst, allerdings hätte zusätzliches Material in Form von Karten und Abbildungen sehr geholfen. Dadurch musste alles bis auf Text und Spielwerte improvisiert werden.

Positiv hervorzuheben ist jedoch, dass die Spieler*innen durch das Festlegen der Siedlung und ihrer Bewohner aktiv einen Teil der Welt mitgestalten konnten.

Die Tatsache, dass die Schadenswürfel so aufgebaut sind, dass die Möglichkeit besteht, trotz erfolgreicher Attacke keinen Schaden zu verursachen, bringt auf der einen Seite Dynamik und Spannung ins Spiel. So war ein Kampf, der eigentlich als Herausforderung gedacht war, aufgrund eines sehr guten Würfelwurfs seitens eines Charakters sehr schnell zu Ende. Auf der anderen Seite kann dieser Zufallsfaktor Frust bei den Spieler*innen verursachen, da selbst ein auf den Kampf spezialisierter Charakter sehr viel Pech beim Würfeln haben und dadurch keinen Schaden verursachen kann.

Würfelglück oder -pech beeinflussen stark den verursachten Schaden.
Würfelglück oder -pech beeinflussen stark den verursachten Schaden.

Die Kampfszenen selbst waren noch mit Hin- und Herblättern verbunden, die Orientierung wird jedoch im Grundregelwerk durch die gute Aufbereitung des Textes in Form von Tabellen, Bildern und passender Formatierung erleichtert. Die Spielleitung hatte sehr viel Spaß, das Abenteuer zu leiten und wird sich auf jeden Fall ein weiteres Mal ins Ödland begeben.

Spielbarkeit aus Spieler*innensicht

Der Spieler des Mr. Handy empfand das System als eine schöne Umsetzung der Spielereihe und freute sich über die Möglichkeit, Ghule, Supermutanten und Mr. Handys spielen zu können. Zunächst waren die vielen regeltechnischen Details, wie etwa Modifikationen von Waffen, etwas erschlagend. Dies legte sich, nachdem die passenden Informationen im Buch gefunden waren. Speziell gestaltete Würfel zum Ermitteln des Schadens, die unter anderem Roll20 verwendet, sind hilfreich, da ansonsten das Abgleichen der Würfelergebnisse mit einer Tabelle mehr Zeit erfordert.

Insgesamt wurde das Abenteuer als positiv empfunden, insbesondere das gemeinsame Ausgestalten der Siedlung.

Der Spieler des Supermutanten kannte sich bereits gut mit dem 2d20-System aus und ist auch ein Fan der Fallout-Reihe, hatte aber wenig Freude am System. Bei ihm kam trotz Spielwelt und vielen Details kein richtiges „Fallout-Feeling“ auf, da ihn die Atmosphäre wenig an die Videospiele erinnerte. Als seltsam wurde die Entscheidung empfunden, Supermutanten als spielbare Charaktere zur Verfügung zu stellen, aber keine Synths. Denn die Erfahrung aus den Videospielen zeigt, dass diese eher zu einem friedlichen Miteinander fähig sind als Supermutanten. Obwohl das Institut in Fallout 4 zu den Fraktionen gehört, denen man sich anschließen kann, wird es im Grundregelwerk und Abenteuer als Feind dargestellt. Dieser Umstand könnte dazu geführt haben, dass Synths (bisher) nicht spielbar sind. Vielleicht geben zukünftige Erweiterungen eine Antwort darauf.

Das Ödland schafft eine ganz besondere Atmosphäre.
Das Ödland schafft eine ganz besondere Atmosphäre.

Die Spielerin der Ghulin ist ebenfalls Fallout-Fan und hatte sehr viel Spaß an der Kombination von System und Setting. Dass das Institut nicht als Hintergrund zur Auswahl steht, war enttäuschend, aber im Endeffekt war es spannend, einen Ghul verkörpern zu können. Der Hintergrund des Charakters gibt diesem eine erste Richtung, aber die weitere Charaktererschaffung lässt den Spieler*innen viel Freiraum in der genauen Ausgestaltung. Die Perks bieten eine gute Möglichkeit, dem Charakter einen Vorteil in einem speziellen Bereich zu verschaffen. Die Atmosphäre des Abenteuers fühlte sich zwar anders als in den Videospielen an, was aber nicht als negativ empfunden wurde. Stattdessen machte es Spaß, während des Rollenspiels auf Dinge zu stoßen, die man bereits aus der Spielereihe kannte.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Modiphius Entertainment
  • Autor*in(nen): Alison Cybe, Jason Brick et al.
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover, PDF
  • Seitenanzahl: 429
  • ISBN: 9781912743681
  • Preis: ab 45,95 EUR (Hardcover), 20,99 USD (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo, DriveThruRPG

 

Fazit

Fallout – The Roleplaying Game ist eine gelungene Überführung eines Videospiels hin zu einem Pen-and-Paper-System. Der Eindruck, dass das 2d20-System gut funktioniert, hat sich im Praxistest bestätigt. Die Regeln erfordern zu Beginn etwas Übung, sind aber gut erklärt, sodass sie schnell verinnerlicht werden können. Lediglich die große Anzahl an zusätzlichen Regeldetails kann etwas überfordern und sollte für vereinzelte oder kurze Ausflüge in die Fallout-Welt reduziert werden. Aber insbesondere, wenn man die Regeln zusammengetragen hat, die man für den eigenen Charakter braucht, gestaltet es sich schon überschaubarer. Dies wird auch durch die vielen Übersichten und Tabellen im Grundregelwerk gewährleistet.

Allerdings ist durch den Spieltest deutlich geworden, dass vor allem Fans der Fallout-Reihe und von postapokalyptischen Szenarien ihre Freude an diesem System haben werden – wenn auch nicht immer. Für Rollenspieler*innen ohne Fallout-Affinität, insbesondere Neulinge, ist das Setting dieses Systems sehr speziell und weist viele Hintergründe und Insider auf, mit denen man deutlich mehr anfangen kann, wenn man die Videospiele kennt. 

  • Einfache und schnelle Charaktererschaffung
  • Es wurde sich stark an die Vorlagen der Fallout-Reihe gehalten
  • Große Vielfalt der Charaktere ist möglich
 

  • Der Zufall ist bei Schadenswürfen ein zu großer Faktor
  • Zu spezielles Setting für Rollenspieler*innen, insbesondere Neulinge, die Fallout nicht kennen

 

Artikelbilder: © Modiphius Entertainment, ©Bethesda
Screenshots: Ayleen Schmidt
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Katrin Holst
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein