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Die römische Republik steuert auf ihren Untergang zu. Ihre Ideale werden in dunklen Tabernae verschachert wie billige Sklaven und korrupte Beamte bereichern sich an ihrer Größe. Doch noch gibt es eine Handvoll Unbeugsamer, welche die Republik nicht aufgegeben haben. Die Fate-Abenteuerwelt Eagle Eyes erzählt von diesem Kampf.

Eagle Eyes setzt das Genre der Noir-Detektivgeschichten in die Zeit des Untergangs der römischen Republik. Auf den ersten Blick eine etwas seltsame Mischung, auf den Zweiten geradezu logisch. Die typischen Themen des Noir, wie Korruption, Vergeltung, Verrat, Sex und dergleichen mehr, fügen sich nahtlos in die staubigen Straßen und dunklen Gassen Roms ein. Wer hier nun an die Serie Rom aus dem Hause HBO denkt, liegt schon ziemlich richtig.

Da Turbo Fate als regeltechnische Grundlage dient, sollte dem erzählerischen Drama eigentlich nichts im Wege stehen.

Die Spielwelt

Das Setting besteht aus zwei verschieden Komponenten. Zunächst, die zeitliche und örtliche Verordnung. Eagle Eyes spielt im antiken Rom in den letzten Zügen der Republik. Obwohl sich mit dieser spezifischen Epoche des Römischen Reiches Bücher füllen lassen, schafft es Pete Woodworth mit einigen pointierten Absätzen, eine grobe Skizze der Republik und ihres Zentrums zu erstellen, die ausreichend ist, um darin spielen zu können. Dieser Effekt stellt sich wohl vor allem bei jenen Menschen ein, die im Geschichtsunterricht nicht alles verschlafen haben.

Den anderen wichtigen Teil des Hintergrundes macht die Organisation aus, für welche die Charaktere tätig sind: die Adler. Dabei handelt es sich um eine inoffizielle, dezentrale Geheimorganisation im Dienste einer kleinen Gruppe Senatoren, Sinistram genannt. In deren Auftrag widmen sich die Adler der Stabilität der Republik. Hierfür werden Komplotte zerschlagen, Korruptionsaffären aufgedeckt, Mordanschläge vereitelt und Verräter dingfest gemacht. Doch dies alles geschieht verborgen vor den Augen der Massen. Präzise und dennoch mit Liebe zum Detail, wird man mit den Adlern, ihrer Organisation, konkurrierenden Fraktionen und dem möglichen Wertegang eines Adlers vertraut gemacht. Die Motivation der Charaktere sich in solche Gefahren zu begeben, begründet sich mit der Petito Videtur. Einem Wunsch, den der Charakter an die Sinistram gerichtet hat, als Belohnung für seine Dienste an der Republik. Und hier ist vieles denkbar. Von Freiheit und Bürgerrecht für einen Sklaven, über politische Ämter, bis hin zum Tod eines verhassten Feindes.

Und ehe man sich versieht, hat man begriffen, worin sich überall der versprochene Anteil Noir versteckt hat.

Die Regeln

Eagle Eyes baut, wie bei den offiziellen Abenteuerweltbüchern üblich, auf den Regeln aus Turbo Fate auf, und geht daher nicht auf die grundlegenden Spielmechaniken ein. Die Änderungen und Ergänzungen die gemacht werden, sind sehr übersichtlich.

Die Methoden, die Turbo Fate eigene Mischung aus Attributen und Fähigkeiten, wurden verschiedenen römischen Göttern und Göttinnen zugeordnet. Dies soll ein Beitrag zur Immersion sein, da nun in die Handlungsbeschreibungen der Charaktere ein passendes Stoßgebet an das jeweilige göttliche Wesen eingewoben werden kann. Ohne auf abstrakte Begriffe zurückgreifen zu müssen.

Ein kleiner Absatz in Eagle Eyes beschäftigt sich mit Stunts. Hier werden jedoch eher Ratschläge gegeben statt handfeste Regeln. Ausführlicher wird es bei den Regeln für Verschwörungen. Diese erhalten, angepasst an die geplante Länge des Abenteuers, einen eigenen Stressbalken oder sogar die Möglichkeit Konsequenzen hinnehmen zu können. Abseits dieser Regelmechaniken, liefert das Buch eine Struktur zum Aufbau einer Verschwörung bzw. eines Geheimnisses. Die Bestandteile sind der Status Quo, der Bruch, der Gegenspieler, und, optional, die Wendung. Jedes dieser Elemente wird anschaulich durch Beispiele erläutert. Drei Ermittlungsaufhänger zeigen dann, wie man diese Bestandteile zu einem Abenteuer zusammenfügt. Durch diesen Ansatz kann sich die Spielleitung einen gut abgesteckten Rahmen schaffen, in dem sich die Ideen und Handlungen der Gruppe voll entfalten können.

Charaktererschaffung

Der Charakterbau entspricht in weiten Teilen den Regeln aus Turbo Fate. Einzig, statt der sonst angedachten drei Aspekte, geht Eagle Eyes in die Vollen, und verwendet von Anfang an fünf Aspekte. Da alle Fünf jedoch ganz klar benannt und definiert sind, bleibt die Einsteigerfreundlichkeit durchaus erhalten. Die ersten beiden Aspekte sind, wie gewohnt, Konzept und Dilemma. Bei Letzterem soll darauf geachtet werden, dass es vor allem in die Ermittlungsarbeit eingewoben werden kann und diese somit erschwert. Danach folgt das Ideal. Dies darf ein höheres Ziel, eine tiefe Überzeugung oder eine eiserne Regel des Charakters sein, woran er sein Handeln und seine Sicht der Welt ausrichtet.

Dem folgt die Petitio Videtur. Hierbei wird nicht zwingend der direkte Wortlaut des Wunsches genommen, sondern vielmehr die Motivation, die Hoffnung, die hinter dem Wunsch steckt. Schließlich bestimmt man noch seine Virtus. Dies ist das besondere Talent oder die hervorstechende Eigenschaft, die einen dazu qualifiziert ein Adler zu werden. Übernatürliche Fähigkeiten sind zwar ausgeschlossen, doch bis dahin ist tatsächlich alles erlaubt.

Der Charakterbau kann, sofern die Gruppe gute Ideen hat, sehr schnell gehen.

Ebenfalls durch die Einfachheit der Regeln bedingt, sollte es keine allzu großen Unterschiede in der Mächtigkeit der Charaktere geben. Die Virtus mag der einzige Punkt sein, bei dem die Spielleitung vielleicht ein Auge darauf haben muss, dass alle eine wirklich herausragende Fähigkeit haben und nicht zu bescheiden sind.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Jede mit Turbo Fate vertraute Spielleitung findet sofort in Eagle Eyes hinein. Da es keine echten Abweichungen von den üblichen Regeln gibt, und auch das Konzept rund um die Verschwörung sehr eingängig ist, benötigt man während des Spiels das Buch gar nicht. Die Geschichte beständig am Laufen zu halten ist eine Frage der Kreativität, nicht der Regeln. Wie man es von den Fate-Systemen gewohnt ist. Somit stellt sich für interessierte Spielleitungen wirklich nur die Frage, ob einem genügend Ideen für das antike Rom einfallen, nicht, ob die Regeln dies ermöglichen.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Auch aufseiten der Spielerschaft legt einem eher die eigene Kreativität, denn die Regeln, eine Grenze auf. Durch die Ausgangssituation, dass die Adler aus sämtlichen Gesellschaftsschichten rekrutiert werden, ist eigentlich jedes, für das antike Rom, denkbare Konzept möglich. Was denn nun tatsächlich alles spielbar ist gegen Ende der römischen Republik, mag dann ein paar Fragen aufwerfen und den Einstieg in die Welt etwas erschweren. Hier greift jedoch das Konzept von satis. Dieser lateinische Begriff für „ausreichend“, soll alle daran erinnern, dass es sich passend anfühlen, nicht historisch korrekt sein muss.

Die restlichen Regeln sind wie von Turbo Fate gewohnt. Der Schwerpunkt liegt also klar auf narrativem Rollenspiel, unterstützt von ein paar Würfelwürfen.

Spielbericht

Soweit also die Theorie. Wie lies sich das ganzen nun in der Praxis umsetzen. Eine der größten Herausforderungen war der Charakterbau. Einen stimmigen Charakter für die Reihen der Adler zu erschaffen ist manchmal gar nicht so leicht. Vor allem wenn man die römische Republik mehr aus der Schule, denn aus Film und Fernsehen kennt. Den Spagat zwischen historischem Wissen und dramatischen Figuren zu machen, kann durchaus eine Hürde sein. Doch mit gegenseitiger Schützenhilfe und Besinnung auf den Noir-Anteil des Spieles konnte diese genommen werden. Als Abenteuer diente einer der drei Ermittlungsaufhänger, die bereits im Buch enthalten sind. Wie bei den meisten Geschichten, die sich um Ermittlung und Aufklärung drehen, kam es eher weniger auf die Werte, als viel mehr die Ideen der Gruppe an. Hier muss der Spielleitung das Kunststück gelingen, nicht plötzlich den Deus ex machina oder Kommissar Zufall aus dem Hut zu ziehen, wenn gerade Ratlosigkeit ob der nächsten Schritte in der Gruppe herrschen.

Auch das ist wohl keine Eigenheit des Systems, sondern eher des Genres. Aber gerade die Fate-Mechaniken geben einem die Möglichkeiten an die Hand, selbst kleine Ideen zusammen mit den Spielern und Spielerinnen auszubauen. Hier muss aufseiten der Spielleitung Flexibilität bewiesen werden, wenn die Geschichte plötzlich doch einen anderen Verlauf nimmt, als man zunächst dachte. Da jedoch die Verschwörung im Vorfeld mit einem gewissen Rahmen versehen wurde, läuft man zum Glück nie wirklich Gefahr sich all zu sehr zu verrennen. So gelang es der Runde dann auch im Laufe von zwei Spielabenden, die ihnen gestellte Aufgabe zu lösen.

Durch den geschickten Einsatz der verschiedenen Aspekte war es allen Charakteren an irgendeiner Stelle möglich zu glänzen und die Ermittlung weiter voran zu bringen. Die Adler waren dabei sogar so erfolgreich, dass die Stresskästchen der Verschwörung komplett aufgebraucht waren, noch bevor sich alle Teile komplett zusammengefügt hatten. Dadurch kam es zu einer speziellen Szene, der sogenannten Extrema. Eine Art Epilog, vor dem jede Person am Tisch eine Frage bezüglich der Verschwörung stellen darf, die für ihn oder sie unbeantwortet blieb. Es fällt dann der Spielleitung zu, in dieser letzten Szene, die auch ohne Beteiligung der Charaktere ablaufen kann, diese Fragen erzählerisch zu klären. Dieser Kniff schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Für die Spieler und Spielerinnen stellt sich das befriedigende Gefühl ein, nun alles verstanden zu haben. Die Spielleitung kann noch einmal einen deutlichen, düsteren Schlusspunkt setzen, der das Noir-Setting unterstreicht.

Erscheinungsbild

Layout und Design sind klar strukturiert und machen einen stetigen Lesefluss möglich. Damit sind die 64 Seiten des Abenteuerweltbuches leicht an einem Nachmittag lesbar. Das verwendete Papier vermittelt durchaus den Eindruck von Qualität. Bei der Bindung macht man sich jedoch schnell Sorgen, ob sie einer dauerhaften und intensiven Benutzung Stand halten kann.

Die Illustrationen von Arthur Asa sind wirklich schön geraten und es macht Spaß, dieselben Charaktere in den Bildern immer wieder zu finden. Ob der Stil, der immer wieder ein wenig an Exalted erinnert, jedoch zu 100% passend ist, bleibt wohl dem persönlichen Geschmack überlassen. Ähnlich wie das zusätzliche Bild, das Igeleis, in der deutschen Ausgabe. Ob dieses Bild gewordene Wortspiel in einem, nicht sehr ironischen, Buch, mit einem düsteren Setting, wirklich notwendig war, ist durchaus fraglich.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Uhrwerk Verlag
  • Autor: Pete Woodworth
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: Deutsch
  • Format: A5 Softcover
  • Seitenanzahl: 64
  • ISBN: 978-3-95867-078-5
  • Preis: 14,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Fate-Website des Uhrwerk Verlags stehen sowohl der deutsche Charakterbogen, als auch sein, optisch zum Setting passendes, Pendant zur Verfügung. 

Fazit

Eagle Eyes ist eines der ersten Fate-Abenteuerweltbücher, die nun in deutscher Sprache erschienen sind. Diese Buchreihe wird damit beworben, dass man sie nachmittags kaufen kann und es bereits am selben Abend leiten kann. Und in diesem Fall trifft das auch zu, sofern man ein Grundmaß an Voraussetzungen erfüllt. Man sollte definitiv Turbo Fate kennen, und mit dem Genre des Noir etwas anfangen können und dessen düstere Stimmung mögen. Darüber hinaus sollte man eine Grundlage an römischem Geschichtswissen mitbringen. Oder zumindest die Serie Rom gesehen haben.

Aber gut, das sind Geschmacksfragen, die eh vor jedem Rollenspielkauf liegen.

Denn, Geschmack beiseite, Eagle Eyes ist ein gut geschriebenes, durchdachtes Setting, das die Vorteile die Turbo Fate bietet, gekonnt einsetzt. Dort, wo der Umfang über die zugrunde liegenden Regeln anwächst, wird man sanft an die Hand genommen und mit Beispielen versorgt. So bleibt das Buch stets einsteigerfreundlich. Vor allem, da keine völlig neuen Regeln hinzugefügt werden. Die historischen Beschreibungen fallen freilich relativ knapp aus, im Zusammenspiel mit den Erläuterungen zur namensgebenden Organisation der Adler ergibt sich dennoch ein stimmiges Bild. Eine längere Kampagne wird sich vielleicht nicht unbedingt umsetzen lassen, für zwei bis drei lose verbundene One-Shots funktioniert Eagle Eyes definitiv.

Das Artwork bewegt sich auf einem wirklich guten Niveau, trifft in seinem Stil jedoch nicht immer ganz die Atmosphäre, die man für Noir erwarten würde.

Insgesamt kann man Eagle Eyes jedem empfehlen, der Spaß und Freude an Rollenspielen hat, die Ermittlung und dramatische Geschichten in den Mittelpunkt stellen.

Artikelbild: Uhrwerk Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

Über den Autor

Andreas Weidner, Jahrgang 1981 und aus Franken stammend, kennt eigentlich nur ein einziges Hobby: das Spielen. Egal ob Miniaturenspiele, TCGs, LCGs, Brettspiele, LARP oder der Computer: Hauptsache spielen. Doch die Königin ist und bleibt für ihn das Pen&Paper-Rollenspiel in all seinen Facetten. 

 

 

 

 

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