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Blutsgeschwister sind ein wichtiger, aber oft unbesungener Teil von Werwolf: Die Apokalypse. Sie sind die Töchter, Mütter, Väter und Söhne der Werwölfe, kurz die gesamte Familie. Damit stellt diese Gemeinschaft das Rückgrat und die Überlebensgrundlage der Garougesellschaft dar. Die Familie garantiert den Fortbestand der Art.

Im Laufe des zwanzigjährigen Jubiläums der Welt der Dunkelheit wurden die Hauptsysteme Vampire: The Masquerade, Werwolf: The Apocalypse, Magus: The Ascension, Changeling: The Dreaming und Wraith: The Oblivion als Jubiläumsbände neu aufgelegt. Es folgten weitere Quellenbände für Vampire und Ulisses Spiele hat letzten Sommer einige dieser Bände auf deutsch durch Crowdfunding finanziert. Für Werwolf waren das Wege des Wandlers, Blutsgeschwister, Umbra, Stammesbuch: Weiße Heuler und Zerbrochene Träume.

Das Buch Blutsgeschwister – Ein ganz eigener Schlag handelt von den namensgebenden Blutsverwandten der Werwölfe. Im ersten Quellenband Ende der 1990er (nur in englisch erschienen) wurden sie als die unbesungenen Helden bezeichnet. Im aktuellen Buch wird dieser Aspekt des geringgeschätzen Dienstes für die Werwolfgesellschaft immer wieder aufgegriffen.

Glossar

Blutsgeschwister: blutsverwandte Familienmitglieder der Garou, umfasst Menschen und Wölfe
Caern: Heiligtum mit großer spiritueller Bedeutung für die Garou
Fera: Sammelbegriff für Nichtwerwolf-Gestaltwandler: Werkatzen, Werspinnen, Werratten, Werbären usw.
Fetisch: magischer Gegenstand, in welchem ein Geist gebunden ist
Gaben: magische Fähigkeiten der Werwölfe, Geschenke der Geister
Garou: Eigenbezeichnung der Werwölfe
Hauttänzer: korrumpierte Blutsgeschwister, die sich mittels eines blasphemischen Rituals in einen Garou verwandelt haben (ausführliche Informationen zu ihnen gibt es im Buch Der Häuter von Ulisses Spiele)
Hengeyokai: Sammelbezeichnung der fernöstlichen Gestaltwandler
Nachfahren des Fenris: ein Stamm der Garou, die aus Skandinavien stammen und eine Wikingerkultur pflegen
Ritus der Feuertaufe: ein Ritus, in dessen Verlauf ein spezieller Geist, Blutspürer genannt, an einen Blutsgeschwistersäugling gebunden wird
Schattenlord: ein Stamm der Garou, der ursprünglich aus Osteuropa stammt
Septe: Gemeinschaft aus Garou und Blutsgeschwistern, häufig um einen Caern organisiert
Silberfänge: ein Stamm aristokratischer Garou, der ursprünglich aus Russland stammt
Stamm: größere soziale Einheit der Garou, haben oft gemeinsame Blutlinien, Gebräuche und Lebensweisen
Talen: wie ein Fetisch, der nur einmal verwendbar ist
Tänzer der schwarzen Spirale: ein korrumpierter Stamm der Garou

Inhalt

Einführung zum Canis Homo Familiaris

Das erste Kapitel enthält eine detaillierte Beschreibung des „Garou-Gen“ und der generellen Nachkommenschaft der Garou. An dieser Stelle wird klargestellt, dass die wissenschaftlichen Begriffe wie Genetik, Vererbung und DNS helfen, den Prozess zu verstehen, aber nicht vollkommen auf die mystischen Umstände der Zeugung und der Geburt eines Garounachkommen zutreffen.

Die Gesellschaft der Blutsgeschwister

Der Hauptteil des Buches stellt die Kultur der Blutsgeschwister vor. Diese Kultur ist immer eine Weiterführung des jeweiligen Stammes der Garou. Im Laufe des Kapitels wird auf die Unterschiede der 13 Stämme detailliert eingegangen. Jeder Stamm bekommt einen eigenen Abschnitt. Selbst zu den Blutsgeschwistern der gefallenen und verlorenen Stämme ist etwas zu finden. Beispielsweise kann ein Familienmitglied der Tänzer der schwarzen Spirale ein interessanter Antagonist in einem Abenteuer sein.

Des Weiteren geht es um Gebräuche, Hierarchien und Gemeinschaften der Blutsgeschwister. Das umfasst auch die äußerst vielseitige Heiratspolitik. Konkret unterscheiden sich Blutsgeschwister in unerfahrene und wissende Blutsgeschwister. Unerfahrene wissen nichts von ihrer Verwandtschaft zu den Gestaltwandlern und leben ein Leben, wie jeder andere Mensch. Wissende sind dagegen in die Gesellschaft der Gestaltwandler integriert und damit eine wichtige Stütze, die oft gering geschätzt wird.

Welpen anderer Rassen

Die Blutsgeschwister der Fera, also Gestaltwandler, die keine Werwölfe sind, haben ebenfalls eine mehr oder weniger innige Verbindung zu ihren Verwandten. Die unterschiedlichen Rassen bekommen je einen eigenen Abschnitt. Über die Blutsgeschwister der Hengeyokai, der östlichen Tierhöfe, werden auch einige Zeilen geschrieben. Abgeschlossen wird das Kapitel mit den übernatürlichen Blutsgeschwistern. Da sie einfache Menschen sind, können sie durchaus zu Vampiren, Todesalben, Wechselbälgern und Magi werden. Jeder kann sich vorstellen, dass damit die Beziehungen zu ihren gestaltwandelnden Verwandten recht kompliziert werden.

Die Blutsgeschwister der Fera sind Nichtwerwolf-Gestaltwandler.

Blutsgeschwistercharaktere

Die Charaktererschaffung für Blutsgeschwistercharaktere wird in diesem Kapitel erörtert. Es gibt neue Kenntnisse, Hintergründe, Vorzüge und Schwächen. Des Weiteren werden spezielle Stammesgaben und Riten eingeführt. Spezielle Ausrüstung wie Fetische und Talens sind für Blutsgeschwistercharaktere auch verfügbar. Ihre Gaben, Riten und Fetische funktionieren regeltechnisch wie jene der Garou, haben allerdings meist eine schwächere Wirkung. Mundane, aber deshalb nicht weniger nützlichere Ausrüstung, wird auch vorgestellt: ein berühmt berüchtigter Klassiker ist Silbermunition. Auf der einen Seite nützlich, wenn sie gegen Tänzer der schwarzen Spirale kämpfen müssen. Andererseits wirft der Besitz von Silberkugeln unangenehme Fragen bei den Garouverwandten auf.

Weiter geht es mit den Numina, die für einige Blutsgeschwister nutzbar sind. Diese sind mystische Fähigkeiten, die etwas schwächer als Gaben und andere übernatürliche Fähigkeiten sind, dennoch vielseitig und mächtig sein können. Personen, die solche Fähigkeiten besitzen, haben oft das „zweite Gesicht“ oder sind „übersinnlich begabt“. Diese Fähigkeiten sind regeltechnisch in Stufen aufgebaut, ganz wie die Disziplinen der Vampire oder weltliche Fähigkeiten. Sterbliche Charaktere dürfen diese Fähigkeiten bei der Charaktererschaffung mit freien Zusatzpunkten erwerben. (Kurze Anmerkung: Diese Numina sind über einen speziellen Vorteil auch für Werkatzen und Werfüchse auswählbar.) Diese mystischen Pfade werden in Scharlatanerie (Hellsehen, Heilung, und Kräuterheilkunde), Übersinnliche Phänomene (Empathische Heilung und Seelenraub) und wahrer Glauben unterteilt. Letzterer verdient eine gesonderte Erwähnung, da diese Fähigkeit bis zu zehn Punkte haben kann und der Charakter damit eine wirksame Abwehr gegen die Schrecken der Welt der Dunkelheit hat. Das umfasst Vampire, Todesalben, Wyrmkreaturen sowie die realitätsverändernden Kräfte der Magi.

Blutsgeschwisterchroniken erzählen

Kapitel vier gibt umfangreiche Hilfestellung für die Spielleitung, die eine Blutsgeschwisterchronik leiten will. Es werden Konzepte, Thematiken, Antagonisten und archetypische Familien vorgestellt. Einen eigenen Absatz bekommen wieder die Geschichten für Fera-Blutsgeschwister, da sich diese von den sozialen Strukturen der Garoufamilien unterscheiden. Weil Liebe, Romantik und Sexualität eine wichtige Rolle spielen, bekommen diese Themen eine Extraerwähnung. In diesem Zusammenhang wurde als Beispiel für eine Blutsgeschwisterchronik Shakespeares Romeo und Julia angeführt. Die Vorstellung einer Chronik um einen Silberfangsohn namens Romeo und einer Schattenlordtochter namens Julia ist mehr als interessant. Weiter wird eine Chronik vorgeschlagen, in deren Verlauf die Spielenden mehrere Generationen einer Blutsgeschwisterfamilie spielen können. An dieser Stelle könnte der geneigten Leserschaft die Serie Vikings für einen Nachfahren der Fenris-Familie als Inspiration dienen.

Der Ritus der Feuertaufe wird detailliert erklärt.

Das letzte Unterkapitel wird dem Blutspürergeist gewidmet. Diese Geister werden in dem Ritual der Feuertaufe an Säuglinge gebunden, um die nächste Septe zu informieren, wenn sich das Kind verwandeln sollte. In der Welt der Dunkelheit funktioniert das nicht immer wie geplant. Genau mit diesen Unwägbarkeiten beschäftigt sich dieser Abschnitt. Der Ritus der Feuertaufe wird detailliert erklärt und es wird hervorgehoben, dass dieser auch von Blutsgeschwistern ausgeführt werden kann und häufig wird.Es werden verschiedene Blutspürergeister vorgestellt, einschließlich einiger korrumpierter Varianten. Zusätzlich werden einige erzählerische Aufhänger rund um Blutspürer gegeben. Das Kapitel wird mit einigen Worten zu den Hauttänzern als Antagonisten abgeschlossen.

Anhang: wir sind eine Familie

Im letzten Kapitel werden fünf Beispielfamilien vorgestellt, die frei von der Spielleitung verwendet werden können. Drei dieser Familien sind Garoublutsgeschwister, die anderen zwei sind Verwandte der Fera. Die Garoufamilien können von der Spielleitung verschiedenen Stämmen zugeordnet werden. Allerdings drängt sich bei der Beschreibung der Familien direkt ein Stamm auf.

Die Erste ist den wissenden Blutsgeschwistern zuzuordnen. Die Blackwoods betreiben einen Tatortreinigungsdienst und kommen mit allerlei dunklen Geheimnissen in Kontakt. Ebenfalls Wissende sind die Millers. Für die Hinterwäldlerfamilie ist das Brennen von hochprozentigen Spirituosen ein einträgliches Geschäft. Wer hier Hillbilly-Stereotypen erwartet, wird angenehm überrascht. Geschickt werden diverse Vorurteile benutzt und ungeschickte Klischees vermieden. Allen Vorurteilen zum Trotz sind die Millers ein sehr sympathischer Haufen.

Dagegen zählt die Graddockfamilie zu den unerfahrenen Blutsgeschwistern. Mit einem Wanderzirkus fahren sie durch das Land und stellen das Bild des fahrenden Volkes dar. Wieder werden geschickt Stereotypen benutzt, ohne sie überzustrapazieren.

Die Garrisons sind eine wissende Familie der Werraben und eng in die Informationsbeschaffung eingebunden.

Dagegen sind die Grinders unerfahrene Blutsgeschwister der Rattenkinder. Sie sind sowohl ein Familienklan, als auch eine skrupellose Straßengang. Der Patriarch benutzt seine Kinder und Enkel für eine Vielzahl krimineller Aktivitäten.

Jede dieser Familien gibt es eine Handvoll Aufhänger für die Spielleitung, um sie in einer Chronik oder einem Spielabend einzusetzen. Die Spielleitung hat es hier sehr schwer, eine Wahl zu treffen, da alle Familien äußerst interessante Ansätze für Geschichten haben.

Erscheinungsbild

Das Erscheinungsbild des Buches reiht sich nahtlos in die Reihe der bisherigen Werwolf-Publikationen ein. Das typische Layout wird beibehalten und das Buch ist ein stabiles Hardcover von 130 Seiten mit einem Lesebändchen. Es gibt ein ausführliches Inhaltsverzeichnis, das so übersichtlich ist, dass kein Index notwendig ist. Alles Wissenswerte ist mit Seitenzahl aufgelistet. Die Illustrationen sind vollfarbig, von hohem Standard und passen thematisch zum jeweiligen Kapitel. Der Text ist von angenehmen Format und lässt sich gut lesen. Einige besondere Abschnitte sind farbig hervorgehoben. Die Übersetzung ist solide und mir sind nur eine kleine Handvoll Grammatikfehler aufgefallen. Für mich auffällig war, dass im Text wieder das klassische Maskulinum verwendet wurde, im Gegensatz zu dem vielseitigen und erfrischenden Femininum in Wege des Wandlers oder Die Fera. Das wird wohl am individuellen Schreibstil der unterschiedlichen Autor*innen gelegen haben.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ulisses Spiele
  • Autor*innen: Jackie Cassada, Jess Hartley, Ethan Skemp, Bill Bridges
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 130
  • ISBN: 978-3-96331-241-0
  • Preis: 29,95 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, DriveThruRPG, Sphärenmeister, idealo, Ulisses (PDF)

 

Fazit

Zusammengefasst stellt Blutsgeschwister: Ein ganz eigener Schlag ein solides Quellenbuch für jede Werwolfchronik dar. Tatsächlich sind die Blutsgeschwister wichtig, aber so unterschätzt, dass sie im Grundregelwerk zu kurz kommen. Erst im vorliegenden Buch wird ihre Notwendigkeit und Vielseitigkeit hervorgehoben. Das Buch liefert einige Fakten zu der Zeugung und Geburt der Garou, die erst durch das Lesen des Blutsgeschwisterbuches deutlich geworden sind. Die geneigte Leserschaft sollte allerdings mit Werwolf: Die Apokalypse vertraut sein, da es im das Buch sehr ins Detail geht. Ob 29,95 EUR für ein 130-seitiges Hardcover gerechtfertigt sind, muss die Leserschaft selbst entscheiden. In Anbetracht der Qualität des Buches ist der Preis angemessen.

 

Artikelbilder: © Ulisses Spiele
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Sabrina Plote
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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