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Ein zweites Pen-and-Paper-System für Warhammer 40.000? Vom selben Verlag? Braucht es das? Nicht schlecht staunten die Fans der grimmen Zukunft des 42. Jahrtausends, als Cubicle 7 mit Imperium Maledictum ein weiteres System in der düsteren Zukunft ankündigte. Wir haben getestet, ob sich ein weiterer Abstecher in diese Welt lohnt.

Mit Wrath & Glory sollte die düstere Zukunft von Warhammer 40.000, nach langen Jahren des Darbens, ein frisches neues Rollenspielsystem bekommen. Ulisses konnte sich den Zuschlag sichern und veröffentliche 2019 das heiß ersehnte System, denn das beliebte Dark Heresy war längst nicht mehr in Produktion. W6 statt W100, ein schnelles Kampfsystem und maximale Flexibilität für die Gruppenzusammenstellung waren nur einige der Versprechen. Doch der Start verlief holprig und durchwachsene Kritiken begleiteten die Veröffentlichung. Schließlich änderte Games Workshop seine Strategie und vergab die Lizenz neu an Cubicle 7, die bereits die vierte Edition von Warhammer Fantasy RPG verantworteten.

2021 erschien dann eine spürbar überarbeitete Auflage unter der Ägide von Cubicle 7. Seitdem gab es reichlich Begleitmaterial mit neuen Quellbänden, ergänzenden Regeln und Abenteuern. Nach anfänglicher Skepsis der Fans kann man das System als ziemlich lebendig betrachten. Daher kam die Ankündigung von Cubicle 7 vollkommen überraschend, dass man ein weiteres System in der finsteren Zukunft veröffentlichen wird: Warhammer 40.000: Imperium Maledictum. Mehr Fokus auf soziale Interaktionen, deutlich ermittlungslastiger und eine Rückkehr zum W100, wie dereinst in Dark Heresy oder im Warhammer Fantasy RPG.

Doch trotz jubelnder Dark Heresy-Fans stellt sich die Frage: Wie sinnvoll ist ein weiteres System in derselben Welt? Zwar gibt es auch zwei Warhammer-Systeme in einem Fantasy-Setting, doch diese unterscheiden sich allein schon vom Hintergrund, also Alte Welt versus Age of Sigmar. Wir haben den Bolter geladen und das Kettenschwert angeschmissen und uns ins Abenteuer gestürzt.

Triggerwarnungen

Faschismus, Folter, Gewalt, Krieg, Rassismus, Tod, Verstümmelung

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Die Spielwelt

Die Spielwelt von Warhammer 40.000 dürfte, zumindest in groben Zügen, vielen bekannt sein. Wir schreiben das nunmehr 42. Jahrtausend und die Menschheit beherrscht weite Teile der bekannten Galaxie. Leider hat sich dabei nicht der humanistische Weg im Stil von Star Trek durchgesetzt (Wer dies sucht, wird mit Star Trek Adventures glücklicher), sondern das Imperium der Menschheit,  ein tief faschistisch-militärisches, korruptes und bis zur Lächerlichkeit bürokratisiertes System. Auf dem fernen Terra, der Erde, herrscht nominell ein Imperator, der seit über 10.000 Jahren an einen Thron gefesselt ist, der ihn am Leben(?) hält und ihn gleichzeitig zu einem Art Leuchtturm im Warp macht, dazu später mehr. Auf Terra glaubt ein Senat zu herrschen, genauso wie einer der Söhne des Imperators, der Primarch und Lord-Regent Roboute Guilliman.

Die Artworks wissen zu überzeugen.

Faktisch herrschen gierige planetare Gouverneure, verbissene Sektor-Militärs oder regionale Adelshäuser, deren oft illegale Aktivitäten in den Mühlen überbordender Bürokratie untergehen. Wäre das nicht schon Gemengelage genug für reichlich Abenteuer, bedrohen noch verschiedene, in der Regel auch nicht sehr nette Alienspezies die Menschen und es drohen noch schlimmere Gefahren aus dem Warp. Der Warp ist jene Parallelwelt, durch die man schnell die Galaxie durchqueren kann, die aber leider auch von Dämonen belebt ist, die sich sehr gerne auch die Realwelt einverleiben wollen. Ihr kennt Event Horizon? Dann könnt ihr euch den Warp gut vorstellen. Garniert wird dies mit einer schier nicht zu überblickenden Anzahl großer und kleiner Fraktionen im Imperium, die alle ihre oft widerstreitenden Ziele verfolgen. In diesen Wahnsinn werden die Spielenden nun geworfen und versuchen nicht nur Probleme zu lösen und dabei nicht zu sterben, sondern auch nicht Opfer der streitenden Fraktionen zu werden, denn im 42. Jahrtausend gibt es weitaus schlimmeres als den Tod.

Die Regeln

Imperium Maledictum nutzt das aus Warhammer Fantasy RPG und anderen Systeme bereits bekannte Prozent beziehungsweise W100-System. Die Charaktere haben dabei Attribute, Fähigkeiten und Spezialisierungen, auf deren (kumulierten) Wert eine Probe abgelegt wird. Ist das Ergebnis identisch mit dem Wert oder darunter, ist die Probe bestanden. Proben können dabei modifiziert werden, um die Schwierigkeit zu senken oder zu erhöhen.

Jeder begonnene Zehnerwert, zählt dabei als Erfolgsgrad. Dieser kann einen weiteren Einfluss auf das Ergebnis der Probe nehmen, sodass man zum Beispiel mehr Schaden in einem Kampf verursacht. Tritt man dabei in einem physischen oder sozialen Kampf, kann es auch zu vergleichenden Tests kommen. Dort werden Erfolgsgrade miteinander verglichen und entscheiden über den Erfolg eines Angriffes. Bei vergleichenden Tests kann es so sogar zu einem Erfolg kommen, wenn man eigentlich gepatzt hat. Der Charakter war zwar schlecht, aber der NSC schlechter.

Beispiel: Lisa würfelt einen Angriff gegen einen Chaos-Kultisten. Sie nutzt dafür ein Kettenschwert und demzufolge einen Nahkampfangriff. Ihr Wert ermittelt sich aus Weaponskill (32), Melee (10), Spezialisierung Einhandwaffen (10), also 52. Sie würfelt eine 22. Die Zehnerwerte werden subtrahiert 5-2=3. Lisa hat 3 Erfolgsgrade (=Success Level). Der Kultist pariert mit seinem Messer (Wert 40) und würfelt eine 54,

also 4-5=-1. Lisa hat Erfolg und verwundet den Kultisten.

Apropos Kampf: Hier beginnt, wer den höchsten Initiativewert hat und dann wechselt man sich der Reihe nach ab. In seiner Runde kann man sich bewegen, das schließt in Deckung gehen ein, und hat eine Aktion. Die Aktion kann ein Angriff sein, man kann sich die Aktion zum Ausweichen aufsparen, Zaubern oder eine komplexe Handlung vornehmen, zum Beispiel einen Computer bedienen oder Nachladen. Einfache Aktionen sind jemandem etwas zurufen, die Waffe ziehen oder Handzeichen geben. Neu ist, dass das Kampfgebiet in Zonen aufgeteilt wird, deren Größe die Spielleitung bestimmt, die aber in der Regel einen Durchmesser von fünf bis zehn Metern haben sollen. Bewegungen innerhalb der Zone sind immer frei, außer man geht in Deckung. Damit soll mehr erzählerische Freiheit geschaffen werden. Gleichzeitig dienen die Zonen auch als Distanzangabe für Waffenreichweiten. Short ist die eigene Zone, Medium die angrenzende Zone, Long die übernächste Zone und Extreme ist im Grunde unbegrenzt, im sinnvollen Rahmen.

Eine große Neuerung ist das Einflusssystem. Dabei hat der*die Auftraggeber*in der Gruppe einen positiven oder negativen Stand bei anderen Fraktionen des Imperiums, ebenso wie die Gruppe als auch der individuelle Charakter. Einfluss kann man steigern, aber auch verlieren und so ergeben sich im Spiel neue Möglichkeiten. Heute bekommt man noch Zugang zu Transportlisten ohne Probleme, morgen vielleicht nicht mehr, weil man an Einfluss eingebüßt hat. Dies gibt eine spannende weitere Komponente ins Spiel, die Charaktere dazu zwingt, Handlungen wesentlich genauer zu prüfen.

Charaktererschaffung

Die Charaktererschaffung ähnelt der von Warhammer Fantasy RPG, hat jedoch ein paar gravierende Unterschiede. Dies beginnt damit, dass sich die Gruppe samt Spielleitung eine*n Patron*in erstellt. Diese*r Patron*in vergibt primär die Aufträge und bringt nebst der narrativen Komponente, handfeste Vorteile, aber auch Pflichten mit. Diese Hintergrundcharaktere haben dabei eigene Ziele, die man am besten unterstützen sollte, gewisse Charaktereigenschaften und unterschiedlich Einfluss bei verschiedenen Fraktionen. Zu Beginn kann man bis zu vier Vorteile wählen oder auswürfeln, wie zum Beispiel eine geheime Operationsbasis mit guter Ausrüstung, ein Kommandotrupp als Kampfunterstützung pro Session oder ein eigenes Raumschiff.

Das Blatt für Patron*innen ist überschaubar und selbsterklärend.

Allerdings ist die*der Patron*in vielleicht mit jemandem verfeindet oder will, dass man verbotene Artefakte einsammelt. Aus neun Fraktionen mit je zwei Patron*innen kann man dabei wählen, die alle sehr spezielle Dinge mit sich bringen. Mit dabei sind natürlich die Inquisition ebenso wie die Imperiale Garde, aber auch die Imperiale Flotte, Freihändler-Dynastien, das Adeptus Mechanicus (religiöse Techspezialisten) oder Verbrecherorganisationen. Damit ist auch klar, welcher Fraktion des Imperiums man aktuell dient.

Hat man seine*n Patron*in erstellt, geht es nun an die Charaktere selbst. Als einzige Spezies gibt es derzeit Menschen. Im Imperium selbst ist das die vorherrschende Spezies, man kann aber davon ausgehen, dass mit Erweiterungen Ogryns (Oger) und Ratlings (eine Art Halbling) Einzug finden werden. Ob Xenos kommen werden, ist noch unklar. Zumindest theoretisch könnten bei den Freihändlern und einigen Inquisitoren Aeldari(Weltraum-Elfen) oder Kroot (Weltraum-Naturvolk) eine Rolle spielen.

Die Rolle im Team ist entscheidend.

Im ersten Schritt der Charaktererstellung werden die Attribute gewürfelt oder anhand einer fixen Punktzahl frei vergeben, es folgt die Herkunft, die einen Bonus auf Attribute gibt und die Auswahl der ursprünglichen Fraktion samt Beruf. Dies bringt erneut einen Bonus auf Attribute sowie Punkte auf spezielle Fähigkeiten, Einfluss und Ausrüstung. Abschließend wähle ich meine Rolle in der Gruppe, darf es eher Verhandler sein oder doch was Handfestes oder eher jemand der mit dem Intellekt arbeitet? Sechs Rollen stehen zur Auswahl und bringen weitere Fähigkeiten, Talente und Ausrüstung. Nun noch Kurzzeit-Ziel (zwei bis drei Spielrunden) und Langzeit-Ziel wählen und es kann losgehen. Die Erreichung der Ziele bringen dabei EP. Wer alles in der Erschaffung auswürfelt, bekommt bis zu 200 Extra-EP, die frei vergeben werden dürfen.

Das Powerlevel ist recht niedrig zu Beginn, kann jedoch auch deutlich höher angesetzt werden, wenn man will. Die Erstellung von Patron*in und einer Gruppe von fünf erfahrenen Spieler*innen dauerte circa zwei Stunden.

Erscheinungsbild

Cubicle 7 hat sich, wie schon bei der Überarbeitung von Wrath & Glory, für eine weniger comichafte, dafür düstere Aufmachung des Regelwerkes entschieden. Dies war einer der Hauptkritikpunkte am System von Ulisses. Die Illustrationen sind durch die Bank hochwertig und stimmig und vermitteln auch Neulingen einen guten Eindruck der Welt. Der generelle Aufbau ist gelungen und gut nachzuvollziehen, man findet sich sehr schnell zurecht.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Cubicle 7
  • Autor*in(nen): Dave Allen und Weitere…
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF
  • Seitenanzahl: 363
  • ISBN: –
  • Preis: 29,99 EUR
  • Bezugsquelle: Cubicle 7, DriveThruRPG

 

Bonus/Downloadcontent

Als zusätzlichen digitalen Inhalt gibt es Charakterblätter, ausfüllbar und hübsch oder druckerfreundlich, Patron*inblätter und eine Karte des Sektors, in dem man agieren kann.

Fazit

Mit Imperium Maledictum nähert sich Cubicle 7 wieder dem beliebten Dark Heresy an und bereichert es um neue und zeitgemäße Aspekte. Das Regelsystem ist dabei Warhammer Fantasy RPG sehr ähnlich und erleichtert den Einstieg für diejenigen, die bereits das Fantasy-System gespielt haben. Bereits bei der Charaktererschaffung merkt man jedoch, dass das System viel stärker auf Kampagnen statt einzelnen Abenteuern ausgelegt ist, im Gegensatz zu Wrath & Glory, dass sich als Action-Rollenspiel versteht.

Damit beantwortet sich auch schon die eingangs gestellte Frage nach der Sinnhaftigkeit eines weiteren Systems in derselben Welt. Wer von Anfang an auf eine längere Kampagne, mit Charakterentwicklung und auch Metaauswirkungen der Handlungen der Charaktere steht und zudem Spaß an reichlich sozialen Inhalten hat, der wird mit Imperium Maledictum sehr glücklich. Als One-Shot oder Pausenfüller kann das System seine Stärke nicht voll ausspielen. Daher kommen wir hier nicht um zwei Bewertungen umhin. Eine glatte 5 bei Kampagnen und eine verdiente 4 für One-Shots. Die Rezension basierte auf einem Spielabend inklusive Charaktererschaffung.

  • Eingängiges Regelsystem
  • Intensive Charaktererschaffung
  • Interessante Einfluss-Systematik

 

  • Recht schwache Startcharaktere
  • Bedingt geeignet für One-Shots

 

 

Artikelbilder: © Cubicle7, Games Workshop
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Nina Horbelt
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