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Diemelstadt in Hessen wird jedes Jahr Ende Juli zum Reiseziel nationaler wie internationaler Larper. Das Drachenfest war auch 2019 wieder eine Pflichtveranstaltung für mehrere tausend Spieler, die Schlachten schlugen, der Hitze trotzten und versuchten, den Sieg für ihr Lager zu erringen – mit Diplomatie, List oder Waffen.

Wie im Jahr zuvor meinte der Sommer es auch in diesem Jahr gut mit den Spielern auf dem Quast. Fast pausenlos strahlte die Sonne vom blauen Himmel herab und erzwang so manche Spielpause. Doch war es nicht ganz so schlimm wie im Jahr zuvor. Ein kühler Wind und Regen an den Aufbautagen hatte Staub und Brandgefahr gesenkt. Dennoch war die Hauptaktivitätsphase in den Morgenstunden und spät nachmittags bis abends, wobei man auch tagsüber viele tapfere Gestalten über die Wiesen zwischen den Lagern huschen sah – allen voran auch wieder die Wasserträger.

Organisatorische Ungeheuer und andere Untiefen

Schon im Vorfeld schlugen einige Änderungen in den organisatorischen Abläufen und Planungen hohe Wellen. Wyvern wurde als Veranstalter im Vorfeld mit häufig wechselnden Auflagen und Verordnungen drangsaliert, die sie schnellst- und bestmöglich umsetzen mussten. Dies geschah das eine ums andere Mal auch zum Leidwesen der ehrenamtlichen Lager-Orga- sowie Aufbauteams, welche in fertige Pläne große Brandschneisen, weitere Rettungswege und Fluchtwege einplanen mussten. Dies zog sich bis wenige Tage vor der Anreise der Lageraufbauteams und führte zu gewissem Unmut. Vor Ort jedoch wurde alles gemeinsam umgesetzt und zur Not angepasst, so dass allen Auflagen genüge getan war und das Drachenfest stattfinden konnte.

Eine neue Regelung der Check-In-Gates, deren Stationen weit in den Wald hineingezogen wurden (der Rundweg wurde dieses Jahr wieder rechts herum befahren), entzerrte den Anreiseverkehr stark und verkürzte die Stauzeiten nicht nur am Dienstag, sondern auch schon bei der Frühanreise am Montag. In einigen Lagern hat man hier das Gefühl, als würden schon bis zu 90 % der Spieler die Frühanreise nutzen, oftmals zum Leidwesen der Aufbauhelfer, welche dadurch zwar ein paar Freiwillige bekommen, jedoch durch An- und Abfahrt sowie Entladung und Zeltaufbauten oft massiv behindert werden. Hier ist die Frage, ob nicht eine Deckelung der Frühanreise die Problematik verringern könnte.

Aufgrund der angespannten Situation zwischen der Stadt und dem Grundstücksbesitzer kam es auch zu kurzzeitigen Problemen bei der Wasserversorgung. Das Leitungsnetz war erst am Dienstag voll ausgebaut und alle benötigten Wasserstellen an ihren Bestimmungsorten, was zu reglementierten Duschzeiten und langen Wanderungen für die Wasserholer mancher Lager führte. Ab Mittwoch war dies jedoch gelöst, und bis auf einen Schluckauf am Donnerstag (Wasserrohrbruch) lief die Versorgung problemlos.

Mehr Freiheit für alle

Das Drachenfest hat auch in puncto Inklusion dieses Jahr einen großen Satz nach vorne gemacht. Die Anzahl der internationalen Spieler steigt zwar langsam, aber stetig. So sind mittlerweile einige Institutionen oder Gewerke in Aldradach oder den Lagern dazu übergegangen, zumindest Englisch mit als Amtssprache aufzunehmen. Mit dem „Daily Gate“ hatte sich dieses Jahr in Aldradach sogar eine komplett in englischer Sprache verfasste Zeitung neu angesiedelt. Dort wurden auch die vorher vom blauen Lager verfassten, in mehrere Sprachen übersetzten Skripte für dessen Eröffnungsshow bereitgestellt und verteilt.

Auch die zwei großen Rituale, welche den Beginn und das Ende des Festes darstellen, wurden bilingual vorgeführt, wobei die Anrufung der Avatare jedoch gedoppelt wurde und für einige Spieler ihre Epik einbüßten. Dennoch ist dies ein guter Versuch, auch die internationalen Spieler mehr einzubinden.

Jedoch gab es nicht nur in Bezug auf Nationalität Bemühungen zur Inklusion. Bei den Duschen oberhalb der Stadt wurde nicht nur nach Damen und Herren getrennt, sondern mit „divers“ eine dritte Option eröffnet.

Safety first

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Weit oben auf der Agenda stand dieses Jahr vor allem das Thema Sicherheit. Bereits im Vorfeld war durchgesickert, dass auf dem Drachenfest 2019 ein neues Sicherheitskonzept umgesetzt würde. Obwohl üblicherweise erst für deutlich größere Events nötig, hat Wyvern hier beeindruckend vorgelegt. Nebst den bereits erwähnten Brandschneisen fand sich in jedem Lager ein Geländeplan mit Evakuierungshinweisen, es wurden mehr und gut kenntliche Feuerlöscher auf dem Gelände platziert, neben Aschecontainern gab es Löschwasser und der Branddienst wurde merklich aufgestockt. Zudem erhielten Lagerkoordinatoren eine Einweisung als Evakuierungshelfer, und jeder Teilnehmer und Teilnehmerin erhielt eine Notfalltaschenlampe, die stets bei sich zu führen war, sowie eine Broschüre mit Sicherheitshinweisen. Bei sich stark veränderten klimatischen Bedingungen und dem wahrlich wechselhaften Wetter auf dem Quast eine vorbildliche Planung seitens der Veranstalter.

Aber auch die ganz persönliche Sicherheit stand mit im Fokus. Mit einem Manifest zur Sicherheit und Wohlbefinden auf dem Drachenfest wurde die Philosophie der Con nochmal in klare Worte gefasst. Klar wurden das OT-Wohlbefinden und die Sicherheit in den Mittelpunkt gerückt und Diskriminierung in jeder Form eine Absage erteilt. Als Ansprechpartner für diese Themen wurde darüber hinaus ein Betreuungsteam gebildet, welches Menschen jederzeit zur Verfügung stand und auch einige Experten zu komplexeren Themenbereichen aufbieten konnte.

Auf Spielerinitiative wurde zudem in verschiedenen Lagern noch das Codewort „Ist Luisa hier?“ etabliert. Im Gegensatz zum bereits verbreiteten „Oh Mutter“, das einen Ausweg aus unkomfortablen Spielsituationen bieten soll, ist „Luisa“ für Situationen gedacht, in denen man sich OT bedrängt oder gar bedroht fühlen könnte und wird oft in Tavernen genutzt.

All diese Maßnahmen dürften das Drachenfest 2019 zu einem Musterbeispiel für Safety im LARP auf Großcons gemacht haben. Ähnliche Ansätze verfolgt auch das ConQuest 2019, und dem Vernehmen nach ist auch für das Epic Empires 2019 noch etwas in Planung. Alle drei Veranstalter unterstützen zudem auf unterschiedliche Weise eine Kampagne zu mehr gegenseitiger Achtsamkeit im LARP.

Man darf hoffen, dass mit all diesen Wegen und Ideen ein Impuls in die Szene gegeben wird, dem sich andere Orgas anschließen und der auch zu einem neuen Bewusstsein bei den Spielenden führt.

Von Krieg und Federkiel – Die Plots und der Wettstreit

Das Drachenfest ist längst zu einem Hybrid aus PvP– und PvE-LARP geworden. Neben dem eigentlichen Wettstreit um die Herrschaft für ein Jahr wird auch Plotjägern reichlich Spiel geboten.

Dabei gab eine bunte Mischung aus Plots, die Bezug auf die Welt des Zeit der Legenden nahm, und Plots, die ganz ohne Bezug zur „Alten Welt“ auskamen.

So erhielt zum Beispiel das Weiß-Lager nun einen Sidekick für den Avatar in Form eines Bewohners der alten Welt, ein mysteriöser Kult (oder vielleicht sogar mehrere) mit Bezug zu Antagonisten des Zeit der Legenden trieb erneut sein Unwesen und offene Aufgaben fanden ihren Weg in die Zeit des Drachenfestes. Dargass der Jäger, einer der fünf Könige des Grünen, versuchte dieses Jahr erneut, allen Legendenwebern den Garaus zu machen, und musste in einem umfangreichen und kooperativen Ritual beruhigt werden. Außerdem fehlt dem Wettstreit seit längerer Zeit der Hüter, der sich eigentlich um das Einhalten der Regeln kümmern muss. Auch hier wurde eine Lösung gefordert.

Alles in allem konnte man an fast jeder Ecke eine spannende Aufgabe finden, die meistens auch keine tiefere Kenntnis der Welt erforderte und so auch Neuspieler*innen schnell in die Welt einführte.

Nicht unerwähnt bleiben soll hier auch die Gestaltung des Siegerjahres durch das Blaue Lager. Traditionell wird dem Siegerlager die Möglichkeit gegeben, das nächste Drachenfest mitzugestalten. Das wirkt sich sowohl auf Projekte in der streng neutralen Stadt aus, wie zum Beispiel jedem Gewerk der Stadt einen blauen Jolly zu verpassen. Gern genutzt wird hier die Möglichkeit, das Eröffnungsritual mitzugestalten. Die siegreichen Blauen wählten den Weg eines charmanten Bühnenstücks, welches die Entstehung des Blauen Drachen aus drei verschiedenen Perspektiven und Varianten zeigte.

Die Bruderschaft der Drachenlager

Die Diplomatie hatte dieses Jahr meist kurze Wege zurückzulegen: Durch die Verteilung der Lager konnte man recht schnell die Verhältnisse auf „obere Wiese gegen untere Wiese“ festnageln, mit ein paar unentschlossenen oder geshanghaiten Lagern dazwischen. In einem waren sich jedoch scheinbar alle einig, und zwar, dass Blau dieses Jahr als aktuell herrschendes Lager nichts zu melden hatte. Dadurch wurde das Heer der Freiheitsliebenden und seine Verbündeten meistens ohne über Los zu gehen direkt wieder in den Heimathafen zurückgeprügelt, wenn es ein paar Schritte vor die Tür trat.

Am Ende gewann Rot mit seinen Bündnispartnern Grün, Kupfer, Schwarz und am Ende noch Silber knapp vor dem goldenen Lager, das die Unterstützung von Grau, Wandel und Blau hatte. Man darf gespannt sein, was sich die Streiter des Roten für das nächste Jahr einfallen lassen.

Und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel

So geht ein weiterer Wettstreit zu Ende, und die Drachen ziehen sich zurück in ihre Sphären, die Spieler reisen ab und Tore werden eingelagert. Zurück bleiben viele Eindrücke, Erinnerungen und mancher Sonnenbrand. Das Jahr des Blauen war turbulent und trotzte vielen Steinen, die Organisatoren wie Spielern in Weg gelegt worden waren. Wir sehen uns nächstes Jahr, wenn es wieder heißt: Ich rufe in diesen Kreis …

Fotografien: © Hagen Hoppe, © Laura Birnbaum

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