Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Heilerin oder Schildmaid? Was hat sich getan in Bezug auf die Rollenbilder, für die sich weibliche Liverollenspielende entscheiden, und wie zeigt sich der Wandel in der Fantasy-Kultur der letzten Jahre im modernen Liverollenspiel?  Diese Fragen wollen wir in einem kleinen Erfahrungsbericht näher beleuchten.

„Wenn dein Freund dich fragt, ob du bei seinem RPG mitmachen willst, dann weißt du, dass er dich wirklich liebt. Außerdem braucht er eine Heilerin.

So oder so ähnlich wurde bis vor ein paar Jahren noch gern gewitzelt, wenn es um Frauen und ihren Beitrag im (Live) Rollenspiel ging. Glücklicherweise verschwinden dieses und ähnliche Statements langsam von der Bildfläche des Hobbys.

Doch ändert sich auch etwas in Bezug auf die Rollen, die (junge) Frauen sich im Larp aussuchen?

Unsere Autorin hat sich dieses Jahr auf dem DrachenFest einmal etwas genauer zu diesem Thema umgeschaut, und erfreut festgestellt: The future is female.

Ein Frontbericht aus dem Silbernen Lager auf dem DrachenFest 2022.

Men act – women are.

Männer handeln – Frauen sind.

Dieses Stilmittel bestimmte lange die Frage, welche Rolle es sein soll, wenn eine Frau ins Hobby Larp einsteigen wollte.

Oft waren, und sind noch heute, die ersten geistigen Anlaufstellen die klassisch weiblich codierten Charaktere: Die Heilerin, die Elfe, die Alchemistin oder die Magd.

Wohl auch, weil junge Spielerinnen sich erst einmal ausprobieren möchten, genau wie ihre männlichen Mitspieler. Doch deren erste Wahl geht erfahrungsgemäß meist erst zum Konzept „Krieger“, und entwickelt sich von dort aus weiter.

Wenn sich eine Spielerin für eine kriegerische Rolle entscheidet, dann wird eher die Bogenschützin gewählt als die Nahkämpferin – ein weiterer Klassiker, wie er uns aus der phantastischen Literatur und einschlägigen Filmen bekannt ist – elegant, sauber und in Distanz zum*zur Gegner*in. Obwohl Bogenschießen im Larp nicht weniger Verantwortung und Materialeinsatz fordert als jede andere Krieger*innenklasse, erscheint es doch oft als der „sanftere“, der etwas weniger anspruchsvolle Einstieg.

Die Darstellung einer Bogenschützin, wie auch alle anderen oben genannten Konzepte, sind absolut valide, und sollen Spiel generieren und Freude bereiten. Sie stehen jeder Spielerin absolut frei und können Spielspaß für alle Beteiligten gleichermaßen fördern.

Leider bedienen sie aber auch in gewissem Maße ein Klischee, nämlich, dass weibliche Spielende auf diese Rollen limitiert sind, oder dass sie für sie besonders „angemessen“ seien.

© Nabil Hanano
© Nabil Hanano

Dies kann aus sicherheitstechnischen Überlegungen geschehen, denn es bedarf einer bewussten Entscheidung, sich einer im Durchschnitt größen- und gewichtsmäßig überlegenen Überzahl entgegenzustellen. Außerdem werden Frauen im alltäglichen Leben weniger darauf geprägt, körperliche Konfrontation als erstrebenswerte Option zu sehen.

Wie oft hören wir Sätze wie „die Existenz von Kriegerinnen ist historisch nicht nachgewiesen“, oder dass „ein Schwert für eine Frau viel zu schwer“ gewesen sei? Beides ist mittlerweile auch aus wissenschaftlicher Sicht anzuzweifeln. Trotzdem sitzen diese Überzeugungen noch tief in den Köpfen.

Aber Liverollenspiel ist, ungeachtet der Quellenlage, glücklicherweise nicht starres Historienspiel, sondern Phantasik, und Phantastik ist für alle da.

Und es tut sich was.

Im allgemeinen Bewusstsein gepusht von Formaten wie Game of Thrones, Vikings, The Witcher und Klassikern wie Wheel of Time und Herr der Ringe, nimmt die Zahl der Spielerinnen in kriegerischen Rollen in den letzten Jahren konstant zu.

Das Gleiche gilt, wenn man einen Blick in die jüngere Phantastik-Literatur wirft. Charaktere werden diverser, und auch die Hauptfigur der Helden*innenreise heißt nicht mehr nur Harry oder Frodo.

Auch die bessere Erreichbarkeit von Kampfsportarten wie zum Beispiel Historisches Fechten und HEMA (kurz für Historical European Martial Arts), die in der Community im Trend liegen, trägt dazu bei, dass Spielerinnen sich im täglichen Leben leichter ein größeres Selbstbewusstsein und ein Gespür für historisch geprägte Kampfdarstellung aneignen können.

Es wäre abwegig zu erwarten, dass das in den letzten Jahren gewachsene Bewusstsein für und das Streben nach mehr Gleichberechtigung unter den Geschlechtern und mehr Diversität in der Darstellung nicht auch im Hobby Larp ankommt.

Frauen an die Macht? Macht’s gemeinsam!

Hier ist die Welt in Ordnung. © Hagen Hoppe Photographer

Allein im Silbernen Lager traten in diesem Jahr vier Frauen um den Championstitel an – viermal mehr als auf dem DrachenFest 2019 – eine der Bewerberinnen schlug nur knapp am Titel für das Lager vorbei. Die Kämpfe waren allesamt von hoher Qualität, und durchweg schön anzusehen. Spieler wie Spielerinnen schenkten sich nichts und lieferten den Anwesenden eine tolle Show.

Mit der ersten Frau in der Heerführung des Lagers, in diesem Jahr erstmals einer gemischten Doppelspitze, wurde eine weitere Premiere geschrieben.

Auch hier zeigte sich: Teamwork zahlt sich aus.

Hatte Silber auf dem letzten DrachenFest zum erst zweiten Mal eine Frau zur Lagerkommandantin gewählt, so bildete diese Spielerin in diesem Jahr das eiserne Rückgrat des Lagers in Sachen Plot und Questen, nachdem sie im Lauf des Jahres bereits die Lagerplanung übernommen hatte. Und auch die Diplomatie lag sicher bei einer gemischten Doppelspitze.

Das geflügelte Wort von der „kleinen, zornigen Frau“ begann bald die Runde zu machen – und war mit Sicherheit kein kleiner Teil des wiederentdeckten Schwungs, den das Lager in diesem Jahr an den Tag legte.

Auch in den anderen Lagern konnte man ähnliches beobachten. Die Leitung der Diplomatie war im Siegerlager Gold fest in weiblicher Hand. Ein Umstand, der sich ausgezahlt zu haben scheint, wenn man sich die dynamische Bündnispolitik und den Ausgang des Festes anschaut, in dem Gold sich die Krone des Jubiläums-Festes sicherte.

Blau führte eine kompetente stellvertretende Heerführerin und eine viel gefragte Schlachtfeld-Diplomatin ins Feld, die das Seefahrer- und Freibeuter-Heer beeindruckend wendig in Schlacht- und Bündnispolitik hielten.

Und an dieser Stelle sei angemerkt, dass auch die Mehrzahl der Avatare aktuell von Frauen dargestellt wird – das gesamte Spektrum von der engelsgleichen Erscheinung in Weiß bis zur faszinierend gruseligen Tochter des Wandels.

Auf der anderen Seite erleben die „klassisch“ weiblichen Rollen, Heilerinnen und Klerus, einen Wandel, denn die traditionell „sanften“ Rollen sehen einen Zuwachs an männlich gelesenen Spielenden. Erfrischend mitfühlendes Heilerspiel, weit ab von Feldscher und Knochenbrecher, spielte sich auf diesem zurückliegenden DrachenFest ab.

© Nabil Hanano
© Nabil Hanano

Junge Frauen trauen sich. Und sie trauen sich immer mehr.

Bei vielen der heute bereits erfahrenen Spielerinnen hat es Jahre gedauert, sich in entsprechende Positionen hochzuspielen, oder sich ein Herz zu fassen und eine Rolle mit Verantwortung und Prestige anzustreben. Oft begleitet von In-Time-Sexismus, der den Spielspaß nur bedingt fördert, da die Schnittmenge ins reale Leben doch oft unangenehm groß ist.

Dazu liegt es noch immer leider für weibliche Spielende viel zu nahe, der Versuchung zu erliegen, „nicht wie die anderen Mädchen“ zu sein, um den oben genannten Sprücheklopfern keine Angriffsfläche zu bieten – oder sich gar zu beteiligen.

Die einzige Kriegerin in der eigenen Gruppe zu sein, oder sich einen Hintergrund zu bauen, in dem der Charakter auf Kosten anderer Frauen aus dem traditionellen Rollenbild ausgebrochen ist: Das ist leider das traurige Äquivalent des von Orks niedergebrannten Heimatdorfes.  

Doch auch hier ergab sich im Silbernen Lager in diesem Jahr eine Queste, die unerwartet gut geeignet war, diesem Muster die Stirn zu bieten, und der „nächsten Generation“ die Hand zu reichen, statt die Ausnahme zu bleiben und den eigenen spielerischen Erfolg allein zu beanspruchen.

Im Rahmen des von den Spieler*innen liebevoll „Azubi-Queste“ genannten Auftrags von ganz oben, war die Führungsriege angehalten, sich einen Lehrling an die Hand zu nehmen, und diesem für einen Tag das hart erkämpfte Amt, und damit das Rampenlicht zu überlassen.

Sowohl Chefdiplomatin als auch der weibliche Part der Heerführung nutzten die Gelegenheit, zu zeigen, dass sie in ihren Ämtern keine Ausnahme-Erscheinung sein wollten.

Eine Heilerin wurde Chef-Diplomatin, und eine junge Spielerin aus den USA kommandierte gemeinsam mit ihrem Amtskollegen das Heer.

War das Ziel der Queste die Nachwuchsförderung im Lager, so war die Botschaft der Spielerinnen eindeutig. Wir sind angekommen und geben diesen Platz nicht wieder her. Wir geben ihn weiter.

All das sind kleine Erfolge, so unspektakulär sie sich lesen mögen.

Nicht, weil im Hobby Larp auf einmal der große feministische Umbruch stattfände – oder stattfinden müsste.

Sondern weil sie zeigen, dass es sich lohnt, wenn Spielenden aller Geschlechter auch alle Möglichkeiten offenstehen, und dass es sich genauso auszahlt, diese Möglichkeiten allen zugänglich zu machen.

Larp lebt von Klischees. Das haben wir alle schon gehört.

Doch auch das verlässlichste Klischee überlebt sich irgendwann, wenn es als Leitfaden für schönes Spiel ausgedient hat.

Außerdem gibt es einen viel schöneren Spruch: Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Nutzen wir doch lieber den.

Artikelbilder: © Hagen Hoppe, © Nabil Hanano
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Nina Horbelt
Fotografien: Hagen Hoppe

3 Kommentare

  1. „Magd“? Ich LARPe seit 1998 und habe noch nie eine SC-Rolle „Magd“ gesehen. Kriegerinnen in Führungspositionen dagegen von Anfang an.
    Ob heute der Anteil von Frauen in kriegerischen Rollen gestiegen ist? Wahrscheinlich im gleichen Verhältnis wie der Anteil weiblicher Teilnehmer am LARP, vermute ich. Zahlen habe ich keine, habe aber auch keine Statistiken im Artikel gefunden.
    Falls es stimmt, dass sich im LARP heute Frauen mehr trauen als früher (was bedeuten würde, sie hätten sich früher weniger getraut, woran ich aber Zweifel habe), wäre das selbstverständlich eine begrüßenswerte Entwicklung.

  2. Nachtrag: Hast du denn 2009 Ausgrenzung im LARP aufgrund deines Geschlechts oder anderen Gründen erfahren? Häufig? Selten? Nie? Ist das in den letzten 5 Jahren besser geworden?

    • Danke für Deine Kommentare! :)

      Ausgrenzung direkt würde ich es nicht nennen, aber ich war lange die einzige Kriegerin in meiner damaligen Gruppe, und habe das auch in anderen LARP-Gruppen so gesehen und erlebt, dass das eher die Ausnahme-Erscheinung war.
      Und die Spielerinnen haben das auch (leider) oft so bespielt, und damit das Klischee von „not like other girls“ bedient. Da nehme ich mich auch gar nicht aus.
      Ich beobachte da in den letzten Jahren tatsächlich einen Wandel.

      Zu Deinem ersten Kommentar:
      Ja, ich habe in meinen Anfangsjahren noch viel häufiger gehört „fang doch erstmal mit was Einfachem an“, und dann den Vorschlag der o.g. klassischen Rollen – als wäre Heilerspiel einfacher als eine kriegerische Rolle, was es nicht ist.
      Und natürlich hast Du Recht, es ist nicht so, dass es Frauen in Führungsrollen früher gar nicht gegeben hätte. Was sich aber meiner Beobachtung nach (denn es handelt sich um einen Erfahrungsbericht) geändert hat, ist das Verhältnis zwischen männlich und weiblich gelesenen Spielenden, das heute wesentlich ausgeglichener ist. Und das halte ich tatsächlich, wie Du schon sagst, für eine begrüßenswerte Entwicklung :)

      Alles Liebe,
      Josephine

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein