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Wenn mehrere Spieler*innen gemeinsam Rollenspiel betreiben und ihre Charaktere auf Abenteuer ausschicken möchten, kann es gelegentlich vorkommen, dass diese partout nicht zusammenpassen wollen, wie rechtschaffen gute Paladin*innen und sinistre Schwarzmagier*innen. Wie man diese Konflikte erkennen und umschiffen kann, erfährst du in diesem Artikel.

Von den Grenzen der Freiheit

Pen-and-Paper-Rollenspiel ist ein Hobby, welches unglaubliche Wahlfreiheit in der Gestaltung von Welten, Charakteren und Geschichten bietet. In kaum einem anderen Hobby kann man so leicht und dauerhaft Einfluss auf die Gestaltung seines Spiels nehmen. Diese Freiheiten machen Pen-and-Paper zu einem großartigen Zeitvertreib, unabhängig davon, ob man ein eher regelleichtes Spiel wie Durance-Gefangen! oder doch lieber ein Spiel mit viel Micro-Management wie Das Schwarze Auge 4.1 erleben möchte („Ja, ich weiß ganz genau, wie gut mein Charakter Tanzen, Töpfern und Heraldik beherrscht, Danke.“).

Manchmal gibt es jedoch schon von Beginn der Gruppenzusammenstellung an ein grundlegendes Problem:

die Held*innen können nicht miteinander!

Damit sind keinesfalls die Spieler*innen gemeint, sondern ihre Charaktere, genauer ihre Motivation und Gesinnung. Manche grundlegenden Charakterkonzepte scheinen sich aus Prinzip und zwingend auszuschließen. Man braucht nicht unbedingt die breite Auswahl an Charakterklassen und Hintergründen von Das Schwarze Auge, damit einem „problematische“ Konstellationen ins Auge springen:

  • rechtschaffen gute Paladin*innen vs. chaotisch böse Kultist*innen
  • magiehassende vs. magieanwendende Charaktere
  • fortschrittlich/industriell veranlagte Forschende vs. militante Naturschützer*innen
  • Hexenjäger*innen vs. Hexen*Hexer
Manchmal können scheinbare Gegensätze gut harmonieren. © Depositphotos | pyotr21

Man sieht schon an dieser sehr kurzen und keineswegs vollständigen Liste, dass schon von Gruppengründung an Konfliktpotential vorhanden ist. Ob sich dieses Potential zu einem Pulverfass entwickelt und in weiterer Folge zu einem Problem wird, soll im Folgenden erörtert werden.

Wir haben zu Beginn dieses Artikels bereits festgestellt, dass Pen-and-Paper von seiner Freiheit lebt, aber dass das gemeinsame Spiel die Basis jeden Spielspaßes ist. Aus diesen Annahmen folgt:

  1. Ich habe in Pen-and-Paper unglaublich viele Freiheiten.
  2. Gemeinsames Spiel kann nur dann stattfinden, wenn alle Spaß haben.

Aus diesen beiden Sätzen leitet sich folgende Frage ab:

Was ist wichtiger – Freiheit oder Spaß?

Nehmen wir folgenden Fall an: Es wird eine neue Gruppe gestartet, alle Mitspielenden kennen und mögen sich und möchten gemeinsam spielend Zeit verbringen. Die Spielleitung hat das Setting und die relevanten Rahmenbedingungen vorgegeben und man trifft sich zum ersten Mal zum Spielen. Und es ergibt sich, dass die Mitspielenden gerne endlich ihre Paladin*innen, Nekromant*innen, Hexen*Hexer, Orks et cetera auspacken und spielen würden. Und warum auch nicht? Schließlich sind es legitime Charakterkonzepte, innig von ihren Spieler*innen geliebt und auf deren Einsatz mit Freuden hingefiebert worden ist.

Nur, um dann entweder ein „Nein, geht nicht!“ der Spielleitung oder das Murren und Seufzen der anderen Spieler*innen zu hören, wenn der Charakter doch mitspielen darf. Beide Varianten der Ablehnung sind unelegant und können auf die ein oder andere Weise umgangen werden.

Teile deine Ideen zum Charakter der Spielleitung mit! Vielleicht lassen sich so eventuelle Probleme schon im Vorhinein vermeiden. Eine andere interessante Variante, die in manchen Rollenspielen wie Durance-Gefangen! sogar zwingend ist, die Charaktere gemeinsam mit den anderen Mitspielenden zu bauen.

Natürlich könnte man sich als Spielleitung mit Recht auf den Standpunkt stellen, dass die Spieler*innen für ihre Charaktere und damit auch ihre Gruppenkompatibilität verantwortlich sind, sich zurücklehnen und die Mitspielenden das Problem lösen lassen. Und das kann, in den richtigen Konstellationen, sogar gut funktionieren und Plot dort entstehen lassen, wo man ihn gar nicht erst vermutet hätte. In der überwiegenden Anzahl der Fälle wird die Situation durch eine passive Spielleitung jedoch leider nur verschärft.

Mögliche Lösungen, um dennoch mit nicht kompatiblen Charakteren spielen zu können, wären:

  1. Ihr seid durch eine höhere Macht/Bedrohung zusammengeschweißt und müsst jetzt da durch.
  2. Ich bin mit der Gesinnung meines Gegenübers nicht einverstanden, aber seine Methoden sind unbestreitbar effektiv.
  3. Ich reise mit der Gruppe mit, um Schlimmeres zu verhindern.

Aber wenn ich mich einschränken muss, ist es doch kein freies Rollenspiel mehr?

Man ist frei in seinen Handlungen, aber nicht in den Konsequenzen, die aus den eigenen Handlungen resultieren. Natürlich kannst du darauf bestehen, dass du Charaktere wie Nekromant*innen, Fanatiker*innen oder andere möglicherweise problematischen Gruppen spielen darfst. Du hast jedoch kein Anrecht darauf, automatisch in einer Runde positiv aufgenommen zu werden, wenn du keinerlei Wert darauf gelegt hast, nachzufragen, was in der Runde gut spielbar wäre. Die meisten Spielleitungen werden ohnehin „Spiel, was dir Spaß macht“ antworten. Wie hilfreich eine solche Antwort für dich ist, sei mal dahingestellt. Manchmal können sie dir aber mit konkreten Vorschlägen helfen, was du spielen könntest.

Aber ich will diesen Charakter spielen! Wo ist mein Recht am Spiel?

Warum möchtest du den großherzigen Paladin spielen? Was reizt dich an der Nekromantie? Warum willst du dieses Charakterkonzept ausprobieren?

Wenn sich ein oder mehrere Gegensätze abzeichnen, du als Spieler*in aber unbedingt dieses Konzept spielen möchtest, bietet sich vielleicht eine kleine Änderung an, um die Gruppe harmonischer zu gestalten – ein Kompromiss. Wenn dich ein strahlender Paladin reizt, der Rest der Gruppe aber mehr auf „graues“, also moralisch ambivalentes Spiel Lust hat, wie wäre es mit einem gefallenen Paladin? Wenn die sinistre Nekromantin nicht so recht zum Rest der Gruppe passen möchte, könntest du vielleicht eine übellaunige Heilerin spielen (denn schließlich beschäftigen sich beide mit dem Leben und seinen Grenzen). Anstatt des Hexers, wie wäre es mit einem leutseligen Druiden? Diese Beispiele sollen dir nicht die Lust an deiner Charakteridee nehmen, sondern lediglich zeigen, dass es in dem Bereich „Charakterkonzept“ ein breites Spektrum an Möglichkeiten gibt, eine Spielidee auch zu verwirklichen. Charakterkonzepte sind Schablonen. Aber diese Schablonen bieten einen breiten Rahmen dafür, was man mit ihnen alles anstellen und ausprobieren kann.

Frag dich selbst, was dich an diesem Charakter zu spielen interessiert und was ihn besonders und faszinierend macht. Du findest bestimmt Möglichkeiten, wie man den Charakter in eine Gruppe integriert. Wenn du als neue*r Mitspieler*in in eine bestehende Runde einsteigst, ist es nicht verkehrt, zu fragen, was denn ein Problem verursachen könnte. Sämtliche Runden, die es wert sind, dich als Mitglied zu haben, werden dir dabei gern helfen.

Die Spezialisierten

Edle*r Paladin*in oder dunkle*r Rächer*in? Du entscheidest. © Depositphotos | fotokostic

Wenn sich für dein Charakterkonzept partout keine passende Spielrunde finden mag, ist es vielleicht in einer Runde von spezialisierten Charakteren am besten aufgehoben. Gerade in Settings wie Warhammer (40.000 oder Fantasy) sind Gruppen aus fanatischen Inquisitor*innen nicht nur angemessen, sondern vielmehr ein Archetyp de17s Spiels. Blutsaugende Ungeheuer finden hingegen in der World of Darkness einen sicheren Hafen. Ein Zirkel hehrer Paladin*innen oder dunkler Nekromant*innen kann in einer darauf ausgelegten Runde umso besser funktionieren. Dies erlaubt auch der Spielleitung, speziell darauf ausgelegte Abenteuer zu planen und zu leiten.

Schlag in deiner Spielrunde doch einmal vor, solche spezialisierten Charaktere zu spielen. Vielleicht ist es genau das, worauf auch deine Mitspielenden gewartet haben. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass man durch die gewählten Charakterkonzepte nicht im Ton der Kampagne eingeschränkt ist – eine Gruppe Paladin*innen kann man als gnadenlose Fanatiker*innen, die über Orkbaby-Leichen gehen, ebenso gut spielen wie eine Gruppe junger Nekromant*innen in einem Setting, das eher an Hogwarts denn Brabak erinnert (eine Idee, die ich gerne einmal leiten würde).

Konsequenzen

Nein, tu es nicht! Ich habe nur meine Gesinnung ausgespielt!

Ich auch.“ – Paladin zum Dieb, welcher die Gruppe ausgeraubt hat, als er ihm die Hand abschlägt.

Manches mal ist es auch eine legitime Möglichkeit, die Spielenden auch die Konsequenzen ihrer Charakterwahl einfach am Spieltisch ausleben zu lassen. Wenn es niemanden stört, kann man durchaus auch mal ein Szenario ausprobieren, in dem gegeneinander gespielt wird, wobei das meistens in einem Ende der Runde resultieren dürfte und deshalb nur bedingt empfehlenswert ist.

Wesentlich schönere Ergebnisse könnte man mit einem „Ja, aber“-Ansatz erzielen. In einer Runde, in welcher sich beispielsweise Charaktere befinden, welche die Toten erwecken können, und andere Charaktere, denen dies ein Gräuel ist, könnte man sich auf Folgendes einigen: Nekromant*innen mehr als post- und transmortale Kommunikationsexpert*innen denn als Leichenfledderer zu spielen. Wenn diese Charaktere, welche mit den Toten kommunizieren können, ihre Kräfte eher dazu einsetzen, Wissen zu erlangen, ist das auch für klerikal orientierte Charaktere wesentlich leichter zu verkraften als die üblichen, Friedhöfe aufwühlenden Verdächtigen. 

Ebenfalls ein schöner und rollenspielerisch interessanter Ansatz ist es, die Charaktere erst im Laufe des Abenteuers zueinander wachsen zu lassen. Für den Frieden und die Harmonie am Spieltisch ist es keineswegs notwendig, dass sich die miteinander agierenden Charaktere gut leiden können – sie können sogar eigentlich verfeindet sein, solange sie einem höheren Ziel dienen. Solange die Spielenden damit umgehen können, kann man auch so einen Ansatz ausprobieren. Dabei muss man sich nur vorher überlegen, was geschehen soll, wenn das größere Übel beseitigt ist und die Charaktere eigentlich keinen Grund mehr haben, zusammen zu bleiben. Wenn die Kampagne und Runde danach sowieso zu Ende ist, ist das kein Problem. Wenn nicht, lauert vielleicht das nächste große Problem um die Ecke oder die Charaktere haben auf dem Weg zu ihrem Erfolg positive Seiten an ihren Mitstreiter*innen entdecken können. Leider kann man dies nicht im Vorhinein erwarten und es hängt deutlich von den Aktionen der Spielenden und den in den Weg gelegten Herausforderungen der Spielleitung ab.

Fazit

Manche Charakterkonzepte harmonieren einfach nicht gut miteinander. Das muss gar nicht aus bösem Willen der Spielenden geschehen, sondern resultiert aus entgegen gesetzten Wünschen der gespielten Charaktere. Mit gutem Willen aller Beteiligten können aber viele der bereits aufgezeigten Konfliktpotentiale vermieden oder zumindest abgemildert werden.

  1. Hab keine Angst zu fragen, ob dein Charakterkonzept Probleme mit sich bringen könnte.
  2. Sei bereit, das ein oder andere Detail an deinem Charakter zu ändern, wenn es dir auf lange Sicht mehr gemeinsames Rollenspiel und damit Freude am gespielten Charakter bringt.
  3. Weise deine Mitspielenden ruhig im Vorhinein darauf hin, wenn du Probleme zwischen den Charakteren auf euch zukommen siehst.

Bedenke immer, dass die allermeisten Spielgruppen zusammen kommen, um gemeinsam Spaß zu haben. Mit etwas gutem Willen lassen sich die gröbsten Probleme gemeinsam lösen. Viel Erfolg dabei.

 

Artikelbilder: © Depositphotos | Rangizzz
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Giovanna Pirillo

1 Kommentar

  1. Sinnvolle tipps, auch wenn ich das meiste (als erfahrener Rollenspieler) als selbstverständlich nehmen würde.
    Einzig schade finde ich, dass der Paladin in diesen Beispielen (wird ja oft erwähnt!) einzig und allein als Fanatiker dargestellt wird, wobei ich als langjähriger Paladin-Spieler eher empfehle im ewigen Zwiespalt zwischen ‚was ist das wirklich Gute‘ und ‚was ist das wirklich richtige‘ zu stehen. Wenn eine Charakterklasse schon so oft erwähnt wird sollte man vielleicht weniger Beispiele einseitig darstellen, zumal die ganzen Tipps eher an weniger erfahrene Spieler und Spielleiter gerichtet scheinen.

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