Geschätzte Lesezeit: 11 Minuten

LARP ermöglicht es, in (fast) jede Rolle zu schlüpfen, die man sich denken kann. Finsterer Schurke, strahlender Ritter, Vampir, Raumschiffkommandant, Westernheld – der Fantasie an sich sind keine Grenzen gesetzt. Es war auch nie so leicht an vielfältigste Ausrüstung und Gewandung zu gelangen wie heutzutage. Und dennoch… Trotz aller Ausrüstung und Erfahrungspunkte kommt irgendwann der Punkt, an dem einem schmerzlich bewusst wird, dass einem eben doch Grenzen gesetzt sind.

Eingeschränkte körperliche Fitness, die Angst vor größeren Gruppen zu sprechen oder fehlendes Wissen zu einem Thema, mit dem der dargestellte Charakter sich eigentlich auskennen sollte, sind nur einige Beispiele. Meist sind es insbesondere die eigenen Ansprüche, die aus diesen Grenzen einen Ansporn machen, sie zu überwinden. Und daraus kann das beste Spiel deines Lebens entstehen, denn an erster Stelle birgt jede Grenze das Potential für intensive Spielmomente.

Der eigene Anspruch

Wo mögliche Grenzen für dich liegen wird definiert durch den Anspruch, der an deinen Charakter gestellt wird. Die wichtigste Messlatte bist dabei du selbst, denn zuallererst musst du mit deinem Charakter glücklich werden. Je nachdem, ob du einen einfachen Charakter willst, mit dem du gelegentlich auf einer Con entspannst, oder möglichst intensiv in eine Rolle eintauchen und sie so überzeugend wie möglich darstellen willst, sinken oder steigen die Ansprüche. Genau diese eigenen Ansprüche sind der Weg, Motivation zu finden, an Grenzen zu wachsen.

Dabei ist der Weg zum übertriebenen Perfektionismus schnell gegangen: Unerreichbare Ansprüche und der Druck, alles richtig machen zu müssen, töten jede Motivation im Keim. Grundsätzlich ist an dem Wunsch, möglichst gut sein zu wollen, nichts Schlechtes, aber wenn dieser Drang zum einzigen Spielinhalt wird, belastet LARP dich schnell mehr als es dir Freude macht.

Du kannst nicht alles

Im Pen&Paper ist es möglich, wirklich alles zu spielen. Sobald es oben auf dem Charakterbogen steht, kannst du den exotischsten Charakter darstellen. Im Pen&Paper ist es auch nicht schwer zu sagen, dass dein Charakter Dinge kann, die du im realen Leben nicht beherrschst. Solange ihr euch am Tisch gegenüber sitzt, müssen deine Mitspieler unabhängig von deinem Charakter ungefähr das gleiche Maß an Fantasie aufbringen, um sich vorzustellen, nicht mehr am Spieltisch, sondern in einer fantastischen Welt zu sein.

Im LARP sieht es anders aus. Ganz offensichtlich wird das bei Charakteren, die grob gegen alle Vorstellungen der Mitspieler verstoßen. Das ist der 1,95m große Zwerg, der biersaufende Elf mit Rauschebart oder der unglaublich alte und böse Vampir, der eher wie ein Teenager-Goth und weniger wie ein altes Monster wirkt. Das können aber auch Hochadelige sein, die keine Ahnung von Etikette haben, Waldläufer, die Birke und Eiche verwechseln und Heiler, die keinen Verband anlegen können.

Natürlich bietet LARP im Idealfall genug Raum, um auch ungewöhnliche Charakterkonzepte abseits des bekannten Rollenbildes umzusetzen. Ein gewisser Rahmen sollte aber doch eingehalten werden, um eine Rolle glaubwürdig darzustellen. Denn auch, wenn man alles im Hintergrund zurechterklären kann, wirkt es irgendwann hanebüchen.

Hat ein Charakter Nachteile, weil du sie ihm bewusst gegeben hast, obwohl du eine Fähigkeit durchaus hättest darstellen können, bringt das viel Spaß. Wenn die Kluft zwischen dem, was der Charakter in deiner Vorstellung können sollte, und dem, was du selbst kannst, aber zu groß wird, führt das schnell zu Frustration. Zumindest, wenn du solche Grenzen nicht als Chance für schönes Rollenspiel nutzt.

DKWDDK

DKWDDK, kurz für „Du kannst, was du darstellen kannst“, zielt genau auf diese Grenzen und deine eigenen Fähigkeiten ab. Auf solchen LARPs ist klar: Wenn du mit deinem Magier ein Ritual nicht überzeugend darstellst, funktioniert es nicht. Hier kommt es insbesondere darauf an, deine Mitspieler zu überzeugen. Sie reagieren auf die Spielimpulse, die du ihnen gibst, und sind Richter über Erfolg oder Misserfolg einer Aktion.

Aber auch auf LARPs, die mit Fertigkeitswerten arbeiten, kommt es immer auch auf deine eigenen Fähigkeiten an, um deine Rolle überzeugend zu verkörpern. Einen in der Vampirgesellschaft erfolgreichen Vampir zu spielen ist nur halb so überzeugend, wenn der Charakter zwar großartige Werte in den sozialen Disziplinen, aber der Darsteller kein Gefühl für die Gesellschaft hat. Deshalb sind gerade Fertigkeiten, die über Werte im Regelwerk funktionieren, eine gute Motivation, auch die nötigen Fähigkeiten für eine stimmungsvolle Darstellung zu lernen.

Jede gute Geschichte braucht Hindernisse

Was ist das Merkmal einer richtig guten Geschichte? Dass der Protagonist sich mit Hindernissen konfrontiert sieht, die er überwinden muss, um sein Ziel zu erreichen. Erst durch die Schwierigkeiten, denen er sich stellt, wird sein Abenteuer erwähnenswert. Oder anders gesagt: Der Herr der Ringe wäre keine beeindruckende Geschichte, wenn Frodo den Ring gemütlich nach Mordor getragen und ins Feuer geworfen hätte, ganz ohne Anstrengung. Erst die Opfer, die jeder Beteiligte gebracht hat, machten die Geschichte groß und bedeutend.

Das Gleiche trifft auch aufs LARP zu: Wenn dein Charakter von Anfang an alles kann, gibt es keine Herausforderungen für ihn und deine Con-Wochenenden werden ziemlich eintönig sein. Natürlich ist es großartig, hin und wieder einfach mal der Beste zu sein. Aber langfristig bleibt es nur spannend, wenn man sich immer wieder Herausforderungen stellt und an ihnen wächst. Die schönste Bestätigung der eigenen Fähigkeiten ist eben, sie erfolgreich anzuwenden und sich so in brenzligen Situationen zu beweisen.

Spielen mit den eigenen Grenzen

Die eigenen Grenzen zu erfahren kann in vielerlei Hinsicht ein bereicherndes Erlebnis sein. Die totale körperliche Erschöpfung nach der Schlacht fühlt sich gut an. Festzustellen, dass man den innigsten Traum des eigenen Charakters (noch) nicht erreichen kann, weil man (noch) nicht gut genug ist, kann ein ungeheuer tragisches Element ins Spiel einfließen lassen, und zugleich Ansporn sein, etwas daran zu ändern. Sich im Spiel einen Lehrmeister zu suchen, um etwas zu lernen, bringt allen Beteiligten mehr Spiel-Gelegenheiten. Und manchmal erreicht man schlicht den Punkt, an dem man daran wächst, dass man etwas Bestimmtes einfach nie schaffen wird.

Ein klassisches Beispiel für unüberwindbare Grenzen sind Behinderungen. Sie schließen dich nicht vom LARP aus, aber sie werden dich immer begleiten und in bestimmten Bereichen einschränken. Doch auch daraus kann großartiges Spiel entstehen: Die graue Eminenz hinter dem Thron des Herrschers muss nicht schnell laufen können, und ein Heiler kann seinen Job auch gut machen, wenn er kurzsichtig ist. Im Zweifelsfall generierst du dadurch Spiel, dass dein Charakter sich jemanden suchen muss, der sein Handicap ausgleicht.

Die allermeisten Grenzen sind aber nicht unüberwindbar. Manchmal kostet es viel Einsatz sie zu überwinden, aber es ist möglich. Fehlendes Wissen kann man sich ebenso aneignen wie jede handwerkliche Fertigkeit – wenn man es wirklich will. Und auch, wenn es anfangs so wirken mag, ist kein jahrelanges Studium nötig, um sich in eine geschichtliche Epoche einzulesen oder sich Fähigkeiten im handwerklichen Bereich anzueignen. Auch soziale Fertigkeiten wie Menschenführung oder Überzeugungskunst kann man erlernen und trainieren.

Was sind deine Grenzen?

Jeder Mensch hat unterschiedliche Grenzen, und jeder geht individuell damit um. Der eine misst sich an ihnen und will sie überwinden wo er nur kann, der andere blendet sie aus und tut alles, um im eigenen Komfortbereich bleiben zu können. Um mit Grenzen zu spielen und an ihnen wachsen zu können, musst du sie natürlich kennen. Dein Charakter muss sich ihrer nicht bewusst sein, aber wenn du sie selbst nicht kennst, wirst du oft unangenehm überrascht werden, wenn sie unerwartet zum Tragen kommen. Deine eigenen Grenzen und Hindernisse zu kennen bewahrt dich auch vor Frustration, weil du direkt mit ihnen umgehen kannst. Und wenn du sie überwinden willst, kannst du gezielt an ihnen arbeiten.

Körperliche Grenzen

An deinem grundlegenden Körperbau wirst du, abgesehen vom Gewicht, nicht viel ändern können. Deine Größe ist festgelegt, und als 1,9-Meter-Hüne wirst du dich schwertun einen sehr kleinen Charakter darzustellen, wenn neben dir wesentlich kleinere Spieler unterwegs sind. Die Fotos und Videos der Dreharbeiten zu den Hobbit-Filmen zeigen deutlich, wie falsch menschengroße Zwerge und Hobbits aussehen. Wenn du mit 1,9 Metern wirklich eine kleine Rasse spielen willst, können spezielle LARPs das Richtige für dich sein, auf denen nur diese Rasse vorkommt und so das Größenproblem umgangen wird.

Aber was darüber hinaus geht kann geübt werden: Ausdauer, Fitness, Schwertkampf. Alles, was in den Bereich körperlicher Grenzen fällt, kann durch ausdauerndes Training deutlich verbessert werden. Ob du joggen gehst, Gewichte stemmst oder regelmäßig LARP-Kampf übst hängt davon ab, was du erreichen willst. Mit genügend Ausdauer angepackt wirst du auf jeden Fall bald Erfolge sehen.

Der zwischenmenschliche Bereich

Der zwischenmenschliche Bereich ist schon schwieriger. Die Herausforderungen darin sind vielfältig: Die Angst, vor großen Gruppen zu sprechen, andere von etwas zu überzeugen oder politisch und gesellschaftlich klug zu agieren. Es gibt viele Menschen, die sich mit diesem Bereich schwer tun und diejenigen beneiden, die damit offenbar keine Probleme haben.

Leider ist es nicht wie bei der körperlichen Fitness damit getan, fleißig Übungen zu wiederholen und dann die Erfolge zu sehen. Stattdessen wirst du dich oft damit konfrontiert sehen, über deinen eigenen Schatten springen zu müssen. Vor größeren Gruppen zu sprechen wirst du nur lernen, wenn du dich der Herausforderung stellst, und mehr Empathie für andere Charaktere wirst du nur entwickeln, wenn du dich selbst zurücknimmst und mehr auf sie eingehst.

Der Lohn für solche Mühen ist dafür groß: Keine durch Erfahrungspunkte gekaufte Fähigkeit, mit der sich andere Charaktere beeinflussen lassen, ist so wirkungsvoll wie die Fähigkeit, einen anderen Charakter einfach zu überzeugen. Die Erfahrung zeigt, dass jemand, der glaubt, selbst zu einer Entscheidung gekommen zu sein, diese wesentlich engagierter umsetzen wird als jemand, der durch einen Zauber oder andere übernatürliche Kräfte dazu gezwungen wurde.

Auch im LARP werden dir Politik und Gesellschaft begegnen – und zwar nicht nur, wenn du Vampire Live spielst. Auf jedem LARP wirst du Machtgefälle zwischen den Charakteren und verschiedene Interessen finden, und diejenigen, die in der Lage sind, dies für sich zu nutzen. Sich auf diesem Spielfeld zu bewegen kann anstrengend, aber auch unglaublich spannend sein.

Wenn du dich mit diesen Punkten schwer tust, findest du mit etwas Suchen sehr gute Bücher, die dir weiterhelfen. Was Machtpolitik angeht ist Machiavelli mit Der Fürst unangefochten die Nummer eins, und auch die Bücher von Robert Greene sind sehr hilfreich. Werke über Körpersprache können nützlich sein, um die Motivationen anderer Charaktere zu entschlüsseln, während es einige gute Rhetorikratgeber gibt, mit denen du auch Ansprachen vor großen Gruppen meistern kannst.

Handwerkliche Fähigkeiten

„Jeder kann nähen!“ ist ein gerne genutzter Ausruf. Vergessen wird dabei meistens, dass ein „lernen“ dazugehört, denn mit dem bloßen Kauf einer Nähmaschine ist es noch nicht getan. Allerdings ist es auch kein Hexenwerk, einfache Kleidungsstücke anzufertigen. Und auch jede andere handwerkliche Fähigkeit kann erlernt werden. Was du brauchst ist die Lust, dich mit neuen Materialien auseinander zu setzen und ein wenig zu experimentieren. Denn auch, wenn du im Vorfeld viele Anleitungen studierst, wirst du immer ein wenig ausprobieren müssen. Das Ergebnis ist gleich zweifach gewinnbringend: Dein Charakter kann sowohl durch individuelle Kleidungsstücke oder Gegenstände glänzen, als auch direkt im Spiel durch seine Fähigkeiten beeindrucken.

Die Bereiche, in denen du dich ausprobieren kannst, sind dabei breit gefächert. Du kannst Gläser bemalen, schneidern, Leder gravieren, schnitzen… Du hast unendlich viele Möglichkeiten. Sobald dir im Rollenspiel der Gedanke kommt, dass ein bestimmtes Ding zu haben praktisch wäre, kannst du beginnen zu überlegen, wie du es dir herstellen kannst. Grenzen sind dabei insbesondere finanzieller Natur, denn manche Werkzeuge und Materialien sind nicht unbedingt günstig.

Wissen ist Macht

Ähnlich den körperlichen Grenzen kann man Wissensgrenzen ziemlich gut beikommen. Der Trick ist einfach: Lernen. Allerdings nicht wie in der Schule, wo man dir oft Wissen vorgesetzt hat, das dich nicht wirklich fesselte, sondern Lernen in genau dem Bereich, der dich brennend interessiert. Durch das Internet ist es einfach wie nie an einen nahezu unbegrenzten Vorrat von Wissen zu gelangen und genau das herauszupicken, was du brauchst.

Der Trick ist, einen Weg zu finden, mit Spaß zu lernen und eine große Menge Informationen in überschaubare Portionen einzuteilen. Wenn du einen heilkundigen Charakter spielst, kannst du dich z.B. jede Woche intensiv mit einer einzelnen Heilpflanze beschäftigen. So bleiben die Informationseinheiten überschaubar, und dennoch lernst du so in nur einem Jahr etwas über 52 Pflanzen. In jedem Fall kannst du davon profitieren, dass es wesentlich leichter ist, sich Wissen anzueignen, wenn einen das Thema auch interessiert, was beim Rollenspiel ja der Fall sein sollte.

Fazit

LARP bietet viele Möglichkeiten, aber auch einige Grenzen. Doch gerade diese Grenzen sind ideale Herausforderungen für dich und deinen Charakter, aus denen viel Spiel entstehen kann. Mit Biss und Motivation kannst du beinahe jedes Hindernis überwinden und dabei viel lernen, denn jede Fertigkeit ist erlernbar.

Artikelbild: rudall30 | fotolia.de

 

2 Kommentare

  1. Ich merke mal wieder, dass LARP so viel mit (meinem) Rollenspiel zu tun hat, wie Fetisch- oder Therapiesitzungen, die den Begriff Rollenspiel zur Beschreibung verwenden. Einfach nicht meine Welt…

    • Das ist schade. Für mich ist LARP ein sehr wichtiges Hobby, an dem ich sehr hänge und das ich nicht missen möchte.

      Was ist denn Dein Rollenspiel, wenn LARP so gar nichts für Dich ist?

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein