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Eine Warnung zu Beginn: dieser Artikel erhebt weder Anspruch auf Überparteilichkeit noch auf Objektivität. Auch sollte man diese Worte nicht als Artikel, auch nicht als Streitschrift, sondern vielmehr als einen Nekrolog, eine Abarbeitung an der Vergangenheit ansehen, ein Vorgehen, welches das Potenzial hat, dunkle Aspekte des eigenen Selbst zu beleuchten.

Diese Versammlung gespielter Charaktere ist somit etwas zutiefst Persönliches (so wie Pen&Paper selbst immer eine Tätigkeit ist, in welche man einen Teil seiner Persönlichkeit legt). Das Betreten dieser Totenhalle erfolgt daher auf eigene Gefahr. Ihr wurdet gewarnt.

An alle LeserInnen, die ich bis jetzt nicht abgeschreckt habe: Herzlich willkommen und seid gegrüßt in den schummrigen Räumen meiner Erinnerung. Dieser Artikel schließt lose an den im November erschienenen Beitrag zum Auseinandergehen von Runden an und möchte ihn in gewisser Weise ergänzen, so wie man Fleisch auf Knochen strickt (eine spezielle Erfahrung und +1 auf „Unnützes Wissen“ für alle, welche die Referenz auf die Merseburger Zaubersprüche erkannt haben).

Wer stirbt? Und wie?

Laut dem weisen Wort, gemäß dem man entweder als Held oder alt stirbt, muss man sich vergegenwärtigen, dass Helden leider nun mal etwas sind, das ein Ende haben wird, sei es früher oder später. Das muss per se gar nicht schlimm sein, aber das Ende eines geliebten Charakters sollte dann auch dementsprechend (denk)würdig verlaufen. Dabei ist gar nicht einmal gesagt, dass der Tod das Ende eines Charakters sein muss. Gar nicht so selten verlaufen die Spuren eines Helden in den Nebeln des Limbus auseinandergebrochener Spielrunden. Ein unbefriedigendes Schicksal, dem die gestorbenen Helden zumindest die Gewissheit eines Endes voraushaben.

Grundsätzlich kann eine Heldenkarriere auf vier mögliche Arten enden. Entweder stirbt der Charakter einen – mehr oder weniger – heldenhaften Tod (und, das soll hier betont werden, „heldenhaft“ bedeutet nicht unbedingt siegreich!), oder die Runde löst sich zuvor auf, wie bereits im letzten Artikel beschrieben. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich folgende Tabelle möglicher Enden von Heldenkarrieren:

 

Plötzlich

Schleichend

Charakter

 

 

Runde

 

 

 

Neben etlichen anderen Charakteren habe ich vier von mir besonders geschätzte Charaktere ausgewählt, um exemplarisch die Lücken in obiger Tabelle zu füllen:

PFC John Lambert, Sniper/Int. Recon.

Ende durch: Bombardement durch B-52-Bomber.

Diese Galerie beginnt bereits mit einem eher kontroversen Spielsystem. Nicht so sehr wegen des immer noch sehr präsenten Kriegssettings, sondern auch wegen seiner „Wegwerfmentalität“ den Helden gegenüber. Obwohl „Helden“ hier vielleicht nicht ganz der treffende Begriff ist – man spielt amerikanische Soldaten während des Vietnamkrieges, die verdeckt im feindlichen Hinterland Missionen durchführen. Das Regelsystem selbst sagt eindeutig, man solle sich nicht in seine Charaktere verlieben, dementsprechend ist das Erstellen eines Charakters von der Idee zum ausgefüllten Charakterbogen innerhalb einer Viertelstunde durchgeführt. Die möglichen Abenteuer in diesem Setting sind ausgesprochen vielfältig, waren aber (in meinem Rollenspielverein) leider immer sehr auf die Kampfmissionen selbst ausgerichtet, so gut wie gar nicht auf das Leben der Helden zwischen den Einsätzen – ein wenig wie in Shadowrun.

Private John Lambert entstand aus der Idee, dass er und seine Familie bereits eine Geschichte in diesem Land gehabt haben sollten. Deswegen beschloss ich, dass er als französischstämmiger Freiwilliger seinem Bruder, der in Korea gedient hatte, nacheifern und deswegen dem amerikanischen Militär beitreten wollte.

Seine Karriere bekam sehr früh einen jähen Dämpfer, als in seiner ersten Mission der Sergeant (ein NSC) sich unbedingt besondere Lorbeeren verdienen und deswegen innerhalb eines als unmöglich erachteten Zeitraums einen vorgeschobenen Posten auf einem Hügel mit Nachschub versorgen wollte. Dieser Nachschub musste allerdings auf den Rücken der Soldaten getragen werden, Fahrzeuge hätten die Steigung nicht geschafft. Die „Schinderei auf dem Berg“ (späterer Name der Mission) war nur durch die großzügige Verteilung aufputschender Medikamente seitens des Sanitäters möglich. Als sich Lambert am Fuß des Hügels nach einem Zusammenbruch weigerte, weiterzumarschieren, wurden ihm von dem antreibenden Sergeant die Vorderzähne eingeschlagen. Die Mission war schließlich ein Erfolg, Lambert beschwerte sich über seinen Vorgesetzten und bekam deswegen einen Tadel und eine einjährige Beförderungssperre.

Nach diesem Abend war ich relativ demotiviert, den Charakter weiterzuspielen. Ich spielte mit dem Gedanken, ob Lambert Rachegefühle für diesen NSC entwickeln sollte, die sich irgendwann während einer folgenden Mission in einem Aufeinanderprallen mit demselben entladen sollten. So weit sollte es allerdings nicht mehr kommen. In einer späteren Mission, in welcher er sich freiwillig meldete, bei der Stürmung einer feindlichen Höhe nach vorne zu preschen, wurde seine Beförderungssperre aufgehoben und er erhielt die Beförderung zum Private First Class. Ein Lichtblick für den Charakter, nach dem eher wenig motivierenden Start.

Leider sollte er in der nächsten Mission, während des Rückzugs aus einer größeren Schlacht mit dem Vietcong, in ein Flächenbombardement der eigenen Seite geraten. Der SL ließ jeden Spieler würfeln, ob sein Charakter während des Bombardements getroffen würde oder sich in Deckung werfen konnte. Man fand von ihm noch genug, um es in einem Rucksack nach Hause zu tragen.

Nach ein paar Tagen Trübsal blasen – da der Tod doch recht sinnlos schien – konnte ich mich mit dem SL aussprechen, dass es zwar sehr schade wäre, ich aber gegen ihn keine schlimmen Gefühle hegte. Die Sinnlosigkeit des Todes passte im Nachhinein doch sehr gut zu dem grimmen Setting, auch wenn John Lambert und ich gerne einen anderen Weg für ihn gesehen hätten.

Hesindian, Magier der Halle der Antimagie zu Kuslik. Das Schwarze Auge, Kampagne Splitterdämmerung.

Ende durch: Rundenende aus Interessemangel des Meisters.

© Dork Tower

Die Tatsache, dass ein über mehr als ein Jahr gespielter Charakter (noch) keinen Familiennamen trägt, spricht wohl Bände.

Wir spielten die ersten Abenteuer der DSA-Kampagne Splitterdämmerung, was für mich etwas eigen war, da meine erste Kampagne mit den Sieben Gezeichneten chronologisch lange davor spielt und ich bewusst die Ereignisse jener Kampagne ausblenden musste, was aber dank dem Setting und dem gut vorbereitetem SL wunderbar gelang.

Hesindian war ein Absolvent der Halle der Antimagie zu Kuslik. Er war mehr ein lebenslustiger und neugieriger Wanderer als ein Gelehrter. Sein Lieblingsplatz war in seinem Wagen, in welchem er seine Bücher versperren konnte. Steter Begleiter war Dietlind, eine Ziege und bester Gesprächspartner. Sie war auch wegen ihrer Milch besonders wichtig für ihn, da er keinen Alkohol vertrug und sich deswegen immer an Tee und Ziegenmilch hielt, während der Rest der Gruppe dem Alkohol frönte.

Leider hatte ich ihn zu Beginn seines Abenteurerlebens etwas verskillt. Hesindian hatte viele Zaubersprüche gelernt, aber keinen wirklich gut. Deswegen war er leider nicht besonders oft von magischem Nutzen für die Gruppe, was zu seinem Spitznamen „Anti-Magier“ führte. Die stellenweise Frustration über diesen Fakt wurde durch die anderen Möglichkeiten, viele Probleme auch auf profanem Weg zu lösen, mehr oder weniger wettgemacht.

Bis zum Ende der Kampagne konnte ich mich nicht für einen Hintergrund jenseits von „Uniabsolvent aus Kuslik“ entscheiden. Wenn ich mit diesem Charakter eine Sache bedauere, dann, dass ich seinem Hintergrund keine größere Aufmerksamkeit geschenkt habe. Es tut mir leid, Hesindian.

Leider löste sich die Gruppe aufgrund des Zeitmangels des SLs auf. Hesindians Schicksal ist somit leider der Limbus nicht mehr gespielter Charaktere. Obwohl, auf eine gewisse Weise auch passend für den einzigen Magier dieser Menagerie.

Osric Ammenenhautala, Paladin des Ordens vom Bauherrn. Advanced Dungeons and Dragons.

Ende durch: selbstverschuldeter Total Party Kill, wiederbelebt als Zombie in der feindlichen Armee.

Die Möglichkeit, AD&D zu spielen.

In einer großen Kampagne.

Mit einer eigenen Baronie zum Bespielen für jedeN SpielerIn.

Mit hochstufigen Helden gleich zu Beginn.

Wer könnte da Nein sagen?

Osric begann seine Existenz aus meiner schon lange währenden Sehnsucht, endlich einmal einen stereotyp rechtschaffen guten Paladin zu spielen (eine spezielle Erfahrung und +1 auf „Bardic Knowledge“ für alle, die The Gamers 2 – Dorkness Rising gesehen haben. Ich mochte den Charakter Osric einfach so sehr, dass ich nicht widerstehen konnte).

Osric erhielt eine weit entlegene Baronie am Rand der Karte, möglichst weit weg von den anderen HerrscherInnen und ihren politischen Problemen, nur Sümpfe, Orks und Drachen rundherum – herrlich. Der Aufbau und die Verwaltung einer eigenen Baronie mit Abrechnungen in Vierteljahresschritten machte Spaß und war immer ein eigenes Abenteuer in sich selbst. Wir spielten in Halbmonatsabständen, mit jeweils einer Abrechnung alle vier Wochen. Es war schon fast wie eine Seifenoper, zu sehen, wie sich deine Baronie entwickelt. Abseits dieses Verwaltungsspiels hatten wir natürlich auch „normale“ Abenteuer mit Dungeoneering und politischen Verwicklungen. Leider begannen hier die Probleme. Die Gruppe, bestehend aus Neulingen und Veteranen, fand irgendwie nie zusammen. Die Älteren wussten sehr wohl um die Tödlichkeit klassischer AD&D-Dungeons, während die Jüngeren sorgloser waren. Das und der Wegbruch einiger Spieler früh in der Kampagne sorgte für Frust, der sich in der Runde nie ganz legen sollte.

Osric selbst war … eigen zu spielen. Konfrontiert mit mehreren moralischen Dilemmata und der eigenen Unkenntnis des Systems machte ich etliche Spielfehler, die sich in Frust umwandelten. Ein gefährlicher grüner Drache, der uns zwang, ihm ein bestimmtes Zepter zu holen, wofür es nötig war, ein Grab zu öffnen, was Osric seine Paladinkräfte kostete. Das Entkommen aus demselben Höhlensystem, das nur mit der Hilfe eines chaotisch bösen Wesens möglich war. Ein Wunschring, der sich im Nachhinein als Täuschungsring erwies, die versprochenen Wünsche also nicht erfüllte. Die Suche nach einem verloren geglaubten Paladinorden, bei welcher mir mehrere Jahreseinkommen meiner Baronie gestohlen wurden. Eine vergebliche Jagd nach dem grünen Drachen, bei der Spieler beschlossen, mitten im Kampf abzuhauen und ihn so mit einer einstelligen Anzahl an Lebenspunkten davonkommen zu lassen. Verfluchte Streitkolben im Dungeon, die man nicht mehr loslassen konnte. Mitspieler, die einen ein Outgamejahr damit rumlaufen lassen. Um nur eine Auswahl zu nennen.

Das Ende der Runde kam schließlich mit einem unerwarteten Kampf, der durch meine mangelnde Regelkenntnis und taktisches Gefühl sowie einem zu großen Selbstvertrauen nicht zu gewinnen war. Der SL verzichtete darauf, uns zu warnen, und so endeten etwas über zwei Jahre Kampagne.

Leider muss ich sagen, dass ich froh bin, dass die Runde nicht mehr existiert. In Summe war es trotz der Mühen des SLs und mancher Mitspieler zu nervenaufreibend, einer dysfunktionalen Gruppe teilzuhaben, die sich auf keine Vorgehensweise einigen konnte. Die oben angeführten Anekdoten und die mangelnde Zusammenarbeit in der Gruppe und die für mich als willkürlich empfundene Verteilung von Bestrafungen brachten mich an den Rand, das Hobby wenn nicht aufzugeben, doch zumindest zu pausieren.

Colwyn ap Aldfothla, kymrobritischer Priester in Northumbria. Pendragon.

Ende durch: Verlassen der Spielrunde im Streit.

© Dork Tower

Pendragon ist ein Setting im (prä-)arthurischen Britannien. Es hält einen besonderen Platz in meinem Herzen, nicht zuletzt wegen seiner Bodenständigkeit (ja, auch wenn es einen Merlin und Drachen etc. in diesem Setting gibt) und der Tatsache, dass es auf das Verstreichen der Zeit einen besonderen Wert legt. Anders ausgedrückt: In jeder Spielsitzung vergeht (nach den Grundregeln) ein Ingame-Jahr, und die Charaktere altern dementsprechend. Da das Spiel in einer Zeit vor der modernen Medizin spielt, ist die Lebenserwartung erwartungsgemäß eher kurz und die Suche nach einem passenden Lebenspartner zur Gründung einer Familie so wichtig. Mit dem Verstreichen der Jahre und Spielsitzungen kommt dann für jedeN SpielerIn die Zeit, einen der hoffentlich gezeugten Nachkommen zu übernehmen und mit diesem dann die Ehre der Familie zu mehren (ja, das Setting ist grundsätzlich Richtung männliche Charaktere ausgerichtet, es ist aber absolut möglich, auch eine Dame zu spielen).

Colwyn begann nicht als Priester. Ich hatte bereits einen Priester in dem Setting gespielt, leider ging die Runde nach dem ersten Spieleabend mit ihm auseinander. Als derselbe SL über zwei Jahre später wieder eine Runde anbot, war ich nur zu gerne dabei. Die Würfel wiesen wieder in die Richtung eines Priesters, und obwohl ich etwas Weltlicheres im Sinn gehabt hatte, wäre die Gelegenheit zu interessant, um sie verstreichen zu lassen. Da das Zölibat in diesem Zeitalter für den Klerus noch nicht obligatorisch war, konnten durchaus auch Kleriker gespielt werden. Und gerade in diesem Setting mit dem Thema des verschwindenden römischen Reichs, der Gefahr durch die Sachsen, dem Werden einer eigenen britischen Nation und fast einem Dutzend christlicher Splittergruppen versprach der religiöse Aspekt sehr interessant zu werden.

Die eigentliche Geschichte Colwyns – neben seiner erwürfelten Vorgeschichte, die ihm seine Frau samt Kindern und Erbe einbrachte – begann im Jahr 410, als die letzten Legionen Roms gerade drauf und dran waren, Britannien endgültig sich selbst zu überlassen. Verstrickt in die Intrigen, die dieses Machtvakuum mit sich brachte, reisten die Helden – ein Sheriff, ein Stallmeister, ein Baumeister, zwei Ritter und ein Priester – im Gefolge des Herrn von York nach London, um am großen Thing teilzunehmen, welches einen neuen Hochkönig Britanniens krönen sollte. Neben dieser hohen Politik bekam es Colwyn auch mit ganz bodenständigen Problemen zu tun (würdest du als Priester das Beichtgeheimnis brechen, um ein Unglück zu verhindern?). Diese Umgebung bot viele großartige Gelegenheiten zum Rollenspiel.

Leider schied ich wegen einer Meinungsverschiedenheit aus der Runde aus und wollte die Runde nicht mehr fortsetzen. Um den Charakter tut es mir heute noch leid.

Sehnsucht und Reue. Abschluss des Nekrologs.

In den einzelnen Beschreibungen der Charaktere scheint vielleicht ein wenig die Sehnsucht durch, mit der die Charaktere gespielt wurden. Ich schätzte bei jedem gewisse Eigenheiten, die es interessant machten, ihn zu spielen. Auf der anderen Seite hat jeder Held einen würdigen Abschluss verdient, und um diese nicht vollendete Geschichte tut es mir schon leid. Jeder Charakter hätte ein würdigeres Ende verdient gehabt. 

 

plötzlich

schleichend

Charakter

Lambert

Hesindian

Runde

Colwyn, Osric

Osric

 

Wie man sehen kann, lassen sich die gespielten Charaktere nun in die anfangs postulierte Matrix einfügen. Lediglich bei Osric würde ich behaupten, dass sich plötzliche und schleichende Elemente mischen, bei den drei anderen Helden halte ich die Einteilung für wesentlich einfacher erklärbar. Schließlich starb die Runde schon länger einen schleichenden Tod, während der Schlusskampf nicht vorhergesehen war. Bei Lambert war es Pech. Bei Hesindian Desinteresse. Und bei Colwyn Streit. Alles Gründe, an denen ein Charakter zugrunde gehen kann.

Da zur Reue – neben dem Bedauern – auch eine Wiedergutmachung begangener Sünden gehört, halte ich den Begriff in diesem Sinn für wenig passend. Würde ich Reue anstreben, müsste ich versuchen, die Taten meiner Helden wieder ins Reine zu bringen. Was, da diese Helden nicht mehr bespielbar sind, nicht möglich ist.

Ich danke euch, dass ihr es bis hierher geschafft habt. Von eigenen Charakteren zu erzählen ist immer etwas seltsam, aber die Erinnerung an die bestandenen Abenteuer zeigt auf, wie reichhaltig und toll dieses Hobby sein kann.

Mögen die Toten niemals vergessen sein.

Artikelbild: Depositphotos | © kyolshin, Bearbeitet von Verena Bach

 

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