Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Brauchen wir noch Rollenspielläden, wenn Regelwerke in Print und PDF überall bestellt werden können? Absolut, meint die Autorin dieser Zeilen. Egal ob in Bremen, Glasgow, Tübingen oder anderswo: Lokale Läden sind wichtig für unser Hobby – als Treffpunkt für Gleichgesinnte, Quelle kompetenter Beratung, erste Anlaufstelle für Neulinge und mehr.

Dass die Coronakrise den Einzelhandel schwer getroffen hat, ist inzwischen keine Neuigkeit mehr. Während Amazon Rekordumsätze macht, fürchten lokale Läden um ihr Überleben. Das gilt auch für die vielen von Phantastik-Fans verschiedenster Couleur geliebten Brett- und Rollenspielläden in deutschen Innenstädten. Klar kann man heutzutage fast alles, was dort verkauft wird, auch im Internet bestellen – mitunter sogar billiger –, aber Spieleläden, die sich zumindest teilweise auf Phantastik und Rollenspiel spezialisiert haben, leisten viel mehr als nur die Lieferung von Regelbüchern, Würfeln und Zubehör. Ein Loblied.

Lokale Läden in der Krise

Auch in der Krise wird gespielt. Mit Discord oder Roll20, über Steam oder Skype, Fans des Brett- und Rollenspiels finden auch in der sozialen Isolation zueinander. Bisweilen schaffen wir es sogar regelmäßiger als früher, rollenzuspielen, weil andere Abendbeschäftigungen ausfallen müssen. Oder man probiert ein neues System aus, weil es sich für das Online-Spielen vielleicht besser eignet als das gewohnte. Bisweilen steigt auch jemand, der lange nicht mehr gespielt hat, steigt wieder in das Hobby ein. In all diesen Fällen braucht man trotz Kontaktbeschränkungen manchmal neues RPG-Zubehör.

Natürlich kann das auch bestellt werden – z. B. Regelbücher im praktischen PDF-Format direkt auf den eigenen Computer oder als Printausgabe, wenn man die Zeit hat, auf die Post zu warten. Aber nun, da Einkaufen in der Stadt wieder erlaubt ist, öffnen auch die Rollenspielläden wieder. Und sie leisten einiges, was das Internet einfach nicht bieten kann. Die wichtigsten Leistungen: persönliche, fachkundige Beratung, Kontakte zu Gleichgesinnten in der eigenen Stadt, die Möglichkeit zur direkten Begutachtung und zum Test der gewünschten Ware und schließlich ein wichtiger Beitrag zum Charakter unserer Innenstädte.

Persönliche Beratung

Einer der Hauptgründe, warum viele Rollenspielfans den lokalen Spieleladen noch immer dem Internet vorziehen, ist die persönliche Beratung durch die Expertin oder den Experten. Klar: Die Angestellten und Betreibenden dieser Läden spielen fast immer selbst und sind auf dem Laufenden, welche Quellenbücher für welches System gerade neu sind. Darüber hinaus nehmen sie sich die Zeit, im Gespräch herauszufinden, welches Produkt für ihr Gegenüber das Richtige ist.

Persönliche Beratung: Moe, Betreiber, und Rike, zuständig für die Pen&Paper-Abteilung des Highlander Games in Bremen (Foto: Luise Loges)

Anders als das gestresste Personal in vielen anderen Bereichen des Einzelhandels haben Menschen, die in Rollenspielläden arbeiten, öfter die Möglichkeit, sich individuell mit ihrer Kundschaft zu beschäftigen. Das ist besonders wichtig für Interessierte, die erst in das Hobby einsteigen wollen. Durch Gespräche, nicht nur mit den Angestellten, sondern auch anderen Menschen im Laden, finden Neulinge das System, das zu ihnen passt. Ein besonders guter Verkäufer in einem Rollenspielladen, der Kaufwilligen gezielt Fragen zu ihren Wünschen stellt und dann punktgenaue Empfehlungen ausspricht, könnte als „so etwas wie ein Sommelier für Pen&Paper“ beschrieben werden. Mit diesem Niveau von persönlicher Beratung kann kein Algorithmus mithalten.

Michael „Moe“ Morawski, der Betreiber des Highlander Games in Bremen, legt Wert darauf, dass die Beratung ehrlich ist: „Wenn es ein Produkt gibt, das nur die Hälfte von dem kostet, was der Kunde zu zahlen bereit ist, aber besser geeignet ist, dann empfehlen wir das. Wir wollen, dass die Leute zufrieden nach Hause gehen und wiederkommen.“ Diese Einstellung ist in vielen – zumindest in allen guten – Rollenspielläden zu finden. Hier wird auf Stammkundschaft gesetzt, weniger auf das schnelle Geld.

Ein sozialer Knotenpunkt

Auch in der Krise unverzichtbarer Teil des Stadtbilds: Spider-Man vor dem Fantasy Empire in Tübingen (Foto: Steffen Kuhn)

Mindestens ebenso wichtig wie persönliche Beratung ist vielen Rollenspiel-Fans die Tatsache, dass lokale Läden fast überall einen sozialen Knotenpunkt darstellen, eine Anlaufstelle, um Gleichgesinnte zu treffen. Gerade in Kleinstädten in ländlichen Gegenden, die nicht selten den einzigen Spieleladen in der Region besitzen, wird dieser oft zum Treffpunkt für die örtliche Rollenspielgemeinschaft. Neuzugezogene, die noch nach Anschluss suchen, haben hier die Gelegenheit, neue Spielrunden zu finden und Freundschaften zu knüpfen. Beispiel: das Fantasy Empire in der süddeutschen Studentenstadt Tübingen. Bestimmt drei Viertel meines Freundeskreises aus Studienzeiten habe ich in diesem kuscheligen kleinen Laden kennengelernt – und zusätzlich mehr als die Hälfte der mir bekannten Rollenspielsysteme. Auch für Neulinge, die sich zwar für Rollenspiel interessieren, aber selbst noch nicht gespielt haben, sind lokale Läden eine erste Anlaufstelle. Hier können sie nicht nur das richtige Startsystem finden, sondern auch potenzielle Mitspielende.

In vielen Läden gibt es ein „Schwarzes Brett“, an dem Spielleitungswillige Systeme anbieten und Gruppen suchen. Die Ladenfläche bietet sich – wenn dies nicht gerade durch Abstandsregeln und Zugangsbeschränkungen verhindert wird – für Gespräche im Themenkomplex Rollenspiel und Phantastik an. Viele Läden haben zudem eine Art „Wochenprogramm“, in dem sich in regelmäßigen Abständen Pen&Paper-Runden treffen, Sammelkartenspielturniere oder Brettspielabende ausgerichtet werden. Das gibt nicht nur dem Laden die Gelegenheit, sein Programm vorzustellen, sondern stärkt auch den Zusammenhalt in der lokalen Gemeinschaft.

Rollenspiel zum Anfassen

Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Faktor ist, dass lokale Läden Rollenspiel „hautnah“ bieten: Die schön gebundene Schmuckausgabe eines Regelwerks, das Würfelset in der perfekten Farbe, beeindruckendes Artwork und vieles mehr lassen sich direkt vor Ort einfach am besten einschätzen. Das ist nicht nur schön, wenn es um das perfekte Geschenk für ein rollenspielendes Geburtstagskind geht – denn wer beschenkt sich nicht auch mal selbst, ganz ohne Anlass? Regelbücher als PDFs und ausfüllbare Charakterbögen sind praktisch, aber es gibt doch immer noch genug von uns, die beim Spielen gerne etwas zum Anfassen haben. Manche nennen es altmodisch, andere bibliophil. Aber wie man es auch nennen mag: Dass dieser Aspekt vielen Menschen wichtig ist, zeigt schon die Tatsache, dass Rollenspielläden auch gerne als Ausstellungsmöglichkeiten für besonders schön gestaltete Miniaturen verwendet werden.

Praktisch ist zudem, dass man bei im Laden ausgerichteten Spielrunden die Gelegenheit bekommt, neue Spielsysteme auszuprobieren, bevor man das Geld für ein neues Grundregelwerk in die Hand nehmen muss. Diese Möglichkeit gilt in der Branche – wie oben schon erwähnt – keineswegs als geschäftsschädigend.

Rollenspielläden als Teil des Stadtbildes

Auch als Teil des Stadtbildes und der lokalen Wirtschaft sind Rollenspielläden vielen Fans des Hobbys wichtig. Ein Starbucks, eine Nordsee, ein Nanu Nana … wer ein bisschen herumgekommen ist, kann manchmal glauben, jede Innenstadt in Deutschland sehe ungefähr gleich aus. Ein Lichtblick – zumindest für Phantastik-Fans – sind dabei die Rollenspielläden. Größere Städte besitzen vielleicht zwei oder drei Läden, in denen Rollenspiele zu finden sind, kleinere eher nur einen. Jeder Laden hat seinen ganz eigenen Charakter. Manche sind im Grunde Buchläden mit Spezialisierung auf Phantastik und einer kleinen Ecke, die auch Regelwerke enthält, manche bieten ein breites Spektrum von irgendwie miteinander verwandten, „nerdigen“ Hobbies – Brettspiele, Pen&Paper, Comics, Tabletop-Zubehör und was nicht alles –, manche sind auf Tischrollenspiel spezialisiert. In manchen Läden kann man gar noch Quellen- und Regelbände finden, die schon seit Jahren nicht mehr gedruckt werden und daher nicht mehr nachbestellt werden können.

Rollenspiel-Café: Das West End Games in Glasgow (Foto: Luise Loges)

Der eine Laden gleicht womöglich einer Grabbelkiste, in der man nach langem Suchen vielleicht einen echten Schatz finden kann, der andere – wie der Highlander in Bremen – ähnelt eher einer Boutique, in der alles, was verkauft wird, auch schön ausgestellt ist. Wieder andere bessern ihre Finanzen mit dem Ausschank von Heißgetränken auf und fungieren somit gewissermaßen als eine Art Rollenspiel-Café, in dem sich Spielrunden treffen. Ein Beispiel dafür ist das West End Games im schottischen Glasgow. Die Stammkundschaft prägt dabei durchaus mit – so werden in manchen Läden Spielsysteme geführt, die woanders nahezu unbekannt sind, während weltweit beliebtere Systeme aufgrund zu geringer Nachfrage kaum vorrätig sind. Durch das Zusammenspiel von Kundschaft und Inhabern gleicht kein Laden dem nächsten.

Nach der Krise – mit Maske in die Zukunft

Die Krise hat lokale Läden hart getroffen. Moe vom Highlander in Bremen sagt „Wir müssen jetzt einfach unser Bestes geben, damit es uns auch weiter gibt. Meine Angestellten kriegen weiter ihr Gehalt – aber für mich persönlich wird das kein gutes Jahr werden.“ Am meisten vermisst er die regelmäßigen Events, die normalerweise auf der Ladenfläche stattfinden, aber im Moment durch die geltenden Abstandsregeln nicht möglich sind. Dadurch fallen neben dem sozialen Austausch auch Einnahmen durch Gelegenheitskäufe weg.

Ein Lichtblick: Auch während der Zeit der Schließung hielt die Kundschaft dem Laden die Treue. Betreiber und Angestellte verbrachten einen Monat lang den größten Teil ihrer Arbeitszeit damit, per Mail oder telefonisch eingegangene Bestellungen in ganz Bremen auszuliefern. Mehr noch: Viele der Bestellungen kamen von Neukunden. Einige Menschen ließen sich große Bestellungen nach Hause liefern, nicht nur, weil sie plötzlich zu Hause nichts zu tun hatten, sondern auch, um den Laden kurzfristig zu unterstützen. „Da war eine große Solidarität in Bezug auf den lokalen Einzelhandel sehr weit verbreitet. Das war wirklich sehr beeindruckend“, sagt Moe.

Erfahrungsgemäß bleibt die Stammkundschaft den lokalen Rollenspielläden treu und kommt wieder, sobald die Läden wieder geöffnet sind. Auch wenn noch Maskenpflicht und Abstandregeln herrschen, wollen die Fans des Hobbys ihre liebgewonnenen Treffpunkte nicht missen. Und auch in der weiteren Bevölkerung scheint sich ein Bewusstsein dafür durchzusetzen, dass den lokalen Einzelhandel zu unterstützen letztlich auch dem ganzen Stadtteil hilft.

Es steht also zu hoffen, dass die meisten der Rollenspielläden die Krise überstehen, denn vor allem in ihrer sozialen Funktion kann der Online-Handel sie einfach nicht ersetzen.

 

Artikelbild: Depositphotos | © mrdoomits
Fotografien: Luise Loges, Steffen Kuhn
Lektorat: Simon Burandt
Layout und Satz: Verena Bach

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein