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J.R.R. Tolkiens Mittelerde als Charakterhintergrund zu bespielen ist immer anspruchsvoll und zuweilen auch vorbelastet. Das gilt insbesondere für seine Geschöpfe der Oberklasse – unsterblich, schön und weise. Wie also stellt man als Mensch eine Lebensform dar, die uns so fremd und scheinbar überlegen ist wie Tolkiens Elben?

Elben-Darstellungen sind wohl eines der Charakterkonzepte, von denen gerade Larp-Anfänger*innen am häufigsten abgeraten wird. Und gerade wenn man sich die wohl prominenteste Verkörperung dieses Volkes anschaut, wird schnell klar, warum. Doch so fremd uns dieses Volk auch ist, es gibt schließlich nicht wenige Spielende, die seine Darstellung dennoch – oder gerade deswegen – gerne auf sich nehmen. Ein kurzer Einblick in das Elben-Larp und seine Tücken.

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Die Erstgeborenen – ein hoher Anspruch

Elfen oder Elben, alles egal? Leider nein, denn wer sich im Liverollenspiel auf einen Elben-Charakter nach Tolkien einlassen möchte, nimmt sich damit eine der wohl schwierigsten Fremdrassendarstellungen vor, die es gibt. Denn sowohl schauspielerisch als auch – leider – optisch ist der Anspruch spätestens durch den anhaltend großen Einfluss von Peter Jacksons Mittelerde Verfilmungen äußerst hoch. Doch was genau unterscheidet Elben von Elfen außer einem kleinen, austauschbaren Buchstaben?

Elben in Tolkiens Legendarium kommt eine besondere Rolle zu: Sie sind die Erstgeborenen, das erste Volk, das im ersten Zeitalter der Welt zum Leben erwachte, und damit gewissermaßen das Volk, das sämtliche Grundsteine von Sprache, Kultur, Wissenschaft und Kunst gelegt hat. Alle großen Helden der frühen Mittelerde-Dichtung sind Elben. Und selbst die jüngeren Vertreter ihrer Art, denen man im Laufe des Herr der Ringe begegnen mag, sind sich ihrer intellektuellen Vormachtstellung bewusst. Dazu sind Elben beinahe ausnahmslos allen Sterblichen in Kraft und Ausdauer überlegen und werden als makellos schön beschrieben. Warum sollten sich Rollenspielende das antun wollen?

Nun, wie jedes andere Charakterkonzept hat natürlich auch die Elben-Darstellung ihren ganz eigenen Reiz – und manchmal liegt dieser eben auch in der Schwierigkeit der Rolle.

Diese Schwierigkeit beginnt bereits in der Ausstattung des Charakters, welche durchaus direkt ins Geld gehen kann. Wenige Gewandungsstile sind so charakteristisch wie jene, die sich dank der Herr der Ringe-Verfilmungen in den Köpfen festgesetzt haben: verspielte Jugendstilmuster, reichhaltige Materialien, fließende Silhouetten und komplexe Schnittführung, allesamt darauf ausgelegt, die Figur der tragenden Person zu strecken und einen Eindruck von Würde und Eleganz zu vermitteln. Eine überzeugende Elben-Gewandung ist also nichts für Nähanfänger*innen.

Dazu kommt das Charakterspiel, das nicht ganz einfach ist, denn selbst „junge“ Elben bringen zwei bis drei Jahrhunderte an Lebenserfahrung in diversen Fähigkeiten mit, sowie eine gewisse Ernsthaftigkeit, die den meisten Menschen fremd ist. Wer hier ein Talent mitbringt, in dem er*sie glänzen kann, sei es das Spielen eines Instruments oder langjährige Erfahrung mit einer bestimmten charakteristischen Waffe, bringt bereits einen guten Vorteil mit.

Elben- Ästhetik – an Zöpfen führt kein Weg vorbei. © SubEffect | depositphotos.com

Wer das gemeistert hat, dem steht noch die Umsetzung der restlichen Optik bevor, denn auch Haut und Haar von Vertretern des Elbenvolkes wollen entsprechend repräsentiert werden. Für Barttragende Elben ist hier leider nur sehr selten Platz, auch wenn ein solcher im Herr der Ringe beschrieben wird; es führt also kein Weg an der täglichen Rasur vorbei. Für die passenden Frisuren finden sich allerlei Tutorials, doch auch diese brauchen in der Regel etwas Zeit, seien sie nun am lebenden Modell oder an einer Perücke ausgeführt, denn schließlich bringt nicht jede*r die Voraussetzungen für aufwendige Flechtarbeiten mit.

Wir sehen, es zeichnet sich ein gewisser Aufwand ab. Und es könnte der Eindruck entstehen, dass Elben-Larp durchaus, bedenkt man die Anforderungen an Geldbeutel und Erscheinungsbild, im wahrsten Sinne ein Spiel für die Reichen und Schönen sei.

Elben-Larp ist also gleich Elitenlarp? Nein.

Elben-Larp kann sogar Anfänger*innen-Larp sein, wenn die richtige Community vorhanden ist. Hilfe und Inspiration für Gewandung, Make-up und Sicherheit im Hintergrund lässt sich in einer Gemeinschaft immer finden, solange das Selbstbewusstsein und ein gutes Gefühl für das Spiel vorhanden sind. Und gute Spielende gibt es auch unter blutigen Anfängern.

Wer allerdings allein einen Tolkien-Elben spielt, sollte sich seiner*ihrer Sache schon sehr sicher sein.

Allein unter Kindern – Elbenspiel als One-(Wo)Man-Show

Eine einzelne Elbe sucht das Abenteuer – das kommt auch bei Tolkien schon mal vor. Und nicht immer findet sich eine entsprechende Larp-Gruppe in der eigenen Umgebung, oder der Elben-Charakter ist vielleicht nur der Zweitcharakter, sodass er oder sie auch schon mal allein auf weiter Flur zu finden ist. Hier gilt es, das richtige Maß zu finden, um den eigenen Spielspaß nicht auf das süffisante Heben einer Augenbraue angesichts der Eskapaden der versammelten Sterblichen beschränken zu müssen. Wer allein unter Menschen und anderen kurzlebigeren Rassen eine Tolkien-Elbe spielen möchte, muss hier ein wenig flexibel werden. Denn versucht man auf Biegen und Brechen das eigene, hochwürdevolle Konzept durchzuspielen, kann man schon mal den Anschluss verlieren und sich an der Seitenlinie wiederfinden. Es hilft, das eigene Spiel ein wenig zu beugen und auch mal fünfe gerade sein zu lassen, um mit im Geschehen des Spiels zu bleiben und dennoch weiterhin den gewählten Charakter zu transportieren.

Talente in den schönen Künsten zahlen sich aus. © Nabil Hanano

Hat ein*e Elben-Spieler*in sich beispielsweise auf eine Profession festgelegt, so kann es das Spiel aller bereichern, wenn sich Elben ganz selbstverständlich als Lehrer*innen begreifen. Das darf auch ruhig mit einer Prise Arroganz geschehen, wenn beispielsweise ein Elb eine Wunde nicht einfach nur heilt, sondern direkt eine kleine Vorlesung daraus macht. Gute Vorbereitung zahlt sich aus, wenn man sich ein paar Szenarien zurechtlegt, um diese dann wortgewandt und selbstsicher abzuspielen, sobald sich die Gelegenheit ergibt. Schließlich ist man unsterblich, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass man das ein oder andere schon mal gesehen hat. Wer sich im Vorfeld mit Tolkiens Elbenvölkern vertraut macht, wird schnell eines finden, das in ein solch aufgeschlossenes Konzept passt und das auch im Quellenmaterial ausreichend sympathische Vertreter*innen hergibt, um sich an ihnen zu orientieren.

So wird sich beispielsweise ein Mitglied der Noldor als weniger umgänglich erweisen als ein*e Angehörige*r der Sindar.

Es empfiehlt sich auch, und das ist wohl der Rat den die meisten Elben-Larp-Einsteiger*innen am häufigsten zu hören bekommen, einen verhältnismäßig jungen Charakter anzulegen. Gerade wenn man viel mit anderen Fantasy-Völkern unterwegs ist, macht es nur für kurze Zeit Spaß, bei jedem Ereignis des Plots so tun zu müssen, als könne einen nichts mehr überraschen. Abgesehen davon, dass auch die Mitspielenden dies recht bald leid sein könnten.

Eine Offenheit für Neues ist auch hier dem eigenen Spielspaß genauso zuträglich, wie dem der anderen.

Bitte etwas leichter: Alternativen zu Tolkiens Elben

Niemand wird es Spielenden verübeln, wenn ihnen eine Elben-Darstellung nach Tolkien als zu anstrengend oder anspruchsvoll erscheint. Schließlich ist Larp am Ende noch immer ein Hobby, in das man nicht nur Zeit und Geld investieren möchte – es soll nach Möglichkeit ja auch weiterhin Spaß machen und nicht in Arbeit ausarten.

Bewegen sich Spielende oft als einzige Darsteller*innen eines Elben-Charakters in Gesellschaft anderer Charaktere verschiedener, weniger ernster Couleur, kann es zu Momenten kommen, in denen man sich doch sehr einsam fühlt. In denen man den geliebten Tavernenhit nicht mitsingen oder den großartig passenden Flachwitz einfach nicht bringen kann. Wenn alle anderen scheinbar mühelos Spaß haben, ohne auf jedes Wort achten zu müssen, um nicht aus der Rolle zu fallen, kann man sich schon einmal wünschen, dass man sich für ein einfacheres Konzept entschieden hätte. Wer sich also nicht direkt auf das rigide Konzept der Erstgeborenen aus Tolkiens Universum einlassen, aber dennoch gern einen ähnlichen Charakter darstellen möchte, findet in der fantastischen Literatur gut darstellbare Alternativen, die noch immer nahe genug an Mittelerde-Elben dran sind, um ein ähnliches Spielerlebnis zu bieten, aber etwas weniger streng daherkommen.

Manchmal muss man die jüngeren Völker auch einfach an die Hand nehmen. © Nabil Hanano

Die namensgebenden Unsterblichen aus Bernhard Hennens und James Sullivans Elfen-Universum bringen ähnliche Voraussetzungen und Wesenszüge mit und lassen sich gut durch eine klassische Elben-Ästhetik darstellen. Zusätzlich sind sie aber mit vielen weiteren Fremdrassen vertraut und neigen wesentlich weniger zum Isolationismus als ihre Vorbilder aus Tolkiens Welt. Ihre Darstellung ist jugendlicher und weltoffener, der Hintergrund trotz einer reichen Geschichte voller Krieg und Epik nicht ganz so schwermütig wie derjenige der Mittelerde-Dichtung.

Wofür auch immer Spielende sich bei der Darstellung des „Schönen Volkes“ entscheiden, sei es nun die Königsdisziplin der Tolkien-Elben oder eine etwas weniger harte Variante, bei allen Ansprüchen sollte doch immer der eigene Spielspaß und der der Mitspielenden im Vordergrund stehen. Natürlich ist eine hochwohlgeborene Elbenkönigin ein Anblick, der beeindruckt. Und selbstverständlich wird der Elbenkrieger mit dem wallenden Haar und der perfekt sitzenden Gewandung auf den Con-Bildern großartig aussehen. Aber am Ende hat niemand etwas gewonnen, wenn die beiden am Abend unglücklich ihre Ohren abnehmen, weil alle Freude an ihrem Spiel hatten – nur sie selbst nicht.

 

Artikelbilder: © Nabil Hanano, © rbvrbv | depositphotos.com, © SubEffect | depositphotos.com
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Nina Horbelt
Fotografien: Nabil Hanano

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