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Turniercons erfreuen sich großer Beliebtheit. Die größte Veranstaltung ist mit über 500 Teilnehmenden die Grenzwacht des Engonien e.V. Dieses Jahr können Verein und Orga auf ihr 15-jähriges Grenzwacht-Jubiläum anstoßen. Daher haben wir uns die Headorgas, Sabrina und Jeremias, geschnappt und mit ihnen über Vereins- und Orgaarbeit gesprochen.

Im zehnten Jahr ihres Bestehens hat die Grenzwacht eine beachtliche Zahl an Teilnehmenden erreicht. Mehr als 500 Spielende entfliehen dem Alltag und geben sich dem Ambiente eines großen historisch inspirierten Turniers hin. Wer schon einmal eine Con organisiert hat, kann vermutlich erahnen, was für eine Arbeit und auch logistische Leistung dahinter steckt. Dies erfordert nicht nur eine entsprechende Teamgröße, sondern auch eine eingespielte Orga. Mit seinen rund 70 Mitgliedern bietet Engonien dafür aber gute Vorrausetzungen. Doch verderben viele Köche nicht den Brei? Wir haben nachgefragt.

Sabrina ist Headorga der Grenzwacht (zusammen mit Jeremias) und Mitglied in vielen anderen Orgas, außerdem ist sie Vorsitzende des Beirats, der für den IT-Hintergrund von Engonien zuständig ist. Seit 1999 larpt Sabrina größtenteils im Fantasybereich. Angefangen hat sie damit beim Zarorien e.V., bevor sie in Engonien eine neue Heimat fand. Wenn sie nicht larpt oder im Verein aktiv ist, nehmen gleich zwei Jobs sie in Beschlag. Zum einen arbeitet sie als Kommunikationselektronikerin und zum anderen an der Universität in Forschung und Lehre im Fachbereich Geowissenschaften. 

 

Jeremias ist  Headorga der Grenzwacht (zusammen mit Sabrina) und einer weiterer Conreihe. Zudem ist er, wie Sabrina, Teil des Beirates für den IT-Hintergrund. LARP ist seit 1999 sein Hobby, in das er mit Vampire Live einstieg, um sich dann auch Fantasy zu widmen. LARP ist für ihn gleichermaßen Erholung vom alltäglichen Stress und die Möglichkeit spannende und interessante Erfahrungen zu machen. Nach seiner Tätigkeit in der empirischen Bildungsforschung ist er nun Lehramtsanwärter für Naturwissenschaften.

Für die Teilzeithelden ist er auch gelegentlich als Gastautor und wissenschaftlicher Berater im Themenbereich soziodemographische Untersuchungen zu LARP, Cosplay und Gesellschaft aktiv.

Viele Gruppen unter einem Dach

Teilzeithelden: Man sagte mir mal „Vereine sind der Tod des LARPs“. Was würdet ihr dem entgegnen?

Jeremias: Gemeint ist hier vermutlich eher das Verhalten im Verein, die berüchtigte Vereinsmeierei. Dafür kann die Organisationsform des Vereins allerdings nichts. Vereinsmeierei zu verhindern, geht meiner Erfahrung nur durch eine aktive und ständige Diskussion über Außenwahrnehmung, Ausrichtung und sogar Spielstil und der Bereitschaft der alten Mitglieder, neuen Mitgliedern das Feld zu überlassen. Denn wer die Arbeit hat, hat auch das Sagen. Dadurch erneuert sich letztlich ein Verein immer wieder selbst, auch wenn das natürlich manchmal mit zwischenmenschlichen Anstrengungen oder sogar scharfen Diskussionen verbunden ist.

Sabrina: Der Vorteil eines Vereins liegt dagegen auf der Hand: Man verteilt Risiken auf mehrere Schultern, man tritt gegenüber Außenstehenden (wie Behörden) als juristische Person auf, man hat Zugriff auf spezielle Konditionen (Vereinshaftpflicht) und man kann einfacher gemeinsamen Besitz aufbauen. Dabei muss ein Verein auch nicht gleichbedeutend mit einer Orga oder einer Spielergruppe sein. Der Engonien e.V. beispielsweise ist eher eine Dachorganisation für einzelne Orgas und Spielergruppen, die einen gemeinsamen Landeshintergrund bespielen und auch personell starke Überschneidungen aufweisen. Insgesamt überwiegen für mich deutlich die Vorteile eines Vereins, trotz aller menschlichen Herausforderungen.

Wer arbeitet entscheidet

Teilzeithelden: Ist es dann nicht schwierig eine gemeinsame Vision zu entwickeln, wenn viele Stimmen gehört werden möchten?

Sabrina: Ist es. Dabei gilt im Verein, wie auch der Orga der Grenzwacht: Wer sich die Arbeit macht, der kann auch darüber bestimmen. Das könnte natürlich bedeuten, dass bei einem Team von 25 Orgas ein wildes Potpourri von Spielelementen entsteht, aber da hilft uns als Headorga die Tatsache, dass wir  zum Beispiel die Grenzwacht in einem bestehenden Landeshintergrund etablieren. Und in der Antwort steckt eigentlich auch schon ein entscheidender Organisationsaspekt drin: Als Headorga haben wir das letzte Wort. Das Grenzwacht-Team ist zwar im Großen und Ganzen egalitär, die meisten Beschlüsse treffen wir im Team, aber die allgemeine Richtung und die letztendliche Entscheidung treffen wir als Headorga.

Jeremias: Das funktioniert natürlich nur dadurch, dass wir beide erstens immer noch sehr viele Freiheiten ermöglichen. Möchte zum Beispiel jemand einen neuen Programmpunkt im Turnier einführen und die Idee passt in das Gesamtkonzept, unterstützen wir das auch finanziell. Zudem haben wir eine sehr gute Diskussionskultur im Team etabliert, wo wir auf alle Bedenken eingehen, auch wenn das sicher manchmal mühsam ist. In diesem Punkt spiegelt die Grenzwacht in gewisser Weise den Verein. So kommen nicht nur ständig frische Ideen in das Konzept, sondern man kann die Aufgaben auf viel mehr Schultern verteilen und damit die Belastung für den einzelnen erheblich reduzieren.

Teilzeithelden: Die Vorteile eines großen Teams sind offenkundig, aber das braucht ihr auch, denn ihr organisiert eines der inzwischen größten LARPs in Deutschland, die Grenzwacht. War das euer Plan oder hat sich das so entwickelt?

Sabrina: Das war nie geplant. Die Grenzwacht ist als „Fress- und Saufcon“ entstanden, für unsere Freunde und uns Engonier (lacht). Irgendwann wurden es schließlich immer mehr Leute, die dazu kamen und die Grenzwacht als Saisonbeginn für ihr LARP-Jahr nutzten. Mehr Leute hieß dann auch, dass wir mit den Teilnehmerbeiträgen unser Ambiente verbessern oder Attraktionen wie das Turnier finanzieren konnten. Das wiederum lockte mehr Leute an.

Jeremias: Und dieser Zyklus läuft immer noch. Wir haben aktuell über 50 Anmeldungen mehr als letztes Jahr und erweitern unser Angebot ebenfalls. Das Einzige, was aber immer gleich geblieben ist, was quasi die DNA der Grenzwacht ausmacht: Auf der Grenzwacht gibt es keinen klassischen Plot, sondern den Spielern soll die Möglichkeit für ruhiges und entspanntes Spiel mit anderen Spielern gegeben werden.

Spiel auf der Grenzwacht

Teilzeithelden: Was denkt ihr, macht für Spieler den Reiz der Grenzwacht aus?

Sabrina: Die Grenzwacht erlaubt aufgrund ihrer Offenheit und Flexibilität einen Raum für sehr freies Spiel. Das Setting des Landeshintergrunds bietet einen lebendigen Rahmen und ist gleichzeitig für möglichst viele Konzepte offen. Wir diskutieren beispielsweise immer grundsätzlich, wie wir adeligen und nichtadeligen Charakteren etwas bieten können, weswegen ja auch das Helmholzen und das Bogenturnier ein fester Bestandteil der Grenzwacht sind und nicht nur das ziemlich große Ritterturnier.

Jeremias: Diese Vielfältigkeit der Spielangebote bei gleichzeitiger Freiheit, ob man sie wahrnimmt, macht die Grenzwacht aus. Jeder kann sich jederzeit entscheiden, wie sehr er beim offiziellen Programm mitmachen will und wird zu nichts gezwungen. Da spürt man auch die oben erwähnte grundlegende Philosophie der Grenzwacht, die ich als damals ganz junger Larper im Jahre 2003 auf der Grenzwacht 4 kennengelernt habe.

Teilzeithelden: Moment, wenn 2003 die Grenzwacht 4 war und ihr jetzt bei 22 seid, wie kommt man dann auf das Jubiläum?

Jeremias: Ich ahnte, dass diese Frage kommt. Tatsächlich ist die Zählung vor 2005 ziemlich abenteuerlich und es gab zum Beispiel keine Grenzwacht 13. Irgendwann haben wir uns dann auf eine „offizielle“ Zählung ab 2003 geeinigt. So kommen wir 2018 dann auf unser Jubiläum.

Teilzeithelden: Gutes Stichwort! Was erwartet die Spieler neues 2018?

Jeremias: (lacht) Einiges. Nein, ganz im Ernst, wir haben ein neues Turnierangebot: Ein Gestampfe, das von Spielern organisiert wird.

Dann haben wir unsere etwas in die Jahre gekommenen Turnierpferde überholen lassen. Unser Tavernenkonzept wurde leicht abgeändert, die Wegkreuztaverne ist nun unsere Antwort auf die letztjährige Kritik am bisherigen Konzept.

Sabrina: Als eine der wichtigsten Änderungen für unsere Adelsspieler sehe ich die Gründung einer Turniergesellschaft, da die Aufgabenlast des offiziellen IT-Gastgebers in den letzten Jahren so stark gestiegen war, dass eine einzelne Person das auch OT kaum noch bewältigen konnte. Ich möchte an dieser Stelle bereits an unsere Teilnehmer appellieren: Nach der Grenzwacht ein Feedback per Mail oder im Forum zu hinterlassen ist für uns sehr hilfreich, und wir lesen immer alles durch.

Teilzeithelden: Habt ihr euch selber eine Grenze für Wachstum gelegt?

Jeremias: Offiziell? Wir sehen eine organisatorische Schallgrenze bei 600 Personen erreicht. Inoffiziell? Wenn wir deutlich mehr als 500 Teilnehmer haben, dann werden wir nochmal diskutieren, ob und wie wir das machen wollen. Im Moment rechnen wir aber gerade so mit 530 Teilnehmern, das Thema wird also vermutlich erst in zwei Jahren akut.

LARP für Jugendliche

Teilzeithelden: Ihr macht auch LARPs für Jugendliche, erzählt uns ein bisschen mehr darüber?

Sabrina: Im Rahmen unserer Anfängercons ermöglichen wir Jugendlichen ab 16 Jahren – mit Erlaubnis ihrer Erziehungsberechtigten – teilzunehmen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Anfänger-Tages-LARP Immergrün 1 – die Blumen der Hisberin, das im August stattfindet und den Auftakt der nächsten Anfänger-Conreihe des Engonien e.V. bildet.

Teilzeithelden: Geht es dabei „nur“ um Spaß oder wollt ihr den jungen Menschen auch etwas vermitteln?

Sabrina: Vorrangig geht es darum, in jungen Menschen die Begeisterung für Live-Rollenspiel zu wecken. Wir verfolgen zwar kein pädagogisches Konzept, möchten aber vorstellen, warum das Hobby Spaß macht und begeistert und halten daher Barrieren wie zum Beispiel den Preis sehr gering, indem unser Vorstand die Orga bezuschusst. Erfahrungsgemäß bleiben einige der Besucher unserer Anfängercons dem Verein erhalten, sei es als Mitglied durch einen Beitritt oder einfach als befreundeter Spieler oder NSC.

Teilzeithelden: Plant ihr eure Aktivitäten in dem Bereich auszubauen?

Jeremias: Von 2012 bis heute hatten wir pro Jahr mindestens eine Veranstaltung für Anfänger, damals noch mit den Waldgeflüster-/Firngard-Cons und der Middenfelz-Reihe. Lediglich 2017 stellte eine Ausnahme dar. Mehr als eine Anfängercon pro Jahr wird es wahrscheinlich nicht geben, schließlich haben wir mit der Grenzwacht und mehreren Abenteuer- und Akademiecons schon sehr viel vor.

Teilzeithelden: Was ist eure Vision von LARP und dem Engonien e.V.?

Jeremias: Das ist eine unglaublich schwierige Frage. Fangen wir mit unserem Verein an: Nach unserem Wunsch soll der Engonien e.V. weiter eine Plattform für verschiedene Orgas sein und gleichzeitig seine Möglichkeiten nutzen, um LARP an sich zu unterstützen. So diskutieren wir auf der nächsten Mitgliederversammlung darüber, inwieweit wir die Organisation des MittelPunkt 2019 unterstützen können.

Sabrina: Über LARP an sich haben viele kluge Menschen schon viele kluge Dinge geschrieben. Daher will ich es kurz halten: Für uns ist LARP eine Aktivität, die eine Menge mehr beinhaltet als die reine Freizeitaktivität. Von den klassischen Fantasy-LARPs, was wir ja selber auch machen, bis hin zu Bildungs-LARPs und LARP-Schulen. Wir wünschen uns daher eine entsprechende Wahrnehmung von LARP in der Öffentlichkeit und halten es daher auch für unbedingt nötig, in die vorhandenen Verbandsaktivitäten zu intensivieren.

Bilder: Jungblut Photographie und Ralf Hüls

 

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